1. Petrus 2, 19-23: Leiden – eine Gnade (Traugott Hahn)

»Denn das ist Gnade, wenn jemand aus Gewissenhaftigkeit gegenüber Gott Kränkungen erträgt, indem er zu Unrecht leidet. Denn was ist das für ein Ruhm, wenn ihr geduldig Schläge ertragt, weil ihr gesündigt habt? Wenn ihr aber für Gutestun leidet und es geduldig ertragt, das ist Gnade bei Gott. Denn dazu seid ihr berufen, weil auch Christus für uns gelitten und uns ein Vorbild hinterlassen hat, damit ihr seinen Fußstapfen nachfolgt. ‹Er hat keine Sünde getan, es ist auch kein Betrug in seinem Mund gefunden worden›; als er geschmäht wurde, schmähte er nicht wieder, als er litt, drohte er nicht, sondern übergab es dem, der gerecht richtet.«
(1. Petrus 2, 19-23).

Wir begrüßen heute die beginnende Passionszeit und das von Herzen. Fühlt doch ein jeder unmittelbar: Passion und wir gehören zusammen.

Was ist am auffallendsten an unserem Apostelwort? Drei Worte sind es:

1. «Dazu seid ihr berufen von Gott.» Es will also jeden weisen, was recht eigentlich zu seinem Christenberuf gehört.
2. Zweimal lesen wir nachdrücklich: «Das ist Gnade bei Gott.» Petrus will uns also etwas zeigen, das eine große Gnade wäre, wenn es unserem Leben widerführe. Ja,
3. wird das noch als ein Ruhm, eine hohe Ehre für Christen bezeichnet. Was er meint, ist immer dasselbe, nämlich das Leiden.

Hört es –, nach Petrus ist das Leiden Christenberuf, eine Gnade Gottes und eine Ehre; freilich nicht das Leiden im Allgemeinen, sondern nur das Leidenslos dessen, der ans Kreuz Christi geschlagen wurde.

Sehen wir zu, ob der Heilige Geist uns durch Petrus davon zu überzeugen vermag.

Betrachten wir heute das Christenkreuz im Christenleben, und zwar:

1. Das Kreuz selbst.
2. Das rechte Kreuzleiden.
3. Welch hohe Gnade es ist, daran zu hängen.

I. Das Kreuz selbst.

Was ist das für ein Christenkreuz, an das noch immer Christen geschlagen werden? Nicht genug kann man da betonen: Durchaus nicht alles Leiden des Christen verdient diesen Namen. Bleiben wir heute einmal bei dem Leiden, das einem Christen von anderen Menschen zugefügt wird. Christenkreuz ist nie ein selbstgesuchtes, durch Leichtsinn verschuldetes Martyrium, sondern nur Leiden, an die Gott den Christen ohne seine Wahl und seinen Willen gefesselt hat.

Zunächst ist es nicht nur Recht, sondern Pflicht des Christen, Leiden zu meiden, und sich Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten. Deutlich gesprochen – zum Christenkreuz gehören besonders die Leiden, die dem Christen erwachsen aus den menschlichen Verhältnissen, in die Gott ihn hineingestellt hat, und wo er ihn festhält.

Petrus denkt hier daran, was damals Sklaven zu erdulden hatten, wenn sie, ganz unabhängig von ihrem Willen, das Los getroffen, unter der Herrschaft von wunderlichen Herren leben zu müssen, das heißt von harten, rohen und launischen und daher unberechenbaren und ungerechten Herren.

Dadurch wurde natürlich das ganze Dasein für sie zu einem fast unausgesetzten
Leiden. – Ganz dasselbe gibt es für uns ja nicht, aber doch Ähnliches; denken wir nur an alle, die im Zusammenleben oder in der Berufsarbeit gefesselt sind an rohe und unzuverlässige, ungerechte Menschen, ob sie nun ihre Vorgesetzten oder Gleichgestellte sind. Es kann das für den Christen auch heute noch eine Bindung für das ganze Leben sein, wie in einer unglücklichen Ehe oder im Verhältnis zu unwürdigen Eltern, Geschwistern oder Verwandten. Es kann aber auch nur eine zeitweilige Bindung sein, etwa im Beruf, an schlechte Vorgesetzte und Mitarbeiter. Äußere Verhältnisse, bei Christen noch öfter ihr Gewissen, verbieten ihnen zurzeit diesen Posten zu verlassen, nachdem sie ihn einmal übernommen.

Dies gilt besonders in einer für die in Betracht kommende Gesamtheit schweren und gefahrvollen Zeit. Dabei macht es für ein Christengewissen keinen wesentlichen Unterschied, ob man sich feierlich durch ein Gelöbnis oder gar einen Eid zur Treue verpflichtet hat, oder ob es nur stillschweigend geschehen ist durch fortgesetztes Leben in
einem Verhältnis oder in einem Beruf, mit dem notwendig viele ständige Verpflichtungen gegeben sind und der Treue nach allen Seiten hin erfordert. Der innerlich Gewissenhafte kann in diesem Fall nicht weichen, ehe er seine Verbindlichkeiten rechtlich gelöst hat. In solchem Fall weiß er:

Gott will, daß ich hier aushalte, das heißt aber: Gott hat mich an ein bitteres Kreuz geheftet und läßt mich daran hängen.

Aber mit dem Christenkreuz darf all das freilich nur verglichen werden, wenn es ein reines
Unrechtleiden seitens des Christen ist. Nur nicht, wie Petrus hier betont, Leiden, die eine, wenn auch vielleicht nicht gerecht verhängte Strafe, aber doch an sich wohlverdiente Strafe sind für Versündigungen, zumal gegen die ihn Misshandelnden und Schlagenden.

Doch Petrus geht noch weiter. Von Kreuzesleiden darf man erst reden, wenn es gilt: Wenn ihr um Wohltat willen leidet, das ist Gnade bei Gott. Genau übersetzt heißt es hier aber nicht nur: Um Wohltat willen, sondern:

«Wenn ihr das Gute tuend, als im Gutestun Stehende vom Leiden betroffen werdet.»

Wie einst Christus soll uns Christen das Leiden nur treffen als solche, die im Gemeinschafts- wie im Berufsleben unermüdlich sind, das Gute zu tun; als solche, die bestrebt sind, jenen uns Unrecht Tuenden mit ehrlich wohlwollendem Herzen und nach bestem Gewissen zu dienen. Wer aber nach seinem christlichen Gewissen lebt und handelt, der muß wissen, daß er damit viel Anstoß und Feindschaft erregen und viel zu leiden bekommen wird.

Aber Petrus denkt noch weiter, nämlich daran, daß wirklich treue Diener trotz ihres tadellosen Verhaltens, ja trotz vieler Wohltaten von den Harten und Ungerechten ganz ohne Grund mißhandelt werden aus Mißtrauen, Verdächtigung und Antipathie. In solchen Leidenszustand zu geraten ist eine heilige Kreuzigung nach Gottes Willen.

II. Das rechte Kreuzleiden.

Aber ans Christenkreuz geschlagen, gilt es nun in rechter Weise zu leiden.Was lehrt uns Petrus da? Allem zuvor mahnt er hier den Sklaven, auch dem harten Herrn um des Gewissens willen untertan zu bleiben. Für alle ähnlichen Verhältnisse besagt das heute: Nie und nimmer darf Pflichtvergessenheit und Ungerechtigkeit auf der anderen Seite, auch nachdem es zum Unrechtleiden in hohem Maße gekommen ist, das christliche Gewissen ohne weiteres von seinen übernommenen Pflichten, von der Treue entbinden, solange man das Verhältnis nicht lösen kann und will. Bis zum letzten Atemzug, oder bis Gott dem Gewissen abzubrechen erlaubt, muß die Dienstpflicht mit heiliger
Gewissenhaftigkeit durchgeführt werden. Und das ist etwas wahrhaft Großartiges: Mit Undank gelohnte Pflichttreue bis in den Tod; ein Christ, der schweres Unrecht leidet und doch gegenüber den ihn Misshandelnden, vor Gott wandelnd, die übernommenen Pflichten pünktlich und hingebend erfüllt! Ob auch kein Mensch es anerkennt, Gott sieht es! Und wenn nur mein Gewissen rein bleibt.

Zum anderen sagt Petrus: Wenn ihr um Wohltat willen erduldet. Das muß unterstrichen
werden. Heiliges Kreuzesleiden ist das in der Geduld. Petrus weist uns energisch auf das Leidensvorbild Jesu: «Welcher nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litt.» Ja, das ist das heilige Schweigen Jesu in seiner Passion! Auch wir sollten überwiegend stillschweigend dulden. Wie das wichtig ist! Nur nicht durch vieles Schwatzen und Klagen sich gegenseitig aufregen und entrüsten und damit jedes Leiden entheiligen! Ganz etwas anderes sind natürlich ernste Aussprachen, zumal vor Gott!

Und noch eins: Christus stellte alles dem anheim, der gerecht richtet, betont Petrus. Hüten wir uns, die, welche uns Unrecht zufügen, zu richten oder gar zu verdammen, uns ihnen gegenüber irgendwie Haß und Schadenfreude zu erlauben. Es kommt so leicht dazu. Gerecht richten und bestimmen, was gerechte Strafe ist, vermag allein Gott, der ewige, gerechte Richter. Uns ist es ganz unmöglich, zumal in Zeiten großer Erregung. Darum nur niemand verdammen, für niemand die Hoffnung aufgeben. Hören wir nie auf, unsere ungerechten Nächsten der Gnade und Barmherzigkeit Gottes zu befehlen.

III. Welch hohe Gnade es ist, daran zu hängen.

Haben wir bei diesem schlichten, großen Zeugnis des Petrus von Unrechtleiden es nicht schon innerlich erfaßt: Ja, so zu leiden, das ist wirklich Gnade bei Gott! Oder ist es nicht Gottes Gnade in unserem Leben, wenn er uns, die wir am Boden liegen, erfaßt und emporhebt und schon auf Erden auf ewige Höhen stellt? Sagt unser Gewissen uns nicht: Solch ein Leiden, wenn das einem gegeben wird, das wäre nicht nur eine erhabene Höhe, das wäre die Höhe. Gut sein, Gutes tun im lichten Alltag ist herrlich! Aber gut bleiben, im Unrechtleiden unerschütterlich gut sich behaupten, ist unvergleichlich höher.

Und dann, ist es uns nicht, als träte in den Worten seines Apostels Jesus selbst vor uns hin, der Dulder, der Gekreuzigte und ruft: «Du Bequemer, Verweichlichter, der du den Namen Christ kaum verdienst, komme endlich und tritt wirklich in meine Fußstapfen, komm auf meine Höhe!»

Was war denn der Gipfel in Jesu Erdenleben? Fraglos das Kreuz auf Golgatha. Mit, bei und in Jesus auf dieser Höhe zu weilen, ist das nicht Gnade? Lernen wir nur, um dahin zu gelangen, immer wieder aufzuschauen zu ihm, dem großen Gekreuzigten, der im Mittelpunkt der ganzen Welt und ihrer Geschichte steht. Trinken wir, nach Gerechtigkeit dürstend, sein Leidensbild in unsere Seele.

Amen.

Quelle:

Traugott Hahn: Glaubet an das Licht. Ein Jahrgang Predigten nebst Anhang (nach seinem Tode herausgegeben). C. Bertelsmann, Gütersloh, 1925.

Abgedruckt in:

Schriftenarchiv – Predigten, Texte, Bilder


Eingestellt am 7. Juni 2022 – Letzte Überarbeitung am Buß- und Bettag, 22. November 2023