Akten zur neuesten Kirchengeschichte (5)

Ein rauhes Hochland, in welches Eichhorn mit den Seinen von den heitern Ufern des Neckar versetzt ward. Dort wehte Frühlingsluft, hier empfing ihn Schnee und Eis. Es war im April 1867, als Eichhorn in Waldeck eintraf.

Corbach [heute: Korbach, Kreisstadt des Landkreises Waldeck-Frankenberg in Hessen] zeigt immer noch Etwas von ehemaliger Größe. Die Stadt an der alten Heer= und Handelsstraße von Kassel nach Köln war einst ein nicht unwichtiger Stapelplatz für den Binnenhandel.

Korbach, Evangelische St.-Nicolai-Kirche

Die mächtigen Kirchen deuten neben den alten Steinkammern und Warenspeichern noch auf ehemaligen Reichtum. Hier hatte während der Reformationszeit Graf Wolrad von Waldeck das Gymnasium gegründet [Alte Landesschule, gegründet 1579 als humanistische Gelehrtenschule]. Philipp Nicolai, der Dichter von Wie schön leuchtet der Morgenstern und Wachet auf, ruft uns die Stimme war hier gebildet. Der Graf unterstützte ihn.

Hier konnte nun der jüngste Sohn Eichhorns seine Studien machen. Hier betrauerte der Vater den frühen Tod des Nächstälteren. Zwei andere reiften ihm tüchtig heran.

Eichhorn stand hier in der Rheinischen Diöcese.

Der unvergeßliche Superintendent Feldner in Elberfeld, später Superintendent Dr. Schmidt, waren seine Vorgesetzten. Hierhin gingen also die Fahrten zu Diöcesan=Synoden und Conferenzen. Und von hier kam mehr als einmal der Auftrag für Baden. Dann besuchte Eichhorn auf einer Rundreise alle seine lieben einstigen Pfarrkinder. Mit großer Freude sahen sie ihn unter sich in seinem Heimatland. Es waren Festtage.

Aber im hohen Bergland wanderte er, schon alternd, so unverdrossen wie früher.

Welch mühsame Gänge zu Fuß bei Sturm und jedem möglichen Wetter! Von Sachsenberg, wo Pfarrer Rocholl selbst hätte bleiben müssen, ging’s über Berg und Tal in’s Hessenland, nach Treisbach und Battenfeld. Nach Schloß Waldeck, Wildungen und Bergheim führte der Weg zu Fuß, oder, wo keine Poststraße, auch auf armseligen Wagen. Da saß der alte treue Hirt vom Sturm gepeitscht und vom Regen durchnäßt.

Ein hochgebildeter, für die sogenannte vornehme Welt wie geschaffener Mann, edler und ruhiger Haltung, und dieser Mann: auf Fuhrwerken, in Kammern, in Wettern von oft unaussprechlicher Natur – das ist Hirtentreue! Das ist ein Bild für das kommende junge Geschlecht lutherischer Pastoren!

Neben den Gängen bei Tag und Nacht unterstützten unzählige seelsorgerische Briefe seine Wirksamkeit. – Er schrieb sie an die Verlassenen, von der Kirche räumlich Entfernten in einer bewunderungswürdigen Treue.

Und daneben schrieb er Berichte und Besprechungen erschienener theologischer Werke für Rudelbach und Guericke, für die Zeitschrift für Protestantismus und Kirche, für die Evangelische Kirchenzeitung, für Hengstenberg, Tauscher, Zöckler und Luthardt.

Im Lande verteidigte er seine Kirche auf Schritt und Tritt mündlich wie in den gelesensten Tageblättern. Die Missionsfeste, die er veranstaltete, zogen Volksmengen an. Es ging ein sichtbarer Segen auch in die Landeskirche von ihnen aus.

Es war ein großer Festtag, als Eichhorn’s fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert wurde. Es war am 15. April 1885. Da zeigte sich, welche Achtung und Anhänglichkeit ihm weit und breit zu Teil geworden. In Folge des Aufrufs eines Freundes kamen in kurzer Zeit aus Baiern, Preußen, Sachsen, Württemberg, Mecklenburg, Hamburg und Dorpat Summen herbei. Es galt, dem Jubilar die Hand zu stärken, um ein Gotteshaus zu bauen. Alles wetteiferte in Gaben der Liebe.

Und eine liebliche Kapelle im Rundbogen=Stil stand bald fertig. Baurat Lüdecke in Breslau hatte den Entwurf gezeichnet. Die romanische Apsis zeigt gute farbige Fenster. Und in der Sacristei hängt Eichhorn’s Bild, von einem Düsseldorfer Künstler gemalt, ein bleibendes Gedächtniß für die Gemeinde und die Kirche.

Nun aber kam die Zeit des Heimgangs des hochbetagten Hirten.

Er hatte einen Hülfsprediger zur Seite, blieb aber, da derselbe noch nicht ordiniert war, in Tätigkeit. So war es am 8. Februar 1890, als ein Sturz vom Wagen auf einer Fahrt im Amt dem Leben, welches in unzähligen Gefahren bewahrt war, ein Ende machte. Außergewöhnlich, wie sein ganzes Leben, ließ Gott auch seinen Tod sein.

Am 12. Februar stand der Sarg in der Kirche vor dem Altar. Unter den versammelten Geistlichen standen drei bairische Pfarrer, die Söhne des Entschlafenen. Der Superintendent Dr. Schmidt hielt die Predigt über das Wort:

„Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“

Welcher Art die Teilnahme auch in weiteren Kreisen war, mag ein Artikel zeigen, den irgend ein Lehrer in ein Berliner Blatt „Das Volk“ sandte. Darin sagt der Verfasser, daß selbst die conservativ=christlich=sociale Reichstagswahl im Fürstentum Waldeck auf Eichhorn’s tiefe Arbeit im Lande zurückzuführen sei:

„Er erkannte, wie wenige, den Krebsschaden, der am Marke dieses treuherzigen Völkleins nagt, wie kaum anderswo. Und er hat den Schaden aufgedeckt, wo er nur konnte – und seine Stimme reichte mit Hülfe seiner Feder gar weit -, aber auch stets auf das rechte Heilpflaster hingewiesen: das lautere Evangelium. das wieder in das Mehl des Volkslebens als der alles durchsäuernde Teig hineingemengt werden müsse. Was er allein nicht ausrichten konnte, hat er mit Hülfe treuer Zeugen an den zu Volksfesten gewordenen lutherischen Missionsfesten zu erreichen gesucht. Zählten seine Gemeinlein nur wenige hundert Seelen, diese Feste wurden von Tausenden besucht. Da ist mancher Keim gelegt, der in der diesjährigen Wahl aufgegangen ist. Darum bleibe sein Andenken auch im Volk, dem waldeckschen, wie unserm, in Ehren.“

Den schönsten Kranz aber legten seine lieben badischen Gemeinden in ihrem Nachruf auf den Sarg:

„Unvergessen bleibt uns, wie er auch in Ketten und Banden sich des Evangeliums von Christo, des Wortes vom Kreuz nicht schämte, und durch dies sein treues Zeugnis uns zur Kirche der Väter zurückführte. Neunmal schleppte man ihn in den Kampf= und Leidenszeiten in die Gefängnisse Badens. Aber sein Mut und sein Glaube an den Sieg des Kreuzes Christi blieben ungebrochen“.

„Ungebrochen!“ – Wer die Geschichte des Wiederaufgangs des lutherischen Bekenntnisses in Deutschland mit erlebte, wird gestehen müssen, daß wir für diesen Gang in Sturm und Drang die bezeichnendste Gestalt, neben den Gefangenen Schlesiens, in Eichhorn besitzen. Möge denn Losung und Zeichen dieser Bekenntniskirche, soweit sie in den Spuren der Väter geht, immer heißen trotz aller Stürme:

„Ungebrochen!“

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Quelle: Karl Eichhorn, Akten zur neuesten Kirchengeschichte, hrsg. v. Rudolph Rocholl. Leipzig, Verlag von Justus Naumann, 1890. [Digitalisat]

Bildnachweis: Korbach, St. Nicolai / Peter Kaboldy, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.

Weblinks und Verweise

Seite Carl Eichhorn (Pfarrer, 1810) bei Wikipedia (DE)

Stolle, Volker: Lutherische Kirche im gesellschaftlichen Wandel des 19. und 20. Jahrhunderts – Aus der Geschichte selbstständiger evangelisch- lutherischer Kirchen in Deutschland. [Inhaltsverzeichnis]

Eingestellt am 1. November 2023