128. Von Benützung des Arztes (Kolb)

In dem Herrn geliebter Bruder!

Der kranken Schwester bitte ich zu sagen: In zwölf Wochen habe ich zwanzig Mixturen und gegen vierzig Pulver eingenommen, und meine Krankheit hat mich gegen hundert Gulden gekostet. Am liebsten hätte ich mich gesund geglaubt – lieber, als Arznei und Pulver eingenommen, wovor ich einen unaussprechlichen Ekel hatte. – Aber Gott wollte dies Opfer von Geld und Ueberwindung. Ich wollte mich zuerst in der frommen Ansicht fassen: Alle deine Tage hat Gott auf sein Buch geschrieben; du stirbst also nicht bälder und nicht später. Aber es hieß in mir: Ja, du stirbst als ein Eigensinniger bälder; das hat der Allwissende auch gesehen. Viele werden dies erst jenseits einsehen und bereuen, daß sie ihre Gnadenzeit abgekürzt haben, weil sie aus Geiz und Weichlichkeit den Arzt, den Gott verordnet hat, nicht gebrauchten.

Ist man zu arm und wohnt dazu noch weit weg vom Arzt, so ist Gott der Arzt. Aus diesem geht mein Rat hervor: Die Schwester soll den Arzt brauchen und die Arznei so einnehmen, wie er es vorschreibt; auch im Essen, Trinken und in der Arbeit sich so halten, wie er sagt. Dann kann sie hier und dort ruhig sein, und es ist einerlei, welchen Arzt sie braucht. Um des Kranken willen lenkt Gott dem Arzt Herz und Gedanken. Nur keine Veränderung gemacht!

Immanuel Gottlieb Kolb (19. Juli 1854)

Aus: Kurzer Lebensabriss von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 848f. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865.

[Digitalisat]


Eingestellt am 15. April 2024