„Also kam Naeman mit Rossen und Wagen und hielt vor der Tür des Hauses Elisas. Und Elisa sandte einen Boten zu ihm und ließ ihm sagen: Gehe hin und bade dich siebenmal im Jordan, so wird dir dein Fleisch wiederhergestellt, und du wirst rein werden. Da ward Naeman zornig und zog weg und sprach: Siehe, ich meinte, heraus zu mir würde er kommen und hinstehen und den Namen Jahwes, seines Gottes, anrufen und mit seiner Hand über die Stelle fahren und so den Aussatz wegschaffen. Sind nicht die Flüsse Amana und Pharphar zu Damaskus besser denn alle Wasser in Israel? Konnte ich nicht in ihnen baden und rein werden? – Und er wandte sich und zog weg im Zorn.“ (2. Könige 5, 9-13)
Also kam Naeman – und hielt vor der Tür am Hause Elisas. In diesem also liegt alles, was vorher passiert ist, nämlich warum Naeman kam und wie Naeman kam. Er kam, weil er aussätzig war. Sonst wäre er wohl nicht gekommen. Ja die Not, die liebe Not hat’s zuwege gebracht, daß ein Feldmarschall aus zwei Palästen kommend mit Rossen und Wagen vor dem bescheidenen Häuslein des Elisa hält. Not lehrt beten, bitten, anklopfen, suchen.
Herr, wenn Trübsal da ist, so suchet man Dich, und wenn Du sie züchtigest, so rufen sie ängstlich (Jes. 26, 16). Die Not, die liebe Not ist der Stadt- oder Dorfmissionar, der von Haus zu Haus geht und an die Haus-, Stuben- und Herzenstüren anklopft. Sie ist das schwere Geschütz, durch welches der Heilige Geist den letzten Angriff macht auf die zu gewinnende Seele.
Also kam Naeman vor die Tür des Hauses Elisas. Also. Die junge Dirne aus dem Lande Israel steckt auch in diesem also. Hätte sie nicht den Mut gehabt, den Herrn und seinen Propheten zu bekennen vor ihrer Herrschaft, so hätte Naeman nie den Weg gefunden zum Propheten Elisa. „Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehört haben?“ (Röm. 10, 14). Jedes offene Bekenntnis zu dem Herrn heftet einen Sieg an seine Fahne. Welch selige Wonne, wenn du es hören darfst: Dich hat Gott gebraucht, mich zu retten. Also kam Naeman. Er kam mit königlichen Empfehlungsbriefen, kam mit Rossen und Wagen, mit seinem großen Namen, mit seinen Verdiensten und Ehren, kam mit 80.000 Talern und herrlichen Feierkleidern. Daß er kam, war ja gut. Viele kommen gar nicht. Naeman hält vor der Tür am Hause Elisas. Er wartet, wartet, wartet. Er eilt nicht gleich davon. Liebe Seele, komm und warte.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, warum die Engel Gottes auf der Jakobsleiter hinauf- und herniederstiegen und nicht hernieder und hinauf? Sie tragen die Gebete und Seufzer hinauf vor den Thron Gottes und kommen mit Trost und Hilfe herunter. Warte du derweilen. Während dieses Wartens mußt du lernen, was Naeman lernte. Nämlich verlernen den letzten Rest von Selbstgerechtigkeit, und alles ist lauter Gnade, lauter Erbarmung.
Naeman hat es auch lernen müssen und ist sehr selig dabei geworden. Laßt uns davon hören.
Naeman vor Elisas Hause
I. Die Botschaft des Elisa
Das Haus des Elisa wird wohl ein bescheidenes Häuschen gewesen sein. Naeman aber kam eben aus dem Palaste des Königs von Israel. Im Palaste war er gewesen. In das Haus des Propheten ging er nicht. Wir verstehen es. Es ist schwer, sehr schwer für den großem Feldmarschall, die Schwelle des Prophetenhauses zu übertreten; im gewöhnlichen Leben ist es so, daß der Große den Kleinen vor sich kommen läßt. Wie konnte der große, hochangesehene, gewaltige, reiche, gebildete, treffliche Naeman in das Haus des Propheten gehen? Er will sich ja nichts schenken lassen. Er will ja alles bezahlen; ist es nicht genug, daß er überhaupt kommt und vor dem Hause hält? Das ist übergenug. Heraus zu ihm muß der Prophet kommen und den Namen Jahwes, seines Gottes, anrufen und den Aussatz wegschaffen, so meinte es Naeman.
So meinen es die hohen, vornehmen, gebildeten, aufgeklärten, selbstgerechten Menschen bis auf den heutigen Tag. Es ist für den natürlichen Menschen schwer, über die Schwelle des Evangeliums zu treten. Denn dieses Evangelium steht in der Welt wie das Haus des Elisa neben den Palästen des syrischen und jüdischen Königs, für die Klugen und Weisen gibt’s nichts Törichteres als die Predigt vom gekreuzigten Christus, nichts, was so sehr, wie sie meinen, allen Natur- und Denkgesetzen zuwider wäre als die Lehre des Evangeliums. So bleiben sie vor dem Evangelium stehen wie Naeman vor dem Hause des Elisa.
Liebe Seele, wo stehst du, wie stehst du? Hast du den Schritt schon getan über die Schwelle des Evangeliums? Gib deinen Stolz nur daran! Nimm deine Vernunft gefangen unter dem Gehorsam des Glaubens (2. Kor. 10, 5). Es gefällt Gott nun einmal, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben (1. Kor. 1, 21). „Die Menschen machen Gesetze“, hat ein Prediger gesagt, „wie die Schneider Kleider machen, passend für die krummen Leiber, denen sie dienen sollen“. „Das Gesetz des Herrn ist vollkommen und bekehrt die Seele“ (Ps. 19, 8). So wollen wir uns durch dieses Gesetz bekehren lassen und niemals versuchen, es zu verkehren. Und dies ist sein Gesetz: Glaube an den Herrn Jesum, so wirst du und dein Haus selig!
Warum kommt Elisa nicht heraus? Und wirft sich in sein bestes Kleid, eilt dem Generalfeldmarschall entgegen, bückt sich tief vor ihm und bedankt sich für die große Ehre und fragt nach seinem Begehr? Er will dem Naeman zu verstehen geben, daß seine Ehren und Reichtümer ihn nicht retten können, daß kein Mensch, auch Elisa nicht, sondern Gott allein nur helfen kann. Laßt uns, meine Lieben, diesen Mann bewundern, der sich durch nichts bestechen läßt. Er ist ein Mann, der Gott fürchtet, darum fürchtet er sich vor keinem Menschen. Oh, daß der Herr uns frei machte von aller elenden Menschenfurcht!
Und nun Elisas Botschaft (V. 10): „Gehe hin und bade dich siebenmal im Jordan, so wirst du rein werden!“
Wie einfach ist dieses Gebot! Wie leicht auszuführen! Und doch wie schwer für den Naeman! Warum untertauchen? warum siebenmal? warum im Jordan? Er hatte wirklich recht: Die Flüsse Amana und Pharphar zu Damaskus hatten besseres, reineres, frischeres Wasser als der Jordan. Damaskus ist noch heute wegen seines gesunden Wassers berühmt. Das Wasser des Jordans ist trübe und von tonhaltiger Farbe.
Aber das ist’s: Naeman soll sich beugen unter das Wort, glauben an das Wort. Und wie er sich bücken muß, wenn er untertaucht, so soll er sich bücken unter das Wort des Propheten als das Wort des Gottes Jahwe. Siebenmal. So stand im Gesetz Moses geschrieben, daß der vom Aussatz Geheilte siebenmal mit fließendem Wasser besprengt werde. Der Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs, der durch Mose das Gesetz gegeben, der und kein anderer will und soll Naemans Retter sein.
Was sollen wir daraus lernen? Zum ersten: Gott läßt dir auch eine Botschaft sagen durch andere. Sooft gepredigt wird, hörst du diese Botschaft. Sooft du deine Bibel aufschlägst, liest du diese Botschaft, sie ist die Offenbarung deines Gottes. Und was offenbart sie? Gott war in Christo. Was verkündigt sie? Christus ist gemacht von Gott zur Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligkeit, Erlösung. Was gebietet sie? Glaube an den Herrn Jesum Christum. Was verheißt sie? Du wirst selig werden. Also das ist die Botschaft für dich, wenn du schreist nach Trost und Frieden, nach Heil und Errettung. Gehe hin, hinunter zum Tal, in den Jordan. Laß deinen Reisewagen zurück, der beladen ist mit eigener Gerechtigkeit. Verzweifle ganz und völlig an deiner eigenen Kraft und deinem eigenen Verdienst. Nur in ein gebrochenes Herz hinein senkt sich der Himmel.
Steig immer tiefer, in das tiefe Tal deiner selbstempfundenen Schwachheit und Armut Leibes und der Seele, Gutes und der Ehre scheint warm und mild die himmlische Gnadensonne. Und nun gehe hinein in den Jordan des Evangeliums. Tauche unter in die Gnadenflut des Blutes, das vom Berge Golgatha strömt. Glaube es, daß Gott in Christo war. Glaube es, daß Gott also die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn dahingegeben. Glaube es, daß Christus für dich starb, der Gerechte für die Ungerechten, der Heilige für die Gottlosen. Glaube es, daß er deine Krankheit trug und deine Schmerzen auf sich lud. Glaube es, daß er auch an dich gedacht, als er rief: Es ist vollbracht. Glaube es, daß du angenehm geworden in dem Geliebten. Glaube an die Vergebung deiner Sünden, deine Erwählung, deine Rechtfertigung – alles um Jesu willen.
Das ist die Botschaft Gottes an dich, du Menschenkind, in deinem Elend, an die gesamte Menschheit „in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast“. Und was antworten die Menschen darauf? Laßt uns hören:
II. Die Antwort des Naeman
Was nun kommt, ist nicht erfreulich zu hören: Da ward Naeman zornig und zog weg und sprach: „Siehe, ich meinte . . .“ Und zum Schluß heißt es nochmal: Und er wandte sich und zog weg im Zorn. Er ward zornig, denn es geschah nichts von dem, was er erwartet hatte. Es kam ganz anders, als er es sich gedacht. Er wollte Hilfe, aber er wollte vorschreiben, wie ihm geholfen werden sollte. Der Prophet soll selbst herauskommen, mit feierlicher Handbewegung über die Stellen des Aussatzes fahren und mit lauter Stimme den Namen Jahwes anrufen. Sehen will er, hören und fühlen. Und nichts von dem geschah. Er soll sich unter das Wort stellen. Er soll kindlich glauben. Er soll etwas tun, was seinem Stolze zuwider ist und was vor seinem Verstande und seiner Vernunft sehr töricht erscheint. Darum wendet er sich ab und zieht weg im Zorn.
„Ich meinte“, spricht er. Ich meinte. O dieses böse „ich meinte“! Dadurch sind zahllose Seelen verlorengegangen und gehen bis auf den heutigen Tag verloren.
Dem einen paßt dieses nicht, dem anderen das nicht. Tut Buße, bekehret euch! „Ich meine, das gilt nur für Hurer, Mörder, Diebe und grobe Sünder, aber nicht für mich“: Verflucht ist, wer nicht alle Worte des Gesetzes hält, daß er darnach tue. „Ich meine, das ist doch zu viel verlangt, alle Worte des Gesetzes zu halten“: Meine Sünde ist mehr, denn Haare auf meinem Haupte. „Ich meine, das ist mindestens eine Übertreibung“: Die Sünde ist der Leute Verderben. „Ich meine, daß mein Elend keine Folge der Sünde sein kann“: Ein jeglicher murre wider seine Sünde. „Ich meine, meine Krankheit, meine Armut, mein Leiden sind viel mehr des Murrens wert als meine Sünde: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. „Ich meine, an diese Botschaft kann heutzutage kein gebildeter und denkender Mensch mehr glauben“: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, kann er das Reich Gottes nicht sehen. „Ich meine, so wie ich bin, müßte mich Gott auch gebrauchen können und mir seine Herrlichkeit offenbaren“: Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von allen Sünden. „Ich meine, diese Blut- und Wundentheologie ist eine abgetane Sache. Mir kommt es zuerst darauf an, aus meiner äußeren Not errettet zu werden“: Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott. Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir. „Ich meine, das streift an Muckerei und Pietismus! Ich bin ja ein achtbarer Mensch, gehe zur Kirche und zum Abendmahl“: Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren, Er hört ihr Schreien und hilft ihnen. „Ich meine, dann müßte er mir auch geben, was ich immer begehre, und helfen, wann und wie ich will, wenn ich nur schreie“ – „Ich meine, die Herrlichkeit des ewigen Lebens ist schon gut, aber lieber ist mir vorläufig ein Leben ohne Kreuz und Trübsal“.
So fallen die beiden Worte „ich meine, ich meinte“ wie ein Mehltau auf alle Gebote und Verheißungen der Heiligen Schrift. Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen? Wie kannst du erwarten, nur etwas von der Herrlichkeit Gottes zu sehen, so du deinem Gott den Glauben schuldig bleibst und hinter das Wort deines Gottes setzest dein: „Aber ich meine…„ Mit diesem „ich meine“ verstopft sich der Mensch die Quelle der göttlichen Erbarmung und Hilfe. Denn Gott bindet sich an sein Wort und nicht an das „Meinen“ der Menschen.
Mit diesem „ich meinte“ erwacht die Seele in der Ewigkeit, um ewig verloren zu sein. „Ich meinte, es sei alles Pfaffen-Lug und -Trug, was gepredigt wurde, aber nun erfahre ich, daß das Evangelium Wahrheit ist in Zeit und Ewigkeit“ – „Ich meinte, es sei genug mit dem Getauftsein und Konfirmiertsein und meinem kirchlichen Leben, aber nun habe ich kein Leben bei Gott, weil ich kein Leben in Gott hatte, da ich lebte!“ – „Ich meinte, es genügte zur Seligkeit, daß ich kein grober Lasterknecht war, kein Dieb und kein Mörder, aber nun sehe ich, daß mein ganzes Leben in Sünden verloren war!“ – „Ich meinte, die ‚Fabel‘ von Christo, dem Gekreuzigten und Auferstandenen sei gut für andere, nicht für mich, aber nun bin ich verworfen von dem, den ich verworfen habe“ – „Ich meinte, ob Jude, Christ oder Hottentott, wir glauben all an einen Gott, aber nun habe ich keinen Gott, weil ich keinen Christus habe“ – „Ich meinte, das letzte heilige Abendmahl auf meinem Sterbebette würde mich selig machen, aber nun bin ich doch verloren, denn ich starb ungläubig und unbekehrt“ – „Ich meinte, daß die Predigt von dem Blute des Lammes pietistische Schwärmerei sei, nun durchdringt ein unnennbares Weh meine Seele, daß ich im sühnenden Blut von Golgatha Vergebung meiner Sünden und ewige Gerechtigkeit nicht suchte“.
Menschenkind, gib dein törichtes Meinen daran. Du meinest nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich, was teuflisch ist. Laß die Leute meinen, was sie wollen. Glaub du deinem Gott und Seiner Botschaft von seinem Sohne. Sie ist Torheit vor der Weisheit der Menschen. Aber die göttliche Torheit ist weiser, denn die Menschen sind. Laß dich einen Narren schelten von der Welt. Rette du deine Seele! Bade du dich im Jordan des heiligen Evangeliums siebenmal.
Du wirst, wenn deine Seele erwacht im Paradiese, sagen: „Ich meinte, die Seligkeit müsse überwältigend sein am Throne Gottes in der Nähe Jesu – keine Schmerzen, kein Leid, kein Geschrei, keine Sünde, kein Tod. Aber im Fleisch habe ich es gar nicht fassen, nicht meinen können, was der Herr denen gilt, die ihn liebhaben, an ihn glauben, in ihm leben und sterben“.
(Dammann, Julius – Ich meinte)
Paradies, Paradies,
wie ist deine Frucht so süß.
Hinter deinen Lebensbäumen
wird uns sein, als ob wir träumen.
Bring uns, Herr, ins Paradies! Amen.
Quelle: Glaubensstimme – Stimmen der Väter