Daniel 10, 13+14

Aber der Fürst des Königreiches im Perserland hat mir einundzwanzig Tage widerstanden; und siehe, Michael, der vornehmsten Fürsten einer, kam mir zu Hilfe; da behielt ich den Sieg bei den Königen in Persien. Nun aber komme ich, daß ich dich unterrichte, wie es deinem Volk hernach gehen wird; denn das Gesicht wird erst nach etlicher Zeit geschehen. (Daniel 10, 13f.)

Geheimnisvolle Worte! Vielleicht lassen sie uns jedoch etwas von jenem ungeheuren Kampf innerhalb der unsichtbaren Geistesmächte um das Offenbarwerden der Gottesherrschaft auf Erden ahnen, der sich in einer uns unsichtbaren Weise in der Geschichte abspielt. Wie das Göttliche, so ringt auch das Dämonische und Diabolische um eine Fleischwerdung im Menschen. Ohne hier auf dieses von uns noch viel zu wenig erkannte Gebiet eingehen zu können, geht doch aus den Worten des Offenbarungsboten hervor, daß er zunächst von stärkeren Mächten verhindert wurde, gleich dem Daniel die Erhörung zu bringen. Erst als der Engelfürst Michael ihm zur Hilfe eilte, wurde ihm der
Weg frei zu dem betenden Daniel.

Wenn im Text von den Königen Persiens die Rede ist, so handelt es sich dabei um den Ausdruck für jene ganze Dynastie, bei der schließlich die Ratschläge der Gottesboten zugunsten der Juden eine günstige Aufnahme fanden. Alle hier genannten geheimnisvollen Vorgänge werden uns weit verständlicher, wenn man sie im Licht
des Apostels Paulus im Epheserbrief (Kapitel 6, 10—13) sieht, und weniger vom Standpunkt der alten Zeit aus, die alles unter der Voraussetzung sah, daß die einzelnen Völker unter besonderen Schutzengeln standen.

Einundzwanzig Tage ringt Daniel im Gebet, und während der ganzen Zeit vollzieht sich am Hofe Persiens ein ungeheurer Geisteskampf. Stärkste Einflüsse wider und für die gefangenen Israeliten machen sich innerhalb der Regierung Persiens geltend, bis endlich dem Daniel die freudige Offenbarung mitgeteilt werden kann, daß Gabriels Ratschläge zum Besten seines Volkes Eingang bei der persischen Dynastie gefunden haben. Diese
günstige Stimmung äußerte sich ja auch wirklich unter Darius Hystaspis* und Artaxerxes Longomanus, welche die Gefangenen begünstigten und deren Heimkehr nach Jerusalem vorbereiteten.

*) Darius Hystaspis verfolgte gegenüber den Juden dieselbe Politik wie Kyrus und gab ihnen die Privilegien zurück, die sie verloren hatten. Denn die Machtübernahme von Smerdis bedeutete nicht nur eine politische, sondern auch eine religiöse Revolution, und der Wiederhersteller eines magischen Glaubens hörte bereitwillig auf die Feinde eines Volkes, das Kyrus als seinen Befreier begrüßt hatte (Esra 4, 17ff.). Aber im zweiten Jahr des Darius, 520 v. Chr., sobald sich seine Macht gefestigt hatte, ermutigten Haggai (Haggai 1, 1; Haggai 2, 1; Haggai 2, 10) und Sacharja ihre Landsleute, das Werk der Wiederherstellung wieder aufzunehmen (Esra 5, 1ff). Als der König von ihrem Vorgehen erfuhr, bestätigte er den Erlass des Kyros durch ein neues Edikt, und der Tempel wurde innerhalb von vier Jahren fertiggestellt (516 v. Chr.; Esra 6, 15), obwohl er offenbar schon vorher benutzt wurde (Sacharja 7, 2-3). Die Vergünstigungen, die Darius den Juden gewährte, werden in seinen Inschriften nicht erwähnt. Von den zwanzig Satrapien, in die er das Reich gliederte, gehörte Palästina zum vierten, einschließlich Syrien, Phönizien und Zypern. Der vierte König von Persien, der „viel reicher sein sollte als sie alle und durch seine Stärke, durch seinen Reichtum, alles gegen das Reich Grecia aufbringen sollte“ (Daniel 11, 2), könnte Darius sein, wenn man den Pseudo-Smerdis dazuzählt, aber die Beschreibung passt besser zu Xerxes (siehe Hitzig in Kgf. exeget. Hdb. a.a.O.). [zit. nach Cyclopedia of Biblical, Theological and Ecclesiastical Literature]

„Wie wunderbar“, sagt B. Keller, „ist übrigens der Doppelkampf für Gottes Volk: am persischen Hofe streiten die beiden unsichtbaren Engelfürsten, und im Kämmerlein streitet mit Fasten und Beten der treue Prophet! Und beide Mächte zusammen gewinnen den Sieg, ja, die beiden Engelfürsten werden eigentlich erst auf Daniels Gebet hin in den Kampf geschickt. Im letzten Grunde ist also die schützende Macht für Gottes Volk: das anhaltende Gebet seines greisen Propheten. Das ist die Macht und Bedeutung der Fürbitte.“

Vielleicht liegt die Macht der Fürbitte jedoch mehr darin, daß der Mensch in seinem Gebet und in seiner Fürbitte sich in seiner inneren Geisteshaltung der Fleischwerdung des Göttlichen gegenüber offenhält. Da Gott in Daniel einen Menschen unter seinem Volke hatte, der horchend und betend auf eine göttliche Antwort wartete, so hatte er in ihm als seinem Propheten jenes Gefäß, dem er seine Offenbarung zum Heil seines ganzen Volkes anvertrauen konnte. Nicht in der Fürbitte liegt die Macht, sie liegt letzthin allein in dem Gott, dessen Macht und Herrschaft in den im Gebet auf ihn Harrenden Fleisch werden konnten.

Quelle: Jakob Kroeker/Hans Brandenburg: Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments in 15 Bänden – Band 9, von Jakob Kroeker: Daniel – Staatsmann und Prophet, S. 222f. [Digitalisat als pdf-, epub- oder Word-Datei, externe Links zu sermon-online.de]

Übersicht: Der Prophet Daniel

Eingestellt am 16. September 2023 – Letzte Überarbeitung am 11. November 2023