Offenbarung 1, 19+20

Schreibe, was du gesehen hast, und was da ist, und was geschehen soll darnach. Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten Hand, und die sieben goldenen Leuchter: die sieben Sterne sind Engel der sieben Gemeinden; und die sieben Leuchter, die du gesehen hast, sind sieben Gemeinden. (Offenbarung 1, 19+20)

Die sieben Gemeinden, denen die Episteln gelten, haben historisch so existiert, wie sie in den Episteln erscheinen, und zwar haben sie in der johanneischen Zeit so existiert. Es waren bestimmte Gemeinden in sieben Städten des prokonsularischen Asiens, die in einer Reihenfolge genannt werden, wie sie von Patmos aus die natürlichste ist, für die drei ersten in der Richtung nach Norden, für die vier andern in der Richtung Südost und Süden. Keine der sieben Gemeinden gleicht der andern; jede von ihnen hat ihr eigentümliches Gepräge; jede von ihnen erfährt auch in den Sendschreiben ihre besondere Behandlung, sowohl in der Charakteristik, als in der Zuteilung von Lob oder Tadel, von Mahnung, Warnung und Verheißung. Wir befinden uns also in den sieben Sendschreiben ganz und gar auf historischem Boden.

Daß die sieben Gemeinden, an deren Spitze die in Ephesus steht, den Sprengel des Apostels Johannes gebildet hätten, ist nicht beweisbar, aber doch nicht unmöglich. Andrerseits weist schon die heilige Zahl Sieben, dann das feierliche Halten der sieben Sterne in der Hand des Herrn und schließlich der ganze Charakter der Offenbarung Johannes darauf hin, daß die historischen sieben Gemeinden zugleich typische Gemeinden sind und die Tragweite des Zwecks der apokalyptischen Briefe weit über die johanneische Zeit hinaus in alle Zeiten reicht.

Freilich nicht so, als ob in den sieben Gemeinden sieben aufeinanderfolgende Perioden der Kirchengeschichte ab- und vorgebildet wären, in der Gemeinde zu Ephesus die apostolische Zeit, in der zu Smyrna die Kirche in der Verfolgungszeit, in der zu Pergamus die konstantinische Zeit u.s.w.; diese kirchengeschichtliche Deutung vermag weder dem Text, noch der Geschichte gerecht zu werden.

Ebenso wenig ist die endgeschichtliche Deutung haltbar, nach welcher die sieben Gemeinden Weissagung sind auf sieben Kirchen vor dem jüngsten Tage, wie z. B. der Irvingianismus* in seinen sieben Londoner Gemeinden die Erfüllung der Propheten der Sendschreiben sah.

Am allerwillkürlichsten ist die Deutung auf sieben Konfessionen der Christenheit, die zu mißlichen theologischen Spielereien und törichtem theologischen Gezänke führt, wie denn der reformierte Theologe Ebrard das liebliche Philadelphia auf die reformierte und das häßliche Sardes auf die lutherische Kirche deutete, welche Deutung der lutherische Theologe Kliefoth als eine zynische bezeichnete.

Quelle: Emil Quandt„Die sieben pastoralen Sendschreiben”. Berlin 1888; Offenbarung 2 und 3.

*) Irvingianer (selten auch Irvingiten) war eine Bezeichnung für die Anhänger der streng hierarchisch organisierten katholisch-apostolischen Gemeinden. Edward Irving (1792-1834), Pfarrer an der schottischen Gemeinde in London, wurde der geistige Vater dieser Bewegung, die vor der Wiederkunft Jesu ein „neues Pfingsten“ erwartete. Man erflehte Gnadengaben, wie z.B. Wunderheilungen und Zungenreden, welche sich auch hier und da ereigneten. Auch wurden katholisch-apostolische Lehren oftmals als Irvingismus bezeichnet. Teilweise werden die vorgenannten Begriffe auch auf die gesamte apostolische Bewegung übertragen. Sie war ein Vorläufer der heutigen Neuapostolischen Kirche (NAK).

Senden soll Johannes sein Buch den 7 Gemeinden, denen es zunächst und ausdrücklich zugedacht ist. Sie brauchen das Wort des Buches gerade in ihrer Gegenwart. Die 7 Gemeinden werden in der Reihenfolge aufgezählt, daß  E p h e s u s,  die Provinzhauptstadt, zugleich die von Patmos aus nächstgelegene Gemeinde, den Anfang macht.

Dann geht es nordwärts der Küste entlang nach  S m y r n a  und  P e r g a m u s,  von da südwärts  und zugleich landeinwärts  nach  T h y a t i r a  und  S a r d e s, und den Schluß machen die zwei am weitesten südlich liegenden Städte  P h i l a d e l p h i a  und L a o d i  z e a.  Warum 7 Gemeinden, und warum gerade diese 7 und warum in dieser Reihenfolge?

Die Reihenfolge ergibt sich aus ihrer geographischen Lage; warum aber diese 7 Gemeinden aus allen kleinasiatischen ausgewählt sind, das zu erklären, reicht unsere Kenntnis ihrer Geschichte nicht zu. Ohne Zweifel hatten gerade diese Gemeinden nach ihrem inneren Stand und ihrer äußeren Lage das Buch damals in besonderer Weise nötig. Und damit streitet nicht, daß die Siebenzahl allen Lesern und der ganzen Gemeinde außerdem einen besonderen Fingerzeig gibt: die Zahl 7 deutet auf das Ganze, nach Gottes Plan in sich Abgeschlossene. Was jenen ersten 7 Gemeinden nottat, das braucht die ganze Gemeinde Christi aller Orten und aller Zeiten: „Selig, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und sie bewahren!“ (Offb. 1, 3)

(Christian Römer)

Übersicht Offenbarung des JohannesOffenbarung 1

Eingestellt am 11. Oktober 2023