Matthäus 16, 22.23

Und Petrus nahm ihn zu sich, fuhr ihn an und sprach: HERR, schone dein selbst; das widerfahre dir nur nicht! Aber er wandte sich um und sprach zu Petrus: Hebe dich, Satan, von mir! du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht was göttlich, sondern was menschlich ist. (Matth. 16, 22.23)

Nicht der hat einen göttlichen Sinn, der den zweiten Hauptartikel* auswendig weiß und ihn für wahr hält; dazu braucht man keine Offenbarung vom Vater im Himmel, das kann man von Fleisch und Blut lernen. Nur der hat Christum wahrhaft erkannt und hat damit einen göttlichen Sinn, der sich zu ihm hinziehen läßt, der Gott sucht und nach Gott verlangt in Christo. O daß wir doch auch um dieses Verlangen zu bekommen, dem Herrn ins Angesicht blickten! Suchen und forschen wir in der Schrift, hören wir, was uns von Christo gesagt wird! Aber wenden wir uns auch zu ihm selbst, daß er sich uns offenbare, und wir helle Augen bekommen, ihn zu erkennen! Er möge uns statt des menschlichen einen göttlichen Sinn schenken, eine Geburt aus Gott, die nach ihrem Ursprung fragt, nach Gott verlangt, die unterscheidet zwischen Göttlichem und Menschlichem und nur durch das befriedigt wird, was aus Gott ist.

* aus: Martin LutherGroßer Katechismus mit den 5 Hauptstücken

Petrus steht als warnendes Beispiel vor uns, an dem wir sehen, daß man zwar dieses haben und doch noch ein Satan**, menschlich gesprochen, sein könne. Der göttliche Sinn hat verschiedene Stufen. Wir sollen nicht auf der ersten Stufe stehen bleiben, sondern weiter dringen.

** aus dem Hebräischen: Widersacher, Feind; eine Bezeichnung für den Teufel

„Herr, schone dein selbst, das widerfahre dir nur nicht!“ – Diese Meinung des Petrus schien aus Teilnahme und Liebe für den Heiland hervorzugehen; sie schien göttlich zu sein und war doch ganz ungöttlich und menschlich, ja satanisch. Wir müssen uns mithin noch mehr von dem Vater im Himmel offenbaren lassen; wir müssen noch völliger mit den Gedanken Gottes eins werden und das für das Beste halten und das begehren, was aus Gott ist, was Gottes würdig ist. In Christo erkennen manche den Sohn Gottes, den, den uns der Vater geoffenbart hat, den großen Lehrer göttlicher, himmlischer Dinge; aber das Geheimnis seiner Leiden, das Versöhnungsgeheimnis, das Geheimnis der Wunden Jesu ist in ihnen verborgen und verschlossen.

Auch das machts’s noch nicht, daß man diese Lehren im Katechismus lernt und sie für wahr hält. Man könnte wohl mit jenem Liede sagen: „Sieh, darum mußte Christus leiden, damit du könntest selig sein“, und wüßte doch nichts Rechtes von seinen Wunden. Es kommt auch hier darauf an, ob es einem der Vater im Himmel oder Fleisch und Blut geoffenbart habe. Der Einblick in das Geheimnis der Versöhnung und in das Leiden Jesu setzt eben eine gründliche Veränderung unseres Wesens voraus, eine Durchdringung von göttlichem Licht. Das hat selbst dem Petrus damals noch gefehlt; aber er hat es sich geben lassen.

Quelle:

M. Gottlob Baumann, Pfarrer in Kemnat bei Stuttgart: Neunundsiebenzig Predigten über die Evangelien des zweiten württ. Jahrgangs auf alle Sonn-, Fest- und Feiertage.
Zweite Auflage. Stuttgart 1901, S. 118f. Verlag der Buchhandlung der Evang. Gesellschaft.
Dritte Auflage (Unveränderter Abdruck). Quell-Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart.

Eingestellt am 14. November 2022