1. Johannes 3, 14 (Schlatter/Rochat)

Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebt, der bleibt im Tode. (1. Joh. 3, 14)

Einst, sagt Johannes zur Christenheit, gehörtet ihr zur Schar der Toten; aber ihr habt euch von ihr getrennt und seid zur Schar der Lebenden hinübergegangen. Dieser Schritt, der uns aus dem Tod ins Leben führt, überspringt eine gewaltige Kluft. Woran sieht es Johannes, daß er selbst mit seinen Gemeinden zwar zu denen gehört, die im Tode waren, nun aber nicht mehr ihm verfallen, sondern zu den Lebenden gelangt ist? „Wir lieben die Brüder“. Nicht das meint er, daß wir mit unserer Liebe den Tod in uns bezwungen haben. Von solchem Aberglauben war Johannes ganz erlöst. Das Leben, sagt er, war beim Vater und es ist uns erschienen, weil Jesus bei uns war. Er gibt uns aber nicht nur eine Verheißung, die uns das Leben in der Ferne zeigt, so daß wir noch als die Hoffenden darauf warten müssten, sondern macht es uns sichtbar, daß der Tod für uns vergangen und der Schritt in das Leben hinein vollzogen ist, und die gewisse, deutliche, unverkennbare Tatsache, die uns dies zeigt, ist, daß wir die Brüder lieben.

Wer ist die Liebe? Gott! Wie entsteht sie in uns? Durch Gottes Wirken. Weil es Gottes Gabe ist, daß wir lieben, ist dies der Beweis dafür, daß wir leben. „Die Brüder“, sagt Johannes, und dies hat tiefe Bedeutsamkeit, die, die sich mit uns zu Jesus bekennen, sein Wort bewahren und nach seinem Willen handeln. Wird das Werk Jesu in den anderen sichtbar, so erzeugt das in uns keinen Widerwillen; ihr Glauben trennt uns nicht von ihnen und der Ernst, mit dem sie die Sünde hassen, treibt uns nicht von ihnen weg; Gottes Werk in ihnen ist uns teuer und verbindet uns mit ihnen. Darin, daß wir imstande sind, die Brüder zu lieben, besteht das sichere Kennzeichen, daß wir nicht mehr zu den Toten gehören, sondern das Leben empfangen haben.

Den Vielen, die nicht wissen, was Leben ist, zu zeigen, daß Du uns in das Leben hineingeführt hast, das, Herr, großer Gott, ist Dein köstlicher Auftrag und der herrliche Dienst der Christenheit. Deine Gnade hat mich von denen getrennt, die aus ihrem Leben ein leeres Geschwätz und eine mühevolle Eitelkeit machen. Darum bitte ich Dich um Dein größtes Geschenk, um die Liebe, die mich mit den Brüdern eint, damit meine Seele Dein Lob singe und Dir danksage, daß Du mich zur Schar der Lebenden herzugerufen hast. Amen.

(Adolf Schlatter)

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

=============================================

Die brüderliche Liebe die aus dem Glauben kommt, wohnt dann beständig in dem Gläubigen, wenn er mit Christo verbunden bleibt und auf ihn blickt. Statt sich kalt und verächtlich von seinen Brüdern abzuwenden, wenn er ihre Gebrechen wahrnimmt, oder wenn sie nicht in allen Punkten seine Ansicht teilen, sieht er sie nur in Christo an; er schätzt und liebt in ihnen Glieder am Leibe Christi. Er sieht in ihnen Brüder und Miterben, die des gleichen Geistes und der gleichen Hoffnung mit ihm teilhaftig geworden sind, die den gleichen Vater und den gleichen Heiland haben und mit ihm nur einen Leib bilden – Brüder, die, wie er selber, nur von Christo und durch ihn leben. Diese Lebensgemeinschaft ist das einzige, was Liebe erzeugt. Sobald der Christ sich in seiner eigenen Heiligkeit oder in seinem besonderen Lichte betrachtet, sobald er bei sich selber verweilt, so fällt er einem Geist der Lieblosigkeit und der Zwietracht anheim. Die anderen Christen werden ihm gleichsam Nebenbuhler, die er geringschätzt oder beneidet. Sobald er sich aber in Christo und in dem, was er mit anderen Christen gemein hat, betrachtet, so wird er geneigt, sie zu lieben und zu tragen, und auch die Geringsten unter ihnen erscheinen ihm nötig zum Wohl des Ganzen. Das Ich entzweit – Christus vereinigt.

Das Lied der Erlösten im Himmel, wo die Liebe vollkommen ist, hat daher nur einen einzigen Gedanken, den sie alle unter sich gemein haben: „Du hast uns erkauft mit deinem Blut“. In diesem einen Gedanken, der ihre Lust und der Gegenstand ihrer Loblieder ist, sind ihre Herzen und ihre Stimmen in Übereinstimmung.

Ihr Christen, Kinder des nämlichen Vaters, redet lieber nicht so viel von Einigkeit und strebet desto mehr nach dem, was sie herbeiführt! Hanget mehr an Christo, weniger an euren besonderen Ansichten, so werdet ihr euch zu allen denen hingezogen fühlen, die Christi sind; und der nämliche Zug wird auch sie alle zu euch ziehen.

(Auguste Rochat)

Quelle:


Übersicht: 1. Johannesbrief1. Johannes 3

Eingestellt am 19. Dezember 2022 – Letzte Überarbeitung am 14. Dezember 2024