Wenn wir in höchsten Nöten sein (Eber)

Denn in uns ist nicht Kraft gegen diesen großen Haufen, der wider uns kommt. Wir wissen nicht, was wir tun sollen; sondern unsre Augen sehen nach dir. (2. Chron. 20, 12)

1) Wenn wir in höchsten Nöthen sein
und wissen nicht, wo aus noch ein,
und finden weder Hülf noch Rath,
ob wir gleich sorgen früh und spat:

2) So ist dies unser Trost allein
daß wir zusammen insgemein
dich anrufen, o treuer Gott!
um Rettung aus der Angst und Noth.

3) Und heben unsre Aug’n und Herz
zu dir in wahrer Reu und Schmerz,
und suchen der Sünd‘ Vergebung
und aller Strafen Linderung.

4) Die du verheißest gnädiglich
allen, die darum bitten dich
im Namen dein’s Sohn’s Jesu Christ,
der unser Heil und Fürsprech ist.

5) D’rum kommen wir, o Herre Gott.
und klagen dir all unsre Noth,
weil wir jetzt stehn verlassen gar,
in großer Trübsal und Gefahr.

6) Sieh nicht an unsre Sünde groß,
sprich uns derselb’n aus Gnade los,
steh uns in unserm Elend bei,
mach uns von allen Plagen frei.

7) Auf daß von Herzen können wir
nachmals mit Freuden danken dir,
gehorsam sein nach deinem Wort,
dich allzeit preisen hier und dort.

Liedtext: Dresden 1566, Paul Eber (1511-1569)
Melodie: Französ. Psalter 1547, nach der Melodie “Lève le cœur”,
Louis Bourgeois (um 1510 – nach 1561)

Geschichte(n) zum Lied „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“ [1]

Von Dr. Paulus Eber, Professor in Wittenberg (1511-1569), erschienen in „Naw Betbüchlein“, Dresden 1566, sodann in „Geistlich Zeughauß“ von Tribauer, Wittenberg 1567. (Wackernagel, Kirchenlied I, 467-471). Es liegt dem ganzen tiefergreifenden Liedlein Josaphats Gebet 2. Chronika 20 zu Grund. Sodann aber hat Eber ein kleines lateinisches Lied seines früheren Lehrers Joachim Camerarius, der ihn 1525-1532 zu Nürnberg in den Sprachen unterrichtet hatte, im Auge gehabt. Es sind drei Disticha, welche also lauten:

In tenebris nostrae et densa caligine mentis
cum nihil est toto pectore consilii,
Turbati erigimus, deus, ad te lumina cordis
nostra tuamque fides solius orat opem.
Tu rege consiliis actus, pater optime, nostros,
nostrum opus ut laudi serviat omne tuae.

Die Übertragung ins Deutsche lautet:

In den Finsternissen und dem dichten Nebel unseres Geistes,
wenn in der ganzen Brust kein Rat sich findet,
erheben wir verwirrt die Augen unseres Herzens, Gott, zu dir,
und deinen Beistand allein erbittet der Glaube.
Lenke du mit Weisungen unsere Taten, bester Vater,
damit unser ganzes Tun zu deinem Lob diene. [2]

Obwohl das Lied erst viel später erscheint, und gerade auch die Zeit von 1566 das zartbesaitete Herz Ebers bekümmerte, versetzen wir uns doch am liebsten mit demselben in die Jahre 1546 und 1547, in welchen sich auch Melanchthon an den Versen von Camerarius aufgerichtet hat. Das waren Tage der Noth, in welchen die Gebetsgedanken mächtig emporsteigen mußten. Damals predigte und betete Ebers Genosse Bugenhagen mit unerschrockenem Muthe zu Wittenberg. Und als nun am Himmelfahrtstage 1547 der gefangene Kurfürst Johann Friedrich die Wittenberger auffordern ließ, die Stadt dem Kaiser Karl V. zu übergeben, die Bürger aber nicht wußten, wozu sie sich entschließen sollten, ließ Bugenhagen zur Kirche läuten, um bei einem Besseren, denn er sei, Rath zu suchen. Da betete er nun inmitten des Volkes:

„Weil wir in dieser Noth nicht wissen, was wir tun sollen, so haben wir allein das noch übrig, lieber himmlischer Vater, daß wir unsre Augen aufschlagen zu dir. Alles, darauf sich Menschen verlassen, haben wir reichlich gehabt, wir sind aber dadurch verdorben, und daß wir gar keinen Trost in keiner Kreatur oder Menschenwerk haben sollten, hast du uns auch genommen unsern lieben Herrn und Kurfürsten. So danken wir nun, lieber Vater, deiner Gnade, daß du uns mit dieser väterlichen Strafe dahin gedrungen hast, daß wir uns allein verlassen auf deine Barmherzigkeit in Christo Jesu, wie du von uns forderst im ersten Gebote. Da hast du nun, was du von uns haben willst; halte mit Gnaden Haus gegen deine armen Kinder und sei mit deinem heiligen Geiste bei unsrem Kurfürsten und bei uns, daß du guten Rath gebest, damit wir errettet werden.“

Alles Volk, Jung und Alt, betete auf den Knieen mit ihm und etliche auch gelehrte Leute, da sie aus der Kirche giengen, sprachen: „Nun kann unsre Sache nicht böse werden“.

Auf wiederholten Rath des Kurfürsten wurde die Stadt dem Kaiser übergeben und von diesem gnädig behandelt. Ja, Bugenhagen durfte mitten unter seinen Feinden das Evangelium predigen mit allem Freimuthe. (Fliedner, Buch der Märtyrer III.)

Hier haben wir eine treffende historische Illustration unsers Lieds, welchem Schamelius die Überschrift gibt: „Die Kreuzträger vor der Gnadenthür mit dem ganzen Chor“, und von welchem Sixt gar schön sagt:

„Hier haben wir beides, einen angstvollen Ruf aus der Tiefe und ein glaubensvolles Lied im höhern Chor vor uns. Wir hören hier den Psalm einer Seele, welche mitten in ihrer Trübsal und Beklommenheit sich bewußt wird, daß unser Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat. Deßhalb ist dieses Lied unsern frommen Vätern so theuer gewesen, denn viele Tausende, welche längst schon in ihren Kammern ruhen, haben sich damit in ihren Anfechtungen aufgerichtet.“

Es war am 21. Februar 1639, daß der schwedische Oberstlieutenant v. Dörfling von den Bewohnern des Städtleins Eulenburg bei Leipzig die Summe von 30,000 Thalern unter heftigen Drohungen zu erpressen suchte. Da wagte der Archidiakonus des Städtleins, Martin Rinkart, der Dichter von „Nun danket alle Gott“, eine Fürbitte und gieng hinaus ins feindliche Lager zu Dörfling. Allein vergebens. Da er nun mit der abschlägigen Antwort zurückkehrte, sprach er zu der ängstlich harrenden Bürgerschaft: „Kommt, meine lieben Beichtkinder, wir haben bei den Menschen kein Gehör noch Gnade mehr; wir wollen mit Gott reden“.

Sofort ließ er zur Betstunde läuten und in derselben dieses Lied anstimmen. Knieend sprach er das Vaterunser nebst mehreren anderen Gebeten. Als der schwedische Befehlshaber das erfuhr, machte es auf ihn einen so tiefen Eindruck, daß er seine Forderung auf 8000 Thaler herabstimmte, und als die Eulenburger auch das nicht aufzutreiben im Stande waren, begnügte er sich einstweilen mit 4000 Gulden, an welcher Summe er nach einer abermals versuchten Fürbitte Kinkarts, des glaubigen, mit Sieg gekrönten Beters, 2000 Gulden nachließ. Ähnlich gieng es im dreißigjährigen Krieg auch in der Stadt Pegau. Diese hatte der kursächsische Oberst v. Gersdorf im Jahr 1642 besetzt, und machte von da aus Leipzig viel zu schaffen. Daher setzte sich im Dezember 1644 das schwedische Heer unter General Torstenson in Bewegung und begann die Stadt Pegau zu belagern.

Da alle Aufforderungen zur Übergabe unbeachtet blieben, ließ er Feuergranaten in die Stadt werfen, und bald schlug die Flamme an mehreren Orten in die Höhe. Ein Kugelregen hinderte die unglücklichen Einwohner am Löschen und an der Rettung ihrer Habe. Trostlosigkeit und Verzagtheit bemächtigten sich aller Gemüther; die Weiber und Kinder liefen heulend auf den Straßen umher und rannten oft dem Tode dem sie entgehen wollten, in die Arme. Bis auf das Kloster, die Kirche und einige Hütten lag in der Stadt alles in Asche, und die armen Einwohner mußten die kalten Dezembernächte unter freiem Himmel zubringen. Da sandte Gersdorf endlich Boten, um wegen der Übergabe zu unterhandeln. Aber bei Torstenson war die Zeit der Gnade vorüber. Der Rath machte sich in seiner Amtstracht auf und bat um Schonung. Torstenson hatte keine Ohren mehr für das Flehen. Da wagte es der wackere Superintendent Samuel Lange, noch den letzten Versuch zu machen: Mit zwölf weißgekleideten Knaben gieng er in seiner Amtstracht hinaus. Die Schweden hielten den Zug nicht auf bis zum Zelte des feindlichen Generals, der eben einen Hauptsturm verabredet, dringt das Häuflein vor. Auf einen Wink Lange’s knieten jetzt die Knaben nieder und sangen in tiefer Bewegung das Lied: „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“. Kaum hatte hierauf Lange seine Fürsprache vorgetragen, so fiel ihm der schwedische Feldherr um den Hals, denn er und Lange waren Studiengenossen gewesen, und Lange hatte sich in diesen Jugendzeiten Torstensons liebreich angenommen.

Alsbald befahl er, daß Lebensmittel in die Stadt geschafft werden sollen, und ließ seine Leute als Freunde einziehen. Dann trat Lange auf einen erhöhten Platz und sprach ein herzliches Dankgebet, worauf er die Bürger ermahnte, diese Gnade des Herrn nicht zu vergessen, und ihm nicht nur mit den Lippen, sondern auch mit dem Herzen und Leben zu danken. Zum ewigen Andenken an diese Begebenheit beschloß die Stadt mit dem Liede „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“ jeden Sonntag den Nachmittagsgottesdienst anzufangen und so geschieht es noch bis auf den heutigen Tag. (Br. Lindner: Nik. Brenner und die Belagerung von Leipzig 1643. Stuttgart 1842)

Nach dem Bericht von Ernst Georg Schulin, welcher sich sechs Jahre auf der hohen Schule zu Straßburg aufgehalten, wurde dieses Lied in der Nacht des 16. September 1681 durch Stadttrompeter vom Münsterthurm zu Straßburg geblasen, als die Franzosen diese Vormauer Deutschlands mit Sturm einnahmen. Besonders denkwürdig war das Abblasen dieses Lieds vom Thurm der Stadt Alt Brandenburg in der Mark. Der Thurm der Katharinenkirche daselbst hatte nemlich bei einem gewaltigen Sturme und damit verbundenem Erdbeben 1580 bedeutende Risse bekommen. Als nun zwei Jahre hernach der Thurm deutlich drei Zoll vom Kirchengiebel abwich, so mußte man seinen Einsturz befürchten, und beschloß daher, die Glocken niederzulassen. Der Stadtpfeifer Meister Martin Nering verließ am 29. März 1582 mit Weib und Kind den Thurm und übergab die Nachtwache seinen drei Gesellen Antonius Stortewein, Andreas Drichel und Georg Wulf. Der erstgenannte unter denselben blies um neun Uhr abends den Gesang vom Thurme ab Wenn wir in höchsten Nöthen sein„, und um drei Uhr MorgensWo Gott der Herr nicht bei uns hält„.

Gleich darnach gieng er wieder zu seinen zwei Genossen ins Bette, denn sie lagen auf dem obersten Boden unter dem Dache auf der Höhe des Thurmes. Kaum war Stortewein ins Bette zurückgekehrt, als alle drei hörten, daß der Boden unter ihnen krachte und mit einem Male schoß der ganze Thurm theils nach der Kirche, theils nach dem Kirchhof zu. Mit dem obersten Boden stürzten auch die drei Jünglinge auf ihrem Lager nieder und fielen unversehrt mit Stroh und Betten auf den Kalt und Schutthaufen. Und wie sich der ältere aufgemacht und davongelaufen, hat der mittlere zu ihm gesagt: „Liege stille, wo willst du hin? Wir liegen noch auf dem Dache!“

Er meinte nicht anders, als sie wären auf das Kirchdach gefallen. Fischer aber, die in derselben Nacht zwei und drei Meilen weit auf der Havel gewesen, versicherten kurz vor Tage eine dreifache Kerze oder Faden in den Lüften lichterloh brennend gesehen zu haben, welche man dann im Volke für die drei Engel gehalten, die den Jünglingen zu Hilfe gesendet wurden. (Ernstens Bilder-Hauß. 3.)

Als einst in der Barfüßerkirche zu Erfurt einem Theil der Kirchendecke durch einen Blitzstrahl der Einsturz drohte, flüchteten sich fünfzig Leute zum Altar und sangen das Lied „Wenn wir in höchsten Nöthen sein“. Worauf sie unversehrt blieben, obgleich der Einsturz erfolgte.

Anders gieng es zu Haberschlacht im württembergischen Zabergäu. Daselbst wurde 11. Juli 1753, Vormittags 10-11 Uhr, Pfarrer Immanuel Fr. Jenisch, da er eben die Betstunde verrichtete und den 91. Psalm vorlas, den er um des Wetters willen außer der Ordnung ausersehen, und zu welchem er dies Lied hatte singen lassen, auf der Kanzel vom Blitzstrahl gerührt, und gab auf der Stelle seinen Geist auf, seines Alters 46 Jahre (Bartmanns ev. Kirchen- und Schulblatt, 1853).

Haberschlacht, Bürgerhaus und Ev. Kirche
Bild: p.schmelzle, CC BY-SA 2.5 , via Wikimedia Commons

Ein Executor, welcher einst einem armen Bürgersmann auspfänden sollte, fand denselben, als er in dessen Stube trat, umringt von seinen Kindern, wie sie auf den Knieen liegend unser Lied anstimmten. Durch diesen Anblick, noch mehr aber durch diesen Gesang wurde er so erweicht, daß er sogleich dem armen Bürger seinen Rock gab, damit er ihn verkaufe und seine Schuld bezahle. Olearius, der das in seinem Lieder-Schatz erzählt, setzt hinzu: Ist wohl eine seltene Barmherzigkeit gewesen. Bei Gott hingegen ist unfehlbare Gnade und Hilfe zu hoffen, wenn wir anders bußfertig und recht andächtig dieses Lied gebrauchen.

Die Melodie  g g a h a c h a g  ist eine ursprünglich calvinische Weise, die sich zuerst in La forme de prières 1542 (2, 8ff) findet. Hier steht sie als Melodie einer Marot’schen Umschreibung der zehn Gebote Lève le coeur, ouvre l’aureille (während des Abendmahls zu singen), welche in der Lobwasser’schen Übersetzung „Erheb dein Herz, thu auf dein‘ Ohren“ heißt. Zu dem 140. Psalm O Dieu donne moi délivrance, der noch nicht in jenem Psalter steht, wurde sie erst 1565 von Goudimel verwendet. Der deutsche Text dieses Psalms heißt „Errett‘ mich, o mein lieber Herre“. Auf Ebers Lied wurde sie mit einer einzigen Abänderung zum erstenmal angewandt in Elers Cantica sacra 1588, nachdem zuvor dieses Lied längere Zeit ohne Melodie erschienen war. 1610 lieferte Johann Stobäus einen fünfstimmigen Tonsatz dazu, und im Juli 1750 hat Sebastian Bach in seinen letzten Tagen noch einen Tonsatz dazu gefertigt, den er seinem Schwiegersohn Altnikol, Organisten in Naumburg, in die Feder sagte.

Winterfeld bemerkt hiezu:

„Wie sehr er seiner Kunst noch während jener Leidenstage mächtig gewesen, zeigt dieser Satz auf’s deutlichste. Seine fromm ergebene Stimmung leuchtet klar und erhebend daraus hervor. Er weihte an der Schwelle seines Lebens seinem Schöpfer mit der Gabe, die er ihm verdankte, durch die sein innerstes Wesen mehr als durch Worte zu offenbaren ihm vergönnt war, das willige Opfer eines demüthigen, zerschlagenen, aber auch reinen und festen Herzens, und als ein solches Opfer, als die letzte schaffende That seines fruchtbaren Lebens steht dieser Satz mit Recht als Anhang an seinem letzten unvollendet gebliebenen Werke.“

[1] Liedbeschreibung aus: Die Kernlieder unserer Kirche im Schmuck ihrer Geschichte, S. 161-165. Begründet in erster und zweiter Auflage von † Eduard Emil Koch. Umgearbeitet und vermehrt in dritter Auflage von Richard Lauxmann, Diakonus an der Stiftskirche in Stuttgart (Stuttgart, 1876)
[2] Übertragung des Liedes von Camerarius ins Deutsche: Chorale Texts used in Bach’s Vocal Works „Wenn wir in höchsten Nöten sein“, bei Bach Cantatas Website und Wikimedia Commons

Weblinks und Verweise

Eingesungen: mp3, Liedvortrag von Kantor Arnd Pohlmann

Liedeintrag bei evangeliums.net

Lied Nr. 543: Evangelisches Gesangbuch für die Provinz Pommern, S. 256. Stettin, 1918 (Hrsg.: Pommersche Provinzial-Synode)

Lied Nr. 32: Gesangbuch für die evangelische Kirche in Württemberg, Schmuckausgabe, S. 48 (Verlagskontor des evangelischen Gesangbuchs, Stuttgart 1912)

Eingestellt am 20. Oktober 2020 – Letzte Überarbeitung am 15. Februar 2022