Es hat euch noch keine denn menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist getreu, der euch nicht läßt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr’s könnet ertragen.
(1. Kor. 10, 13)
Wenn die Menschen sich von den Versuchungen, welche auf sie stoßen, überwältigen lassen, so sind sie insgemein fertig, die ganze Schuld auf den Teufel, auf die bösen Menschen, von welchen sie gereizt worden seien, zugleich aber auch auf ihr eigenes Temperament, oder auf die allgemeine Schwachheit der menschlichen Natur zu werfen, und vorzugeben, daß die Sünde unter diesem Allem unvermeidlich gewesen sei, und eine Entschuldigung verdiene. Wie könnte aber Gott die Welt richten, wenn diese Entschuldigung Grund hätte? Paulus sagt: „Gott ist getreu, und läßt uns nicht versucht werden über unser Vermögen, sondern macht, daß die Versuchung so ein Ende gewinne, daß ihr’s ertragen könnet“, ohne darunter zu fallen und zu versinken.
Woher kommt aber das Vermögen, die Versuchungen bis zu einem guten Ausgang zu ertragen? Es kommt von Gott. Wie aber, wenn ich noch kein solches Vermögen empfangen habe? Alsdann ist aber dieses meine größte Sünde, daß ich als ein getaufter Christ, dem das Evangelium geprediget wird, noch keines habe. Durch meine eigene Bekenntniß und Klage werde ich überwiesen, daß ich unbekehrt sei, und in einem verdammlichen Unglauben stehe. Doch es gibt schon die vorlaufende Gnade den Menschen das Vermögen, grobe Ausbrüche der Sünde bei sich zu verhüten, wenn er Zeit hat, sich zu besinnen, und Gesellschaften, die ihm schädlich sind, meidet, ob er sich gleich dabei einen Zwang antun muß.
Wenn aber durch die Wiedergeburt das Herz geändert, und der Heilige Geist darin ausgegossen ist, so hat er das Vermögen, dem HErrn williglich im heiligen Schmuck zu dienen, und eine Versuchung nach der andern aus Liebe zu seinem Heiland zu überwinden. Gott ist auch so treu, daß Er die Heftigkeit der Versuchung immer so weit mildert, daß sie nicht über das Vermögen hinaus reicht, das Er dem Menschen gegeben hat, oder im Augenblick der Versuchung geben will. Er läßt auch keine Versuchung allzu lange währen, sondern macht, daß sie ein Ende nehme. Und bei dieser Erweisung der göttlichen Treue kann man sie ertragen. Wer also fällt, wie Paulus V. 12. sagt, suche die Schuld bei sich selbst. Gewißlich hat man das Vermögen zum Stehen vorher nicht erbeten, oder, wenn man es gehabt hat, in der Stunde der Versuchung nicht treulich gebraucht. Wenn der Mensch Gott durch mutwillige Sündenfälle, die er hätte vermeiden können, lange genug reizt, so kann es endlich dahin kommen, daß ihn Gott in Seinem Zorn auf’s Schlüpfrige setzt (Ps. 73, 18.), von einer Sünde in die andere fallen läßt (Ps. 69, 28.), ihn in seines Herzens Gelüste, ja in schändliche Lüste, und einen verkehrten Sinn dahin gibt (Röm. 1, 24.26.28), und zuletzt sein Herz, wie das Herz des Königs Pharao, verstockt. Darum bitte ein Jeder um das Vermögen, die täglich andringenden Versuchungen zu überwinden, und wende dieses Vermögen treulich an, damit seine Kraft unter dem Kampf vermehrt, und ihm endlich die Krone der Gerechtigkeit zu Teil werde.
Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter