Pastor Wilhelm Taurit (1870-1906)

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Aus einem Pastorengeschlecht stammend, wurde Taurit nicht als Christ Theologe, sondern nahm den umgekehrten Gang, er wurde Theologe und fand dabei seinen Heiland. Im fleißigen Studium erwarb er sich eine gründliche theologische Bildung. Bestimmend für seine Amtsführung war sein Lehrjahr beim alten, auf der Höhe seines Wirkens stehenden Propst E. Kaehlbrandt, dem charaktervollen tiefen Christenmenschen, einem Pastor der Liebe, aber auch der Zucht.

Als das Lehrjahr vorüber war, starb Taurits Vater, der alte Pastor zu Dahlen, und wie selbstverständlich wurde sein Sohn Wilhelm zu seinem Nachfolger berufen. Dahlen ist eine große Dünainsel in der Nähe Rigas. Die insulare Lage bewahrte der Gemeinde ihr charaktervolles Gepräge. Der Pastor war hier nach altem Brauche die Autorität. Taurit hielt mit straffer Hand die alte Ordnung aufrecht. 95 Prozent der „Hauskinder“ seiner Gemeinde, die nach festem Programm von den Müttern unterrichtet werden mußten, ehe sie in die Schule kamen, erschienen noch alljährlich zur Überhörung im Pastorat. Reichliche und feste Speise gab Taurit seiner Gemeinde in der Predigt, auf deren Ausarbeitung er die größte Sorgfalt verwandte und die er in glänzender Diktion vortrug.

Weit über seine Gemeinde hinaus gewann er Einfluß, als er 1900 die Redaktion der „Mitteilungen und Nachrichten“ übernahm. Es war das führende Blatt für die evangelisch-lutherische Kirche Rußlands. Er war nicht nur Redakteur, sondern lieferte auch viele selbständige Artikel aus seinem Spezialgebiete, dcr neutestamentlichen Exegese und Dogmatik. Auf der Kanzel wie in seinen Artikeln wirkte die ruhige Kraft des Objektiven. Problemsucht lag ihm fern, in der „Seuche der Fragen“ hat er nie Befriedigung gefunden, sein Grund und Eckstein war und blieb ihm Christus. In allem trat die ausgeglichene Persönlichkeit zutage, die, je reifer er ward, um so abgeklärter wurde. So kam es, daß die Synode schon früh aufhorchte, wenn dieser junge Pastor das Wort ergriff. Alles, was er sagte, hatte Hand und Fuß. Seine Gegner bekämpfte er scharf, aber ritterlich, nur dem re sollte er an die städtischen Kirchen berufen werden, doch es fehlte ihm immer ein Geringes an den nötigen Stimmen, demütig nahm er solchen Entscheid auf, „Gottes Wille sei mir heilig und gut“.

So war er und blieb er Pastor von Dahlen, seine Gemeinde mit fester Hand und warmem Herzen leitend. Hier hat ihn Gott zum Größten berufen. Als die Revolution 1905/06 losbrach, blieb Taurit auf seinem Posten und hat das ganze Schwere dieser Zeit durchlebt. Seinem lieben, am 31. August 1906 ermordeten Propst Zimmermann hat er die dankende Gedächtnisrede gehalten und den Mut gehabt, das Verbrechen, das geschehen war, zu brandmarken. So mußte denn dieser unerschrockene Mann aus dem Weg geräumt werden; seine Person beeinflußte zu sehr seine Gemeinde. Taurit ahnte, „daß er durch Mörderhand fallen würde“. Er hat seinen letzten Willen niedergeschrieben.

Zu seinem Leichentext hatte er bestimmt Römer 8, 38. 39: Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben… mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn. Die Lieder, die er sich erkoren, waren: Jerusalem, du hochgebaute Stadt, und Ein feste Burg ist unser Gott!

Der Terror schlich um sein Haus, bald kam es zur furchtbaren Tat. Der sozialistischen Partei gelang es, einen Mörder zu finden. Derselbe hatte vor einiger Zeit Taurit vergeblich gebeten, einen seiner Verwandten, einen notorischen Verbrecher, vom Feldgericht der Strafexpedition freizubitten. Solches hatte Taurit bei anderen Gemeindegliedern, von deren Unschuld er überzeugt war, zu wiederholten Malen freudig getan, diesem verweigerte er es. Aus Rache dafür übernahm der Abgewiesene, Taurit zu morden, dang noch andere Mordgesellen, mit denen er am 23. November 1906 ins Pastorat stürzte.

Sie überraschten den Pastor an seinem Schreibtisch, die Schüsse fielen, Taurit sank zu Boden. Nach einer Stunde furchtbarer Qual, in der er nichts mehr sprechen konnte, ward er erlöst. An seinem Grabe bekannte ein lettisches Gemeindeglied es dankend, daß der Heimgegangene seiner Gemeinde nicht nur „Hirte und Lehrer, sondern auch Vater und Bruder“ gewesen sei.

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 89-93 [Digitalisat, pdf]

Pastor Taurits gewaltsamer Tod

Am 6. Dezember 1906 hielten in der Einfahrt zum „Goldenen Pferd“ in Mitau einige Personen eine Beratung ab. Sie beschlossen, den Pastor zu töten und zu berauben. Das Los fiel auf vier Männer im Alter von etwa 20 bis 33 Jahren:

  • Martin Wehbrandt, 33 Jahre alt, ein Bauer aus Baldohn, bereits in der Dahlener Gegend auffällig geworden
  • Martin Swirkall
  • Adolf Sokolowski, 20 Jahre alt, ein Bauer aus Neu-Bergfried und indirekter Mitarbeiter der „Rishskija Wjedomosti“, genannt „Pole“
  • Alfred Kerewitz, ein Bauer und Revolutionär aus Groß-Sessau, genannt „Resnais“ („der Dicke“) oder „Ahboling“

An der Beratung nahm außerdem teil:

  • Johann Grauding, ein Bauer aus Schricken, genannt „Maksim“ oder „der Kleine“

Kerewitz führte die Aktion. Die vier Ausgelosten fuhren mit der Bahn nach Kurtenhof. An der Düna zwangen sie einen Wirt, sie mit einem Boot über den Fluss hinweg zu Wilhelm Taurits Pastorat zu fahren. Um 19 Uhr betraten sie, städtisch gekleidet und bewaffnet, einer maskiert, durch die Hofspforte das Anwesen. Einer der Verschwörer sprach Lettisch, die übrigen Russisch. Unter den Eindringlingen war mit Kerewitz ein Verwandter eines Kriminellen, für den sich Taurit, anders als für Personen, die er für unschuldig hielt, nicht hatte einsetzen wollen. Ein Motiv könnte also Rache gewesen sein. Die Attentäter sollen ferner von einigen Revolutionären, zu denen Kerewitz gehörte, angeheuert worden sein; es wird auch ein personaler Zusammenhang mit der Revolutionszeitung Cīņa vermutet. Ein Zusammenhang mit Taurits Bereitschaft, die Beerdigung Zimmermanns durchzuführen, kann ebenfalls nicht ausgeschlossen werden.

Auf dem Hof trafen die Verschwörer auf das Dienstmädchen Julie Wihkis. Sie führten sie in die Küche. Einer der Eindringlinge verhinderte, dass sie diesen Raum verlassen konnte. Die anderen stürmten weiter in das Arbeitszimmer des Pastors, der gerade in einem Sessel am Tisch schrieb, nun aber überrascht aufstand, um zu reagieren. Als Wilhelm Taurit die Waffen in den Händen der Männer sah, soll er gerufen haben:

„Ich habe euch schon lange erwartet und es freut mich, dass ihr nicht zu meiner Gemeinde gehört.“

Er erhielt zunächst einen Schlag mit einem Gegenstand auf den Kopf. Dann feuerte Kerewitz vier Schüsse aus einer Pistole der Marke Mauser auf Taurit ab, drei davon trafen ihn von der Rückenseite aus in Kopf, Nieren und, wohl eine Abwehrverletzung, die linke Hand. Der Pastor ging zu Boden.

Die Attentäter drangen weiter in die Wohnräume vor und verlangten von der Frau des Pastors, die aufgrund der Schüsse gemeinsam mit ihrer Schwester herbeigeeilt war, Geld und Waffen. Die Frau gab ihnen einen alten Bulldog-Revolver und 1 ½ Rubel, also das ganze vorhandene Bargeld. Die Attentäter verlangten noch mehr Geld und drohten, die Frauen zu erschießen. Die Ehefrau des Pastors bot den Eindringlingen einige Silbergegenstände an, die von diesen aber abgelehnt wurden. Sie ließen Revolver und Geld zurück, durchsuchten das Pastorat sorgfältig und entfernten sich danach in Richtung der Düna bei Kurtenhof. Eventuelle Verfolger sollten dadurch wohl in die Irre geleitet werden, da die Attentäter später vom örtlichen Arzt auf dem Weg nach Riga gesehen wurden. Wilhelm Taurit konnte nicht mehr sprechen und starb nach großen Schmerzen erst um 21 Uhr 40 an den tödlichen Verletzungen.

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Eingestellt am 29. November 2021