IV. Die Geistesgaben

1. Das Zungenreden.

Diese Gabe ist bekanntlich die Hauptgabe. Es ist das ganz natürlich, denn dieser verführerische Geist will zu Worte kommen. „Ich gehe voran, folgt mir auf meinem Siegeszuge. Ich bin König, und ich siege trotz der Schranken und trotz der Hindernisse. Das Feuer soll in Fluten über das Land gehen.“

Diese Sätze sind hier in Kassel geredet. Nun muß man sich aber doch fragen: „Ist es wirklich der HErr, der so spricht?“ Als ich in der Bewegung stand, glaubte ich, es sei der HErr. Wenn es aber der HErr ist, dann hat man als Leiter kein Recht mehr gegen das „Ich bin“ aufzutreten. Man muß alles drunter und drüber gehen lassen, wenn „Ich bin“ das Wort nimmt, denn sonst wird man erfunden als einer, der wider Gott streitet.

Mir war in der Versammlung manchmal angst und bange, aber was soll man machen,
wenn man der Überzeugung ist, daß der Geist, der mit „Ich bin“ redet, der Heilige Geist
Gottes ist. Da muß man ihm, wenn er anfängt zu reden, die Verantwortung überlassen.
Es ist übrigens in Kassel nicht etwa mehr Lärm und Unordnung gewesen als an andern
Orten hin und her auf Erden. Die Kasseler Versammlungen sind nur durch unberufene
Berichterstatter durch die Presse gezogen, in dieser steht Kassel als  e x t r a  schlimm da, obwohl der Geist überall ganz dieselben Begleiterscheinungen gezeitigt hat wie in Kassel.

Nun ist dieser Geist nicht der Geist Gottes. Es ist auf Grund trauriger Erfahrung meine
Überzeugung, daß der Geist, der sich im Zungenreden kund tut, ein Irr- und Lügengeist
ist, einerlei, ob er den Mund der Pastoren Paul und Regehly oder ob er den einer ganz
geringen Schwester benutzt. Es klingt das hart; es ist es aber nicht, denn man kann diesen teuren Brüdern keinen größeren Dienst tun, als wenn man sie zu dem Entschluß bringt, diesem Geist nicht mehr zu gestatten, ihren Mund zu gebrauchen.

Daß dieser Geist fromm und biblisch reden kann, weiß ich. Er hat hier z. B. die Worte
gesprochen: „Vor allem begehet Liebe. Lasst alles von Liebe durchtränkt sein, von der Liebe, die da deckt der Sünden Menge; dann soll euch nichts unmöglich sein. Denn durch die Liebe werdet ihr auch zum starken Glauben getrieben, und das gibt euch eine ewige Hoffnung. Euer  Leben soll ein immer  währendes  Gebetsleben sein, dann hat der Satan keine Macht über euch.“ So redet der Satan zu denen, die er durch einen Irrgeist bereits umstrickt hat. Es ist alles Blendwerk, um die Opfer festzuhalten, damit sie unbrauchbar werden für den Dienst im Reiche Gottes. Dieser Geist redet auch durch Zungen von zukünftigen Dingen. Er sagt: „Das Ungewitter sammelt sich mit Macht, bald wird es sich entladen. So wie der Pöbelhaufe mich verfolgte, wird er euch verfolgen. Viele müssen sterben. Aber ich lebe und ihr sollt auch leben. Der HErr wird sein Volk mit Gewalt herausreißen, wie Lot aus Sodom. Ich habe es euch sagen lassen, wenn es kommt, haltet euch bereit. Die Welt ist reif zum Gericht. Bald schlägt die Uhr voll, und dann komme ich.“

Und nun möchte ich den Brüdern, die glauben, daß diese Sätze vom HErrn gesprochen sind, an die Worte Jesu erinnern: „Sehet zu, dass ihr nicht irregeführt werdet. Denn viele werden kommen unter Meinem Namen und sagen: „Ich bin es,“ und: „Die Zeit ist nahe! Laufet ihnen nicht nach.“ (Luk. 21, 8) Und in Matth. 24, 24ff. spricht der HErr: „Es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und
Wunder tun, daß verführt werden in den Irrtum, wo es möglich wäre, auch die
Auserwählten. Siehe, Ich habe es euch zuvor gesagt. Darum, wenn sie zu euch sagen werden: ‚Siehe, Er ist der Wüste,‘ so gehet nicht hinaus. ‚Siehe, Er ist in der Kammer,‘ so
glaubt es nicht. Denn gleichwie der Blitz aufgeht vom Aufgang bis zum Niedergang, also
wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes.“

Zu diesen Stellen möchte ich folgendes sagen:

1. Wir kennen Christus gegenwärtig nur  a l s  Ge i s t.  Lies 2. Kor. 5, 16; vergl. mit Kap. 3, 17. Es ist deshalb klar, daß Christen, die in der Bibel leben, nur von einem falschen Christus verführt werden können, der sich ihnen  a l s  G e i s t  darstellt. Ein falscher Christus muß sich den Christen so nahen, wie Christen ihren Christus jetzt kennen, und sie kennen Ihn jetzt nur als Geist.

2. Da hat uns nun Christus gesagt: „Viele werden kommen unter Meinem Namen und sagen: Ich bin es.“ Das sagt dieser Geist oft, wenn er durch einen Bruder oder durch
eine Schwester zu Wort kommt. Ferner redet der Geist so eindrücklich über das Thema:
„Die Zeit ist nahe“, daß man unter dem Eindruck stehe, Jesus müßte jeden Augenblick
offenbar werden. In einzelnen Fällen hat er auch den Tag der Wiederkunft Christi genau
angegeben.

Der HErr Jesus sagt, wenn in dieser Weise Leute auftreten, dann sehet zu, daß ihr nicht irregeführt werdet und laufet ihnen nicht nach. Dieser Geist, der mit dem „Ich bin“ sich in der Bewegung breit macht, ist nicht der HErr Jesus. Ganz gewiß nicht. Wenn Er wiederkommt, dann wird Er nicht in der Kammer  d u r c h  Z u n g e n r e d n e r  sich offenbaren, sondern Seine Wiederkunft wird allen sichtbar sein, wie der Blitz am Himmel von allen  g e s e h e n  wird.

2. Die Prophetie

Am Sonntag, den 7. Juli, begannen wir hier in Kassel. Daß es eine Kasseler
Bewegung geben würde, daran hatte ich durchaus nicht gedacht. Auch daß wir in
Deutschland das Zungenreden bekommen könnten, daran dachte ich nicht ernstlich. Ein
alter Pastor sagte mir: „Das werden wir in Deutschland nicht bekommen, dafür sind wir
viel zu ruhig“. Ich lud die Schwestern lediglich ein, damit die Geschwister in Kassel mit
eignen Augen sehen und mit eignen Ohren hören möchten, daß, um mit Pastor Paul zu
reden, es wieder „Pfingsten sei, wie zur Apostelzeit“. Ich hatte daher für 6 Tage um den
Saal des Blauen Kreuzes gebeten und den Wunsch geäußert, daß nur Gemeinschaftsleute
der verschiedenen Denominationen Zutritt haben sollten. Es wurden deshalb auch
Eintrittskarten gedruckt und ausgegeben.

Die Sache kam aber anders, und zwar dadurch, daß uns der Geist Prophetie gab. Am
Donnerstag der ersten Woche sagte ich abends: „Wir haben für diese Versammlungen (die bis dahin im allgemeinen Anklang gefunden hatten) nur bis morgen den Saal zur Verfügung. Ich bitte daher die Versammlung, darum treu zu beten, dass uns der HErr
Klarheit gibt, ob wir
1. mit den Versammlungen schließen sollen, oder ob wir
2. hier im Saal weiterarbeiten sollen, oder ob wir
3. einen andern Saal in der Stadt mieten sollen.“

Ich dachte nicht im geringsten daran, daß etwas Übernatürliches geschehen sollte,
sondern dachte, der HErr würde durch die Umstände Klarheit geben. Es kam aber anders
als ich dachte.

Eine Schwester, die gegen die Bewegung war, sah in ihrer Wohnung eine Wolke. Die
Wolke legte sich auf sie, die Schwester kam unter die Macht des Geistes, hörte Stimmen
und unter anderem wurde ihr zugerufen: „Im Blaukreuzhaus bleiben, bis Joel 3 erfüllt ist.“

Diese Botschaft wurde mir am Freitag den 12. Juli überbracht. Es wurde noch mehr
geredet, was aber für diese Schrift weniger von Bedeutung ist. Diese Botschaft aber wurde
die Veranlassung, daß wir mit der Arbeit im Blaukreuzhause fortfuhren. Da ich hier nur von der Prophetie rede, übergehe ich manches und erwähne nur Freitag, den 19. Juli. An diesem Tage bekam ein Bruder von auswärts die Gabe der Prophetie. Er saß in der
Versammlung, als gebetet wurde, der HErr möge bald wiederkommen. Da dachte dieser
Bruder: „Der HErr kommt so bald noch nicht“. Er suchte dann aber diesen Gedanken
abzuweisen, und als er in diesem Gedankenstreit war, kam der Geist über ihn. Der Bruder
fiel zu Boden, lag wie tot an der Erde, einen heftigen Schmerz in der Brust fühlend. Als die Versammlung nach Hause ging, bekam dieser Bruder Offenbarungen. Sie dauerten von 21:30 bis gegen 1 Uhr nachts. Es wurden etwa 32 Offenbarungen gesprochen. Doch habe ich keine Freiheit, darüber näher zu schreiben, ich will nur das hervorheben, was zur Entlarvung des Geistes geeignet ist. Bei dieser Prophetie sprach der Geist  a u s  dem
B r u d e r.  Das Wort wurde gleichsam aus dem Bruder  h e r a u s g e b o r e n , und es war ihm unmöglich, auch nur ein einziges Wort seiner Rede hinzuzufügen, nicht einmal ein  B i n d e w o r t.  Nach jeder Offenbarung schlo der Geist mit dem Wort: „Abwarten!“ Die Zeiträume zwischen den einzelnen Offenbarungen betrugen 2 – 5 Minuten. Als die letzte Offenbarung herausgesprochen war, sagte der Geist: „Schluss!“ und der Bruder war wieder in seinem früheren Zustand und konnte sich von der Erde erheben.

Als ein Teil der Offenbarungen von dem Bruder gesprochen war, sagte der Geist zu
mir: „Frag‘ mich!“ Dies ist mir jetzt auch ein Beweis dafür, daß wir es in jener Nacht
nicht mit dem Heiligen Geist, sondern mit einem Wahrsagergeist zu tun hatten; denn
Jesus hat gerade in Bezug auf die Erfahrung von Pfingsten gesagt: „An demselbigen Tage
werdet ihr Mich nichts fragen“. Lies aufmerksam Joh. 16, 22.23. Das Fragen spielt in der Bewegung eine große Rolle. Von mir ist das aber nur in jener Nacht ausgeübt worden, und zwar auf besondere Aufforderung des Geistes.

In dieser Nacht wurde u. a. geweissagt:

1. „Paul ist von Gott gesegnet,  h a l t e  a u s, du wirst mit ihm zusammenkommen.“

2.„Du hast die Gabe der Geisterunterscheidung. Habe den Mut, dies in derVersammlung auszusprechen. Es wird eine Stunde kommen, die Gott dir zeigenwird, da sollst du es aussprechen.“

3. „Schrenk ist mit Geist getauft, aber laß dich nicht von ihm beeinflussen. Ja, du lässest dich von ihm beeinflussen. Du lässest dich von ihm beeinflussen. Laß dich nicht von ihm beeinflussen!“

Diese drei Punkte habe ich mitgeteilt, weil sie zur Charakteristik des Geistes dienen können. Es wurde mir dann gesagt, ich sollte, was geredet worden sei, in ein Buch eintragen  und es später, wenn alles erfüllt sei, in einem Blatt, das in Kassel erscheinen würde, veröffentlichen.

Nun muß ich sagen, dass sich manches von der Prophetie erfüllt hat, welches damals in der Zukunft lag und kein Mensch ahnen konnte, daß es eintreten würde. Wäre diese Prophetie nicht gewesen, dann wäre ich noch schneller aus der Bewegung wieder herausgekommen. Aber es trat oft gerade dann eine Erfüllung der Prophetie ein, wenn ich aus der Bewegung hätte herausschlüpfen können. Überhaupt traten, abgesehen von der Prophetie, gerade dann, wenn man Zweifel hatte, in ganz verblüffender Weise Dinge ein, die einen wahrhaft göttlichen Eindruck machten, wodurch man nochmals in der Bewegung festgehalten wurde.

Nun muß ich mich zu den angeführten Punkten näher äußern.

Punkt 1. „Paul ist von Gott gesegnet“ usw. Diese Weissagung erfüllte sich buchstäblich. Etwa vier Monate später kam ich ganz ohne mein Zutun auf einer Konferenz mit Pastor Paul in Glogau zusammen, und zwar so, dass wir auf einem Zimmer schliefen. Ich war aber der Ermahnung „Halte aus!“ nicht nachgekommen, denn einige Tage vorher hatte ich meinen Widerruf getan. Dadurch bekam die Bewegung in Deutschland und auch anderswo einen merklichen Rückschlag. Näheres über die Begegnung mit Pastor Paul in dem Abschnitt „Die Befreiung.“

Punkt 2, „Du hast die Gabe der Geisterunterscheidung“ usw. Diese Weissagung war mir unangenehm, und  noch  weit  u n a n g e n e h m e r  war mir das, daß ich es in einer Versammlung öffentlich aussprechen sollte. Der Leser muß aber nicht vergessen, daß ich damals unter der Macht des Geistes stand, den ich für den Heiligen Geist hielt und im b l i n d e n  G e h o r s a m  auch das tat, was ich höchst ungern tat. So ungereimt mir diese Weissagung auch war, so suchte ich sie damals mit 1. Tim. 4, 14 zu begründen. Ich war nun mit dieser Bekanntmachung gar nicht voreilig, wartete etwa 12 Tage. Da trat an einem Abend in der Versammlung eine Verwirrung ein, und eine der norwegischen Schwestern erhob sich und sagte: „Was jetzt in Zungen geredet ist, das war nicht vom Heiligen Geist.“

Ich war wie aus den Wolken gefallen und sagte mir: „Das kann nie und nimmer stimmen, denn bis auf den heutigen Tag habt ihr immer gemeinsame Sache gemacht, und daß nun der Bruder nicht im Heiligen Geist reden soll, das ist unmöglich . “ Dabei dachte ich ja damals noch nicht daran,  d a ß  d i e  g a n z e  B e w e g u n g  v o n  e i n e m  I r r g e i s t  g e l e i t e t  w i r d .

Nach Schluß dieser Abendversammlung hätte ich gern der ganzen Bewegung den Abschied gegeben. Mir fehlte aber der Durchblick, und deshalb war ein Herauskommen für mich damals noch nicht möglich. Am nächsten Morgen gab ich in der Morgenversammlung bekannt, was Bruder Schöpf in seiner Broschüre gedruckt hat: Ich hätte, wie geweissagt worden sei, die Gabe der Geisterunterscheidung und sollte das in einer Stunde aussprechen.

Diese Stunde sei jetzt gekommen, und ich erkläre, daß der betreffende Bruder gestern Abend im Heiligen Geiste gesprochen habe. Der Geist wußte (er weiß noch sehr viel mehr), daß in dieser Versammlung Bruder Schöpf sein würde, der es dann in seiner Broschüre drucken würde. Dadurch erlebte ich vor aller Welt eine rechte Bloßstellung, auf die allein der Geist es abhebt.

Ich hätte diesen Punkt ja am liebsten nicht aufgefrischt, aber um meiner Brüder willen, die noch in der Bewegung sind, mußte ich es tun. Eine solche Schlechtigkeit besitzt der Geist dieser Bewegung – ich schreibe noch lange nicht alles, was ich weiß – aber er macht es gründlich wahr, was er durch Zungen geredet: „Ich werde noch einige meiner Knechte an den Pranger stellen.“

Nicht wahr, Brüder, die ihr  F r e u n d e  der Bewegung seid, ihr werdet doch selbst
zugeben müssen, daß ich die Gabe der Geisterunterscheidung nicht habe, und daß ich
sie auf keinen Fall am 19. Juli 1907 hatte, als  d i e s e r  Ge i s t  es mir ins Gesicht sagte.
„Nein,“ werdet ihr sagen, „da bist du einem Lügengeist zum Opfer gefallen, aber damit ist
nicht bewiesen, daß in der ganzen Bewegung ein Lügengeist regiert.“

Brüder, dann will ich euch sagen, daß diese Prophetie von jener Nacht durch
Z u n g e n r e d e n  als echt bestätigt worden ist, insonderheit auch von den
norwegischen Schwestern. Ferner wurde durch die Prophetie vom 19. Juli auch die
Prophetie als vom Geiste Gottes stammend erklärt, in der gesagt wurde: „Im
Blaukreuzhaus bleiben, bis Joel 3 erfüllt ist,“ und zwar gab der Geist mir diese Erklärung
ungefragt. Die ganze Bewegung ist ein großes Gewebe von Wahrheit und Lüge,
und der Geist ist ein verführerischer Irrgeist. Ich komme auf diesen Punkt noch zurück.

Aus: Dallmeyer, Heinrich / Schrenk, Elias: Erfahrungen in der Pfingstbewegung, Neumünster, [1909]
Eingestellt am 4. Juli 2021 – Letzte Überarbeitung am 1. Februar 2022