Philipp Nicolai über die Zeit der Pest in Unna

Herr, spricht Jesaias (Kapitel 26, 16), wenn Trübsal da ist, so suchet man Dich, wenn Du sie züchtigest, so rufen sie ängstiglich. Gleichwie eine Schwangere, wenn sie schier gebären soll, so ist ihr angst und schreiet in ihren Schmerzen. So gehet es uns auch, Herr, vor Deinem Angesicht. Da sind wir auch schwanger, und ist uns bange, daß wir kaum Atem holen. Desgleichen sagt David: Es ist mir lieb, daß Du mich gedemütiget hast, daß ich Deine Rechte lerne. Meine Seele verlanget nach Deinem Heil. Ich hoffe auf Dein Wort. Meine Augen sehnen sich nach Deinem Wort und sagen: Wann tröstest Du mich? Wie der Hirsch schreiet nach frischem Wasser, so schreiet meine Seele, Gott, zu Dir. Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Errette meine Seele von den Gottlosen mit Deinem Schwert. Von den Leuten Deiner Hand, HErr von den Leuten dieser Welt, welche ihr Theil haben in ihrem Leben, welchen Du den Bauch füllest mit Deinem Schatz, die da Kinder die Fülle haben und lassen ihr Uebriges ihren Jungen. Ich aber will schauen Dein Antlitz in Gerechtigkeit. Ich will satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bilde. Ps. 119, 42, 17.

Unter den mancherlei väterlichen Kreuzschlägen, aber dadurch unser lieber Gott Seinen Kindern in dieser Welt Ursach‘ giebt, dem zeitlichen und vergänglichen Wesen täglich abzusterben und nach dem ewigen Gut, welches machet beständigen Mut, ohne Unterlaß zu forschen, hat uns jetziger Zeit die schwere Seuche und Plage der wütenden Pestilenz getroffen. Die Ebräer heißen sie in ihrer Sprache Deber, welches so viel ist als ein Wort oder Predigt, sintemal uns Gott hiedurch von Seinem gerechten Zorn und über der Welt Bosheit angesteckten und brennenden Grimm und Eifer öffentlich predigt und zur Buße vermahnet, daß man von Sünden ablasse, an Christum glaube und ein durstig Verlangen nach den ewig währenden himmlischen Gütern trage.

Mit einem solchen Deber hat Er auch im letztvergangenen (1597) Jahr dieser Stadt Unna ernstlich zugerufen, und sie mit der Pestilenz, die im Finstern schleicht, und mit der Seuch‘, die im Mittag verderbet, dermaßen angegriffen, daß in kurzer Zeit ungefähr über die vierzehn Hundert daran zu Bette bis hin zum jüngsten Tage gegangen sind.

Auch damit fast den Anfang solcher Strafe dieses Orts in Westphalen machen wollen, indem das Sterben hierauf an andern umliegenden Orten erfolget und noch hin und wieder sein grausam Würgen in Städten, Flecken und Dörfern beweiset.  In solchem Jammer und Elend, als es hier zu Unna in allen Gassen rumorte, und oftmals etliche Tage hintereinander über die zwanzig, jetzt vier-, sieben-, dann acht- oder neunundzwanzig und bis in die dreißig Tote nicht weit von meiner Wohnung auf dem Kirchhofe unter die Erde verscharret worden, habe ich mit Todesgedanken mich immer schlagen müssen, und war mir mehr als einmal zumut wie dem König Hiskia, da er sprach: Nun muß (werde) ich nicht mehr sehen den Herrn, ja den Herrn, im Lande der Lebendigen. Meine Zeit ist dahin und von mir aufgeräumet wie eines Hirten Hütte, und reiße mein Leben ab wie ein Weber, Jes. 38.

Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüten die Stadt wie ein unvorhergesehener Platzregen und Ungewitter, ließ bald kein Haus unbeschädigt, brach endlich auch zu meiner Wohnung herein, und gingen die Leute meistenteils mit verzagtem Gemüte und erschrockenem Herzen, als erstarret und halb tot daher, daß einer hätte mögen hieher ziehen, was Moses schreibt 5. Mose 28, 65-67: Der HErr wird dir ein bebend Herz geben und verschmachtete Augen und verdorrete Seele, daß dein Leben wird vor dir schweben. Nacht und Tag wirst du dich fürchten und deines Lebens nicht sicher sein. Des Morgens wirst du sagen: ach, daß ich den Abend erleben möchte! Des Abends wirst du sagen: ach, daß ich den Morgen erleben möchte! Vor Furcht deines Herzens, die dich schrecken wird und vor dem das du mit deinen Augen sehen wirst.

Zu Lübeck, Hamburg, Lüneburg, Hildesheim, Göttingen, desgleichen in Niederhessen und in der Grafschaft Waldeck, meinem lieben Vaterland zu Corbach, Wildungen und Mengeringhausen fehlete es auch nicht. Und was einer an solchen Orten hin und wieder von Freunden und Bekannten hatte, davon hörte er fast nichts, denn von ihren Krankheiten und tödtlichem Abschied von diesem Leben. Wie denn auch mir eitel traurige Zeitungen und traurige Botschaft zu Ohren kamen von etlichen meiner Schwestern, Blutsfreunden und Schwägern, durch die Pest erwürget und hingerissen, welches mir meine Bekümmerniß vermehrte und so viel mehr Anlaß gab, all mein Datum, Herz und Gedanken von der Welt abzuwenden. Da war mir nichts Süßeres, nichts Lieberes und nichts Angenehmeres, als die Betrachtung des edlen hohen Artikels vom ewigen Leben, durch Christi Blut erworben. Ließ denselben Tag und Nacht in meinem Herzen wallen und durchforschte die Schrift, was sie hiervon zeugete, las auch des alten Lehrers St. Augustini liebliche Traktätlein, darin er dies hohe Geheimniß als ein Nüsslein aufbeißet und den wundersüßen Kern herauslanget.

Brachte danach meine Meditationen von Tage zu Tage in die Feder, befand mich, Gott Lob, dabei sehr wohl von Herzen getrost, fröhlich im Geist und wohlzufrieden, gab meiner Schrift den Namen und Titul eines Freuden Spiegels und nahm mir vor, denselben verfasseten Freuden Spiegel, so mich Gott von dieser Welt abfordern würde, als ein Zeugniß meines friedlichen, fröhlichen und christseligen Abschieds zu hinterlassen oder aber, so er mich gesund ließe bleiben und noch aufsparete, anderen nothleidenden Christen, welchen er die Pest auch ins Haus senden würde, aus christlicher schuldiger Liebe damit zu dienen und gleich als mit gegenwärtigem Trost beizuwohne.

Nun hat mich der gnädige, fromme Gott mitten unter den Sterbenden vor der grausamen Pest allergnädigst bewahret und mein Leben über alle meine Gedanken und Hoffnung wunderbarlich gefristet, daß ich mit dem Propheten David zu ihm sagen kann: Wie groß ist Deine Güte, die Du verborgen hast denen, die Dich fürchten. HErr, Du hast meine Seele aus der Hölle geführet, Du hast mich lebendig behalten, da die in die Hölle fuhren. Ihr Heiligen, lobsinget dem HErrn, danket und preiset Seine Herrlichkeit! Denn Sein Zorn währet einen Augenblick, und Er hat Lust zum Leben. Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens die Freude. Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen. Du hast meinen Sack ausgezogen und mich mit Freuden gegürtet (Ps. 31; 30).

Wie soll ich dem HErrn, sage ich, ferner vergelten alle Seine Wohlthaten, die er mir thut? Ich will den heilsamen Kelch nehmen und des HErrn Namen predigen. Ich will meine Gelübde dein HErrn bezahlen vor allein Seinem Volk. Herr, ich bin Dein Knecht. Ich bin Dein Knecht, Deiner Magd Sohn. Du hast meine Bande zerrissen, Dir will ich Dank opfern. Ich will Deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will Dich in der Gemeinde rühmen. Rühmet den HErrn, die ihr Ihn fürchtet. Es ehre Ihn aller Same Jacob und vor Ihm scheue sich aller Same Israel. Denn Er hat nicht veracht‘ noch verschmähet das Elend des Armen und Sein Antlitz vor ihm nicht verborgen. Und da er zu Ihm schrie, hörete Er es. Dich will ich preisen in der großen Gemeinde (Ps 116, 22)

Derwegen, auf daß ich solche Gelübde dem HERRN bezahle, so richte und wende ich nun diese meine Vorrede zu Ew. Ehrenveste Hochachtbarkeit Weisheit und Gunst, wie auch zu der ganzen Gemeinde, damit die Troststimme vom ewigen Leben aus Gottes Wort vor Ihren Ohren klinge und das traurige Herz in diesen Sterbensläuften auch erfreuet werde. Denn weil der allmächtige HErr Zebaoth, der da tödtet und machet lebendig, führet in die Hölle und wieder heraus, die giftige, ansteckende Pestilenzseuche Denselben E. E. H. W. und G. auch zugeschicket und einen großen Riß damit gethan hat, daß viel vornehme Häupter des Raths und sonst ansehnliche Leute daran gestorben sind, so trage ich, als der Geringsten einer, um des lieben Evangelii willen und wegen unserer geistlichen Verdammniß, hierüber ein herzlich christlich Mitleiden und bitte den Vater meines HErrn und Heilandes Jesu Christi, gleichwie Er Sich über dies Unna zuletzt gnädiglich erbarmet und die grimmige Plage abgewendet hat, also wolle Er Sich auch das zugeschickte Uebel über Ew. Chr. Hoch. W. und G. und über die ganze Gemeinde reuen lassen und dem Verderber wie zur Zeit Davids zurufen: Es ist genug, daß er sein Würgeschwert einstecke und ablasse. Nun halten wir Diener am Evangelio Christi in der Kirche zu Unna einmüthigen und einhelligen Consens mit dem ehrwürdigen Ministerio in E. Chr. Hoch. W. und G. weitberühmten Stadt, da in allen Pfarrkirchen, Gott Lob und Dank, Sein heilig theuer werthes Wort rein, klar und von allen sectirischen Corruptelen unverfälscht nach der ungeänderten Augsburgischen Confession gelehret und gepredigt wird und die Herren Pastoren ihr Amt mit christlicher Sorgfältigkeit treulich verrichten, sobald mit Strafen und Warnen, wo es der Sache Nothdurft erfordert, als auch mit tröstlicher Unterrichtung und Stärkung der geistlich zerschlagenen und gedemüthigten Herzen zur Zeit der regierenden Pest.

Herr Gott Vater, mein starker Held,
du hast mich ewig vor der Welt
in deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut,
er ist mein Schatz, ich seine Braut,
drum mich auch nichts betrübet.
Eia,
eia,
himmlisch Leben
wird er geben
mir dort oben;
ewig soll mein Herz ihn loben.

(Philipp Nicolai. Freudenspiegel des ewigen Lebens)

Quelle:

Freuden=Spiegel des ewigen Lebens. Von Dr. Philipp Nicolai, weiland Pastor zu Hamburg. Verfasser der Lieder Wachet auf! ruft uns die StimmeWie schön leuchtet der Morgenstern etc. Aufs neue vorgehalten von Gustav Mühlmann, ev. luth. Pastor zu Reinswalde i. d. Niederlausitz. Halle, Verlag von Richard Mühlmann, 1854.
[Digitalisat]

Durch die Pest in Unna inspiriertes Liedgut. Internet-Portal westfälische Geschichte.

Letzte Überarbeitung am 25.11.2021