Dreizehn Monate in England (Pilgerleben und Pilgerarbeit)

Am 10. Juni 1864 landeten wir in Liverpool; ich freute mich nach den letzten trockenen vier Wochen, eine Straßenpredigt zu hören und drückte dem Prediger dankbar die Hand. Nun war ich das erste Mal in meinem Leben in England, völlig unbekannt mit den Verhältnissen. Mein Freund, der schottische Militärarzt Dr. Gunn in Christiansborg sagte mir (s. 3.): „Wenn Sie in England wären, so würden Sie mit Leichtigkeit Geld für Straßenbau an der Goldküste bekommen“. Nachdem ich soviel Not mit der Spedition gehabt hatte, und überzeugt war, daß unsere Stationen mit der Zeit durch eine Straße miteinander verbunden werden müssen, wollte ich einen Versuch machen und in London kollektieren. Ich hatte eine Empfehlung an den Redakteur eines englisch=afrikanischen Blattes  F i t z g e r a l d , der das Verdienst hatte, durch seine „Afrikan Times“ etwas sittliche, öffentliche Meinung an der Westküste Afrikas geschaffen zu haben, so daß die Europäer nicht mehr machen konnten, was sie wollten, sie mußten Enthüllungen fürchten.

Von Liverpool reiste ich direkt nach London, wo ich ein Privatlogis mietete. Kaum war ich angekommen, so über fiel mich Dysenterie so stark wie je, und meine Hausleute spedierten mich ins deutsche Hospital, weil ich ihnen zur Last war. Es war eine freundliche Fügung des Herrn, daß ich in das Hospital kam. Liebe Darmstädter Diakonissen pflegten mich dort, und ein christlicher Darmstädter Arzt, Dr. Weber, behandelte mich. Pflege und ärztliche Behandlung waren vorzüglich. Nach achtzehntägiger Behandlung wurde ich geheilt entlassen und hatte nie mehr einen Rückfall. Beim Abschied bat ich Dr. Weber um die Rechnung; seine Antwort lautete: Wären Sie Engländer, so würde ich Ihnen eine Rechnung machen; deutsche Missionare brauchen ihr Geld selber. Dann ersuchte ich ihn um das Rezept, da wir an der Goldküste so viel von Dysenterie zu leiden haben. Er antwortete: „Wenn ich an der Goldküste wäre, müßte ich erst sehen, was ich dort verschreiben würde, und dann müssen wir Gott in jedem einzelnen Fall bitten, daß Er uns das rechte Mittel finden lasse“.

Ich gewann diesen Mann sehr lieb, und freute mich, ihn später noch einige Mal zu sehen. Diese und ähnliche Erfahrungen, die ich unter Gottes spezieller Leitung machen durfte, bewahrten mich, aus der Heilung durch den Glauben ein gesetzliches Joch zu machen, unter dem schon manche seufzten. Nachdem ich geheilt war, begann ich meine Kollektenwanderungen in London zu machen mit einer Empfehlung von dem genannten Herrn Fitzgerald. 6 Wochen lang lief ich kreuz und quer durch jenes Häusermeer, und bekam keinen Pfennig, während ich natürlich jeden Tag Geld ausgab. Das war bitter. Mein Freund Dr. Gunn hatte sich also getäuscht, wenn er meinte, ich bekomme leicht Geld für Straßenbau. Nach sechs Wochen kam ich endlich zu einem alten, gläubigen Herrn, einem früheren Quäker, Friedrich  T u c k e t t,  mit dem ich dann befreundet wurde. Er erklärte meine Erfolglosigkeit dadurch, daß er mir sagte: „Ihre Empfehlung ist eine Vogelscheuche; wer den Namen Fitzgerald sieht, wird Ihnen nichts geben“.

Quelle:

Pilgerleben und Pilgerarbeit. Von E. Schrenk. Verlag Ernst Röttger, Kassel 1905 (Autobiographie) [Digitalisat der 2. Auflage, 8. bis 15. Tausend]


Eingestellt am 23. November 2023