Der Weg ist gut, der durch das Leiden führet (Moser)

Der Weg der Leiden.

1) Der Weg ist gut, der durch das Leiden führet:
man findet Gott, wenn man sich selbst verlieret;
Gefahr und Not treibt die beherzten Streiter
beständig weiter.

2) So spricht der Glaube, der sich mutig waget,
wenn die Vernunft bei eigner Kraft verzaget.
Der in sich selber zügellose Wille
wird niemals stille,

3) Bis Kreuz und Leiden ihm den Weg verzäunen
und Proben, die oft unerträglich scheinen,
an das sich selbst gelassne Herze treten.
Dann lernt man beten.

4) Dann fühlt man sich; die Not scheint zu gefährlich,
Der sonst verlachte Rat wird unentbehrlich,
man lernt, wenn Angst und Weh auf einem liegen,
zum Kreuz sich schmiegen.

5) So ist’s, wenn Gott, der stets in Liebe handelt,
mit manchem ungewohnte Wege wandelt;
Dem Menschen, der das Glück in guten Tagen
Nicht kann ertragen.

6) Sein Zweck ist nicht, die schon geplagten Seelen
Mit überflüßger Not noch mehr zu quälen,
Und die, so mit Gewalt vor ihm entfliehen,
An sich zu ziehen.

7) Ach nein, sein Herz, das Herz voll Himmelsliebe,
Läßt Jedem ungebunden freie Triebe;
Der in sich Selige zwingt seine Gaben
Niemand zu haben.

8) Sein Zug, sein Ruf entsteht aus keinem Grimme
Er locket nur mit sanfter Hirtenstimme
Das irre Schaf mit innigstem Erbarmen
In seine Armen.

9) Ist aber je ein Herz, das sein gehöret,
Und das sich noch mit halbem Willen wehret,
Das reißt er dann (die Seelen sind ihm teuer),
Als Brand vom Feuer.

10) Und sucht durch die von außen harten Leiden
Dem armen Geist die Weltlust zu entleiden;
Er selbst entzünd’t bei Seufzen, Schmerz und Tränen
Ein himmlisch Sehnen.

11) O selige, o ewig süße Wehen,
Da solche Wünsche in dem Geist entstehen!
Das Herz empfindet bei des Leibs Ermüden
Göttlichen Frieden.

12) Dann wird den Seelen, die mit ihm verbunden
Nichts mehr zu schwer, dann sind die Leidensstunden
Nur lauter segenvolle, leichte Wege
Und Liebesschläge.

13) Je williger das Herz zum Kreuz sich findet,
Je mehr wird auch der Liebe Glut entzündet.
Man hüllet sich dem Mann, der voll Erbarmen,
In seine Armen.

14) Man sucht und find’t, man kennt und fühlt sein Herze
Bei dem nur für den Leib bestimmten Schmerze
Wird doch der Geist, auf den er gnädig blicket,
Trostvoll entzücket.

15) Der Feind, voll Lust, ein Menschenherz zu sieben,
Wird durch die Kreuzgestalt zurückgetrieben;
Er scheut, der stolze Geist, in Leidenswehen
Ein Herz zu sehen.

16) Und wenn auch finstre Kraft den Sinn verdunkelt,
Erweckt das Kleinod, das von oben funkelt,
Auf’s neu den Mut; die Hoffnung samt dem Glauben
Läßt sich nicht rauben.

17) Blick auf die Wolke der verklärten Zeugen,
Die jetzt vor JEsu Thron die Palmen neigen!
Wie kommen sie zum Sammelplatz der Freuden? –
Nicht so? durch Leiden!

18) Kein Tränlein wird umsonst allhier vergossen,
Sie bleiben dort verwahrlich beigeschlossen
Und werden, wenn’s einst gilt, die Treu‘ belohnen,
Perlen zu Kronen.

19) Der Körper eilet zwar in sein Verwesen,
Der Geist fleugt auf in sein ursprünglich Wesen.
Einst wird das Samenkorn aus kühler Erden
Auch herrlich werden.

20) Zuletzt geht alles gut! auf kurzes Leiden
Folgt eine Ewigkeit voll Himmelsfreuden;
Dann wird der Geist, den noch sein Wohnhaus drücket,
Selig beglücket.

Liedtext: Friedrich Carl Freiherr von Moser (1723-1798, Reichsfreiherr 1769)
Melodie: 1640, Johann Crüger (1598-1662), nach Guillaume Franc
(zu Psalm 23: “Mon Dieu me paist”, 1543)
Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen

Quellen:

Evangelische Volksbibliothek. Herausgegeben von Dr. Klaiber, Garnisonsprediger in Ludwigsburg. Fünfter Band. Enthaltend: Die geistliche Dichtung von Luther bis Klopstock, ausgewählt und eingeleitet von Paul Pressel, S. 773f. Carl Conradi, Stuttgart 1868. [Digitalisat]

Lied Nr. 79, in: Christliches Hausbüchlein. Von Pfarrer Gottlob Baumann in Kemnat. Eine Sammlung meist alter, bewährter Gebete und Lieder, besonders über die Heilsordnung, 15. Auflage, Seite 118f. Verlag der Evangelischen Gesellschaft, Färberstraße 2,  Stuttgart 1910.

Weblinks und Verweise

Christ, Günter, „Moser, Friedrich Carl Freiherr von“, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 178-181 [Online-Version]

Liedeintrag bei Christliche Lieder und Gedichte

Audiofile (mp3 Crüger, externer Link zu liederindex.de)

Audiofile (mp3 Crüger/Bach, externer Link zu liederindex.de)

Eingestellt am 8. August 2022