Pastor Paul Fromhold-Treu (1879-1919)

P a s t o r  P a u l  F r o m h o l d – T r e u
geboren im Pastorat Nitau, 22. Mai 1859
ermordet in Riga, 16. März 1919

Treu studierte in Dorpat Philologie und hernach Theologie und wurde 1883 Pastor zu Irben. Irben, die Nordspitze Kurlands, ist eine sandige Dünengegend, die je 30 Kilometer von Domesnäs am Rigaschen Meerbusen und an der Ostsee sich hinzieht. Die Gemeinde bestand aus dem seefahrenden Fischervolk der Liven, einem finnischen Stamme, und aus Ackerbau treibenden Letten. Treus nächster „Nachbar“, Pastor Krause-Dondangen, lebte zwanzig Kilometer von ihm entfernt, der einzige, mit dem er in seiner Einsamkeit geistig fördernden Umgang haben konnte.

Der Friede, der in seiner Gemeinde herrschte, wurde ernstlich durch die Propaganda der griechischen Kirche gestört, die in Kurland 40 Jahre später einsetzte als in Livland. Großen Vorteil sollten die erhalten, die den „Kaiserglauben“ annahmen. Treu arbeitete in Predigt und Seelsorge der Verführung unerschrocken entgegen, wohl wissend, daß er damit „ein Verbrecher“ wurde. Trotzdem war die Erregung der Massen groß. Hunderte ließen sich anschreiben, viele von ihnen sich auch firmeln*.

*) „Firmeln“, bisweilen auch „Firmung“ genannt, ist in der griechischen und katholischen Kirche ein Sakrament, welches an jedem Kirchenmitglied nach seinem sechsten Lebensjahre vollzogen wird, um dadurch gleichsam die Taufe zu bestätigen, daher auch der Name. Die zu Firmelnden erscheinen mit Paten; der Bischof bezeichnet jeden derselben mit einem Kreuz und streicht ihm dabei das geweihte Chrisam-Oel auf die Stirn, legt ihm die Hand auf das Haupt und gibt ihm einen Backenstreich, zum Zeichen der Geduld. Das Handauflegen bewirkt die „vollkommene Zugehörigkeit zur Kirche“ und soll die sinnbildliche Versicherung des Schutzes der Kirche darstellen; das Zeichen des Kreuzes soll an den Kampf für dieselbe ermutigen. In der griechischen Kirche kann die Firmung jeder Geistliche verrichten. [Anm. des Bearb.]

Eines Tages erfuhr Treu, daß in der Nähe des Pastorates im Hause der Zoll- und Grenzwächter der Pope sein Werbebüro aufgeschlagen habe. Sofort begab sich Treu dorthin, fand den Raum voller Menschen; sie wichen mit bösem Gewissen schnell zurück, als der Pastor eintrat. Treu stellte an den Popen in Gegenwart der Versammelten die Frage: „Ist es wahr, daß die, die den Glauben des Kaisers annehmen, Land und das Recht auf den Strand bekommen, haben Sie es versprochen?“ Der Pope erklärte, er habe nicht
Land, nur „Himmelsland“ versprochen. Auf die Frage an die Leute: Wer hat es Euch denn versprochen? antworteten sie: „Kalning hat es uns gesagt“. Kalning aber war der Psalmensänger des Popen, der schon längere Zeit vor der Ankunft desselben in der Gemeinde gewühlt hatte. Der Pastor bat den Popen, dafür zu sorgen, daß den Menschen nichts Fälschliches versprochen und sie nicht irregeleitet würden.

Kalning, der auch anwesend war, wollte den Pastor zur Rede stellen. Treu verweigerte ihm ein Gespräch. Durch das mutige Eintreten Treus war die Propaganda in Irben lahmgelegt. Kalning aber denunzierte sofort Treu bei der Gendarmerie und bezichtigte ihn allerlei Verbrechen. Die Anklage wurde erhoben, Treu sollte in die Untersuchungshaft.

Der Kirchenpatron Baron Sacken machte ihn durch eine große Kautionssumme frei. Der Prozeß begann, die Gerichte sprachen ihn frei, der Staatsanwalt brachte aber auf dem Appellationswege den Prozeß an den Senat. Dort schien die Sache begraben zu sein, denn Jahre vergingen, ohne daß etwas geschah. Da wagte Treu seine Braut im Jahre 1888 heimzuführen, denn er meinte, jetzt ein Recht dazu zu haben, da ihm nichts an Strafe zu drohen schien. Nach zwei Jahren sonnigen Glückes kam die Anzeige, daß sein Prozeß in Bälde aufgenommen werde, zugleich mit ihm war auch sein Nachbar, Pastor Krause, desselben Verbrechens angeklagt. Die kurländische Ritterschaft stellte den Verteidiger. Ein russischer Advokat in Petersburg erbot sich freiwillig, die Sache zu vertreten, er verteidigte die Angeklagten glänzend — vergeblich! Treu wurde zu zwei Monaten, Krause zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, „weil sie die Gemeinden vom Übertritt zur griechischen Kirche haben abhalten wollen“.

Die beiden Freunde wurden sofort in das Mitau’sche Gefängnis gebracht. Sie nahmen neben ihrer Bibel Kommentare mit, die die Gefängnisverwaltung als „Gebetbücher“ passieren ließ. Zwei Tage vor seiner Freilassung wurde Treu mitgeteilt, daß er in Kurland kein Amt bekleiden dürfe. Eine neue unerwartete Verschärfung des Urteils. Wie war es dazu gekommen?

Man hatte dem Kaiser Alexander III. die Urkunde zur Begnadigung unterbreitet, der Kaiser hatte „Gefängnis“ in „Entfernung vom Ort“ geändert und so die Strafe gemildert. Der kurländische Gouverneur Sipägin hatte aber das auf Gefängnis lautende Urteil sofort vollstrecken lassen und die erfolgte „Milderung“ der Strafe erst nach Verbüßung der Haft bekanntgegeben, so daß diese jetzt tatsächlich zu einer Verschärfung des Urteils führte, die der Gouverneur seinerseits noch dadurch verschärfte, daß er, um regierungsfeindliche Ovationen der Gemeinde zu verhindern, Treu verbot, sich von seiner Gemeinde zu verabschieden, und ihn zwang, Kurland und seine Gemeinde in allerkürzester Zeit still zu verlassen. Nun war Treu seiner Gemeinde beraubt und stellenlos.

Er sah sich sofort nach Arbeit um und fand sie schließlich im Stadtvikars-Posten in Riga, wo er bei geringem Gehalt aufreibende Arbeit zu leisten hatte und durch Stundengeben sich das Nötige für den Unterhalt seiner auf drei Kinder herangewachsenen Familie schaffen mußte. Fünf Jahre hindurch hat er dieses schwere Leben führen müssen. Dann wurde er endlich im Jahre 1896 auf den vakanten Posten an der Trinitatiskirche zu Riga auf Bitten der lettischen Gemeinde voziert. An der Trinitatiskirche hat er 23 Jahre in Segen wirken können. Auf Predigt und Seelsorge legte er das Hauptgewicht.

Die Gemeinde, der Hauptmasse nach aus Industriearbeitern bestehend, die vor kurzem zur Stadt gezogen, wuchs immer mehr heran. Da es eine doppelsprachige Gemeinde war, machte sie besonders viel Arbeit. Fünf Gottesdienste in der Woche waren das Minimum. Treu, groß, stark und gesund, war auch dieser großen Arbeit gewachsen und baute das Kirchenwesen äußerlich und das Gemeindeleben innerlich, und Gott bekannte sich zu seiner Arbeit.

Der revolutionären Bewegung 1905/6 trat er furchtlos entgegen und erreichte es, daß seine Kirche nicht geschändet wurde. Die schlechten Elemente haßten ihn, aber sie fürchteten ihn auch. Handfeste Männer der Gemeinde haben durch Wochen mit Revolvern in der Tasche jeder gottesdienstlichen Versammlung beigewohnt, um im Notfalle das Gotteshaus zu schützen. Das Trinitatispastorat war als solches gezeichnet worden, das bei erster Möglichkeit niedergebrannt werden sollte. Treu schonte seine Person nicht und blieb fest, selbst als er einmal, von einer Bande überfallen, blutüberströmt kaum sein Haus erreichen konnte, oder als eine vielköpfige Menge vor seinem Pastorat unter Entfaltung einer roten Fahne ein auf ihn gedichtetes Spott- und Drohlied sang. Das alles machte ihn nicht wankend.

Viele seiner Gemeindeglieder haben hernach bei seinem Jubiläum ihm dankend bezeugt, daß sein mannhaftes Auftreten sie bewahrt, sich in den Strudel der revolutionären Bewegung hinabziehen zu lassen. Der Weltkrieg brach aus; durch die Evakuierung der Industrie aus Riga und den Abzug der Fabrikbevölkerung schmolz seine Gemeinde ganz zusammen. Für Treu, als den deutschen Pastor in einer lettischen Gemeinde, brach eine schwere Zeit an. Der nationale Antagonismus entfremdete ihm einen großen Teil seiner Gemeindeglieder; nur eine kleine Schar Getreuer hielt zu ihm. Sein jüngerer Bruder, Pastor Karl Treu, wurde nach Rußland verbannt, auch er machte sich darauf gefaßt. Seine bis dahin ungebrochene Arbeitskraft ward durch die große Arbeitslast, durch all die Widerwärtigkeiten seines Lebens geschwächt.

Das Sterben geliebter Kinder hatte ihn in den letzten Jahren tief gebeugt, aber er hielt in Treue aus. Er durchlebte die deutsche Okkupationszeit, den Zusammenbruch der deutschen Macht und sah das Herannahen der Bolschewiken. Emeritieren ließ er sich nicht, an Fliehen dachte er nicht: „Wo Gott uns hingestellt hat, da müssen wir bleiben, Gefahren gibt es überall, aber Gott kann überall schützen“.

Am 3. Januar 1919 zogen die Bolschewiken in die Stadt, am 4. wurde Treu von einer Schar Bewaffneter verhaftet, auch Konfirmanden von ihm waren darunter, an denen er einst Zucht geübt hatte. Er wurde ins Matthäigefängnis gebracht, wo er zwölf schwere Wochen zu durchleben hatte. Man hatte ihn zuerst in eine Zelle mit einem Blödsinnigen zusammen eingesperrt, dann ihn in eine größere gebracht, wo Vagabunden und Diebe seine Zellengenossen waren, die ihm alles wegstahlen und ihn, gleich den rohen Wärtern, verhöhnten.

Der Trost der tragenden Gemeinschaft, die den Amtsbrüdern in den anderen Gefängnissen zuteil wurde, ist ihm versagt geblieben. Es gelang ihm nicht einmal, die geringste Kunde von den Seinen zu erhalten. Im Februar erging durch die lettische „Rote Fahne“ die Aufforderung an alle, sich beim Tribunal zu melden, die etwas über Treu aussagen könnten. Es war die Zeit, wo die Bolschewiken noch den Schein des Rechts zu wahren suchten. Als wohlgesinnte Gemeindeglieder für ihren Pastor zeugen wollten, wurden sie mit Spott und Hohn abgewiesen, „solche Aussagen brauchen wir nicht, wir wollen Anklagen haben“ (vgl. Ev. Mark. 14, 55). Endlich fand sich eine solche
Anklage: er sei 1905 bei der Erschießung zweier Gemeindeglieder beteiligt
gewesen, — in Wahrheit hatte er zwei vom Kriegsgericht Verurteilte als Pastor zur Richtstätte begleiten müssen. Damit war sein Schicksal besiegelt.

Am 16. März wurden aus seinem Gefängnis im ganzen dreißig Menschen in kleineren Gruppen auf den Hof geführt und dort erschossen. Als Treu aufgerufen wurde, fragten ihn die Kommissare noch einmal, ob er endlich gestehen wolle, bei der Erschießung seiner Gemeindeglieder beteiligt gewesen zu sein. Treu hat standhaft und ruhig die Frage verneint und hinzugefügt: „Meinen Leib könnt ihr mir wohl nehmen, meiner Seele könnt ihr nichts anhaben“.

Seinen Kopf haben mehrere Kugeln ganz zerschmettert. Die Leichen der dreißig Gemordeten ließ man zwei Tage auf dem Hofe liegen, dann wurden sie beraubt und endlich auf einen großen Lastwagen geworfen und fortgeführt, niemand wußte, wohin. Nach langem vergeblichen Suchen wurde die Leiche Treus im September beim Öffnen eines Massengrabes zufällig gefunden und erkannt. Sie konnte nun endlich geweihter Erde übergeben werden.

Der Kirchturm seiner geliebten Trinitatiskirche grüßt freundlich hinunter zum stillen Grab. Ein alter Föhrenbaum auf schützender Düne des Baltenlandes, an dem die Stürme durch lange Jahrzehnte vergeblich ihre Kraft erprobt, war nun doch der Heimaterde wiedergegeben. Auf der Grabtafel aber steht geschrieben:

Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Jakobus 5, 11*

* Nach schriftlichen Aufzeichnungen der Pastorin M. Treu geb. Kaehlbrandt.

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 123-127 [Digitalisat, pdf]

Weblinks und Verweise

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Friedrich Wilhelm BautzPaul Fromhold-Treu. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 142.
Stephan Bitter: Treu, Paul Fromhold (genannt: Paul Treu) in: Harald Schultze und Andreas Kurschat (Herausgeber): „Ihr Ende schaut an…“ – Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, ISBN 978-3-374-02370-7, Teil II, Abschnitt Russisches Reich/Baltikum, S. 557.
Eingestellt am 13.07.2022