Ich tue recht und scheue niemand

Dazu ein Erlebnis von Pastor Wilhelm Busch:

„Ich habe als junger Pfarrer vor vielen Jahren Besuche gemacht in einem Altersheim, und da war ein alter Mann, der war immer so brummig – sind alte Leute manchmal, das weiß ich von mir selber, und ich sagte mal zu ihm: Bei Ihnen wird die Milch sauer ein‘ Kilometer im Umkreis, wo Sie sind. Und eines Tages finde ich ihn im Bett. Oh, sage ich, Vater sowieso, sind Sie krank? Haja, sagt er, wenn man mal auf die achtzig geht, kann man ja ruhig sterben. Halt, sag‘ ich, Vater, ob man ruhig sterben kann, das hängt nicht vom Alter ab. Ich habe einen vierzehnjährigen Jungen im Frieden Gottes dahingehen sehen, und alte Leute in die Hölle fahren. Ob man ruhig sterben kann, das hängt nicht vom Alter ab.

Sondern ob man Frieden mit dem schrecklichen, großen Gott hat. Oh, sagt er, mit Gott habe ich Frieden. Sehen Sie, ich war immer ein ordentlicher Mensch. Und dann fing er an, auf der Bettdecke seine guten Taten zusammenzukratzen: Ich bin in die Kirche gegangen, ich habe niemand bestohlen, ich hatte den Grundsatz: Ich tue recht und scheue niemand. Man sah richtig sein „Häufchen“ guter Werke da liegen. „Ich habe Frieden mit Gott“. Er zählte vieles auf, und wie er fertig war, da lag so dieses unsichtbare „Häufchen“.

Und da sagte ich: Lieber Vater – damals war ich ein junger Kerl, noch keine dreißig – Sie sind mehr als doppelt so alt als ich, aber das könnte ich nicht sagen: Ich kann ruhig sterben, weil ich etwas zusammenkratzen kann.

In meinem Leben ist soviel Böses und Lieblosigkeit, und daß man Gutes nicht getan hat, und schmutzige Dinge, ach nein – ich könnte das nicht sagen! Lieber alter Mann, sagte ich zu ihm, ich bin froh, daß ich meine Augen aufheben darf zu dem Sohne Gottes, von dem es heißt: Meine Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten. Daß ich einen Heiland habe, der Sünder in den Himmel bringt.

Ach, sagt der Alte, nun ja, wenn man so genau überlegt, so ein bißchen hat ja jeder an Schuld. Oho, sag‘ ich, Sie haben eben gesagt: „Ich habe Frieden mit Gott“, und haben gekratzt. Da sagt er: Ja, ehrlich gesprochen, es unterläuft im Leben ja manches Dunkle. So, sage ich, dann wär’s vielleicht doch gut, wenn Sie rausrückten damit, Sie wissen nicht, wann Sie sterben. Und in dem Augenblick brechen die Dämme. Es war eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens, wie ein alter Mann mir jungem Kerl, auf einmal anfing zu bekennen. Von der Schulzeit, wo er Lehrer geärgert hat, schmutzige Geschichten aus der Jugend mit Mädchen, Unehrlichkeit, Haß mit seinem Bruder, der tot ist, große und kleine Dinge. Ich wußte nicht, daß im Leben eines Mannes so viel Sünde ist.

Und wie er fertig war, da weinten wir beide, und neben dem Häuflein guter Werke war ein Riesenberg von Sünde und Schuld. Und ich konnte nur sagen: Und damit wollen Sie vor Gott? Und kratzen so ein bißchen gute Sachen zusammen? Dann bin ich niedergekniet an seinem Bett, und wir haben Jesus das gebracht, aber er faßte es nicht. Ich ließ ihn zurück in grauenvoller Verweiflung.

Auf einmal war der Schuldberg, der Schuldberg, der immer so verschwiegen worden war, ans Licht gekommen. Ich kam dann eine Woche lang nicht hin. Und wie ich wieder hinkomme, da hab‘ ich im ersten Moment gedacht: Ist das derselbe Mann?

Da lag ein Frieden auf seinem Gesicht, und neben ihm lag die Bibel aufgeschlagen, Jesaja 53, kennen Sie das, da steht das: Er – Jesus – ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Meine Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Das hatte ihm eine Schwester dann in seiner Verzweiflung gebracht, und da lag es. Und er las es morgens, mittags und abends. Und da hat er Jesu Kreuz gesehen.

Und nun ging’s ihm so:

Und ich weiß sonst nichts zu sagen
als daß ein Bürge kam,
der meine Schuld getragen;
die Rechnung auf sich nahm,
und sie so völlig hingezählt
daß von der ganzen Menge
nicht auch ein Stäublein fehlt.

Hören Sie auf mit der Selbstrechtfertigung, sie ist eine Lüge!

(Auszug aus dem Evangelisationsvortrag von Wilhelm Busch: „Ich tue recht und scheue niemand“)