Hiob 3, 20-22 (Joh. Tobias Beck)

Warum ist das Licht gegeben dem Mühseligen und das Leben den betrübten Herzen (die des Todes warten, und er kommt nicht, und grüben ihn wohl aus dem Verborgenen, die sich sehr freuten und fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen);… (Hiob 3, 20-22)

Beck, Johann Tobias – 8. Rede am Grabe einer Ehefrau, welcher großes Familien-Unglück das Herz brach.

An diese Worte aus Hiobs Mund, g. A., fühlt man sich lebhaft erinnert vor diesem Grabe – die Gebeine einer schwergeprüften Dulderin nimmt es in sich auf. Kreuz gar mancherlei Art mußte sie hier unten tragen, gerade in den Verhältnissen, welche dem Menschen des Lebens Pein und Last lindern und erleichtern sollten, im eigenen Hause, im inwendigen Kreis der Familie. „Ach, daß sie sterben möchte, daß sie das Grab bekäme“ – haben in der letzten Zeit Manche unter sich ihr gewünscht, die da wußten, was auf ihr lag und über sie ergangen, die es sehen konnten, daß sie nur noch wie eine vom Sturm geknickte Blume da stand. Wohl hat sie ihr Kreuz getragen, wie wenige ihres Geschlechts: Stillesein und Harren war ihre Waffe und Stärke, wie das Wort Gottes es von Frauen namentlich verlangt, nicht Vorwürfe und Murren, wie schon Hiob es mußte erfahren, und wodurch bei dem leidensscheuen und vergnügungssüchtigen Geiste unserer Zeit so manches häusliche Leiden verbittert und verlängert und verschlimmert wird. Es hätte wohl, menschlich gesprochen, an gerechtem Anlaß zu Klagen ihr nicht gefehlt; denn so manche unverschuldete harte Opfer mußte sie bringen; aber „ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun (Ps. 39, 9), – Du, HErr wirst’s wohl machen,“ das war der Bund, den sie in ihrem Geiste geschlossen hatte. –

Und „der HErr hat’s wohlgemacht – Gottlob, daß sie gestorben ist“ hieß es da und dort unter uns, als ihr Verscheiden gemeldet wurde. Dürfen und können wir aber mit Recht so sprechen, Geliebte? Es mag durch den Tod etwa wohl ein vergnügtes Leben zur Traurigkeit werden, wie ja Eine böse Stunde kann machen, daß man aller Freude vergißt; aber ein mühseliges, betrübtes Leben – wie kann das wohl gemacht werden durch das Grab? Wenn der Mensch auf die Tage dieser Erde Nichts bekommt, als das Grab: dann kann ja ein betrübtes, beladenes Herz nicht sich freuen darauf – es schleppt sich dahin unter der Mühseligkeit seiner Tage, und hat Nichts von Lebensfreude; aber wenn das Grab es vollends überschüttet, und nichts als Grab da ist, so hat es weniger als Nichts: die Verwesung! Kann das ein Trost sein für einen geplagten Menschen, daß er fröhlich wird? oder soll das nur das Tröstliche sein, daß es doch mit den Leiden auch aus ist im Grabe, weil es mit Allem aus ist? Um was aber sind wir dann glücklicher, als ein Tier, das von harter Arbeit erst Ruhe findet, wenn seine Knochen verwesen, sonst aber auch Nichts findet? Und wenn wir in’s Grab fahren, wie die Tiere, so haben ja diejenigen, welchen ihr Lebensweg fast ganz besäet ist mit Dornen, sie haben auch nicht den geringsten Ersatz damit, daß ihr Dornenweg in’s nackte Grab läuft, wie der Rosenweg Anderer auch? Sind sie dann nicht wie Stiefkinder gehalten gegen die Uebrigen? Gibt’s dann eine vernünftige Antwort auf die Frage: Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen, und das Leben den Betrübten, deren fast einzige Freude noch bleibt, daß sie das Grab bekommen?! Und doch muß die rechte Antwort eben da liegen, wo das müde Herz aller Leidenden sie noch suchte und erwartete, darin, daß sie doch noch das Grab bekommen zu rechter Zeit, daß sie sich sehnen dürfen darnach, wie ein Wanderer sich sehnet nach dem Schatten, ein Taglöhner, daß seine Arbeit aus sei.

Ein Mensch, der an diesem Leben hängt, und nach keinem andern trachtet, der nicht Hoffnung und Vorschmack hat von einer Welt, wo man auf keinen Gräbern mehr steht, und auf keinem Krankenbette mehr liegt, und nimmer von Plagen des Leibes und Plagen der Seele umgetrieben wird – wer zu einer solchen Welt noch nicht den Schlüssel hat im Glauben und im Gebet: der kann das hohle Grab nur sich verdecken mit Brettern und Blumen, kann die Sorgen und Leiden des Lebens vertreiben mit Leichtsinn, Zerstreuung und Trotz; aber geben kann ihm das Grab Nichts, sondern nur nehmen; für ihn ist’s ein leerer Abgrund, nackt ist er in diese Welt gekommen, nackt muß er wieder weggehen ohne Schatz, den er mitnähme: ein Sarg nur und ein Leichenkleid bleibt ihm von aller Herrlichkeit. Wenn das Grab Nichts als dieses mitbringt, da ist wahrhaftig keine Freude darin – da ist nur Unglück und barer Verlust; wie ein Dieb und Räuber kommt der Tod über solche Menschen.

Wenn aber bei einem Menschenherzen dieses Weltleben immer mehr verliert an Wert, und das Herz sucht und ringt nach einem bessern Leben bei Gott, wozu Trübsal und Leiden uns vor allem Andern erziehen: ja, da füllt sich das Grab mit einem unsichtbaren Reichtum; denn der HErr, der das Leben in sich selbst hat, hat ein göttliches Samenkorn in die Gräber derer gelegt, die mit Ihm dulden, und in Ihm sterben, ein Samenkorn, das viele Früchte trägt: Ruhe und Frieden, Kraft und Unverweslichkeit, Freude und Herrlichkeit. Von Ihm, von seinem Geist, haben es Alle gelernt, die aus dem Druck der Welt dem Grab entgegengehen mit erhobenem Haupt, weil ihr Erlöser naht, denen der Abschied von der Erde zum Gruß des Himmels ward in dem herrlichen Gefühl:

Ich hoff‘ ein ewig Leben!
nach kurzem Erdenleid

wird Gottes Huld mir geben
endlose Seligkeit!

Einst, wenn mein Schmerz am größten,
am größten meine Not,

kommt, ewig mich zu trösten,
mein bester Freund im Tod.

Dann wird mein Heil geraten,
mehr, als ich kühn geträumt,

wenn aus den Tränen-Saaten
nur Freuden-Ernte keimt;

Zum Vater werd‘ ich dringen,
zum Himmel gehen ein,

die vollen Garben bringen;
wie selig werd‘ ich sein!

Herz, blicke froh nach oben,
zu Ihm, der nie dich läßt;

ist Erdenglück zerstoben,
so halt‘ am Ew’gen fest;

bereitet ist die Stätte,
der Heimat eile zu,

wo Eine Freudenkette
und nie gestörte Ruh.

Wird da auch noch gefragt werden, Geliebte: Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen und das Leben den Betrübten? Wie konnte das Grab ihnen Freude sein? Wird da nicht herrlicher, als ein Menschenherz es ahnen kann, die Antwort sich rechtfertigen: „Die Werke Gottes sollten an ihnen offenbar werden“. Nun ist ihr Lauf vollendet, der Kampf ist ausgekämpfet, die Krone ist ihnen beigelegt, und gegen die Herrlichkeit, in der sie leben, sind die Leiden, die sie trugen, wie eine leichte Wolke am Morgenhimmel, über welche die Sonne hervorbricht.

Vom Licht jener Himmelswelt mußt du einen Schein im Herzen haben, wenn du Etwas verstehen willst von den wunderbaren Trübsalswegen, auf denen der weise Gott so manche Menschenseele läutert und bereitet zum herrlichen Erbe dessen, der hier auch Tränen und Gebet opferte, nun aber erhöhet ist über alle Namen, die sich nennen lassen. Von der Finsternis einer Höllenwelt mußt du einen Schrecken im Herzen haben, um klug zu werden durch den Gedanken, daß dem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, darnach aber das Gericht. Daß Einer länger lebt, als der Andere, daß Einer bessere Tage hat, als sein Mitbruder, daß Einer die Lasten und Heimsuchungen Gottes in diesem Leben leichter erträgt, als sein Lebensgefährte, daß Einem seine Anschläge und Werke den Hals nicht brechen und den Kopf nicht kosten, und das Herz im Leibe ihm nicht verzehrt wird vom Kummer – das macht noch Keinen glücklich: Leichtsinn, der mit dem Ernst dieses Lebens scherzt, und an den Ernst einer Ewigkeit nicht denkt, bewahrt Keinen vor der ihm gebührenden Vergeltung, und der Gedanke: das Schlimmste, was mir werden kann, ist das Grab – der Gedanke wird Keinen retten aus dem Gerichte, das von oben wartet. Kein Menschen-Odem kann das Wort wegblasen, das Himmel und Erde überlebt, nicht nur den sterblichen Leichnam eines Menschenkindes, das Wort:

Gott wird einem jeglichen geben nach seinen Werken, nämlich Preis und Ehre, und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da widerspenstig sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber dem, das nicht recht ist, denen Ungnade und Zorn! Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun; Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun!

Bedenke das, wer noch auf dem Wege zum Richter ist, wo er kann in sich gehen, und Rettung wenigstens für die Seele gewinnen bei dem, der uns Alle als Sünder zu sich ruft, damit Er uns anders mache und versöhne. Mache den HErrn zu deinem Gut und deinem Teil: das ist das einzige Erbteil, das sich im Grabe erhält. Wenn dann auch mancherlei Leid über dich gehet, wenn du zur Buße des Herzens auch noch äußere Buße mußt auf dich nehmen, und das Grab allen deinen Hoffnungen und Plänen und Werken früher ein Ende macht, als es menschlich zu erwarten oder zu wünschen wäre; im Namen des HErrn, den du lieb hast, darfst du dann sagen: das Los ist mir gefallen auf’s Liebliche; mir ist ein schön Erbteil worden!

Möge es dir auch geworden sein, du, die wir nach vielen Trübsals – Prüfungen hier nun dem Grabe übergeben:

Sei gesegnet – Amen! Amen!
Ruh‘ in jenem großen Namen,
Vor dem sich Erd‘ und Himmel beugt!

Amen.

Mergentheim, den 27. August 1834.

Johann Tobias Beck (* 22. Februar 1804 in Balingen, Württemberg; † 28. Dezember 1878 in Tübingen) war ein deutscher evangelischer Theologe, Prediger und Schriftsteller.

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

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Weblinks und Verweise

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Letzte Überarbeitung am 13. Juni 2023