Aus dem Leben des Dr. Aloys Henhöfer

Vorrede.

Das Leben eines Andern zu schreiben ist eine schwere Sache. Kann doch kaum Einer sein eigenes beschreiben, wie denn erst das eines Andern. Mehr oder minder ist jeder Mensch eine unberechenbare Größe, deren Entwicklung sich nicht an den Fingern herdemonstrieren läßt. Viele Worte und Taten hängen mit dem innersten Kern der Persönlichkeit oft nur sehr lose zusammen, und zu anderen Zeiten ist ein Mensch auch ein andrer. Wie viel und wann von Oben von Unten, von Rechts und Links auf ein Menschenkind eingewirkt ward – wer will’s nachwägen und nachzählen? Mit diesen Gedanken bin ich an die Abfassung dieses Buches gegangen. Ich habe auch darum nur sagen können: „Aus dem Leben des Dr. Henhöfer“, denn es bleibt noch viel übrig, davon zu sagen, und das Beste wird er uns selbst droben erzählen. Drum ist das Buch ein Stückwerk, wie all unsere Bücher und all unser Wissen von Gott und uns und Andern.

Ich habe diese Arbeit nicht gesucht, sie ist mir von der Witwe und den Freunden, denen der Nachlaß anvertraut war, aufgetragen worden. Das hat mir von vornherein Mut gemacht, und ich bin fröhlich daran gegangen, Denn es ist etwas Köstliches, in ein Menschenleben hineinschauen zu dürfen, und damit zugleich in eine ganze Reihe von Menschenleben, Menschengedanken, von Menschenleid und -freude.

Daß ich den Mann lieb gehabt, aus dessen Leben ich schrieb, wird man dem Buche anmerken, und Etliche werden’s tadeln. Das stört mich nicht. Wenn ich ihn nicht lieb gehabt, hätte ich nicht über ihn geschrieben. Denn die Liebe ist der Schlüssel zum Verständnis des Andern, wie zum Erkennen Gottes. Und lieb habe ich den alten Papa Henhöfer gehabt von der Zeit an, wo ich als Kind ihn über Tisch im Hause sah und mich wunderte über den Mann, der aussah wie ein Bauer und doch redete wie ein Knecht und Prophet Gottes voll himmlischer Weisheit. Die Tage kann ich nicht vergessen, wo ich mit der seligen Mutter des Morgens in der Frühe mit vielen Andern durch den Stafforther Wald nach Spöck ging und ihn dort predigen und Christenlehre halten hörte. Und wie vielen so ist’s auch mir gegangen: Wer ihn einmal gehört, hat’s nicht vergessen. In eben solch bleibender und gesegneter Erinnerung sind mir die Tage, die ich als Vikar unter seinem Dache wohnen durfte. Hier ging mir erst der volle Blick in seine Persönlichkeit auf. Dennoch ist mir die Arbeit nicht leicht geworden, und ich darf wohl sagen, ich habe sie mir auch nicht leicht gemacht. Gerade über das innerste Leben war wenig Material vorhanden. Von Briefen Henhöfers fanden sich wenige vor; die eingehendsten über Inneres, die an Herrn von Gemmingen waren sämtlich getilgt.

Dagegen war eine große Menge von Briefen an Henhöfer vorhanden, aus denen Lage und Stimmung mittelbar hervorging. Was ich sonst alles von Akten, Briefen und mündlichen Berichten verwendet habe, wird der Leser am geeigneten Orte selbst angezeigt finden. Dazu kam aber noch ein Anderes: Henhöfers Leben und Name ist zu eng mit der Entwicklung des christlichen Lebens der letzten vierzig Jahre in unserer badischen Kirche verflochten, als daß nicht seine Lebensbeschreibung zugleich ein Stück badischer Kirchengeschichte würde. Der von seiner Kirche ausgeschlossene römische Priester, von ihr als ein dürrer Zweig verworfen, wird als ein Reis in die evangelische Kirche gesenkt, das viele Frucht in ihr bringt. Ein gewaltiger Prediger der Gerechtigkeit aus dem Glauben, allein ein Mann aus dem Volk und für das Volk wie Wenige, so steht er in der Geschichte unserer Kirche mit Schwert und Kelle bauend da. Ich konnte darum am roten Faden seines Lebens zugleich ein Stück Entwicklungsgeschichte des kirchlichen Lebens in Baden anspinnen, das Manchem vielleicht gerade jetzt von Interesse sein dürfte. In dem Buche habe ich absichtlich alle Polemik vermieden, mag sie sich jeder selbst daraus bilden, wenn er Lust dazu hat. Mir war’s vielmehr eine Erquickung, hineinzuschauen in die Tage erster Liebe, und meine Aufgabe, mich und Andere zu erinnern an eine in mancher Beziehung noch viel schwerere Zeit, aus der der Herr auch geholfen. So wird es von selbst ein Trostbuch werden. Ich habe hauptsächlich für unser Christenvolk geschrieben und darum mich der Verständlichkeit befleißigt, habe die Vergangenheit darstellen wollen und darum die noch lebenden möglichst wenig berührt. Der Leser wird’s also verstehen, wenn er unter Anderm auch von den Dingen des häuslichen Lebens nur wenig hört. Für Vervollständigung und Berichtigung bin ich herzlich dankbar und bitte alle Leser darum

Zum Schluß habe ich noch den herzlichsten Dank zu sagen dem hohen Oberkirchenrat für den Einblick in die Akten, dem Herrn Oberkirchenrat Mühlhäußer in Wilferdingen, den Pfarrern Zimmern in Graben, Dekan Mann in Eppingen, Schmitthenner in Mühlhausen, Dekan Sachs in Deutschneureuth, Menton in Friedrichsthal, Stadtpfarrer Zimmermann in Karlsruhe, Pastor Arnold in Barmen und Vikar Haager in Mundingen für ihre freundliche Unterstützung in meiner Arbeit.

Nun will ich das Buch dem Herrn der Kirche übergeben, zu dessen Ehre es geschrieben ist, daß Er es Seines Segens würdige. Der Herr gebe Seiner Kirche in Baden allezeit Zeugen, die wie Henhöfer im lautern Befenntnis des Glaubens stehen und mit dem brennenden Eifer um Sein Haus die Demut und Liebe verbinden, wie er sie hatte und die allezeit zu bessern vermag.

Barmen, den 1. März 1865

Der Verfasser

1. Kapitel

Geburt.  Jugend.   Erste Eindrücke.   Studienzeit.

Wer einmal in’s schöne malerische Albthal will, nach dem Frauenalber oder Herrenalber Kloster oder in letzterem seine müden Glieder stärken in frischem Quellwasser, und in den dunkeln Schwarzwaldbergen sich ergehen, hat nicht weit hinüber nach Völkerbach, einem ehemals evangelischen Dorf von etlichen hundert Seelen. Noch im Jahr 1680 findet sich ein evangelischer Pfarrer dort, aber die Jesuiten fegten gründlich den letzten Rest evangelischen Wesens aus. Das Dorf war wieder ein gut katholischer Ort geworden.

Völkersbach, katholische Pfarrkirche St. Georg (Bild: Augenstein, CC-BY-SA 3.0)

Dort wurde Henhöfer den 11. Juli 1789 geboren. Seine Eltern waren der Bauer Hans Martin Henhöfer und dessen Frau Theresia, geborne Artmann. Seine Taufpaten, die ihm auch den Namen Aloysius gaben, waren Herr Joseph Lehr, der damalige Pfarrer des Orts und Ignatius Schneider, ein Bauer von da. Die Eltern waren nach Salomos Bitte nicht reich, aber auch nicht arm, wie Henhöfer selbst im kurzen Lebensabriß sagt. Ueber den Vater ist uns nur berichtet, daß er ein schlichter gottesfürchtiger Mann war, in religiösen Dingen allem übertriebenen Wesen abhold, was wohl mehr aus seinem nüchternen Naturwesen herkam, als aus besserer innerer Erkenntnis, die ihm abging. Dagegen aber war die Mutter Theresia ein tiefes religiöses Gemüt, eine gut katholische gläubige Seele. In ihrer Jugend war das Dorfmädchen durch eine Mission der Jesuiten mächtig innerlich bewegt worden; ihre Andacht und Eifer, ihre guten Antworten fielen den Vätern der Gesellschaft auf, so daß sie ihr den Namen der Königin beilegten.

Es fehlte nicht viel, sie wäre damals, wär’s nach ihrem Willen gegangen, in’s Frauenalber Kloster gegangen und Nonne geworden. Aber der Herr wollte sie zu etwas Anderem gebrauchen, sie sollte ihm noch in besonderer Weise in seinem Reiche dienen. Den 15. Mai 1775 verheiratete sie sich an den Bauern Hans Martin Henhöfer. Ihren geistlichen Sinn nahm sie aber auch hinüber in die Ehe. Sie ging nicht nur jeden Tag zur Messe, sondern vor Allem hätte sie gern einen geistlichen Sohn haben mögen, denn einen Geistlichen unter ihren Kindern zu haben, hielt sie für die ganze Familie für ein großes Glück, indem sie glaubte, alle Verdienste desselben besonders die der Messe, gingen auf alle Glieder der Familie über.

Drei Kinder waren schon auf der Welt, zwei Knaben und ein Mädchen aber mit dem geistlichwerden wollte es nicht gehen, denn der Vater machte Anspruch auf sie, und vielleicht schien es auch der Mutter, als seien sie doch nicht dazu genaturt. Als sie der Herr darum wieder mit einem Kinde segnete, das ein gut Teil jünger war als die andern, fing sie’s früher an und gelobte ihn dem Herrn vor der Geburt. Von Mutterleibe an, sagte darum der Sohn, wurde ich von meiner Mutter dem geistlichen Stande gewidmet.

Vielleicht wählte sie auch darum den Ortspfarrer zum Taufpaten ihres Aloys. Sie war in ihrer Art eine rechte Hanna, die ihren Samuel frühzeitig zum Tempel brachte. Sobald der Kleine herangewachsen war, nahm sie ihn täglich mit zur Messe, derweilen sie in der Bank kniete, diente ihr Aloys im Chorhemdchen am Altare mit Rauchfaß und Cingulum dem Priester. Wollte er ein oder das andere Mal nicht mit, so schaute sie übel darein, und er bekam von ihrer sonderlichen Liebe nichts zu spüren. Alle Freitage ging’s über die Waldhöhe nach Moosbrunn, einem Wallfahrtsort oder zum gnadenreichen Bild nach Bidesheim, mehrmals auch nach dem 50 Stunden weiten Walldürn. Wurde es auch dem Hans Martin Henhöfer manchmal des Guten zu viel, daß er einmal verdrießlich sagte: „Willst du nicht auch noch nach Jerusalem?“, so wollte sie es nicht fehlen lassen an irgend einer Gerechtigkeit und gewiß wäre die Völkersbacherin auch nach Jerusalem gepilgert, wär’s anders gegangen und hätte ihren Aloys mitgenommen. Sie war auch die Hauspriesterin daheim. Alle Sonntag Abend, oft auch Samstags wurde knieend der Rosenkranz gebetet, und als er fertig war, da wußte meine Mutter noch so viele Heilige, deren Jedem noch ein Ave Maria zugeschickt wurde, daß es oft nicht ausgehen wollte.

Völkersbach, Panorama – Bild: Augenstein, CC-BY-SA 3.0

Ging’s in den Wald oder über den Berg, da konnte sie erst recht mit ihrem geistlichen Sohn reden, sie erzählte ihm die Geschichten der Heiligen und ihre Verdienste von ihren Leiden und ihrer Herrlichkeit droben, so daß des Kindes Wunsch ein Missionar zu werden immer lebendiger wurde. Kam ein Bildstöcklein am Kreuzweg, oder an einem alten Buchenbaum ein Heiligenbild, oder schlug drüben vom Ort her die Stunde, wurde Halt gemacht und gebetet. Sie war eine fromme Beterin, rühmt ihr Sohn. Und das ist doch etwas Großes, was man von einer Mutter sagen kann. Cornelii, des heidnischen Hauptmanns Gebet fiel nicht auf die Erde, noch auch das der Theresia Henhöfer für ihren Aloys.

Oft hörte ich den spätern Pfarrer in der Kirche die Mütter zum Beten zu vermahnen für ihre Kinder, und sagen „wie die Monica getan hat für ihren Augustinus“. Ob er nicht oft und viel seiner Mutter dabei gedacht? So viel ist gewiß, wir haben wie so manchen treuen Zeugen Gottes auch Henhöfer nächst dem Herrn den Gebeten seiner Mutter zu verdanken, wenn gleich sie in ganz anderem, weit herrlicherem Sinne erhört wurden, als sie sich’s gedacht. Henhöfer ist zeitlebens mit rührender Liebe an ihr gehangen. Der Vater Henhöfers war schon den 7. September 1823 heimgegangen; seit dem Tode desselben war sie am 24. März 1824 zu ihrem Aloys gezogen, ihre letzten Tage bei ihm zuzubringen. Er, den sie von Jugend auf begleitet, sollte auch sie zum Tode begleiten, und der Segen des geistlichen Sohnes auf sie zurück fließen. Als sie am 6 Oktober 1833 entschlief, schrieb Henhöfer an seinen ehemaligen Vikar Hager den nachstehenden schlichten und rührenden Brief:

Lieber Hager,

Mit betrübtem Herzen zeige ich Ihnen durch Gelegenheit kurz an, daß heute Mittag 1/2 12 Uhr meine liebe Mutter aus der Zeit gegangen ist. Noch Dienstag war sie, obwohl schon krank, bei uns am Tisch. Doch ist sie nicht ohne Leiden aufgelöst worden. Ich war nicht bei ihrem Tode, sie starb nämlich zur nämlichen Zeit, als ich in Stafforth nach der Predigt für sie betete. Heimgekommen hörte ich die traurige Nachricht,wie wohl ich sehr ihren Heimgang wünschte ihrer Leiden wegen. Kaum war ich da, kam Gregor in einem Sprung; sie hatte ihm heute Nacht gerufen mit den Worten: „Gregor, komm bis 12 Uhr nach Spöck, ich bin selig, bedanke dich für mich beim Herrn.“ Darauf stand er auf, zauderte aber, weil er es nicht recht glauben wollte und kam so um eine halbe Stunde zu spät. Sie ist recht gläubig gestorben, wovon viele Zeugnisse da sind. Auch Ihrer hat sie noch gedacht und gestern das Lied gesprochen. In Jesu will ich bleiben etc, welches Sie voriges Jahr zum Abschied mit ihr gesungen hätten. Bis Dienstag früh 10 Uhr gedenken wir sie zu beerdigen. Ledderhose wird sie begraben, der seit acht Tagen hier ist. Beten Sie für mich, ich bin sehr gedemütigt und betrübt. Ich hatte meine Mutter gar lieb. Sagen Sie es auch mit herzlichem Gruße in Steinegg.

Spöck, den 6 Oktober 1833.        Ihr Henhöfer

Sie war selig heimgegangen. Wunderbar, daß sie gerade ihrem Sohne Gregor gerufen, der der Wahrheit, scheint es, noch ferne stand.

Freund Gemmingen schreibt über den Heimgang der Mutter Henhöfers:
„Ich preise Gottes Güte, daß Er die liebe selige Mutter mit einem so köstlichen Kinderglauben noch gestärkt hat, welcher eben doch, wann es an’s Sterben geht, die Perle in der Perle bleibt, trotz allen hohen gleißenden Worten, wenn sie auch Päpste, Prälaten oder berühmte Doctores als Gegner zierlich und fein oder grob und hart geben sollten. Das Kind nimmt und hat es. Amen. Was weiter Außergewöhnliches mit Gregor geschah, ist mir besonders dankenswert für Sie, mein teurer Lehrer, denn es gibt in Beziehung auf den Seelenzustand der geliebten Mutter, sowohl als für die ewige unerschütterliche Wahrheit des lieben Bibelwortes einen solchen süßen festen Trost, daß man das Treiben der Feinde aller Gattung ruhiger tragen und das Wort vom Kreuz, vom Glauben an den Gekreuzigten und von der Liebe zu Ihm wieder viel freudiger und entschiedener predigen kann. Ist s nicht so, lieber teurer Freund: Ich glaube gewiß, ganz gewiß, daß von jetzt an eine neue Mitteilung des Geistes Gottes und der Kraft von oben Sie in ihrem Amte recht fühlbar unterstützen, und eben darum ihr Wirken auch wird gesegnet sein auf’s Neue. Auch in Bezug auf ihre Verwandten und die ganze katholische Kirche ist mir das, was Gregor hören durfte, von hohem Wert, denn es schlägt alle die vielen Lügen mit einer obern Meisterhand gar kräftig zusammen. Da jener Vorgang doch viele Kinder Gottes erfreuen und stärken würde. so wünschte ich von Ihnen die Erlaubnis zu erhalten, denselben zur Mitteilung und Bekanntmachung im Kreise vertrauter Freunde weiter geben zu dürfen, wozu ich mir aber alsdann noch von Ihnen eine genaue Erzählung jenes Vorganges ausbitten würde, um ja kein unwahres Wort zu sagen.“

Näheres konnte ich nicht über den Vorgang erfahren. Bruder Gregor verblieb in der katholischen Kirche. So liegen sie denn jetzt beide nicht weit von einander im Kirchhofe zu Spöck, die geistliche Mutter und ihr geistlicher Sohn.

Wir kehren zurück zur Jugendgeschichte. In dem Kinde wuchs der Trieb, von der Mutter gepflegt, von Tag zu Tag mehr, Missionar zu werden. Bücher zu lesen war seine Freude. So hörte er, daß jemand ein großes dickes Buch, eine Bibel habe (wahrscheinlich noch aus der evangelischen Zeit) er macht sich auf, kann sie kaum tragen und liest und liest. Aber die alttestamentlichen Geschichten verstand er nicht, und einen Philippus hatte er auch nicht im Hause. Wie es aber dazu kommen sollte, daß er geistlich werden sollte, wußte weder die Mutter noch der Sohn. Sie glaubte es aber und betete darum. Da stirbt der Taufpate, der alte Pfarrer Lehr, der sich scheints nicht sonderlich um sein Patenkind gekümmert hatte und ein junger kräftiger Mann, der Pfarrer Joseph Anton Beyerle, von Weilerstadt gebürtig, bisher grundherrlich Gemmingen’scher Pfarrer in Mühlhausen kam an seine Stelle. Er ahnte nicht, daß er in seiner Dorfschule ja bald an seinem Herzen und in seinem Hause den künftigen ersten evangelischen Pfarrer für seine eigene frühere Gemeinde Mühlhausen erziehen sollte. In der Schule fiel ihm bald, wie einst seine Mutter den Jesuiten, der aufgeweckte Knabe auf. Er stimmte mit der Mutter überein und gab ihm die ersten Lateinischen Stunden. Er blieb mein Vater und Freund, bis in Mühlhausen die große Veränderung in der Religion vorging, schreibt Henhöfer. Beyerle erscheint als ein durchaus edler Mensch, der nirgends das Seine sucht als ein treuer Priester und ein in seiner Weise gläubiger Mann, der in seiner Todesnacht befahl, „nichts von ihm und seiner Person am Grab zu sagen, sondern dem Herrn die Ehre zu geben.“ (Brief des kath. Pfarrers Streit an Henhöfer, 26 Jan. 1826).

Wie für Henhöfer hatte er auch für Andere ein offenes Herz und eine offene Hand. Selbst nach dem Vorgang in Mühlhausen bewahrte er ihm die alte Liebe, und wenn er auch, wie wir später mehr hören werden, nicht einverstanden ist mit seinem geistlichen Sohne, immer leuchtet aus den Briefen die unwandelbarste Liebe und Treue. Es ist bei allen Vorwürfen dennoch rührend, wenn der alternde Mann dem jungen Priester schreibt nach jenen Vorgängen:

„Was Deine Sache betrifft, lieber Aloys, besonders wie ich sie durch Deinen eigenen Vater und Deinen Bruder, also nicht bloß vom Hörensagen, selbst vernommen, mißfällt mir äußerst, nicht nur sie, sondern auch ich mußte mit ihnen weinen; schreibe nun meine Tränen meinem Alter, oder allenfalls unserer Unwissenheit zu, wie Du willst. Aus Eigensinn und Rechthaberei schlägst Du Wunden und pressest Tränen; aber was ist vorzusehen, was anders, als daß Du Dir die empfindsamste Wunde selbst versetzest und mitsamt Deiner Begeisterung in ein Jammertal kommen wirst, denn Du wirst nicht Protestant, nicht reformiert, und katholisch bist Du nicht mehr; wie, lieber Aloys, willst Du denn ein neuer Secten-Stifter werden? O, öffne doch in wahrer, christlicher Demut Deine Augen und gedenke doch Deines Priester- und Pfarr-Eides, und daß wir als Priester und katholische Seelsorger in reinen kirchlichen und Glaubenssachen unsern geistlichen Obern, und nicht Landesfürsten und Ministern, nach Gottes Ordnung untertan sind. Täglich, Lieber, besonders seitdem Du mich um mein Gebet angingst, dachte ich am Altar Deiner und werde auch nicht aufhören, den Barmherzigen anzuflehen. Ja, für Dich will ich beten, wie Christus für Petrus gebetet hat, ob Du nun auf das Gebet für noch Lebende noch einen Wert legst, weiß ich nicht, aber mein Wort halte ich, bis mir der Tod die Augen schließt und dann hofft von seinen Freunden und Bekannten noch ein Memento

Iffezheim, den 31. Juli 1822
Dein Dich aufrichtig und zärtlichst liebender Freund Beyerle, Pf.“

Das hat er auch treulich gehalten Als Beyerle am 10. Dezember 1825 nach schweren Leiden heimgegangen war, schrieb sein nächster Amtsnachbar und Freund, der katholische Pfarrer Streit in Muggensturm dem bereits evangelisch Gewordenen folgende letzte Botschaft von ihm:

Euer Wohlerwürden,

zeige ich kraft Auftrags an, daß mein bester Freund und Ihr respectiver zweiter Vater, der fromme Priester und tätige Seelsorger Herr Jos. Ant. Beyerle, Pfarrer in Iffezheim mit der Beruhigung, welche der große Völkerlehrer 2. Tim. 4, Vers 6, 7 u. 8 ausgesprochen hat, sich bis zum letzten Lebensaugenblick vollkommen bewußt am 10. d. M. Morgens 6 Uhr in meiner Gegenwart das Zeitliche, 59 Jahre 5 Monate alt, gesegnet hat. Ich entledige mich dieses mir anvertrauten Auftrages, den er mir mit schon gebrochenem Auge und fast letzten verständlichen Worten gab und mit einigen auf seine kalten Wangen herabfließenden Tränen gleichsam versiegelte, wobei sein gutes brechendes Herz sich merklich bewegt und gehoben zeigte, und bin

Euer Wohlerwürden
                               alter unveränderlicher Freund
S t r e i t

Muggensturm, den 12. (als am Beerdigungstage des lieben Mannes) im Dezember 1825.

So hatte er zugleich in seinem Lehrer ein würdiges Vorbild für seinen künftigen Beruf, eine Sache, deren Wert nicht hoch genug anzuschlagen ist. Denn Kinder sind fein und zart und fassen leicht, wenn sie an der Person irre werden, auch gegen das Amt, das die Person führt, einen Argwohn. So weit der Pfarrer es selbst vermochte, unterrichtete er seinen Zögling in den nötigen Fächern. Nach der Konfirmation Ostern 1802 mußte der 13jährige Knabe das Haus verlassen, und ging nach Rastatt in die Schule der Piaristen-Brüderschaft.

Als später diese Schule in ein Großherzogliches Lyceum verwandelt und nach Baden-Baden verpflanzt wurde, zog er dahin und blieb bis 1811 daselbst. Über seine Schulzeit wissen wir wenig. Ein anonymer katholischer Gegner, der unter dem Titel: „Aloys   Henhöfer, ehemals katholischen Pfarrers in Mühlhausen an der Würm im Badischen, religiöse Schwärmereien und Schicksale“ eine Schmähschrift*) herausgab, gibt folgendes Zeugnis, das freilich den eigenen Verfasser selbst am besten schlägt:

„Henhöfer ist ein bornierter Kopf, das sagten mir Mehrere, die ihn genau und von den Jahren seiner Studien her kennen. Aus seinem gemeinen Alltagsgesichte, aus seinen feuerlosen Augen (!) würde Lavater ohne Zweifel auf etwas mehr als nur auf Beschränktheit des Kopfes geschlossen haben. Schon als Gymnasialschüler offenbarte er Singularismus [Einseitigkeit und absonderliches Wesen] in seinem ganzen Wesen, in dem philosophischen Curse zeigte er große Mittelmäßigkeit. Er ließ es zwar nicht an Applikation [Fleiß und Aufmerksamkeit] ermangeln, diese war aber nur auf singuläre Meinungen gerichtet.“

*) Gmünd, Ritter’sche Buchhandlung 1823

Man sieht nur zu wohl die Absicht ein, in welcher dies Urteil geschrieben; es galt Henhöfer als einen dummen, einfältigen Schwärmer hinzustellen, und dazu mußte auch seine Jugendzeit herhalten. Gesetzt aber auch, es wäre dem so, so ist es eine Erfahrung bewährter Schulmänner, daß viele Kinder, die auf der Schule die sogenannten „hellsten Köpfe“ waren, später sich gar nicht als solche bewährt, während viele Hunderte, denen man in der Schule alles Talent, alle Gaben absprach, und zu einem Handwerk riet, die statt der Prämien am Ende des Jahres ihr Tränenbrot aßen auf den Schulbänken, ausgezeichnete Leute geworden sind.

Ferner läßt aber auch der Zug zum Singularismus nicht gerade auf Borniertheit schließen; es ist oft im Gegenteil aus Kindern, die etwas Apartes hatten und von der Mitjugend darum angefochten und verspottet wurden, etwas Ausgezeichnetes geworden. Da es an dem nötigen Unterhalte für den Knaben fehlte, so mußte er herumessen, d. h. er hatte Kosttage bei einzelnen mildtätigen Familien. Aber bald sorgte für den herumessenden Schüler sein treuer Gott, und er wurde Hauslehrer in der Familie des ersten Beamten, des Geheimerath Spinner. Die Sache hatte leider nicht lange Dauer; ein Sohn zog als Offizier in den Krieg und fiel in einer Schlacht, der andere starb zu Hause, und Henhöfer war so arm wie zuvor; er half sich durch Privatunterricht die letzte Zeit noch durch. Im Jahr 1811 auf Michaeli bezog er die Universität Freiburg.

Schon vor seinem Abgang dahin war wieder für ihn gesorgt. Der Geheime Hofrath Engelberger in Freiburg hatte ihn aufgefordert, als Hauslehrer für seinen jüngsten Sohn zu ihm zu kommen, zudem erhielt er aus dem „Marxzeller Heiligen“ ein Stipendium von jährlich 150 Gulden, das ihm später aber, als er evangelisch geworden war, wieder abgezogen wurde. Auch von seinem theologischen Studium weiß jener obige Gegner nicht viel Rühmliches zu sagen, wenn er Seite 4 fortfährt:

„Ebenso trieb er es mit dem theologischen Studium. An der Dogmatik fand er keinen Geschmack. Nur Paradoxien [sonderbare Meinungen] zogen ihn an; dabei waren seine Fortschritte so gering, daß seine Lehrer keine günstige Meinung von ihm schöpfen konnten, daher erstaunte Einer derselben, als er jüngst hörte, wie dieses mittelmäßige Subject auf einmal zum Glaubensreformator sich aufschwinge. Der in seinem Gemüthe liegende Hang zum Mysticismus regte sich frühe, und er pflegte denselben durch die Lectüre mystischer Bücher.“

Hier ist wieder Wahres und Falsches beieinander. Es mag wahr sein, daß Henhöfer, nach seiner ganzen Anlage mehr ein Mensch unmittelbarer Anschauung, mehr des Gemüts als des kritischen Verstandes, an der spitzfindigen katholischen Dogmatik und Polemik wenig Geschmack und keine Nahrung für seinen kindlichen Glauben fand. Die Dogmatik, die seine Mutter unter dem Bildstöcklein am Kreuzweg mit ihm einst getrieben, war ihm wahrscheinlich mehr wert, als die der Professoren. Darum las er die Schriften der Mystiker, wie Joh. Tauler, Thomas a Kempis, die er hoch hielt, bis in seine letzten Tage. Gerade das aber beweist einen tief innern Wahrheitstrieb. Flachköpfe lesen bekanntlich keine Mystiker.

Es ist uns gar nicht darum zu tun, Henhöfer als einen besonders und glänzend begabten Menschen darzustellen, das hat er selbst am allerwenigsten von sich gehalten; seine Begabung lag in etwas ganz anderm, als in dem, was in der Welt Effekt macht. Aber etwas hatte er, was man selten findet. Er war arm im Geist, und das erklärt Augustinus: „Fortunati qui non magnum habent spiritum non inflatum spiritum“, d.h. Selig sind, die (in ihren eigenen Augen) keinen großen Geist, keinen aufgeblasenen Geist haben.

Auch die Studienzeit ging vorüber und im Jahr 1814 wurde er examiniert, erhielt unter dem 24. September den Tafeltitel und wurde damit als künftiger Geistlicher aufgenommen. Er zog in’s Seminar nach Meersburg. Unter dem 16. Dezember empfing er dort durch den Fürst-Primas von Frankfurt, den Herrn von Dalberg als Bischof von Constanz, die vier unteren Weihen. Eine Nachricht erzählt, daß wie einst der Cardinallegat über Luther, „die deutsche Bestie mit ihren tief liegenden Augen“ sich beklagt hatte, auch der Bischof, Henhöfer scharf ansehend, gesagt habe: „Gebt auf Den Acht, der bleibt Euch nicht“.

Ehem. Priesterseminar Meersburg, Nordfassade (Photo: Andreas Praefcke)

Bald darnach wurde Henhöfer krank; die starke Seeluft und die strenge Kost und namentlich, wie er öfter später erzählte, das schnelle Essen (eine Gewohnheit, die er bis an’s Ende behielt) hatte seine keineswegs starke Gesundheit erschüttert, und so ging er zu seinem früheren Freund und Wohltäter Beyerle, der jetzt in Iffezheim stand. Nachdem er sich gekräftigt, erhielt er durch besondere Vergünstigung die drei oberen Weihungen den 19.-21. Mai 1815 durch den Fürsten von Hohenlohe in Constanz. Dort in Meersburg primizierte er auch, las die erste Messe und ging zurück nach Freiburg. So war denn der geistliche Sohn, wie ihn die Mutter sich erbeten, fertig. Er hatte ausstudiert, war geweiht und hatte die erste Messe gelesen, was fehlte noch?

Quelle: Aus dem Leben des Dr. Aloys Henhöfer, weiland römischen Priesters, späteren evangelischen Pfarrers zu Spöck und Stafforth. Ein Beitrag zur Geschichte des religiösen Lebens in der evang. Landeskirche Badens seit den letzten 40 Jahren. Von Emil Frommel, früherem evangelischem Stadtpfarrer zu Carlsruhe, jetzigem Pfarrer in Barmen. Karlsruhe, Druck und Verlag von Friedrich Gutsch, 1865.

Eingestellt am 8. August 2020