Kreuzschule: Vorrede.

Vorrede.

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Es geht hier ein geringes Büchlein in die Welt aus, welches kein Lob erwartet und keinen Tadel fürchtet, weil es lüsternen Leuten nicht gefallen, sondern nur dem trauernden, gedemütigten und heilsbegierigen Christen etwas an’s Herz reden will.  Es ist Kreuzschule genannt worden, um denjenigen, welche des sel .Valentin Wudrian’s Kreuzschule kennen, mit diesem Namen anzuzeigen, daß es mit diesem alten gesegneten Büchlein eine gleiche Absicht habe und nur deswegen erscheine, weil nach dem Urteil mehrerer Knechte GOttes die Beschaffenheit unserer Zeit bei der Beibehaltung der alten Wahrheit eine neue Einrichtung der Kreuzschule und insonderheit mehr Schärfe erfordere.

Ein jeder, der sehende Augen hat, kann wahrnehmen, daß die gegenwärtige Zeit eine sehr böse Zeit sei. Die Lüsternheit, Üppigkeit und Hoffart ist auf’s höchste getrieben. Die Unzucht hat alle Länder überschwemmt. Ungerechtigkeit, Lügen, Diebstahl und Feindseligkeit gehen im Schwang. Der Abfall von der christlichen Religion wird dabei immer gemeiner. Viele wollen an der Christenheit bessern, und sind selbst nicht gebessert. Ohne Christo will man vor GOtt bestehen, und ohne den heiligen Geist fromm sein.

Schlechte Hirten, die so viel gelten als keine Hirten (Matth. 9, 36) und verschmachtete Schafe trifft man an vielen Orten an. Man redet von Menschenliebe und Duldung, und verfolgt doch Christum und seine Jünger tätlich und mit den giftigsten Spöttereien, die manchen Leuten so geläufig sind, daß sie sich derselben so wenig, als manche Flucher ihrer Flüche bewußt sind.  Bald wird es aber auch zu derjenigen Verfolgung kommen, wovon Offenb. Joh. 13 geweissagt ist. Eine falsche Weisheit, welche sich durch witzige Einfälle und Ausdrücke angenehm macht, betäubt viele Leute so, daß sie die Sprache Christi und seiner Knechte nicht mehr verstehen können und wollen, und ihr Leben in einem süßen Traum zubringen. Des Zeugnisses von JEsu Christo ist man an einigen Orten bis zum Ekel und Widerwillen gewohnt. Es macht auf viele keinen Eindruck mehr. In was für einer Gefahr auch diejenigen heut zu Tage stehen, welche dem himmlischen Beruf angefangen haben zu folgen, hat der sel. F. C. Steinhofer, ein Mann, dessen heiteres Lebensende im Jahr 1761 bewies, daß er recht geglaubt und recht gewandelt habe, in seiner Erklärung des ersten Briefs Johannis (S. 232 u. ff.) so angezeigt:

„Ist zu irgend einer Zeit nötig gewesen, auf seiner Hut zu sein, so ist es gewiß zu gegenwärtiger Zeit am allernötigsten. Da zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts und in den folgenden Jahren das Evangelium an vielen Orten Deutschlands mit großer Kraft und Segen gepredigt worden: so entstand auch bei vielen erweckten Seelen ein großer Ernst der Verleugnung in den äußerlichen Dingen der Welt. Man setzte damals viel darein, daß man sich nicht der Welt gleich stelle, aus Vorsorge, man möchte dadurch in der Weltliebe hangen und von Christo ferne bleiben. Es ist aber nicht zu leugnen, daß viele Unanständigkeiten aus hitzigem Eifer und aus unbescheidenem Urteil damit untergelaufen, und der Grund der lebendigen Erkenntnis bei manchen nichts desto weniger sehr seichte war. Ein solches Betragen brachte nun bei verständigen Leuten vielen Anstoß und eine Schmach auf das rechtschaffene Wesen in Christo. In folgender Zeit hat man zwar, teils aus Erfahrung, teils aus mehrerer Einsicht des Evangelii, sich besser gefaßt und sich bescheidener, unanstößiger und unbedenklicher gegen der Welt und ihrer Art zu verhalten beflissen. Aber dabei ist man ziemlich nachgebend worden. Man ist nur allzusehr darauf bedacht, auch den Weltmenschen darzutun, daß man sein Christentum nicht in eine besondere Art seines äußerlichen Wandels und Bezeugens setze. Man will alle Verächtlichkeit vermeiden, aus Beisorge, es möchte dem HErrn selbst zur Unehre sein.

Die Welt soll selbst nicht anders sagen können, als: Das ist ein feiner Mann, er weiß auch zu leben, ob er schon mit Ernst ein Christ sein will. Allein dadurch macht man sich nicht nur der Welt nach ihrem Sinn gefällig, sondern man wird auch nach und nach von ihrem Geist so eingenommen und gebildet, daß man nach ihrer Denkungsart in den meisten Sachen urteilt und nach ihrer geschmückten Weise handelt, folglich sich von ihr unter gutem Schein zum Sklaven machen läßt. Dabei kann die Einfalt auf Christum, die Liebe zu seinem Kreuz, die Freiheit des Herzens und – mit einem Wort – die Wahrheit, die in Christo JEsu ist, unmöglich bestehen.

O, ihr auserwählten Herzen, die ihr berufen seid mit einer heiligen und himmlischen Berufung, wie wichtig ist die Stimme, so euch zuruft: „Habe nicht lieb die Welt, noch das, was in der Welt ist!“ (1. Joh. 2, 15a). Lernet sie bis auf die geringste Neigungen und bis auf die geheimste Gedanken deuten! Liebet JEsum und sein Kreuz, welches alle Lust der Welt abschneidet. Und in seiner Kraft enthaltet euch alles unnötigen Gemenges mit der Welt, und mäßiget euch in dem unumgänglichen Gebrauch der Welt so, daß ihr derselben nicht mißbraucht, sonst werdet ihr nicht können unverrückt in seiner Gemeinschaft bleiben, noch vor Ihm unbeschämt stehen, wenn er offenbart wird in seiner Zukunft“.

Nach dem Plan dieser Worte und des ganzen vortrefflichen Buchs, woraus sie genommen sind, sollte man die Christenheit reformieren, nicht aber nach dem antichristischen Plan derjenigen, welche alle oder viele Geheimnisse wegwerfen und ein geschminktes Heidentum in der Christenheit einführen wollen. GOtt wird aber seine Herrlichkeit bald durch große Gerichte offenbaren, und wer verständig ist, kann sie schon herannahen sehen. Indessen hat auch das Seufzen und Jammern über alle Greuel, die geschehen, vor GOtt einen Wert, s. Ezech. 9, 4-6. Insonderheit aber lasse sich ein jeder zu gegenwärtiger Zeit den Zuruf zu Herzen gehen, der Offenb. Johanni 14, 12 steht: „Hier ist Geduld der Heiligen. Hier sind, die da halten die Gebote GOttes und den Glauben an JEsu“, und halte mit großer Gewißheit dafür, daß ihn GOtt in der wirklichen Kreuzschule, das ist bei der Empfindung seiner Züchtigungen, dazu antreiben und tüchtig machen wolle.

Zu diesem Ende aber soll ein Mensch, welcher glaubt, daß sich die Vorsehung GOttes über kleine und große Dinge erstrecke, und daß GOtt nichts ohne heilige Absichten tue bei den Trübsalen, die ihm begegnen, nicht unempfindlich und leichtsinnig, sondern weich und aufmerksam sein und die Absicht GOttes an sich erreichen lassen. Wenn ein Vater seinem Kind, ohne ein Wort dabei zu reden, einen Streich gibt, so soll das Kind begierig sein zu wissen, warum der Vater es getan habe und den Streich sich zur Besserung dienen lassen. Ebenso verfahre man bei den Schlägen, die man von GOtt bekommt. Einige derselben beziehen sich nach dem Wiedervergeltungsrecht auf die vorher begangenen Sünden, so daß man dadurch an das Wort Christi gemahnt wird: „Mit dem Maß, da ihr mit messet, wird euch wieder gemessen werden“. Andere sind wenigstens den sündlichen Neigungen, die man in sich selbst hat, gerade entgegen gesetzt, wie denn der Stolze durch Schmach, der Wollüstige durch Schmerzen, der Gewalttätige durch Unterdrückung seiner, der Geizige durch Verlust in seiner zeitlichen Habe u. s. w. gezüchtigt wird, so daß ein jeder in beiden Fällen seine sündlichen, Neigungen erkennen, wegen derselben sich vor GOtt demütigen, und sowohl die Vergebung der Sünden als auch die Reinigung des Herzens bei GOtt suchen kann.

Wenn dieser Zweck erreicht wird, so sind die Leiden ein wahres Glück, und man wird sowohl in dieser als auch – und zwar meistens – in jener Welt GOtt dafür danken. Wer aber sich durch eitele Bücher, Gesellschaften, Zeitvertreibe und Geschäfte immer zerstreut, an der Aufmerksamkeit auf GOttes Willen selber hindert und den Rührungen des heiligen Geistes einmal über das andere ausweicht, wird dafür in jener Welt Strafen empfangen, und weil er die Gnade verachtet und versäumt hat, den Zorn des großen GOttes fühlen müssen. Wenn sich ein Missetäter täglich berauschte, um durch die vernünftige  Vorstellung der ihm bevorstehenden Todesstrafe nie erschreckt und bekümmert zu werden, so würde er seine Sache dadurch nicht gut machen, und seine Todesangst würde am Tag seiner Hinrichtung nur desto größer sein.

Wenn er aber die ihm bevorstehende Strafe bedächte, und zu einer Zeit, da es noch erlaubt wäre, sich von seinem Landesherrn Gnade erbäte, so könnte er hernach auch in der Einsamkeit und mit einer nüchternen Seele heiter und vergnügt sein. Die Auslegung dieses Gleichnisses ist leichtlich zu erraten: Man denke nur, der Missethäter sei ein jeder Sünder, die Berauschung bedeute die Zerstreuung des Gemüts, die durch eitele Gedanken, Begierden, Worte und Werke geschieht; die Todesstrafe sei die Verdammnis; der Landesherr bedeute den großen GOtt, so wird man erkennen, was damit gesagt sei.

Von dem Nutzen des Kreuzes und von dem rechten Verhalten gegen demselben hat eine italienische Frau aus dem dreizehnten Jahrhundert namens Angele von Foligni in einer ihrer kleinen Schriften, die unter dem Titel „Die Theologie des Kreuzes JEsu Christi“ herausgegeben worden, folgendes Zeugnis abgelegt:

„O welche Arbeit und Mühe nimmt man nicht über sich, wie so viele Kosten macht man nicht, um die Leiden die Trübsale und Widerwärtigkeiten abzuwehren und abzuschütteln, die GOtt uns so gnädiglich überkommen läßt, und die, wo wir selbige mit willigem Herzen auf uns nehmen und trügen, uns ohne Zweifel sehr heilsam und weit nützlicher sein würden als die vielen andern Bußübungen, die wir uns selbst nach eigenem Willen auflegen mochten! Denn der himmlische Arzt weiß es ja unvergleichlich besser als der kranke und unsinnige Mensch, welche Abtötungen und Widerwärtigkeiten am geschicktesten sind, die Seele zu reinigen und zu bessern! Die selbstgesuchten Bußübungen und Verleugnungen sind öfters nur der eiteln Selbstgefälligkeit unterworfen, dahingegen diejenigen, die durch göttliche Schickung über uns kommen, und die man mit wahrer Geduld und völliger Willigkeit als von seiner Hand annimmt, bedeckt sind vor den Augen der Menschen unter dem Deckmantel, daß wir sie aus Not tragen müssen. Deswegen empfehle ich meinen Kindern inständig, daß sie geduldig ertragen sollen die Unordnungen der Jahreszeiten, die Kälte, die Hitze, die kleinen körperlichen Ungemächlichkeiten, welche die Gesundheit eben nicht zerstören, und ich hätte gern, daß wir nicht so emsig wären, nach Aerzten und Arzneien zu laufen, als nur wenn die Not groß ist und die Seele offenbarlich dabei Schaden leidet. Auch rate ich Ihnen, daß wenn sie nach göttlicher Zulassung überfallen werden, mit Armut, mit Verlust der Freunde, mit Unterdrückung, Verfolgung, Schmach, unrechter Behandlung, Raub ihrer Güter und dergleichen, Sie sich nicht darüber betrüben und solche Sachen nicht nur mit Geduld auf sich nehmen, sondern auch mit solcher Herzlichkeit umarmen, als wenn sie dieselben selbst gesucht und mit freiem Willen gewählt hätten, oder besser gesagt, als Gnaden die unser oberster Arzt und Heiland für uns erwählt hat und uns anbietet durch seine reine Liebe zu unserer höchsten Glückseligkeit“.
(S. Auserlesene Lebensbeschreibungen heiliger Seelen, 2. B. 5. St. K. 13. §25).

Auf gleiche Weise haben andere erleuchtete Christen die Leiden, welche GOtt zuschickt, als Hilfsmittel zur Reinigung der Seele, und nicht als eigene Verdienste bei GOtt angesehen, aber auch immer gelehrt, daß die Seele sie williglich aufnehmen, williglich darunter bleiben und ausharren und bei GOtt allein Trost, Erquickung und Hilfe suchen müsse. Auf diesem Wege schafft die zeitliche und leichte Trübsal, wie Paulus sagt, eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit. Das Weitere sagt dieses geringe Büchlein, dessen Gebrauch der HErr an vielen zu seiner Ehre segnen wolle.

Lustnau, den 14. Juli 1779.

M. M.[agnus] F.[riedrich] R.[oos]

Quelle: Roos, M. Magnus Friedrich: Kreuzschule; oder Anweisung zu einem christlichen Verhalten unter dem Leiden. Mit einem Anhang von Gebeten für besondere Fälle.
Fünfte Auflage. Stuttgart, Verlag der Evangelischen Bücherstiftung (Christophsstraße Nr. 6), 1857 (Digitalisat in der Google Buchsuche)

Eingestellt am 2. August 2023