Christian Gottlob Barth (1799-1862, aus Koch: Geschichte des Kirchenlieds)

Barth, Dr. Christian Gottlob, der große Missionsagitator und christliche Kinderfreund, über den Fr. W. Krummacher den Ausspruch getan hat:

„Er hat von seiner einsamen Zelle aus die ganze Welt mit den Armen seiner missionarischen Liebe umspannt, unablässig, wie wohl nie ein Regent, Diplomat oder Ambassadeur mit den Völkern aller Erdteile göttliche Reichsdepeschen gewechselt und unzählige Tractate und liebliche Erbauungsbüchlein wie geistliche Taubenschwärme mit dem Friedensölblatt Jahr aus, Jahr ein in alle Richtungen der Windrose ausgehen lassen“.

Die Wurzeln seines Lebens und Wirkens sind ganz und gar in dem Boden des alten württembergischen Pietismus. Das Haus seines Vaters, des frommen Zimmermalers Christian Friedr. Barth in Stuttgart, dem ihn seine aus der frommen Engelmann’schen Küferfamilie in Kirchheim am Neckar stammende Mutter als Erstlingssohn 31. Juli 1799 geboren hat, war eine rechte Bruderherberge, ein Absteigquartier für Jünger und Jüngerinnen des Herrn von verschiedenen Glaubensrichtungen, wenn sie vom Lande in die Stadt kamen. Sein Privatlehrer neben der Schule war der bekannte gottselige Hausinformator Jeremias Flatt und sein Religionslehrer Chr. A. Dann, damals Helfer an der Hospitalkirche. Im kindlichen Treiben zeigte er bereits, was sein Mannesberuf sein sollte. In seinem Elternhause wurden nämlich, da der Vater die Zither und Harfe und manches andre Instrument zu spielen verstand, und die Mutter eine schöne Singstimme hatte, viele geistliche Lieder gesunge, und wenn die Eltern ausgegangen waren, machte es ihm die größte Freude, mit seinen kleinen Geschwistern bei den Nachbarn umherzugehen und ihnen Lieder vorzusingen. Und dieser sangeslustige Knabe wurde zu einem Sänger, der hernach durch alle Stufen seines Lebens hindurch Unzählige mit seinen schönen Liedern erfreut hat. In seinem 10. Jahre fing er denn bereits auch schon an, eine kleine Sammlung biblischer Geschichten zu schreiben und Bilder dazu zu zeichnen, die er dann in 20 handschriftlichen Sedez=Exemplaren mit dem Titel „Eine Aufmunterung für die Seele. Im Jahre Christi 1809“ und mit dem Motto „Setzer, setz es in Fraktur: Jesus ist mein Alles nur“ meist an seine Mitschüler verschenkte, – ein Vorspiel dessen, was er hernach als Tractatenschreiber und insbesondere als Verfasser der Calwer biblischen Geschichten, von denen nun die 160. Auflage erschienen ist, geleistet hat. Auch zum Dichten regte sich frühe schon der Trieb in ihm, und als Jung-Stilling, dessen unter den Stuttgarter Gemeinschaftsgliedern sehr beliebte Schriften auch in ihm frühe schon das Warten auf den Tag des Herrn anregten, und der ihn bei einem Besuch in Carlsruhe zum Studium der Theologie ermunterte, im April 1817 heimgegangen war, verfaßte er als 17jähriger Obergymnasist ein zum Druck gelangtes größeres Gedicht „Jung-Stillings Siegesfeier. Eine Scene aus dem Geisterreich“. Nicht lange zuvor hatte er auch, als er auf einer zu Fuß unternommenen Vakanzreise nach Nürnberg zu Schöner, Kanne, Kießling und Kerv, dem Verleger der Stilling’schen Schriften 6. Oct. 1816 die Sonne durch finsteres Gewölk sich hatte Bahn brechen sehen, auf altem Gemäuer sitzend ein Gedicht verfaßt, in welchem er aus der Tiefe seines jungen Herzens sang:

Blick auf, mein Geist und schwöre hier, dein Leben
Und deine Kräfte Gott zu weih’n.
Und du, Allvater, der sie mir gegeben,
Erhalte meine Seele rein,
Daß, wenn ich einst aus diesem Tal der Zähren
Zur Ruhe jenes Lebens geh‘,
Der Fruchtstaub vieler guten Aehren
Um meinen Grabeshügel weh!

Und diesem Sinne ist er auch mit seltener Beharrlichkeit treu geblieben bis an sein Ende. Im Herbst 1817 durfte er von dem Stuttgarter Obergymnasium in das theologische Stift zu Tübingen übertreten, wo er mit andern von der Gnade ernstlich ergriffenen Jünglingen, zu denen namentlich die beiden Repetenten Aug. und J. E. Osiander und später auch Ludwig Hofacker gehörten, erbauliche Zusammenkünfte pflegte, fast allein unter seinen Freunden die Brüdergemeinschaft in dem Hause eines Handwerkers besuchte und in der Versammlung redete, mit großem Eifer und unter vielem Zulauf sich in benachbarten Kirchen im Predigen übte, auch den jetzt noch bestehenden Missionsverein gründete, der ihn mit den Missionsfreunden in der Schweiz in bleibende innige Beziehungen brachte. Im J. 1819 wollte er Missionar werden, und nur die Einrede seiner Mutter erhielt ihn dem ordentlichen Predigtamte. In demselben Jahr erschienen auch von ihm in Lotters Psyche mehrere christliche Lieder, die er im Sommer 1818 gedichtet hatte, und eine anonyme Verteidigungsschrift für den über der Gründung der Kornthaler Gemeinde durch viele böse Gerüchte gehenden Pietismus unter dem Titel: Ueber die Pietisten. Mit besonderer Rücksicht auf die württembergischen und ihre neuesten Verhältnisse. Tüb. 1819. Motto: Gal. 5, 23″. Ueber diese seine Studienzeit sagt er selbst mit Dank vor dem Herrn: „Während so Manche an ihrem Glauben Schiffbruch gelitten haben, führte mich der Herr immer tiefer in die Erkenntniß seines Wortes hinein, und ich konnte, obgleich durch manche Zweifel hindurch, die aber nur zum Festermachen dienten, meinen Glauben bewahren, daß die Bibel Gottes Wort sei und Jesus Christus Gottes Sohn“.

Nachdem er im Sept. 1821 seine Studien vollendet und zuvor noch im Juni erstmals einem Basler Missionsfest angewohnt hatte, kam er an Martini als Vikar nach Neckarweihingen, ein Vierteljahr später als Stadtpfarrverweser nach Dornhan und 28. Juni 1822 als Pfarrverweser nach Effringen und Schönbronn am Rande des Schwarzwaldes bei Nagold, wo er durch Konferenzen mit gleichgesinnten Geistlichen und durch weither besuchte Erbauungsstunden seine Wirksamkeit im Schwarzwald begann, die sein ganzes übriges Leben ausfüllte. Nach zweijähriger gesegneter Arbeit daselbst trat er 3. Mai 1824 eine wissenschaftliche Reise durch Norddeutschland an, „um ausgezeichnete Prediger kennen zu lernen und dadurch von der großen Kraft den Menschen ans Herz zu reden, ein Stücklein zu lernen“. Wenige Tage nach der Rückkehr von dieser Reise, die ihm den Reichsblick erweiterte und die Überzeugung verschaffte, wie der Herr sich aufgemacht habe, noch recht Viele für sein Reich zu gewinnen, wurde er 10. Dez. 1824 zum Pfarrer in Möttlingen bei Calw ernannt, wo vor ihm die gesalbten Prediger Machtolf (1763-1799) und Groß, früher Pfarrer zu Efferding bei Linz (1800-1814) im Dienst des Herrn gestanden waren. Am Christfest hielt er seine Antrittspredigt und begrüßte seine Gemeinde mit den Worten „Hier steh ich als ein armer Sünder und kann Euch nichts bringen als den Heiland. Da habt Ihr ihn, nehmet ihn hin Ich suche nicht das Eure sondern Euch! Machet mir mein Amt nicht schwer, helfet mir, betet für mich!“

In den ersten Jahren hatte er eine reichgesegnete Wirksamkeit, Seine anziehenden, bündigen und von vielen Auswärtigen besuchten Predigten voll edler Popularität mit freier und sorgfältiger Benützung des Textes, sein liebevoller und vertraulicher Umgang und seine uneigennützige Haltung gewannen ihm bald die Liebe seiner Pfarrkinder. Er hielt Missions- und Erbauungsstunden, versammelte die konfirmierten Söhne und Töchter zu besonderer Besprechung um sich und stiftete eine christliche Lesegesellschaft. Aber bei all dem wurde es nach einiger Zeit in seiner Gemeinde weniger, besonders in dem Filial Unterhaugstetten, wo sie von den Tanz- und Zechhochzeiten nicht lassen wollten.

Wenn er noch so eifrig predigte, daß oft Alles an ihm lebendig ward und er am ganzen Leib zitterte, so schlief doch die Hälfte seiner Zuhörer fast die ganze Kirche hindurch. Darüber brach er endlich gegen Ende des Jahrs 1835 in schwere Klagen aus und schrieb z.B. 11. Dez. einem seiner vertrautesten Freunde: „Es will mir oft der Mut sinken und der Gedanke aufsteigen, an einem andern Orte könnte ich mehr wirken, und für die zu Tod gepredigten Möttlinger wäre es besser, wenn sie auch einmal eine Zeit lang am geistlichen Hungertuch nagen müßten“.

Unter solchen bittern Erfahrungen in dem engern, durch sein Amt ihm zunächst gesteckten Wirkungskreise fing er denn nun auch mehr und mehr seine Kraft der Reichs=Gottes=Arbeit im Großen und Ganzen zuzuwenden an, denn er hatte das große Bedürfns einer im Argen liegenden Welt klar erkannt und fühlte sich zur Abhilfe mächtig gedrungen durch die Liebe zum Herrn und zu allen durch sein Blut erkauften Seelen. Er bat deshalb um seine Entlassung von seinem Pfarramt und siedelte 13. Jan 1838, in welchem Jahr ihn dann auch die theologische Fakultät zu Greifswalde mit der Doktorwürde beehrte, nach Calw über, um ganz seinem allgemeinen Gottesberuf leben und die schon in Möttlingen begonnenen Arbeiten weiterführen zu können in ausgedehnterem Maßstabe. Hatte er doch schon 1836 gesagt: „An der Emporbringung und Verherrlichung des ewigen Wortes Gottes mitzuarbeiten ist die Aufgabe meines Lebens und Wirkens“.

Vor Allem war es die Sache der Mission unter den Heiden und Juden, der er seine Tätigkeit widmete. Hatte er schon von Möttlingen aus 1825 einen Bezirksmissionsverein in Calw gegründet, der das Vorbild fürs ganze Land wurde und als Missionsredner bei den Jahresfesten der Basler Missionsanstalt regelmäßig sich eingestellt oder doch Festlieder dazu gesendet, hatte er auch schon zu Neujahr 1828 in bahnbrechender Weise das Calwer Missionsblatt zur Weckung des Missionsinteresses unter dem Volke herauszugeben angefangen, so ließ er nun seit 1838 auch Monatsblätter für Missionsstunden erscheinen, um den Geistlichen das Abhalten regelmäßiger Missionsgottesdienste zu erleichtern, und fing Mai 1844 zuerst im Hohenlohischen und dann in Tübingen und Kirchheim u.T. kirchliche Missionsfeste hervorzurufen an, die schnell solche Nacheiferung im Lande fanden, daß er namentlich 1846 und 1847 buchstäblich von einem Feste zum andern eilen mußte, um dabei von der Kanzel zu reden. Dabei gab er durch seine reichen und lebensvollen Mitteilungen aus dem Missionsgebiet und die hinreißende Macht seiner Rede eine solche tiefwirkende Anregung, daß nun fast keine Diözese in Württemberg mehr ist, die nicht alljährlich ihr besonderes Missionsfest feierte. Seine reichen Sammlungen aus der Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt der heidnischen Länder, besonders die vielen Götzenbilder, wozu ihm die Missionare aus allen Erdteilen verhalfen, und die er nun zu Calw in einem eignen großen Saale aufstellen konnte, zogen viele Beschauer herbei und regten auch bei weltlich Gesinnten das Missionsinteresse vielfach an, während er durch großartige Geschenke, die er aus denselben an die Naturalienkabinette der größern Städte machte, um auch die wissenschaftlichen Zwecke der Hohen und Gelehrten zu fördern, der Mission viele Freunde gewann. Neben der äußern Mission war es aber auch die innere Mission, die er immer mehr zu fördern rastlos bemüht war. Schon in Möttlingen hatte er die Rettung armer verwahrloster Kinder durch Gründung einer Anstalt in Stammheim nach dem Beuggener Vorbild in Angriff genommen. Schon von Möttlingen aus hatte er, nachdem er seit Weihnachten 1827 mit seinem armen Heinrich angefangen hatte, Jahr um Jahr als Weihnachtsgabe eine Erzählung für Christenkinder im Druck erscheinen zu lassen und sodann auch kleine englische Kindertraktate übersetzte, die er in 10.000 Exemplaren mit Holzschnitten in Druck gab, 1833 zu Calw in Verbindung mit der englischen Traktatgesellschaft einen Traktatverein und durch denselben dann auch einen Verlagsverein zur Verbreitung guter, in christlichem Tone gehaltener volksmäßiger Schul-, Volks- und Jugendschriften gegründet. Der Ausführung dieser Zwecke konnte er nun in Calw vollends seine ganze Kraft zuwenden und namentlich die von ihm entworfenen Schulbücher zur Ausführung bringen. Nach denselben traten allmählich mehr denn 30 Schulschriften ins Leben, von denen allein bis zum Jahr 1843 nicht weniger als 432.500 Bände, namentlich auch nach Ungarn, wohin er deshalb zu Pfarrer Wimmer besonders gereist war, abgegeben wurden. Die biblischen Geschichten wurden in 24 europäische, 18 asiatische, 7 afrikanische und 3 Südsee-Sprachen übersetzt. Auch die kurz vorher 1836 von ihm begonnenen Jugendblätter für die leselustige Jugend von 12-18 Jahren konnte er nun in Calw erst recht in vielseitiger Weise redigieren, so daß sie ein weit verbreitetes Förderungsmittel wahrer Jugendbildung wurden, indem sie Verstand und Herz gleichmäßig anregten. Zu immer größerer Ausdehnung seiner Wirksamkeit unternahm er seit 1841 mehrfache Reisen nach England zu den großen Londoner Jahresfesten, wo er als Mitglied der aus allen Kirchenparteien zusamengesetzten Londoner Traktatgesellschaft mit Hochkirchlichen, Independenten, Lutheranern, Methodisten, Baptisten, Quäkern u.s.w. in freundschaftlichen Verkehr kam und mehr und mehr den weltbürgerlichen Sinn sich aneignete, in innerer Union mit den Redlichen der verschiedenen evangelischen Bekenntnisse und Glaubensparteien, die von Herzen an den Einen Herrn und Heiland glauben, für das Reich Gottes in der weiten Welt zusamenzuwirken. Deshalb schwärmte er auch, während er noch an den Kirchentagen 1850-1854 als Zeuge aufgetreten war, seit August 1857 für die Allianzsache und ließ davon nicht ab, selbst nachdem sich dieselbe zu Genf in üblem Lichte gezeigt hatte. So ungewöhnlich nun auch das Ansehen war, zu dem er durch sein großartiges Wirken nicht bloß in den christlichen Kreisen des engern Vaterlandes, sondern auch weit über diese hinaus gelangte, und so sehr seine Verdienste von den Monarchen von Württemberg, Preußen, Bayern, Holland, Oesterreich und Rußland durch Ordenserteilungen, wie sie wohl noch kein Theologe erhielt, anerkannt wurden, so blieb er doch dabei vor geistlicher Selbstüberhebung bewahrt, daß er bezeugen konnte: „Die Demütigungen, die mir mein verkehrtes Herz täglich auferlegt, und die schmerzlichen Züchtigungen, die ich von der Hand des Herrn zu erfahren habe. bilden ein hinlängliches Gegengewicht gegen alle Einbildung, zu der ich etwa durch Menschenlob verleitet werden könnte und lassen mich mir selbst täglich mehr als den größten unter den Sündern erscheinen“.

In seinen theologischen Ansichten ließ sich Barth, namentlich hinsichtlich der Versöhnungslehre, der Verwerfung aller Autorität der kirchlichen Lehre und alleinigen Gründung der Erkenntnis der Wahrheit auf die hl. Schrift ähnlich wie Stier durchaus von G. Menken in Bremen (s. u.) bestimmen. „Nur das Wort, aber das ganze Wort“ ,war sein Grundsatz. Dabei ließ er aber gar Manches in sein Schriftsystem mit einfließen, was über die geoffenbarte Wahrheit hinausgeht, besonders in dem Kapitel von den letzten Dingen. Er war ein so entschiedener Chiliast, daß er „die letzte Stunde“ oder das Auftreten des Antichrists und die Zukunft des Herrn als in der allernächsten Zeit bevorstehend aufs Bestimmteste erwartete und fest überzeugt war, sein Freund A. Osiander werde beim Auftreten des Antichrists den Märtyrertod erleiden. Während er aber dabei für den Stand der Dinge in Staat und Kirche ganz ohne alle Hoffnung war, und sich darum gegen alles Mitwirken bei politischen und kirchlichen Versuchen zum Bessermachen durch äußere Institute, ja sogar für völlige Passivität der Christen gegenüber der Welt aussprach, so suchte er doch gerade die Lehre von der Nähe der letzten Zeit bei sich selbst und bei Andern als mächtigen Hebel anzuwenden zum Wirken, so lang es noch Tag ist (Johannes 9, 4), auf daß, weil doch dem Ganzen nicht mehr zu helfen sei, jedes seine eigene Seele und so viele andere Seelen, als möglich ist, noch zu retten suche. Mit dem Eintritt in die sechziger Jahre suchte er sich bei abnehmenden Kräften einen Gehülfen in dem vom Missionsdienst in Ostindien zurückkehrenden Dr. Gundert, der an Georgii 1860 bei ihm eintrat. Da zog er im Juni noch zum letztenmal aufs Fest nach Basel, wohin er seit längerer Zeit jedesmal tausend Taler mitbrachte und schloß daselbst seine Festrede mit den Worten: „Es ist der Mühe wert, was geopfert wird; wir wollen fortfahren, bis wir bei dem großen Missionsfest im Himmel zusammen kommen“. Nachdem er dann im selbigen Sommer noch bei den Festen in Durlach, Stuttgart und Nagold gesprochen, in letzterer Stadt aber mitten im Vortrag von einem heftigen Brustschmerz ergriffen hatte aufhören müssen, zog er nicht mehr aus zu reden und zu zeugen. Eine Zeitlang setzte er noch seine schriftstellerische Tätigkeit fort und schrieb auch noch in Lichtenthal, wohin er sich im September 1862 zur Stärkung seiner immer mehr zunehmenden Schwäche begeben hatte, für das Oktober- und November-Heft seiner Jugendblätter die „Auferstehungsgedanken“ und die „Septemberlichter“. Als er Ende Septembers heimgekehrt war, trat nach vorangegangenen schweren Erstickungsanfällen eine Lähmung an seiner rechten Seite ein, so daß er nun gewöhnlich des Tags vorwärts gebeugt und keuchend im Lehnstuhl saß. Sein einziges Begehren war, daß man ihn in der Stille lasse, auch aus keinem Buche wollte er sich mehr vorlesen lassen. „Das Alte weiß ich schon, Neues will ich nicht mehr hören, Sentimentalitäten kann ich nicht brauchen“, sagte er. Wenn man zu ihm von einem Reich der Herrlichkeit und einer Krone redete, so wies er das trocken ab mit den Worten: „Nichts da, aus Gnaden selig werden ist genug“. Defters sagte er auch:  „Ich gehe ganz arm hinüber, doch langt’s“. Endlich traf ihn ein Schlag, und in den Armen und unter den Gebeten seines Geschäftsführers Weitbrecht – eine Gattin stand nie an seiner Seite, denn er hatte oft gesagt, er habe keine Zeit zum Heiraten – entschlief er ohne allen Kampf 12. Nov. 1862. Am 15. Nov wurde er seinem Wunsche gemäß in das Grab Machtolfs zu Möttlingen, wo auch seine daselbst 1828 verstorbene Mutter ruhte, eingesenkt unter dem Gesang des ihm besonders teuren Lieds Aller Glaubigen Sammelplatz„. Sein Freund Pfarrer Carl Werner von Effringen (s. oben) hielt ihm die Leichenpredigt über Joh. 11, 3-6. Was er als geistlicher Liederdichter geleistet, konzentriert sich vornehmlich in der Missions- und Kinderliederdichtung und findet sich in folgenden Sammlungen niedergelegt:

1. Christliche Gedichte. Stuttg. 1836.

In der Vorrede zu diesen schon im Sommer 1835 zum Druck bereit gelegenen Poesien vom 7. Juli 1835 sagt er: „Nur der Gedanke, daß es vielleicht unrecht wäre, mein Pfund zu vergraben, das doch dem Einen oder Andern in seinem Christenlauf Ermunterung gewähren oder sonst nützlich werden könnte, hat mir Freudigkeit gegeben, mit diesem Büchlein hervorzutreten, obwohl ich mein geistiges Naturell zu gut kenne, als daß ich mich für einen Dichter im vollen Sinne des Wortes halten soll. Meine Poesie ist weder ein Ergebnis meines innern noch meines äußern Berufs, und um ihre Palme ist es mir nicht zu tun, aber wenn in meinem Kohlgarten hie und da eine Resede oder eine Jerusalemsblume wächst, so mag ich sie doch auch nicht verderben lassen, sondern binde sie in einen Strauß und biete ihn den Vorübergehenden an.“

Es sind im Ganzen 109 Nummern in 5 Abteilungen:

1. Missionslieder (44), und zwar 32 Heidenlieder, worunter 10 für die Basler Missionsfeste 1827- 1835 verfaßte, 2 Griechenlieder für die Jahresfeste der Beuggener Griechen=Anstalt 1827 und 1828, 7 Judenlieder für die Basler Jahresfeste der Freunde Israels 1828-1834 und 4 Lieder für die innere Mission bei Festen von Kinderrettungsanstalten.
2. Aus und nach der Schrift (20),
3. Heimwehlieder (10)
4. Vermischte Gedichte (18)
5. Gelegenheitsgedichte (17)

In den Missionsliedern spricht sich in höherem Schwung ein feuriges Gefühl und tiefgehende Begeisterung aus Die den Schönheiten der Natur dem Worte Gottes der Menschenliebe und dem Familienglück geltenden Lieder sind herzlich und sinnig treffen aber doch nur hie und da den angestrebten Volkston. Die verbreitetsten Nummern sind

„Der du in Todesnächten“ – zum Jahresfest der Missionsgesellschaft in Basel 1827. Aus Abth. 1 Gedichtet bereits 1826 und längere Zeit vor der Festfeier an Missionsinspector Blumhardt eingesandt unter dem Anerbieten, es stehen noch weitere zu Dienst, wenn Gebrauch davon gemacht werden wolle, was dann auch Jahr für Jahr geschah. Erstmals gedruckt im Basler Missions Magazin 1827, Heft 3. Von Kocher in der Zionsharfe 1855 mit einer Melodie geschmückt: c e g c e d c.
Im Tecklb., Preuß. ref., Reuß., Amer. allgem. G. u. Hess. G.=Entw.

„Der Pilger aus der Ferne“ – Pilgersehnen. Aus Abth. 3. Ursprünglich in Barths erster Erzählung für Christenkinder: „der arme Heinrich“ vom Jahr 1827, in dessen Jugendgeschichte sich vielfach seine eigene abspiegelt. Im Ruß’schen G., Chr. Dölker/Wilh. Dölker.

„Entflohen aller Not“ – am Grabe seiner Mutter. 1828. Aus Abth. 5

Quelle:

Geschichte des des Kirchenlieds und Kirchengesangs der christlichen, insbesondere der deutschen evangelischen Kirche, ab S. 199. Von Eduard Emil Koch, Dekan, ordentlichem Mitglied der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig. Nach dem Tode des Verfassers herausgegeben von Adolf Wilhelm Koch, Professor am Kantonsgymnasium in Schaffhausen. Erster Haupttheil. Die Dichter und Sänger. Siebenter Band. Dritte umgearbeitete, durchaus vermehrte Auflage. Stuttgart. Druck und Verlag der Chr. Belser’schen Buchhandlung. 1872. [Digitalisat]

Eingestellt am 4. August 2022 – Letzte Überarbeitung am 9. August 2022