Johannes 3, 3

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen.

1) Gottes Reich sehen, sehen, wie Gott in seiner königlichen Gnade an uns handelt, wer kann das? Keiner, der nicht geboren ist, keiner, in dem das Leben nicht den Anfang bekam. Tut dies nicht schon die Natur? Hat nicht sie mir den Anfang des Lebens bereitet? Natur und Gottes Reich hat Jesus unterschieden wie Fleisch und Geist, wie die vergängliche und die ewige Welt. In sein Volk war Nikodemus durch das hineingeboren, was sein Vater und seine Mutter taten. Damit ist er aber noch nicht in diejenige Gemeinde hineinversetzt, die aus den ewig Lebenden besteht. Das ist das neue Werk Gottes, ein neuer Anfang eines anderen Lebens, das uns die Natur noch nicht verschafft. Zwischen den natürlichen Anfang des Lebens und seine Vollendung zum Anteil an Gottes Reich setzte Nikodemus seine fromme Anstrengung, seine gottesdienstliche Arbeit. Das alles löst uns aber noch nicht vom Boden der Natur. Das ewige Leben ist eine neue Gabe Gottes und wird, wie alles, was er gibt, aus seiner freigebigen Hand empfangen. So gut ist Gott und so groß seine Gnade. Er gibt die erste Geburt und damit den Beginn des natürlichen Lebens. Auf dieses erste erfolgt noch ein anderes, höheres, neues Leben und darum auch eine neue Geburt, der Anfang einer neuen Lebendigkeit. Nikodemus erschrak.

Soll auch ich mich vor diesem Wort Jesu fürchten? Warum erschrickt Nikodemus? Er kommt von dem nicht los, was er selber macht, und bindet sein ewiges Schicksal an sein eigenes Vermögen. Dann ist es freilich ein schreckliches Wort, daß wir etwas ganz anderes bedürfen, als was wir sind und können. Jesus spricht aber nicht von dem, was der Mensch leisten soll, als sollte er sich selbst irgendwie neu gebären, sondern er spricht von dem, was Gott schafft und an mir tut. Wird mir Gottes Gabe gezeigt, soll ich mich vor ihr fürchten? Jesus zeigt mir die Größe der göttlichen Gnade dazu, damit ich glaube.

Ich prüfe mich vor Deinem Angesicht. Finde ich in mir jenes Leben, das du, Vater, Deinen Kindern bist? Du wirkst es durch Deinen Geist. Wie Dein Geist das Herz erfaßt und seine Gabe in mich legt, das bleibt vom Geheimnis bedeckt, das Dein Schaffen für uns unsichtbar macht. Wenn ich aber auch nicht weiß, wie der Geist in mir wirkt, so höre ich doch seine Stimme, die wohl erkennbare, die mit keinem anderen Klang verwechselt werden kann. Dein Geist ruft zu Deinem Sohn und gibt den Glauben, der ihn erfaßt. Das ist Leben, neues, ewiges Leben, Leben der Wiedergeburt. Amen.

(Adolf Schlatter)

Eingestellt am 15. Dezember 2021 – Letzte Überarbeitung am 31. August 2022