Pastor Friedrich Albert Gruehn (1859-1906)

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Gruehns Mutter stand unter dem Eindruck der Erweckungsbewegung zu Anfang  des vorigen Jahrhunderts. Der Mutter Einfluß ist es wohl zuzuschreiben, daß Gruehn Theologe wurde. Nach Beendigung des Studiums hat er seit 1884 in der idyllischen „Hungerpfarre“ Ballgaln sechs Jahre ein Leben reich an stiller Arbeit führen dürfen.

Er übernahm darauf die große Gemeinde Erwählen mit den Filialkirchen im Städtchen Saßmacken und der Strandgemeinde Rohjen. Es war ein ungeheures Arbeitsfeld, das ein Pastor allein kaum bestellen konnte, 10000 Gemeindegliedern, auf vielen Quadratmeilen zerstreut lebend, mußte nachgegangen werden. Auf rastlosen Fahrten durch das Land bis tief hinein in die Urwälder Dondangens suchte er vor allem das Familienleben seiner Gemeindeglieder zu vertiefen und das Schulwesen zu heben. Bei letzterem Werk halfen ihm viele der deutschen Eingepfarrten, aber auch die gebildeten, wohlhabenden lettischen Bauern.

Auf einer Fahrt fand er mitten im Walde ein verfallenes Wirtshaus (Krug genannt); hier in einer dunklen Ecke desselben lag auf  faulendem Stroh ein Haufen kranker Menschen, es waren Aussätzige, — niemand sorgte für sie. Es gab auch keine Sanitätsordnung, um die Umwelt vor der furchtbaren Krankheit zu schützen. Die vom Aussatz zerfressenen Gesichter, die faulenden Gliedmaßen konnte Gruehn nicht vergessen. Er ruhte nicht, bis seine Gemeinde sich dieser Menschen annahm. Es gelang ihm, durch eine großherzige Stiftung eines kurländischen Adeligen und tatkräftige Hilfe eines lettischen Arztes in wenigen Jahren ein modern eingerichtetes Leprosorium in Saßmacken zu schaffen.

Erwählen lag fernab vom Zentrum Kurlands, doch auch hierher kamen die Propheten des lettisch-nationalistischen Sozialismus. Die Revolution 1905 mit all ihren Schrecken und Grausen hauste auch in den Wäldern Erwählens. Das Revolutionskomitee sandte Gruehn einen Brief, in welchem es ihm die Wahl stellte „entweder zu weichen oder sein Bleiben mit dem sichern Tode zu bezahlen“. Gruehn zeigte diesen Brief keinem, legte ihn in ein Geheimfach seines Schreibtisches, wo man ihn erst nach seinem Tode gefunden, und — blieb.

Als das Konsistorium seinen Pastoren freistellte, ihr Amt zeitweilig aufzugeben, äußerte Gruehn: „Er werde das Amt, wohin ihn Gott gestellt, nicht verlassen, — seine Gemeinde sei ihm treu ergeben…  er brauche sich nicht zu fürchten; sollte es im Rate Gottes anders beschlossen sein, so könne er sich keinen schöneren Tod wünschen, als in der Ausübung seiner Amtspflichten!“

Kosaken, die abgesandt wurden, die Gottesdienste vor Störungen zu schützen, wies er ab; aber treue Gemeindeglieder scharten sich um seine Kanzel, um ihn vor brutalen Vergewaltigungen zu bewahren. Am 11. Mai 1906 mußte Gruehn die weite Fahrt zur Filialkirche nach Rohjen unternehmen. Es war Himmelfahrtstag, in Rohjen wollte er seine Konfirmanden einsegnen. Sechs Kilometer vom Pastorat, im dichten Walde, lauerte ihm eine Streifbande des revolutionären Komitees im Bestände von 15 Mann auf, — da krachten Schüsse — die Fahrpferde stürzten — Gruehn, der des kalten Morgens wegen sich in einen Pelz gehüllt hatte, konnte nicht fliehen, er rief seinem Kutscher zu: „Lauf du, du bist jung und kannst dich retten.“ Das waren seine letzten Worte, bald danach brach er, von sechs Schüssen durchbohrt, zusammen.

Als man seine Leiche von der Erwählenschen Kirche aus beerdigte, kniete ein altes lettisches Mütterchen an seinem Sarge nieder und sprach laut: „Du, lieber Pastor, bitte Gott, Er möge gnädig die große Sünde verzeihen, die die lettischen Leute an dir verübt, sie haben uns Arme vaterlos gemacht!“

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 59-61 [Digitalisat, pdf]

Bildnachweis:  Public domain, via Wikimedia Commons

Weblinks und Verweise

  • Wikipedia (DE): Seite Albert Grühn (Pastor)
  • Estnisches Historisches Archiv, Fond 402: Acta des Conseils der Kaiserlichen Universität zu Dorpat, betreffend Friedrich Wilhelm Albert Grühn, angefangen den 11. Februar 1880.
  • Staatliches Archiv der Russischen Föderation, 102/7e/8725, 1906: Polizeibericht vom 15. Mai 1906 über die Ermordung Grühns (in russischer Sprache).
  • Düna-Zeitung vom 20. Mai 1906.
  • Bautz, Friedrich Wilhelm: Gruehn, Friedrich Albert. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 365 [Archivfassung des Eintrags vom 16.09.2001 im Web Archive]
  • Bitter, Stephan: Grühn (Gruehn), Friedrich Albert. In: „Ihr Ende schaut an…“ Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Hrsg. H. Schultze et al., S. 499–500. Leipzig 2006.
  • Kallmeyer, Theodor: Die evangelischen Kirchen und Prediger Kurlands, 2. Aufl., S. 382. Riga 1910.
  • The Christian Conservator, December 11, 1929, p. 5: Friedrich Albert Gruehn.
Eingestellt am 16. Februar 2022