Adolf Schlatter (1852-1932)

Adolf Schlatter (* 16. August 1852 in St. Gallen; † 19. Mai 1938 in Tübingen) war ein weltweit führender Schweizer evangelischer Theologe und Professor für Neues Testament und Systematik in Bern, Greifswald, Berlin und Tübingen. Er hat während seiner akademischen Laufbahn mehr als 400 wissenschaftliche und populäre Arbeiten veröffentlicht.

Seine Forschungsschwerpunkte lagen in der Entwicklung einer „empirischen Theologie“ sowie in der beobachtenden Auslegung des Neuen Testaments für Fachleute und Laien. Er gilt in Fachkreisen als theologisches Original abseits der Hauptströmungen seiner Zeit [1]. Obwohl er keine Schulrichtung hervorbrachte, werden etliche seiner Werke in Theologie und Kirche bis heute rezipiert [2].

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es in der englischsprachigen Welt eine Schlatter-Renaissance gegeben, wobei Gelehrte wie Andreas Köstenberger und Robert Yarbrough die Führung übernommen haben. Yarbrough entdeckte Schlatter, der eine der führenden evangelischen Stimmen in Deutschland war, zu einer Zeit wieder, als der klassische Liberalismus große Teile der lutherischen theologischen Fakultäten in Deutschland erfaßte.

Leben

Kindheit und Jugend

Schlatter war Sohn des Kaufmannsehepaars Hektor Stephan und Wilhelmine Schlatter sowie Enkel der gesellschaftlich bedeutenden Pietistin und Ökumenikerin Anna Schlatter [3]. Er wuchs mit sieben Geschwistern, darunter die spätere Schriftstellerin Dora Schlatter, in einem Elternhaus auf, das tief im christlichen Glauben verwurzelt war. Sein Vater hatte sich nach seiner Heirat von der reformierten Landeskirche losgesagt, die ihm theologisch als zu liberal galt, und mit anderen Gläubigen eine evangelische Freikirche gegründet. Seine Mutter war ihrer Kirche treu geblieben. Die damit gegebene Konfessionsverschiedenheit seiner Eltern war für Schlatter und seine Geschwister prägend: Am Gang zur Kirche trennten sich die Wege. Dennoch hielten seine Eltern auch in Glaubensdingen stets fest zusammen und vermittelten ihren Kindern, daß nicht die Kirchenzugehörigkeit und die Theologie, sondern die Person Jesu und der Glaube an ihn das Fundament des Christentums sei. Diese Unterscheidung galt seinen Eltern, aber mehr noch seiner Großmutter, ausdrücklich auch für das Verhältnis zu katholischen Mitchristen. Dem jungen Schlatter war damit neben einer biblischen Frömmigkeit die Erfahrung einer für damalige Verhältnisse unüblichen konfessionellen Weite zuteil geworden [4]. Die Eltern führten ihre Kinder auf zahlreichen Wanderungen durch den Alpenraum an die Schönheit der Natur heran. Die hohe Wertschätzung der Schöpfung, die Schlatter als Theologe unermüdlich betonte, nahm hier ihren Anfang [5].

In seiner Schulzeit (1858–1869) erwies sich der junge Schlatter als äußerst sprachbegabt und erhielt daher zum Teil privaten Unterricht, unter anderem in Griechisch, Latein und Hebräisch. Sein Lehrer Franz Misteli leitete ihn dabei zu derjenigen akribischen philologischen Beobachtung an, die später zur methodischen Grundlage seiner Theologie wurde. Hinzu kamen erste Berührungen mit der Philosophie Kants und Hegels sowie ein starkes Engagement in einem kirchlichen Vorläufer des Christlichen Vereins Junger Menschen [6].

Entgegen der Hoffnung seiner Eltern lehnte er das Theologiestudium zunächst aus der Angst heraus, daß dieses seinen Glauben zerstören könne, ab. Als seine älteste Schwester Lydia diese Entscheidung in Frage stellte, wurde ihm schlagartig klar, „daß ich mir dann, wenn ich mich feig dem Studium entziehe, den Glauben nicht rette, sondern ihn eben damit preisgegeben habe“. Daraufhin wagte er das Studium als Glaubensschritt: „Denen, die mich nach dem Tag meiner Bekehrung fragen, bin ich geneigt, zu antworten, daß mein Entschluß, Theologie zu studieren, meine Bekehrung war“ [7].

Studium, Pfarramt, Familie

Adolf Schlatter studierte ab 1871 zunächst in Basel Evangelische Theologie [8]. Hier durchlebte er eine vor allem durch die Beschäftigung mit Spinoza ausgelöste krisenhafte Zeit des Suchens, aber auch wesentliche Erkenntnisse durch die Vorlesungen im Fach Philosophie durch Karl Steffensen (1816–1888), der ihn darauf stieß, daß alle Gedanken (auch die „reine Vernunft“) Produkte ihrer Geschichte seien [9].

Seine Tübinger Semester (1873–1874) standen unter dem Eindruck von Johann Tobias Beck (1804-1878), dessen Verbindung von persönlich-existentiellem Glauben und wissenschaftlicher Forschung bei Schlatter einen so tiefen Eindruck hinterließ, daß er sich später als „Nachfolger Becks“ beschreiben konnte.[10]

Sein Examen legte er 1875 in Basel mit der Bestnote ab.

Einem kurzen Pfarrvikariat in Kilchberg (1875) folgte ein Diakonat in Neumünster/Zürichsee (1875–1876), dessen prägendstes Ereignis die intensive Beschäftigung mit dem katholischen Systematiker und Philosophen Franz von Baader war.

Zu der Zeit, in der er in Kesswil ein Pfarramt innehielt (1877–1880), heiratete er Susanna Schoop. Seine Ehe war ausgesprochen glücklich [11]. Das Ehepaar bekam fünf Kinder.

Die Publikation eines Aufsatzes über die „Christologie der Bergpredigt“ (1879) machte die Evangelische Gesellschaft Bern auf den Kesswiler Pfarrer aufmerksam. Sie suchte gerade einen „positiv“ (also nicht theologisch liberal) gesinnten Kandidaten für eine Lehrtätigkeit an der Berner theologischen Fakultät. Aufgrund ihrer Anfrage habilitierte sich Schlatter an der Universität Bern in nur vier Wochen mit einem 200 Druckseiten starken Werk über Johannes den Täufer [12].

Privatdozent in Bern

Im Jahr 1880 wurde Adolf Schlatter Privatdozent an der Universität Bern [13]; zur gleichen Zeit war er Religionslehrer an der Lerberschule [14]. Er war zu Beginn der Lehrtätigkeit nahezu auf sich allein gestellt, da das Kollegium (mit Ausnahme des ihm gleichgesinnten Samuel Oettli) ihm, der auf Betreiben des zur Fakultät in Opposition stehenden „Kirchlichen Vereins“ angestellt worden war, das Gespräch verweigerte. So suchte er einen möglichst breit angelegten Zugang zur akademischen Theologie. Seine frühen Vorlesungen [15] umfassen sowohl alt- als auch neutestamentliche Themen [16], Kirchen- und Dogmengeschichte [17], Systematische Theologie [18] sowie Philosophie [19].

Im Zuge seiner Forschung grenzte er sich sowohl gegenüber der „liberalen Theologie“ als auch gegen den naiven Biblizismus ab, der sich mit einem rein wörtlichen, ungeschichtlichen Verständnis biblischer Texte begnügt. Diese Lehrjahre bildeten die kreativste Phase in Schlatters Leben, in der er den Grundstein sowohl für die später oft bewunderte Breite als auch für die Eigentümlichkeiten seines theologischen Schaffens legte. Anläßlich eines Preisausschreibens legte er 1885 ein ca. 600 Seiten starkes Werk mit dem Titel „Der Glaube im Neuen Testament“ vor, das bis in unsere Gegenwart in der theologischen Fachwelt hohes Ansehen genießt [20]. Mit dieser Studie gelang ihm der wissenschaftliche Durchbruch, der 1888 zu seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor durch die Universität Bern führte – die mit diesem Schachzug die Abwanderung ihres Kollegen aber nicht mehr verhindern konnte.

Werke in Auswahl

  • Atheistische Methoden in der Theologie. In: Beiträge zur Förderung christlicher Theologie 9, 1905, H. 5. Neu abgedruckt in: Adolf Schlatter: Zur Theologie des Neuen Testaments und zur Dogmatik. Kleine Schriften. Mit einer Einführung herausgegeben von Ulrich Luck, München 1969, S. 134–150.
  • Am Leiden teilnehmen. Berlin 1934.
  • Das christliche Dogma. Calw/Stuttgart 1911.
  • Das Evangelium nach Lukas. Aus seinen Quellen erklärt. Stuttgart 1931.
  • Der Brief des Jakobus. Calwer Vereinsbuchhandlung 1932.
  • Der Dienst der Christen in der älteren Dogmatik. 1897 (Der Dienst des Christen, Neuauflage 1999).
  • Der Evangelist Johannes. Wie er spricht, denkt und glaubt. Ein Kommentar zum 4. Evangelium. Stuttgart 1930.
  • Der Evangelist Matthäus. Seine Sprache, sein Ziel, seine Selbständigkeit. Ein Kommentar zum ersten Evangelium. Stuttgart 1929.
  • Der Glaube im Neuen Testament.Eine Untersuchung zur neutestamentlichen Theologie. Leiden, E.J. Brill, 1885 [Digitalisat]; 4. Auflage, Stuttgart 1927 (und Nachdrucke) [107]
  • Die Briefe an die Galater, Epheser, Kolosser und Philemon, ausgelegt für Bibelleser. EzNT 7, Stuttgart 1962.
  • Die Briefe des Petrus, Judas, Jakobus, der Brief an die Hebräer. EzNT 9, Stuttgart 1965.
  • Die Apostelgeschichte. Stuttgart 1961.
  • Die christliche Ethik. Stuttgart 1914.
  • Die Geschichte des Christus. Stuttgart 1921.
  • Die Gründe der christlichen Gewißheit. Calw 1917.
  • Die philosophische Arbeit seit Cartesius. Ihr religiöser und ethischer Ertrag. 4. Auflage. Stuttgart 1959.
  • Die Theologie des Neuen Testaments (zwei Bände). Calw/Stuttgart 1909 bzw. 1910.
  • Einleitung in die Bibel. Calw/Stuttgart 1889. [online lesen]
  • Erläuterungen zum Neuen Testament (EzNT) [Kommentarreihe zu sämtlichen neutestamentlichen Schriften, neu durchgesehen von Theodor Schlatter], Stuttgart 1961–1965.
  • Evangelium und Dienst am Volk. Gotha 1932.
  • Gottes Gerechtigkeit. Ein Kommentar zum Römerbrief. Stuttgart 1935.
  • Haering, Theodor von, (Verlag J. F. Steinkopf), Stuttgart 1918.
  • Hülfe in Bibelnot. Gesammelte Arbeiten zur Schriftfrage. Velbert 1926.
  • Kennen wir Jesus? Ein Gang durch ein Jahr im Gespräch mit ihm. Stuttgart 1937.
  • Markus. Der Evangelist für die Griechen. Stuttgart 1935 [Inhaltsverzeichnis]
  • Metaphysik. Eine Skizze. Hrsg. u. transkr. v. Werner Neuer, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche, Beiheft 7, Tübingen 1987.
  • Paulus, der Bote Jesu. Eine Deutung seiner Briefe an die Korinther. Stuttgart 1934.
  • Rückblick auf meine Lebensarbeit. Gütersloh 1952.
  • Vom Dienst an Theologie und Kirche. (Furche-Verlag) Berlin.
  • Wird der Jude über uns siegen? Ein Wort für die Weihnachtszeit. Freizeit-Blätter Nr. 8 (25 Seiten), Freizeiten-Verlag Velbert, Essen 1935.
  • Opfer – ein Verzicht? MBK-Verlag, Bad Salzuflen 1935.
  • Das Unser Vater – Eine Auslegung des Herrengebetes. Furche-Verlag, Berlin 1938.

Eine nahezu vollständige Bibliographie seiner über 400 Titel liegt vor in der als Manuskript gedruckten Zusammenstellung:

Adolf-Schlatter-Stiftung (Hrsg.): Das Schrifttum Adolf Schlatters, Neustetten o. J. (1980).

Quelle: Seite Adolf Schlatter (auszugsweise). In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. (Abgerufen: 13. September 2021, 12:35 UTC)

Texte von Adolf Schlatter in der „Glaubensstimme“:

Andachten

Der Brief des Jakobus – ausgelegt für Bibelleser

Einleitung in die Bibel

Hülfe in Bibelnot

„Die Decke von den Herzen wegzunehmen, ist nicht unserem menschlichen Dienst zugeteilt. Diese Decke zieht nur jene Hand weg, die uns von innen her erfassen und bewegen kann. Dagegen gehört es zum Dienst, den wir einander zu leisten haben, daß wir die Decke von der Schrift wegnehmen und einander zeigen, was sie ist.“

(Adolf Schlatter: Hülfe in Bibelnot)

Betrachtungen nach Bibelstellen:

Das Buch Esther

Psalm 8, 4.5

Psalm 22, 2

Psalm 33, 6+9

Psalm 51, 6

Psalm 131, 2

Jesaja 9, 6

Matthäus 13, 16

Matthäus 17, 20

Matthäus 21, 28-30

Matthäus 25, 15

Matthäus 25, 25

Lukas 10, 20

Lukas 16, 23

Lukas 17, 10

Johannes 1, 12

Johannes 3, 3

Johannes 3, 18

Johannes 12, 31

Johannes 16, 12.13

Johannes 16, 33

Apostelgeschichte 15, 8+9

Römer 1, 18

Römer 2, 21-23

Römer 6, 2

Römer 8, 1

2. Timotheus 4, 7

1. Johannes 3, 14


Eingestellt am 13. September 2021 – Letzte Überarbeitung am 10. Dezember 2023