Johannes 6, 44: Der Zug des Vaters zum Sohne

Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.
(Johannes 6, 44)

Wenn wir erleuchtete Augen haben, so schreiben wir alles, was wir sind und haben, der Gnade Gottes zu. Hast du eine Mutter, die für dich gebetet hat, ehe du geboren warst, wem schreibst du es zu? Der Gnade Gottes! Wem verdankst du es, wenn deine Eltern dich mit Gebet in der heiligen Taufe deinem Gott übergeben haben? Der Gnade Gottes! Wenn du bekennen mußt, daß das Dichten und Trachten deines Herzens böse war von Jugend auf, du aber doch nicht zu Grunde gingest, sondern heute ein Eigentum deines Heilandes bist; wem verdankst du es? Der Gnade Gottes, dem Ziehen des Vaters zum Sohne. O, dieses Ziehen des Vaters zum Sohne! Wenn wir es bei verschiedenen Menschen betrachten, so stimmt es uns zu gleicher Zeit zur Anbetung und zu tiefer Trauer. Traurig sind wir, wenn wir sehen, wie bei so vielen Menschen die Gnadenzüge Gottes fruchtlos sind. Er kommt auf verschiedene Weise an sie: durch Freuden und besondere Segnungen, aber sie sehen seine Hand nicht; durch Krankheit und andere Heimsuchung, aber sie wollen ihn nicht verstehen. Welch‘ ein Jammer, daß so viele Menschen lieber dem Ziehen der Welt und des Teufels folgen als dem Ziehen Gottes. Zur Anbetung muß uns das Ziehen des Vaters zum Sohne stimmen, wenn wir es in unserem eigenen Leben verstehen gelernt haben, und es dann auch im Leben anderer verstehen. Wie tritt uns nicht in demselben die Weisheit, Liebe, Geduld und Treue Gottes entgegen! Sehen wir unser Leben nach unserem Verhalten an, so müssen wir die Augen verhüllen; sehen wir dagegen auf Gottes Wege mit uns, so sind sie ein Meisterstück seiner ewigen Liebe, mit der er uns zum Sohne gezogen hat.

Ja, Vater! ich will Dich in Ewigkeit preisen für alles, was Du an mir getan hast von Kindesbeinen an; allermeist dafür, daß Du mich zu meinem Heiland gezogen hast. Amen.

(Elias Schrenk)

„Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.“

Willst du wissen, was dieser geheimnisvolle Zug des Vaters ist? Dann sieh dir den Kämmerer aus dem Mohrenland an! Was trieb ihn, eine solch beschwerliche, weite und kostspielige Reise bis hin nach Jerusalem zu unternehmen? Vielleicht haben ihm die nächsten Angehörigen abgeredet. Vielleicht haben sich auch sonst noch manche Hindernisse aufgetürmt. Aber er muß hin. Woher dieser unabweisbare Zug? Er war von oben ihn ins Herz gegeben. Zuerst erkannte er das selbst nicht. Aber es fehlte ihm immer noch etwas in allem äußeren Glück und bei seiner einflußreichen Stellung. Er hatte von Jehova, dem wahren Gott, gehört. Da wurde es ihm immer klarer: Das ist’s, was ich brauche! Die Sehnsucht nach ihm wurde immer größer. So machte er sich auf den Weg. Er fand nicht gleich, was er suchte. Aber er ergriff alles, was sich ihm darbot, und kaufte sich heilige Schriften und fing auch gleich an, sie nachdenkend zu lesen. Und so kam er zu Philippus und durch Philippus zu Jesus und durch ihn in die Gemeinschaft des wahren Gottes. Und „er zog seine Straße fröhlich“ (Apostelgesch. 8, 39)

Auch am Hauptmann Kornelius von Cäsarea nehmen wir diesen Zug wahr. Auch er gehörte nicht zum Volke Gottes. Er war ein Heide. Aber durch Verkehr mit Israeliten erwachte in seiner Seele ein immer stärkeres Verlangen anch Frieden, und so kam er zu Jesus.

Es möchte jemand denken: Was kann ich dafür, wenn in meiner Seele der Zug nicht spürbar wird? Mich zieht eben Gott nicht, und so kann es mir niemand verdenken, wenn ich dem Heiland fern bleibe! – Aber ist es denn wirklich wahr, daß Gott noch nie an deiner Seele einen Zug getan hat? Hast du noch nie in dir, vielleicht ganz leise, eine Stimme gehört, die dir sagte: Du solltest doch anders sein? Dir fehlt noch das Richtige! – Siehe, das war ein Ziehen des Vaters zum Sohne. Oder hast du nicht auch schon dazwischen ein Gefühl innerer Leere und Öde gehabt und etwas empfunden von dem Urteil des Predigers Salomo: Es ist alles eitel, ganz eitel? 

Ein junger Mann, der zum Glauben kam, sagte mir, daß er es oft mitten im Strudel der weltlichen Vergnügungen wie einen Stich in der Seele spürte. Aber er wies es zunächst immer wieder ab. Ist nicht beim Anhören des Wortes Gottes schon manchmal ein Stachel in dein Inneres eingedrungen? Hieß es nicht: Das geht ja alles auf dich! Jener Landpfleger Felix, vor dem Paulus einst Gottes Wort redete, erschrak, als dieser Gottesknecht von der Keuschheit, Gerechtigkeit und dem zukünftigen Gericht redete. Es war ein Zug des Vaters zum Sohn. Aber er brach ab und schlug sich die ernsten Gedanken aus dem Sinn.

Neben dem Zuge des Vaters zum Sohne ist in uns ein anderer Zug, der zur Welt und zu den altgewohnten Sündenneigungen lockt. Der bessere Zug wird erstickt, sobald wir diesem schlimmen Gegenzuge folgen. Darum, wenn dich Gottes Gnade zieht, ringe recht! Falle auf die Knie und bete ernstlich zu Gott, so wird der Zug stärker und stärker. Cornelius hielt mit Beten und Flehen vier Tage lang an. Und kommen dir etwa verzagte Gedanken, ob dich wohl auch der Heiland annehmen wird, ob du es nicht zu arg getrieben hast, ob es nicht zu spät ist, ob du die Bekehrung wohl auch wirst durchführen können, dann denke an des Herrn Jesus köstliches Wort: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“ (Joh. 6, 37). Du kannst nicht verloren gehen, wenn du dich an den Heiland hältst! Keine Macht der Welt und der Sünde kann dir den Weg zu ihm verlegen. Gott selbst ist es ja, der dich zum Heiland hinzieht, solange du noch ein Verlangen und Sehnen nach ihm im Herzen hast.

(Dr. Carl Eichhorn: Das Werk Gottes an der Seele)


Ringe recht, wenn Gottes Gnade
dich nun ziehet und bekehrt,
daß dein Geist sich recht entlade
von der Last, die ihn beschwert.

Ringe, denn die Pfort ist enge,
und der Lebensweg ist schmal;
hier bleibet Alles im Gedränge,
was nicht zielt zum Himmelssaal.

Kämpfe bis aufs Blut und Leben,
dring hinein in Gottes Reich:
Will der Satan widerstreben,
werde weder matt noch weich!

Ringe, daß dein Eifer glühe,
und die erste Liebe dich
von der ganzen Welt abziehe;
halbe Liebe hält nicht Stich.

Ringe mit Gebet und Schreien,
halte damit feurig an:
Laß dich keine Zeit gereuen,
wär’s auch Tag und Nacht getan.

Hast du denn die Perl‘ errungen,
denke ja nicht, daß du nun
alles Böse hast bezwungen,
das uns Schaden pflegt zu tun.

Nimm mit Furcht ja deiner Seele,
deines Heils mit Zittern wahr:
Hier in dieser Leibeshöhle
schwebst du täglich in Gefahr.

Halt ja deine Krone feste;
halte männlich, was du hast.
Recht beharren ist das Beste;
Rückfall ist ein böser Gast.

Laß dem Fleische nicht den Willen,
gib der Lust den Zügel nicht:
Willst du die Begierden stillen;
so verlischt das Gnadenlicht.

Liegt nicht alle Welt im Bösen?
Steht nicht Sodom in der Glut?
Seele, wer soll dich erlösen?
Eilen, eilen ist hier gut!

Lauf der Welt doch aus den Händen;
dring‘ ins stille Zoar ein,
Eile, daß du mögst vollenden:
Mache dich von allem rein.

Eile, lauf ihm doch entgegen,
sprich: Mein Licht, ich bin bereit,
nun mein Hüttlein abzulegen;
Mich dürst’t nach der Ewigkeit!

Liedtext: Johann Joseph Winckler (1670-1722)


Eingestellt am 12. Dezember 2020 – Letzte Überarbeitung am 27. Oktober 2023