Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat; und ich werde ihn auferwecken am Jüngsten Tage.
Wenn wir erleuchtete Augen haben, so schreiben wir alles, was wir sind und haben, der Gnade Gottes zu. Hast du eine Mutter, die für dich gebetet hat, ehe du geboren warst, wem schreibst du es zu? Der Gnade Gottes! Wem verdankst du es, wenn deine Eltern dich mit Gebet in der heiligen Taufe deinem Gott übergeben haben? Der Gnade Gottes! Wenn du bekennen mußt, daß das Dichten und Trachten deines Herzens böse war von Jugend auf, du aber doch nicht zu Grunde gingest, sondern heute ein Eigentum deines Heilandes bist; wem verdankst du es? Der Gnade Gottes, dem Ziehen des Vaters zum Sohne. O, dieses Ziehen des Vaters zum Sohne! Wenn wir es bei verschiedenen Menschen betrachten, so stimmt es uns zu gleicher Zeit zur Anbetung und zu tiefer Trauer. Traurig sind wir, wenn wir sehen, wie bei so vielen Menschen die Gnadenzüge Gottes fruchtlos sind. Er kommt auf verschiedene Weise an sie: durch Freuden und besondere Segnungen, aber sie sehen seine Hand nicht; durch Krankheit und andere Heimsuchung, aber sie wollen ihn nicht verstehen. Welch‘ ein Jammer, daß so viele Menschen lieber dem Ziehen der Welt und des Teufels folgen als dem Ziehen Gottes. Zur Anbetung muß uns das Ziehen des Vaters zum Sohne stimmen, wenn wir es in unserem eigenen Leben verstehen gelernt haben, und es dann auch im Leben anderer verstehen. Wie tritt uns nicht in demselben die Weisheit, Liebe, Geduld und Treue Gottes entgegen! Sehen wir unser Leben nach unserem Verhalten an, so müssen wir die Augen verhüllen; sehen wir dagegen auf Gottes Wege mit uns, so sind sie ein Meisterstück seiner ewigen Liebe, mit der er uns zum Sohne gezogen hat.
Ja, Vater! ich will Dich in Ewigkeit preisen für alles, was Du an mir getan hast von Kindesbeinen an; allermeist dafür, daß Du mich zu meinem Heiland gezogen hast. Amen.
„Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat.“
Willst du wissen, was dieser geheimnisvolle Zug des Vaters ist? Dann sieh dir den Kämmerer aus dem Mohrenland an! Was trieb ihn, eine solch beschwerliche, weite und kostspielige Reise zu unternehmen bis hin nach Jerusalem? Vielleicht haben ihm die nächsten Angehörigen abgeredet. Vielleicht haben sich auch sonst noch manche Hindernisse aufgetürmt. Aber er muß hin. Woher dieser unabweisbare Zug? Er war von oben ihn ins Herz gegeben. Zuerst erkannte er das selbst nicht. Aber es fehlte ihm immer noch etwas in allem äußeren Glück und bei seiner einflußreichen Stellung. Er hatte von Jehova, dem wahren Gott, gehört. Da wurde es ihm immer klarer: Das ist’s, was ich brauche! Mir fehlt noch das allein wahre und höchste Gut. So machte er sich auf den Weg. Er fand nicht gleich, was er suchte. Aber er ergriff alles, was sich ihm darbot, und kaufte sich heilige Schriften und fing auch gleich an, sie nachdenkend zu lesen. Und so kam er zu Philippus und durch Philippus zu Jesus und durch ihn in die Gemeinschaft des wahren Gottes.
Und „er zog aber seine Straße fröhlich“ (Apg. 8, 39)
Es möchte jemand denken: Was kann ich dafür, wenn in meiner Seele der Zug nicht spürbar wird? Mich zieht eben Gott nicht, und so kann es mir niemand verdenken, wenn ich dem Heiland fernbleibe! Aber ist es denn wirklich wahr, da Gott noch nie an deiner Seele gezogen hat? Hast du noch nie in dir, vielleicht ganz leise, eine Stimme gehört, die dir sagte: Du solltest doch anders sein, dir fehlt noch das Richtige! Siehe, das war ein Ziehen des Vaters zum Sohne. Oder hast du nicht auch schon dazwischen ein Gefühl innerer Leere und Öde gehabt und etwas empfunden von dem Urteil des Predigers Salomo: Es ist alles eitel, ganz eitel!? Ein junger Mann, der zum Glauben kam, sagte mir, daß er es oft mitten im Strudel der weltlichen Vergnügungen wie einen Stich in der Seele spürte. Aber er wies es zunächst immer wieder ab. Ist nicht beim Anhören des Wortes Gottes schon manchmal ein Stachel in dein Inneres eingedrungen? Hieß es nicht: Das geht ja alles auf dich! Das war ein Zug des Vaters zum Sohn. –
Neben dem Zug des Vaters zum Sohn ist in uns ein anderer Zug, der zur Welt und zu den altgewohnten Sündenneigungen lockt. Der bessere Zug wird erstickt, sobald wir diesem schlimmen Gegenzug folgen. Darum, wenn dich Gottes Gnade zieht, ringe recht! Falle auf die Knie und bete ernstlich zu Gott, so wird der Zug stärker und stärker. Cornelius hielt mit Beten und Flehen vier Tage lang an. Kommen dir etwa verzagte Gedanken, ob dich wohl auch der Heiland annehmen wird, ob du es nicht zu arg getrieben hast, ob es nicht zu spät ist, ob du die Bekehrung wohl auch wirst durchführen können, dann denke an des Herrn Jesus köstliches Wort: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen“! Halte dich an den Heiland! Keine Macht Satans kann dir den Weg zu ihm verlegen. Gott selbst ist es ja, der dich zum Heiland hinzieht, solange du noch ein Verlangen und Sehnen nach ihm im Herzen hast.
(Pfr. Carl Eichhorn: Das Werk Gottes an der Seele)