Den ihr da sehet wandern (Noch von der alten Welt; Briegleb)

„Noch von der alten Welt“

Den ihr da sehet wandern,
Mein alter Nachbar hier,
Er ist nicht wie die Andern,
Ihr dürft es glauben mir.

Er suchet seines Gleichen,
Er wandelt grad‘ und schlicht,
Und eines ist ihm eigen:
Der Alte heuchelt nicht.

Er haßt den Prunk und Schimmer,
Er will nicht hoch hinaus,
Er will nur heut‘ und immer
Mit Wahrheit frei heraus.

Noch straff sind seine Glieder,
Und stolz trägt er das Haupt:
Doch beugt er fromm es nieder,
Vor Gott, an den er glaubt.

Am Morgen früh sich falten
Seine Hände zum Gebet;
Auch pflegt er’s so zu halten,
Wenn er zu Bette geht.

Sechs Tage bei der Arbeit
Ist er noch immer gern,
Am Sonntag ist er allzeit
Im Hause seines Herrn.

Ich sah ihn nie erblassen,
Bei irgend einem Weh,
In Freud‘ und Leid gelassen
Hebt er den Blick zur Höh‘.

Ich sah ihn niemals jagen
Nach Gold und eitlem Schein;
„Der Mensch“, pflegt er zu sagen,
Lebt nicht vom Brot allein.

Und wie er selber denket,
Ist auch der Kinder Sinn.
Er hat sie fromm gelenket
Zu ihrem Heiland hin.

Er hat mit Fleiß gelehret
Die Furcht des Herrn dazu!
Drum wird er nun geehret,
Und hat im Alter Ruh‘.

Sein Angesicht ist Friede,
Sein Aug‘ ist hell und klar,
Wie frische Maienblüte,
So wallt sein Greisenhaar.

So seh ich oft ihn wandern
Hier neben aus und ein,
Er ist nicht wie die Andern,
Er gibt nichts auf den Schein.

Es hat nichts zu bedeuten,
Den Alten Keiner neckt,
Er steht bei allen Leuten
In Anseh’n und Respekt.

Sie halten ihn in Ehre;
Nur eines nicht gefällt:
Sie sagen All‘, er wäre
Noch von der alten Welt.

Es tut ihn nicht betrüben,
Er lächelt ob dem Wort
Und wandelt fromm den lieben
Gewohnten Weg so fort.

Ich denk‘: in jedem Falle
Ist’s gut um ihn bestellt.
O wären wir doch alle
Noch von der alten Welt!

Elard Briegleb,
ev. Pfarrer zu Hohen=Sülzen bei Worms.

Elard Briegleb (* 5. Mai 1822 in Hopfmannsfeld; † 15. Juni 1904 in Worms) war ein deutscher Geistlicher und Dialektdichter. Als Sohn eines Pfarrers wurde Elard Briegleb am 5. Mai 1822 in Hopfmannsfeld geboren. Nachdem er auf dem Gymnasium in Büdingen vorgebildet worden war, bezog er die Universität Gießen zum Theologiestudium. Anschließend studierte er weiter am Predigerseminar Friedberg und war darauf als Hauslehrer in Hirzenhain tätig. 1848 wurde er dort zusätzlich Pfarrverweser. Nach Groß-Biberau wechselte er als solcher drei Jahre später, blieb dort aber auch nicht viel länger, sondern zog schon im gleichen Jahr, also 1851, nach Butzbach. Dort übertrug man ihm neben der Pfarrverweser-Stelle auch das Rektorat der Knabenschule. Schließlich wurde er 1854 Vikar in Nidda und im folgenden Jahr dann Pfarrer in Alsheim. Nun blieb er auch dort nicht lang; nach sieben Jahren, 1862, besetzte er die Pfarrstelle in Hohen=Sülzen und dann seit 1874 jene in Pfeddersheim, die er bis 1895 bekleidete. Dann nämlich trat er in den Ruhestand, den er in Worms verlebte und daselbst am 15. Juni 1904 im Alter von 82 Jahren verstarb.

Briegleb dichtete Lieder im hessischen Dialekt, weshalb ihm die Bezeichnung „Sänger des Vogelsbergs“ zukam.

Quellen:

Gedicht:

Mancherlei Gaben und Ein Geist, S. 38.
Eine homiletische Vierteljahrsschrift für das evangelische Deutschland. Unter besonderer Mitwirkung vieler namhafter Prediger herausgegeben von Emil Ohly, evang. Pfarrer in Kriegsheim bei Worms a. Rh.
Dritter Jahrgang.
Wiesbaden, Julius Niedner Verlagshandlung, 1863.
Philadelphia, bei Schäfer & Koradi.
[Digitalisat]

Kurzbiographie:

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Eingestellt am 13. Februar 2023