Pastor Hermann Bergengruen (1879-1919)

P a s t o r  H e r m a n n  B e r g e n g r u e n
Geboren in Riga 20. Juni 1879
Ermordet in Riga 22. Mai 1919

Märtyrer des 22 . Mai 1919 in Riga

Nach reicher, im lieben Elternhaus verlebter Jugend- und Schulzeit, nach froher Studentenzeit, mit einem überaus glücklichen Naturell begabt, in dem Humor und tiefer Lebensernst gepaart waren, ward Bergengruen der erste Inspektor der 1901 gegründeten Rigaer Stadtmission und 1907 Pastor der deutschen Stadtgemeinde in Wenden.

In beglückender Ehe lebend, in gesegnetem Wirken stehend, Liebe spendend, Liebe empfangend, nahm er alles Gute, das Gott ihm beschert, dankbaren Herzens auf. In jenen glücklichen Jahren sprach er es einmal aus: „Es käme wie eine leise Furcht über ihn, in welcher Gestalt wohl einst das Leid in sein Leben treten werde, und wie er dann dem gewachsen sein werde“. Das Leid kam nach Gottes Rat. Zuerst in sein
häusliches Glück. Sein liebes Weib, die Mutter seiner kleinen Kinder, wurde von langwieriger schwerer Krankheit befallen; er murrte darüber nie und bekannte dankbar, daß ihm daraus ein innerer Segen geworden.

Dann kam der Weltkrieg. 1915 wurde er nach Sibirien verschickt, ohne Angabe des Grundes, natürlich ohne zureichenden Grund, einfach, weil er Deutscher und evangelischer Pastor war. Die schweren achtzehn Monate in elender Hütte, unter polizeilicher Aufsicht, die die Bewegungsfreiheit hinderte, haben ihn nicht verbittert. Über das für den gebildeten Europäer erschütternd Rohe und Primitive eines sibirischen Dorflebens half ihm sein goldener Humor hinweg. Das abspannende Einerlei eines Verbanntendaseins wußte sein reger Geist kräftig zu überwinden. Die Stille und Abgeschiedenheit der Verbannungszeit halfen ihm zur Verinnerlichung und Vertiefung. Er faßte die bittere Strafe der Verbannung auf als „von Gott ihm gesandt um seiner Sünde willen“. Er dachte den großen Gedanken Gottes nach, die Gott mit dem Weltkrieg und all seinem furchtbaren Geschehen hatte. Er suchte auch aus der Ferne seiner Gemeinde, wenn auch nur brieflich, ein Seelsorger zu sein (die Korrespondenz mußte russisch geführt werden). Die Revolution 1917 brachte ihm wie allen „Politischen“ die Freiheit. In seine Gemeinde konnte er aber erst 1918 zurückkehren, als durch die deutschen Truppen ganz Livland befreit war.

In Wenden durfte er vom Mai bis Dezember 1918 wirken; die Liebe der Gemeinde umgab den wiedergeschenkten Hirten. Die Predigten dieser Zeit sind lauter starke Glaubensbekenntnisse eines Menschen, dessen Seele in der Stille und Einsamkeit der Verbannungszeit unlöslich mit Gott verbunden wurde. Im Dezember wälzte sich die rote Flut auf Wenden zu, Schrecken und Angst vor sich verbreitend. Ein großer Teil seiner Gemeinde floh nach Riga. Bergengruen kam in einen schweren Konflikt: bei den Wenigen verharren, die in Wenden blieben, oder mit den Vielen nach Riga fliehen, das, wie man damals annahm, unter allen Umständen gehalten werden sollte. Er flüchtete nach Riga. Doch die rote Flut rückte alsbald auf Riga unaufhaltsam vor, auch aus Riga flohen viele, unter ihnen auch die neugebildete lettische Regierung. Das Fliehen der Vielen wirkte deprimierend auf die Zurückbleibenden. Bergengruen sah die Verzweiflung der Bleibenden und entschloß sich, unter allen Umständen zu bleiben, um, solange Gott es wollte, der Petri-Gemeinde zu dienen, die durch die Abreise ihres Pastors hirtenlos geworden war.

Bergengruen war auf alles gefaßt; er sprach es ehrlich aus, daß er gern noch leben würde. Lebensmüdigkeit kannte er nicht, dazu bejahte er zu sehr das Leben, und wo ihm in der Gemeinde Klagen und Seufzen über das Schwere und Furchtbare dieser Tage begegnete, wies er darauf hin, daß solche Leiden ja nicht uns allein beschieden seien (1. Petri 4, 12). Wenn er aber auf die Leiden sah, in denen er stand und denen er entgegenging, so dachte er nicht an ein besonderes Martyrium, denn dieses Leiden war ihm selbstverständliche Betätigung christlichen Lebens.

Am 6. April, als Bergengruen eben in der Sakristei der Petri-Kirche sich rüstete, Pastor Hoffmann bei der Austeilung des Heiligen Abendmahls zu assistieren (s. d.), wurde er verhaftet und unter starker Bedeckung zur Polizei gebracht. Seine Frau und seine Kinder wurden fast gleichzeitig in der Wohnung gegriffen. Auf der Polizeiwache trafen sie sich. Eine geheiligte Stunde war noch den Eheleuten beschieden mitten unter den vertierten Machthabern und allerlei Gesindel.

Bergengruens Herz floß über voll Dank gegen Gott für alles Gute, das er ihn hatte erleben lassen. „Was auch kommen mag, werde nie bitter“, rief er seinem treuen Weibe zum Abschied zu. Er wurde mit seinem 13jährigen Sohne ins Zentralgefängnis gebracht, die kleinen Kinder freigelassen, die Pastorin ins Matthäigefängnis geführt. Keiner der Eheleute erfuhr das Geringste vom anderen. Als nach 14 Tagen die Pastorin unerwartet freikam, gelang es ihr, in einen geheimen Briefwechsel mit ihrem Mann zu treten, leider ist dieser nicht erhalten. Auf seine Bitte wurden alle Briefe vernichtet, denn jeder Brief konnte ja bei einer erneuten Haussuchung die schwersten Folgen für Schreiber, Überbringer und Empfänger haben. Nie war eine Klage in seinen Briefen zu finden, nur Dank für alles freundliche Führen Gottes und die Zuversicht, „daß nichts über unsere Kraft geht, was Gott von uns verlangt“.

Treu sorgende Liebe für die Seinen und regste Teilnahme für seine Mitgefangenen standen in jedem Brief zu lesen, an dessen Kopf er immer einen Bibelvers, den Seinen zur Stärkung, setzte. Er mahnt seine Frau, „nimm nie die Freude aus dem Leben der Kinder“. Und er selbst trug Trost und Freude in die Zellen seiner Mitgefangenen, denen er mit Andachten diente. Je länger es währte, desto häufiger war der Abschiedston in den Briefen zu finden. Er wuchs in sein Leid hinein. Als es der Pastorin noch einmal gelang, ihn auf dem Kirchhof zu sehen, wo er mit vielen anderen die Gräber graben mußte für die massenhaft vom Typhus Dahingerafften, da hatte er ganz den nach innen gekehrten Blick, der sich bei denen findet, bei denen das seelische Leben völlig die Überhand gewonnen hat. Er war reif geworden für die Ewigkeit. Am 22. Mai, bei der Einnahme Rigas durch die Baltische Landeswehr, ward er als Geisel im Zentralgefängnis erschossen, ehe die Befreier auch zu diesem, weit vor den Toren der Stadt gelegenen Gefängnis vordringen konnten. Zu seinem Sargspruch hatte er bestimmt das Lob- und Danklied des 103. Psalmes und das Zöllnergebet Luk. 18, 3.

Quelle:

D. Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 137-140 [Digitalisat, pdf]

Weblinks und Verweise

Hermann Bergengruen, in: Wikipedia (DE)

Personalstatus der EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN RUSSLAND 1914.

Brandenburg, Hans: Eine Kindheit in Riga (Autobiographie). ABC-Team-Buch im R. Brockkaus Verlag, Wuppertal 1978. ISBN 3-417-12625-8 [Digitalisat im pdf-, epub-Format, externe Links zu sermon-online.de]

Hans Brandenburg, 1895 in Riga geboren und später Missionsinspektor des Missionsbundes Licht im Osten, hatte Hermann Bergengruen am deutschen Gymnasium als Religionslehrer. Er zeugt von ihm:

„Im Laufe des neuen Jahres bekamen wir als Religionlehrer den jungen Pastor Hermann Bergengruen, dessen heiliger Ernst beim Unterricht mir großen Eindruck machte. Er erzählte uns von der Rigaschen Stadtdiakonie (»Stadtmission« durfte sie nicht heißen, weil evangelische Missionen in Rußland verboten waren). Er zeigte uns auch eine Bilderbibel – die erste die ich sah-, und er erwärmte mein Herz für die Heidenmission, so daß ich eine Zeitlang das Leipziger »Missionsglöckchen« las. Er hat einen guten Grund gelegt. Im Jahre 1919 wurde Pastor Bergengruen Märtyrer für seinen Glauben. Als die Bolschewiken ihn zum Richtplatz führten, soll er laut ein Glaubenslied gesungen haben. Er war der Onkel des später bekannt gewordenen Schriftstellers Werner Bergengruen.“

Eingestellt am 31. Januar 2022