Pastor Christoph Strautmann (1860-1919)

P a s t o r  C h r i s t o p h  S t r a u t m a n n
g e b o r e n  in  Schnickern  11. November  1860
e r m o r d e t  in  Alt-Rahden 19. März 1919

Strautmann war ein Sohn des lettischen mittellosen Volksschullehrers Michael Strautmann. Mit eisernem Fleiß und zäher Energie vervollkommnete Ch. Strautmann seine Bildung, sich den Lebensunterhalt selbst erwerbend. Er wurde Lehrer, bereitete sich als Lehrer auf das Abiturium vor, konnte endlich seinen Herzenswunsch erfüllen und bezog 1890, fast als Dreißigjähriger, die Universität und beendete in sechs Semestern mit allen Ehren (goldene Medaille) das Studium der Theologie. Nach einigen Jahren reicher Scbularbeit wurde er 1896 Pastor der lettischen Gemeinde in Bauske.

Evangelisch-lutherische Kirche des Heiligen Geistes in Bauske

Sein verschlossenes Wesen hat ihm sein Leben schwer gemacht; er öffnete wenigen sein Inneres, wenige verstanden ihn. Der einzige Freund unter den Amtsbrüdern, dem er auch Anteil an seinem Innenleben gab, war Hans Bielenstein (s. S. 86). Strautmann, der sich in hartem Kampfe und strengster Selbstzucht seine Position geschaffen, stellte auch an seine Gemeindeglieder strenge Anforderungen, so erschien er nach außen oft hart, und doch, wie weich er war, das zeigte sich besonders im Umgang mit den Kindern.

Bauske (Bauska), Panorama

In der Revolutionszeit 1905/6 harrte er ebenso selbstverständlich bei seiner Gemeinde aus, wie in den Stürmen des Weltkrieges. Als Bauske Kriegsschauplatz zu werden drohte, willigte er darin, daß seine Frau und seine Kinder zu Verwandten nach Rußland flüchteten, wie er glaubte, nur auf einige Monate, dann erwartete man ja allgemeinden Frieden. Aus den Monaten wurden fast drei Jahre. Er trug schwer unter der Einsamkeit und der Ungewißheit über das Geschick der Seinen und der Heimat. Der Einsame, sonst so Verschlossene, läßt in dem Tagebuch jener Zeit uns tiefe Blicke in sein Inneres tun. „Ich trage mein Leid immer stiller und stiller, nur in der Predigt brechen manchmal die Tiefen auf… Oft übermannt mich die Bangigkeit, vielleicht an der Wegkante mein Leben vollenden zu müssen, ohne daß eine liebe Hand meine Stirne kühle… Gott wird schon die Wege finden, die die richtigen sein werden… Sie (die Einsamkeit) ist ein Verhängnis, von Gott zugelassen, um Herz und Nieren zu prüfen. Es wird wohl der gnädige Wille Gottes sein, der mich zubereitet, heimwärts zu gehen, fertig zu sein…“

Gott bescherte ihm die Freude, die Seinen wiederzusehen, aber dieses Wiedersehen brachte ihm auch inneres Leid, denn einer seiner Söhne war in Rußland in den langen Jahren ohne väterliche Zucbt unter russischen Einfluß gekommen und konnte sich nur schwer in das Leben eines evangelischen Pfarrhauses hineinfinden. Dazu kam die dunkle Wolke, die sich immer drohender um Strautmann zusammenballte, als die Bolschewikenherrschaft im Bauskeschen Kreise begann. Sein Freund Bielenstein wurde in Bauske im Januar 1919 erschossen.

Strautmann machte sich auch darauf gefaßt, verrichtete aber treu bis ins Letzte sein
Amt. Die Gottesdienste verliefen ohne Störungen, viele trieb die Not der Zeit in die Kirche, Stärkung zu suchen. Die entschiedene Haltung der Gemeinde schreckte die Bolschewiken vor Entweihung der Kirche zurück, das Pastorat aber wurde mit Haussuchungen öfters geplagt. Strautmann hatte seinen kleinen Getreidevorrat, dessen er für sich und die Seinen dringend bedurfte, vor den Bolschewiken verleugnet. Weil er solches getan, galt er ihnen als „Volksaussauger“, der dem Volke das Brot entziehe. Als solchen haben die Bolschewiken Strautmann öffentlich zu brandmarken gesucht.

Die Landeswehr rückte immer näher, die Herrschaft der Roten wurde immer drückender. Es war die Passionszeit 1919, in seinem Tagebuch schrieb er damals von seinen inneren Kämpfen, aber auch von dem Siege, den er errungen, — „nun bin ich mit meinem Gotte im reinen, rufe mich, Herr, dein Knecht höret“.

Bei Strautmann wurde ein Milizionär einquartiert, der seine „Flucht“ verhindern sollte. Strautmann dachte nicht an Flucht, er hatte mit dem Leben abgerechnet. Reminiszere, 16. März 1919, predigte er zum letztenmal über Psalm 77, 7ff., besonders Vers 11: „Ich muß das leiden, die rechte Hand des Höchsten kann alles ändern.“ Am Mittwoch, den 19., hielt er in seinem Hause die letzte Morgenandacht über Jes. 55, 7da Er gestraft und gemartert ward…

Gedenkstein am Hinrichtungsort

An diesem Tage zogen die Bolschewiken vor der heranstürmenden Landeswehr ab. Zuvor aber hielten sie noch Abrechnung mit allen ihren Gegnern, auch Strautmann wurde verhaftet. Sie ließen ihm kaum Zeit zum Abschied, mit Spott ward er hinausgejagt; zu Fuß mußte er ca. zehn Kilometer nach Alt-Rahden gehen, getrieben von reitender Miliz. In Alt-Rahden wurde am 19. März 1919 ein kurzes Scheingericht abgehalten, Strautmann wurde zum Tode verurteilt. Ein Knabe brachte die Kunde: auf dem und dem Hügel des Alt-Rahdenschen Waldes liege er erschossen. Dort fanden die Seinen die Leiche, nur mit dem Hemde bekleidet, alles andere war geraubt. Ein Säbelhieb hatte seinen Kopf gespalten, eine Kugel seine Brust durchbohrt, die Hände hielt er gefaltet auf der Brust.

Man brachte ihn heim. Ein Sarg war in Bauske nicht aufzutreiben, die Bolschewiken hatten alle Bretter requiriert. Am 23. März wurde Bauske von der Landeswehr befreit, da hat ihn der Bauskesche deutsche Amtsbruder Stavenhagen, der wunderbarerweise verschont geblieben, beerdigt. Strautmann war gestorben, wie er es einst befürchtete, ohne „daß eines lieben Menschen Hand auf seiner Stirne ruhen konnte“. Die durchgrabenen Hände des Heilandes, zu dem er zuletzt gerufen, haben sich unter sein sinkendes Haupt gelegt.

Quellen

Text: D. Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 97-100 [Digitalisat, pdf]

Bilder:

Evang. Kirche Bauske: J. Sedols, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Panorama Bauske: Modris Putns, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons
Gedenkstein am Hinrichtungsort: Karlis, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Das Tribunal der Bolschewiki in Bauske

Zur Zeit des Lettischen Unabhängigkeitskrieges nahm die Rote Armee am 9. und 10. Januar 1919 Bauske ein. Die regulären Truppen verübten dort keine Kriegsverbrechen. Die Situation änderte sich nach dem Weiterzug dieser Truppen. Ein Tribunal aus lettischen Bolschewiki unter dem Vorsitz von Swirbul begann nun, Todesurteile gegen sogenannte Konterrevolutionäre auszusprechen. Weitere Mitglieder des Tribunals waren Frau Taurit, die von Gegnern als besonders unerbittlich bewertet wurde und in voller Bewaffnung durch die Straßen der Stadt ging, und der Maurer Schwiting. Als Verteidiger diente der polnische Privatanwalt Malachowski, dessen Arbeit auch von Gegnern der Bolschewiki positiv bewertet wurde. Die Schauprozesse, die meist in der Sparkasse stattfanden, waren eine reine Formalität. Die Festnahmen erfolgten aufgrund einer schwarzen Liste, die der Fischer Weide dem Tribunal übergeben hatte. Als Henker diente Wittort.

Zu den ersten Opfern gehörten im Januar 1919 der deutsch-baltische Pastor Hans Bielenstein und Edgar von Uhlot, dem seine polizeiliche Tätigkeit während der Russischen Revolution von 1905 vorgeworfen wurde. Von Uhlot wurde vor seiner Hinrichtung noch gefoltert. Bielenstein wurde wegen seiner Tätigkeit als Amtsvorsteher während der deutschen Besatzungszeit verurteilt. Gnadengesuche seiner Gemeinde wurden abgewiesen.

In einer Verhaftungswelle wurde auch Pastor Strautmann festgenommen. Er wurde mit dem Hinweis, daß er jederzeit wieder festgenommen werden könne, zunächst wieder freigelassen. Zur gleichen Zeit trat sein Sohn in die Rote Armee ein.

Vor der Hinrichtung Bielensteins, die am 13. Januar auf dem Schloßberg zwischen Pavillon und Musikmuschel stattfand, entkleidete das Erschießungskommando ihn vollständig. Hans Bielenstein soll vor seiner Erschießung gesagt haben: „Mit meinem Körper könnt ihr tun, was euch befohlen ist, meine Seele wird gleich im Paradiese sein.“ Christoph Strautmann rechnete nun ebenfalls mit seiner Hinrichtung, versah aber weiterhin unverändert seinen Dienst. Im März fand ein Treffen zur Erinnerung an die Abdankung des Zaren statt. Dabei wurde Strautmann als besonders gefährlicher Volksfeind bezeichnet.

Am 12. März, der auf den Bußtag fiel, wurde von den Bolschewiki in der deutschen Kirche ein weiteres Treffen abgehalten, zu dem die gesamte Bevölkerung erscheinen mußte. Es wurde geraucht und weltliche Musik gespielt. Zum Abschluß hielt Namneek, der Vorsitzende der politischen Abteilung, eine aggressive Hetzrede gegen Pastor Strautmann.

Die Baltische Landeswehr näherte sich; gleichzeitig nahmen die Repressionen durch die Bolschewiki zu. Am 19. März 1919 erschoß ihn Frau Taurit auf einem Hügel im Wald bei Alt-Rahden, um ihren neuen Revolver auszuprobieren, wie sie selbst angab.

Quellen

Wikipedia (DE): Artikel „Christoph Strautmann“

Otto Michaelis, Protestantisches Märtyrerbuch: Bilder und Urkunden der evangelischen Märtyrergeschichte aus vier Jahrhunderten. Steinkopf, 1932, S. 104

Harald Schultze, Andreas Kurschat, Claudia Bendick (Hrsg.): Ihr Ende schaut an… Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, S. 519

W. Zelm: Vor zwanzig Jahren. Der Gedenkstein für die baltischen Märtyrer in Riga (Artikel abrufbar bei periodika.lv)

H. Dohrmann: Die Schreckenstage in Bauske, 15. Mai 1919, in der Libauschen Zeitung, Nr. 117, vom 22. Mai 1919 (Artikel abrufbar bei periodika.lv)

Auszug aus diesem Artikel:

In Angst und Bangen verging den Bauskern der 8. Januar [1919]; an diesem Tage hörten sie in der Mitauer Richtung einen fürchterlichen Knall, der alle Fensterscheiben in der Stadt erzittern ließ; es handelte sich um die Sprengung der Mitauer Munitionsvorrate durch Pioniere der Eisernen Division; in Bauske aber konnte sich niemand das fürchterliche Getöse erklären, und alles machte sich auf das Ende gefaßt. Tags darauf, am 9. Januar, ritt tatsächlich bolschewistische Kavallerie ein, dann folgten am 10. Januar Infanterie und Artillerie. Die gut ausgerüsteten regulären Truppen
der Roten Armee machten einen guten Eindruck und benahmen sich einwandfrei.
Sie rückten jedoch nach wenigen Stunden weiter vor, und nun begann unter Anleitung von ein paar roten Letten, die mit den regulären Truppen gekommen waren, eine wahre Schreckenszeit für die Stadt und ihre unglückliche bürgerliche Einwohnerschaft. Als erste Opfer des Terrors fielen schon am 13. Januar Edgar von Uhlot und Pastor Bielenstein-Attrahden; sie wurden auf dem Schloßberg zwischen Pavillon und Musikmuschel erschossen, nachdem sie durch das Tribunal — eine reine Formensache und ein elendes Komödienspiel — zum Tode verurteilt worden waren. Herrn von Uhlot wurde seine Tätigkeit als Polizeibeamter im Jahre 1905 zum Vorwurf gemacht, dem Pastor die Tatsache, daß er während der deutschen Okkupationszeit als Amtsvorsteher gewirkt hatte. Herr von Uhlot ist vor der Erschießung leider gemartert worden, Bittgesuche der Gemeinde für Pastor Bielenstein wurden kurz abgewiesen. Eine Reihe von Verhaftungen folgte; auch der lettische Pastor Strautmann wurde gefangen gesetzt, dann aber wieder freigelassen, freilich mit dem Bemerken, daß er sich jeden Augenblick gefaßt machen müsse, wieder verhaftet zu werden… […] …Als dann am 19. März unter den Roten in Bauske infolge der Befreiung Mitaus am 18. März eine allgemeine Panik ausbrach, und die Miliz vor ihrem fluchtartigen überstürzten Abzug eine Reihe von Gefangenen neben der Mühle von Hofschowitz an der Memel niedermachte, bemächtigte sich die Taurit des Pastors und schoß ihn im Alt-Rahdenschen Walde eigenhändig nieder, obgleich die anderen Roten ihn retten wollten; „um ihren neuen Revolver auszuprobieren“, wie sie zynisch bemerkte, beging sie diesen Mord.
Eingestellt am 14. Dezember 2021