Erste Betstunde (Scriver)

Ein Arzt sagte einst von einem kranken Menschen, der ungehorsam und naschhaft war: Es ist ihm kein Ernst damit, daß er gesund werden will, weil er nicht nur die verordneten Heilmittel verachtet und stehen läßt, sondern auch mit schädlichen Speisen und unmäßigem Trinken seine hinfällige Gesundheit vollends über den Haufen wirft. Fast ganz dasselbe kann man von vielen Christen sagen. Sie geben zwar vor, daß sie nach dem Himmel trachten, daß sie hoffen selig zu werden; sie rühmen, es sei ihr höchster Trost im Leben und im Sterben, daß sie ein besseres Leben wissen, dahin sie durch die Gnade JEsu Christi zu gelangen hoffen. Allein, wenn ich die Sache recht bedenke, kann ich mir nicht einbilden, daß es ihnen ein Ernst sei mit dem Suchen ihrer Seligkeit. Ja, ich kann fast nicht glauben, daß sie von Herzen dafür halten, daß ein and’res Leben nach diesem sei, zu welchem uns dieses führt.

Denn es ist offenbar, wenn jemand eine Sache recht ernstlich sucht und meint, daß er sich aller Mittel bedient, sie zu erhalten, und keinen Fleiß und keine Mühe spart, seinen Zweck zu erlangen. Wenn ein vornehmer, gelehrter Mann, der in öffentlichen Ehrenämtern sitzt, einen Sohn hat, den er gerne wohlerzogen und zu gleicher Gelehrsamkeit und Ehre befördert sehen möchte, so läßt er sich nicht nur selber die Erziehung desselben angelegen sein; sondern er verordnet ihm auch tüchtige Lehrmeister, schafft ihm gute Bücher, hält ihn vom Müßiggang und von böser Gesellschaft ab, spart keine Kosten, und schickt ihn auch an fremde Orte, wo er Hoffnung hat, daß er seine Absicht mit demselben erreichen könne. Wenn aber einer zwar vorgibt, er hoffe aus seinem Kinde einen gelehrten Mann zu machen, läßt ihm aber allen seinen Willen, gönnt ihm Freiheit, mit bösen Buben zu spielen, zu saufen, und auf schlimmen Wegen zu wandeln, kann und will nicht leiden, daß die Lehrer ihn strafen; es darf ihn niemand sauer ansehen; er mag statt guter Bücher das von den vier Königen und andere, die voll ärgerlicher Zoten und Schandpossen sind, gebrauchen: wer will da glauben, daß es dem Vater Ernst sei, daß er aus seinem Sohn einen tüchtigen Mann machen will?

Ein Handelsmann läßt sich vernehmen, er hoffe auch noch einmal zu einem Stück Brot zu kommen, wie sie reden, das ist, reich zu werden. Er läßt sich aber seinen Handel nicht angelegen sein; er reist nicht auf die Messen; er kauft die Ware nicht zur rechten Zeit ein, hält keine richtigen Register, macht täglich Schulden, und sucht nicht die alten abzutragen, sondern nur bei Leuten, die ihn nicht kennen, Glauben zu finden, und neue zu machen; er verkauft seine Ware wohlfeiler, als er sie eingekauft, nur daß er Geld habe zu verzehren, zu verspielen und zu versaufen; er traut jedem Betrüger, und hat Gemeinschaft mit den Dieben: wer will sagen, daß dieser Mensch werde reich werden, oder daß es ihm ein Ernst sei mit seiner Kaufmannschaft? Ja, wer sieht nicht, daß er nicht lange, ein Kaufmann bleiben, und daß sein Handel in dem Schuldturm sich enden werde?

Ein Herr hat seinen Diener in ein fremdes Land geschickt mit einer großen Summe Geldes, dafür allerlei nötige und kostbare Waren einzukaufen. Der Diener hält sich unterwegs lange auf; jeder lustige Ort, jedes gute Wirtshaus steht ihm wohl an; er hält sich etliche Tage drin auf, läßt sich auftragen, was gut und teuer ist, und vertut viel Geld mit Saufen und Spielen. Er kommt endlich mit dem Rest des ihm anvertrauten Geldes an den bestimmten Ort, fängt es da wieder an, wie er es auf der Reise getrieben, verschwendet das übrige Geld, und versäumt alle Geschäfte seines Herrn. Wer kann da anders sagen, als daß der Diener ein Schalk, und daß es ihm mit dem Handel seines Herren kein Ernst gewesen, sondern daß er ihn vorsätzlicher Weise habe betrügen und um das Seinige bringen wollen?

So aber und nicht anders machen es viele Christen. Sie geben zwar vor, daß sie nach dem Himmel und der Seligkeit trachten; aber dabei ergeben sie sich dem Geiz und den Wollüsten dieses Lebens, vertiefen sich in die Eitelkeit, und vergessen der Ewigkeit. Die Gottseligkeit und das Christentum ist ihnen ein Nebenwerk, auf das man in der Woche kaum eine oder etliche Stunden verwenden darf; die Ungerechtigkeit aber, die Sorge um die Nahrung und der Mammonsdienst ist ihnen die Hauptsache, die sie so fleißig treiben, als wären sie nur dazu in die Welt gekommen. Viele ergeben sich dem Saufen und der Unzucht; Zanken und Fluchen ist ihnen eine Gewohnheit. Sie sind frech, wild, unbändig, stolz und prächtig; sie machen täglich Schulden bei Gott, und bedenken nicht, wo es endlich hinaus will. Sie hören zuweilen Gottes Wort, nehmen es aber nicht zu Herzen, und bringen es nie zur Tat. Sie beten ohne Andacht, beichten ohne Buße; sie gehen zum heiligen Abendmahl, und verstehen nicht die Gemeinschaft mit Christo. Sie rühmen sich des Glaubens, und beweisen ihn doch nicht durch gute Werke; sie schlagen alle treuen und eifrigen ErMahnungen und Warnungen der Diener Christi in den Wind. Sie wollen Christi Glieder sein, aber von Seinem Geiste sich nicht regieren lassen; sie wollen an Seinem Verdienste Teil haben, aber Sein Kreuz nicht auf sich nehmen, noch Ihm nachfolgen. Sie wollen Christen sein, und doch auch Weltkinder; sie wollen gerecht, und doch gottlos sein; sie wollen beten, und auch fluchen. In der Kirche wollen sie stille sein, singen, beten und dem Prediger zuhören, außer derselben aber frei und sicher nach ihrem fleischlichen Willen leben. Kurz, sie wollen Gottes Volk sein, aber von Seinen Wegen nichts wissen; sie wollen Vergebung der Sünden haben, aber nicht Buße tun. Sie wollen auf dem breiten Wege, der nach Christi Ausspruch in die Verdammnis führt, in den Himmel gehen. Sie wollen alle von Gott verordneten Mittel entweder verachten oder mißbrauchen, und dennoch selig werden. Wer kann sagen, daß es diesen Leuten Ernst sei mit dem Christentum und ihrer Seligkeit? Die himmlische Berufung Gottes hält uns ein Kleinod vor, nach dem wir laufen, jagen und streben sollen. Die heilige Schrift spricht, man müsse Gewalt tun, das Himmelreich zu erlangen, man müsse darnach ringen, daß man eindringe durch die enge Pforte, die zum Leben führt. Wir sollen schaffen, daß wir selig werden, mit Furcht und Zittern. Wir sollen den Kampf des Glaubens kämpfen, und das ewige Leben ergreifen. Wir sollen am ersten trachten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit. Wir aber lassen es sachte ankommen; wir halten, es sei nichts Leichteres, als daß man selig werde; das können ein paar Seufzer auf dem Sterbebette zuwege bringen; wir haben deshalb keine Furcht noch Sorge. Wir sparen den Kummer wegen des Reiches Gottes auf’s Letzte, und denken kaum eher daran, als wenn wir in den Toren der Ewigkeit stehen. Und dennoch wollen wir selig werden! Eine seltsame Sache. Der Soldat will eine Festung mit Saufen und Fressen einnehmen; der Läufer will das Kleinod mit Stilleliegen erlangen; der Kämpfer will die Krone haben, und nicht darum streiten!

Ach wenn wir uns doch wollten sagen lassen! Wenn wir uns doch wollten überreden lassen, daß es nicht so eine geringe, schlechte Sache sei, ein Christ zu sein und selig zu werden, als wir uns bisher, verblendet vom Satan, eingebildet haben. Der Weg ist schmal, der zum Leben führt; er ist mit JEsu, unseres Vorgängers und Vorkämpfers Blut und mit den Tränen aller Seiner Heiligen genetzt. Sie haben manchen harten Kampf mit dem Satan, der bösen Welt und ihrem eig’nen sündlichen Fleische bestanden, ehe sie zum Leben hindurchdringen konnten. Es heißt von ihnen: Diese sind es, die gekommen sind aus großer Trübsal, und haben ihre Kleider helle gemacht in dem Blut des Lammes. Offenb. 7, 14. Und wir wollen aus der Freude der Welt ohne alle Mühe, ohne Streit, ohne Glauben, ohne Buße selig werden! Wahrlich, ein Diener Christi in unsern Tagen hat sich glücklich zu schätzen, wenn er nur etliche bereden und überzeugen kann, teils, daß sie der Buße bedürfen, teils, daß sie nicht müssen Buße wirken nach ihrem fleischlichen Sinn und eigenem Gutdünken, sondern nach dem heiligen Willen Gottes, in Seinem Worte offenbart. Viele Christen meinen, sie seien schon so fromm, als sie werden können, und es bedürfe bei ihnen keiner Buße oder Besserung. Darum bleiben sie bei ihrer gewohnten Weise, und das Christentum ist ihnen nicht eine Sache, die sie erst lernen und in der sie sich täglich üben wollen; sondern sie haben es längst gewußt; es fehlt ihnen darin nichts. Darum kann man sie zu keinem sonderlichen Fleiß und Eifer, zu keinem ernstlichen Gebet um den heiligen Geist, um die Erneuung ihres Herzens, um die Nachfolge Christi, und zu keiner andern höchst nötigen übung bringen. Sie gehen in die Kirche, wie sie sprechen, und zum heiligen Abendmahl, und sind dabei keine Schelme oder Diebe: was will man mehr? Mit solchen Leuten steht es gefährlich, und man hat Gott herzlich anzuflehen, daß Er ihnen aus Gnaden die Augen auftun wolle, zu sehen, daß ihnen noch alles fehlt, und daß sie elend und jämmerlich sind, arm, blind und bloß. Offenb. 3, 17.

Herr Lutherus verstand die Sache besser, als er schrieb: „Mit dem christlichen Leben ist es so bewandt, daß, der es angefangen hat, meint, er habe noch nichts; sondern er fährt fort und strebt darnach, daß er etwas ergreife. Es ist einem gläubigen Menschen nichts schädlicher als die Einbildung, daß er es schon ergriffen, und nicht mehr nötig habe, etwas zu suchen. Denn hierdurch fallen viele zurück, und verderben in Nachlässigkeit und Sicherheit. Darum, wer angefangen hat ein Christ zu sein, dem ist dieses noch übrig, daß er dafür halte, er sei noch kein Christ, sondern er wolle einer werden. Wer schon ein Christ ist, der ist noch kein Christ. Das ist, wer meint, er sei schon ein Christ geworden, da er es doch erst werden soll, der ist noch nichts. Unser alter Mensch muß von Tag zu Tag erneuert werden. Wehe dem, der da meint, er sei schon ganz erneuert; bei dem ist noch der Anfang zur Erneuerung nicht gemacht, und er hat nie geschmeckt, was ein Christ ist. Denn wer angefangen hat, der meint nicht, daß er schon ein Christ sei; sondern er trachtet mit großem Ernste darnach, daß er es werde. Und je mehr er es wird, desto mehr sucht er es zu werden, und desto weniger meint er, daß er es sei.“ So schreibt Martin Luther.

Andere aber gestehen zwar, daß sie Sünder seien und der Buße bedürfen; sie versprechen auch, daß sie in derselben sich üben wollen ihr Leben lang. Allein, sie wollen darin verfahren nach ihrem Gutdünken; sie wollen von keiner sonderlichen Traurigkeit, von keiner Gewissensangst wissen. Sie wollen keine eifrigen Gesetz- und Straf-Predigten hören, oder doch sich derselben nicht annehmen; sie wollen nicht fasten oder wachen oder beten, oder ihren Leib betäuben und zähmen, ihrer gewohnten Ergötzlichkeit und Gesellschaft sich nicht enthalten. Sie wollen Buße tun ohne einige Mühe, nur daß sie zuweilen einige Gebete lesen, Bußlieder singen und zur Beichte gehen. Sie wollen auch an Christum glauben, und all ihr Vertrauen allein auf Sein Verdienst setzen, wollen aber ihren Glauben nicht prüfen, ob er rechter Art sei? Sie rühmen sich des Glaubens, und bleiben immerdar kaltsinnig und nachlässig in der Liebe und in der Übung der Gottseligkeit. Sie wollen auch von ihren gewohnten Sünden nicht lassen, und in guten Werken sich nicht eifriger als zuvor beweisen. Ihr tägliches Fluchen und Saufen, ihr Lügen und Betrügen, ihr Stolzieren und Prangen soll unter dem Namen der menschlichen Schwachheit mit durchlaufen, und man soll sie neben den bußfertigen Sündern für gerechtfertigte Christen, für Gottes Kinder und Erben des ewigen Lebens gelten lassen. Ob nun dies eine rechtschaffene Buße sei, mögen alle bußfertigen Herzen beurteilen. Gottes Wort weiß von solcher Buße nichts, erklärt sie auch deutlich genug für Heuchelei. Daß sie aber bei den Christen häufig vorkommt, wird niemand leugnen, der die Sache beim Lichte des göttlichen Wortes besieht. Wer Ohren hat zu hören, der höre. O Mensch, spare deine Buße nicht, bis du krank werdest; sondern bessere dich, so lange du noch sündigen kannst. Verzieh nicht fromm zu werden, und harre nicht mit Besserung deines Lebens bis in den Tod. Und willst du Gott dienen, so laß dir’s einen Ernst sein, auf daß du Gott nicht versuchest. Gedenke an den Zorn, der am Ende kommen wird, und an die Strafe, wenn du davon mußt. Es kann vor Abends wohl anders werden, als es am Morgen war. Darum folge deinem Mutwillen nicht, ob du es gleich vermagst, und tue nicht, was dich gelüstet. Und denke nicht: wer will mir’s wehren? Denn der Herr, der oberste Rächer, wird es rächen. Denke nicht:

Ich habe wohl mehr gesündigt, und ist mir nichts Böses widerfahren. Denn der Herr ist wohl geduldig; aber Er wird dich nicht ungestraft lassen. Und sei nicht so sicher, wenn deine Sünde noch nicht gestraft ist, daß du darum für und für sündigen wolltest. Denke auch nicht: Gott ist sehr barmherzig; Er wird mich nicht strafen, ich sündige, wie viel ich will. Er kann bald so zornig werden, als Er gnädig ist, und Sein Zorn über die Gottlosen hat kein Aufhören. Darum verzieh nicht, dich zum Herrn zu bekehren, und schieb es nicht von einem Tag auf den andern. Denn Sein Zorn kommt plötzlich, und wird es rächen, und dich verderben. Sir. 18, 22—26. 5, 2 — 9.

Ringe recht, wenn Gottes Gnade
Dich nun ziehet und bekehrt.

Daß dein Geist sich recht entlade
Von der Last, die ihn beschwert.

Ringe; denn die Pfort‘ ist enge.
Und der Lebensweg ist schmal;

Hier bleibt alles im Gedränge,
Was nicht zielt zum Himmelssaal.

Amen.

Quelle:

Betrachtung aus Christian Scrivers Seelenschatz, herausgegeben von Christoph Karl Hornung, Nürnberg 1856.


Eingestellt am 3. August 2020 – Letzte Überarbeitung am 27. September 2023