Wie der Heiland bei der Bekehrung den Glauben anfange und vollende.

Es gibt kein größeres Werk Gottes auf dieser Welt, es gibt kein größeres Wunder, als wenn ein Mensch, ein in Sünden gezeugter, geborner, aufgewachsener Mensch, ein toter Sünder
zum Glauben an den Sohn Gottes kommt. Ein Baum ist auch ein herrliches Werk Gottes; eine Traube ist auch ein herrliches Werk der Güte und Allmacht Gottes; dieser ganze Bau der Welt ist ein großes, herrliches Meisterstück der allmächtigen Liebe Gottes; was der Heiland an dem Sohne des Königischen tat, dem er durch ein einziges Wort Leben und Kräfte und den freien Gebrauch seiner Kräfte wiederschenkte, war auch ein großes Wunder seiner allmächtigen Liebe; aber alle diese Werke sind nicht zu vergleichen mit dem Werke der Bekehrung eines Menschen. Denn alle diese Werke sind geschehen, und geschehen noch täglich durch die Allmacht Dessen, der da spricht, so geschiehet es; der da gebietet, so stehet es da; aber nicht so das Werk der Bekehrung eines Menschen.

Nur, daß die Bekehrung eines Sünders möglich wurde, war die Menschwerdung des Sohnes Gottes und sein ganzer Lauf von der Krippe bis zu seiner Himmelfahrt notwendig. Und nun, nachdem sich Gott durch die Menschheit Jesu uns wieder mittheilen, sich uns wieder genießbar machen kann, nachdem Er uns wieder zu sich ziehen kann, nachdem der Weg von Ihm zu uns und von uns zu Ihm wieder gebahnt ist durch Jesum: wie viel Geduld, wie viel Pflege, wie viel Langmut, wie viel Mühe, wenn ich so sagen darf, kostet es die ewige Liebe noch immer fort, bis der zum Göttlichen erstorbene, in die Finsternis gekehrte Wille des Menschen herumgelenkt, bis das steinerne Herz erkannt und ein fleischernes Herz dafür angenommen, bis ein geborner Feind Jesu ein Freund und Liebhaber des Heilandes wird, mit einem Worte: bis ein Mensch hindurchbricht zum Glauben
an den Sohn Gottes.

Freilich, natürliche und weltlich gesinnte Leute haben gar niedrige Vorstellungen von dieser großen Sache. Weil sie nichts wissen, als von einem historischen, auswendig gelernten Glauben an den Heiland, so meinen sie, es sei nichts leichter, als an den Sohn Gottes glauben. Weil sie im Stande sind, in zeitlichen Dingen dies und das zu wollen, und mit ihrem Wollen durchzusetzen, weil sie mit ihren größeren Lüsten und Neigungen allezeit die geringeren überwinden können, weil sie sich mit ihrem Willen tief in die Sünde, in die Finsternis hineinmachen können, so däucht es ihnen, es liege auch bei der Bekehrung zu Gott und beim Wandel im Lichte Alles bloß am eigenen Wollen des Menschen. Sie muten darum allen denjenigen, welche sich zur Bekehrung anschicken, zu, daß sie zugleich vollendete Christen und Tugendbilder sein sollen; wenn ich, denkt ein solcher unerfahrener Mensch, mich einmal zum Guten wenden würde, da sollte es wohl besser vorwärts gehen; sie trauen sich Wunderdinge zu und wissen nicht, daß der Mensch zwar wohl geschickt ist von Natur, die Finsternis zu lieben; aber zu nichts ungeschickter, unbehülflicher, in nichts blinder, als wenn es darauf ankommt, ein Mensch Gottes zu werden.

Hier muß uns Gott zu Hülfe kommen, ja die Hauptsache muß er tun, aber wir würden diese Hauptsache nicht einmal an uns geschehen lassen, wir würden ewig widerstreben, denn dies können wir von Natur, wenn nicht der treue Heiland uns in unserm Elende aufhälfe. Schon im Anfange muß uns Jesus zu Hülfe kommen, sonst würde dieser Anfang nie gemacht.

Der Anfang des Glaubens ist das, wenn ein Mensch über seinen Herzenszustand verlegen wird, und sich in seiner Verlegenheit an den Heiland wendet. Sind wir denn von Natur in
Verlegenheit über unsern Herzenszustand? Nein! Von Natur sind wir tote Klötze, welche
nichts von Gott wissen, und zufrieden sind, wenn sie ihren Bauch füllen oder ihre sonstigen Bedürfnisse, Lüste und Begierden befriedigen können. Dies ist der Zustand aller Heiden: ohne Hoffnung, ohne Trost, ohne einen rechten Begriff von Gott und unserem Verhältnis zu ihm, in dumpfer Finsternis ihres Herzens gehen sie dahin, jämmerliche Knechte der Begierden und Gelüste ihres Herzens. Schon darin ist uns Jesus zu Hülfe gekommen, daß er uns hat in der christlichen Kirche geboren werden lassen, wo wir doch von Jugend auf etwas von Gott, vom Heilande, von unserer Bestimmung, von Himmel und Hölle, und vom Willen Gottes an uns gehört haben. Aber damit ist es noch nicht ausgerichtet. Wenn nicht Jesus ferner Barmherzigkeit an uns tut, so können wir vielleicht die ganze Bibel im Kopfe haben, und sind und bleiben doch geistlich tote Leute, sicher, faul und kalt. Es fällt uns wohl hin und wieder etwas ein von Gott, aber wir meinen, wir stehen gut mit ihm, oder wir wollen uns wohl mit ihm zufrieden stellen; es fällt uns wohl etwas ein von der Ewigkeit, aber wir erschrecken uns nicht davor; es fällt uns wohl ein, daß wir Sünder sind, aber wir denken, alle Menschen sind Sünder, und dafür ist ja das Verdienst Christi da; es fällt uns wohl hin und wieder ein Spruch ein, aber er hat keine Kraft an unsern Herzen; dabei gehen wir eben dahin nach unseres Herzens Gutdünken oder nach den Gewohnheiten der Welt; kurz, wir sind und bleiben ohne Leben aus Gott, wenn nicht Jesus selbst eine Verlegenheit über unsern Zustand in uns erweckt.

Wie macht es denn der treue Heiland, was tut er, um einen toten Sünder verlegen zu
machen über sich selber? Er tut es durch seinen heiligen Geist, aber wie und wo und wann er es tue, darin ist keine Regel; der gute Hirte ersieht eben die Stunde, wo er dem armen,
verirrten Schafe am geeignetsten beikommen kann. Es gibt Seelen, die in einer langen
Bearbeitung des Heilandes stehen, bevor er es bei ihnen zu etwas Entscheidendem bringen
kann. Sie werden Jahrelang von einer gewissen innern Unruhe geplagt, sie können nicht so ruhig sündigen wie die andern, sie bekommen in ihrem Inwendigen zuweilen Vorwürfe,
Angst und Beklemmung, und dies sind lauter Anmeldungen dessen, der vor der Türe steht
und begehret eingelassen zu werden. Bei Andern ist es ganz anders. Sie können ruhig
sündigen, sie sind in ihrem irdischen Sinne, in ihren Sündenwegen, in der Eitelkeit ihres
Herzens so ruhig, wie wenn das so sein müßte, sie treiben und wirbeln sich in den Gedanken ihres Herzens rastlos fort, da ist kein Aufhalten, kein Stillstand, kein Aufmerken, keine Nüchternheit. – Das Leben ist wie eine Schnur, die von einem Haspel abgehaspelt wird, es kommt kein Knoten an diese Schnur, es gibt keinen Stillstand, kein Aufmerken auf die Ewigkeit, kein Trachten nach dem Reiche Gottes. Da liegt etwa in einem solchen Menschen von der Jugend her ein Sämlein der göttlichen Wahrheit, aber es kann sich nicht regen, es kann nicht gedeihen, der Schutt der Sünde und der Welt ist über dasselbige hergefallen, es kann nicht wachsen, es ist nahe am Ersticken. Treue Lehrer oder Eltern und Erzieher haben diesen lebendigen Samen der Wahrheit in das Herz gelegt; es hat einmal ein schönes Sprüchlein, oder ein Gesang, oder eine Erzählung vom Heiland, oder eine Beschreibung der himmlischen Seligkeit, oder eine Schilderung des Elendes der Verdammten einen Eindruck auf das Herz des Kindes gemacht, und dieser Same hat angefangen, Früchte zu zeigen; aber siehe, da kamen die Triebe und Lüste und Sünden der Jugend, da kam der rastlos irdische Umtrieb, das Traumleben, das Schattenleben, das Gewühl in dem Nichtigen, die Grundsätze, die angenommenen Gewohnheiten, die eingesogenen Vorurteile des Weltgeistes, der Weltart, und das göttliche Saatkorn wurde bedeckt mit diesem Schutte der Eitelkeit und Sünde.

Während nun ein Mensch so dahin geht in seinem irdischen Treiben, kommt er etwa einmal in eine Kirche, wo das Evangelium gepredigt wird, und er hört und hört und muß nur horchen, denn es sind ihm lauter neue Sachen. Er hat vorher schon oft das Nämliche gehört, aber es ist ihm nicht zu Herzen gegangen, nun auf einmal hört er und hört recht. Nun steht der Gedankenumtrieb stille, er wird nüchtern aus seinem Traume, er fängt an sich zu fragen: wo bist du? Was hast du indessen getrieben? Hast du auch für die Ewigkeit gelebt? Ist Arbeiten und Schwitzen und Sündigen und Reichwerden und Schwatzen deine einzige Bestimmung?

So ist schon mancher nicht etwa nur in der Kirche, sondern zu Hause, bei seinem Handwerk, hinter seinem Schreibtisch, auf seinem Acker, in seinem Stalle, auf einer Reise, hinter seinem Ofen, ja auf seinen Sündenwegen, wo er Unrecht saufen wollte wie Wasser, vom Heiland ergriffen und zum Nachdenken gebracht worden. Oft muß eine äußere Schickung dem Heiland erst Bahn machen, oder er muß dem Tode in den Rachen blicken, sonst kann ihm der Heiland nicht bei, kann ihn nicht zum Nachdenken über seinen Zustand erwecken. Ist aber dies geschehen, dann kommt auch der alte Same der Wahrheit wieder zum Vorschein, die alten Sprüche, die alten Lieder, die Worte eines Lehrers, oder Vaters oder Großvaters, die man in der Jugend gehört hatte, kommen wieder, werden wieder lebendig, man versteht sie mehr, man bekommt Licht, es geht ein Licht um das andere auf, man sieht sein Elend je mehr und mehr, man gerät in Verlegenheit über sich selber.

Sehet, wie schon der erste nüchterne Gedanke, die erste Verlegenheit ein Werk des Heilandes ist. Aber den Menschen in dieser Verlegenheit zu dem Entschluß zu bringen, daß er sich an den Heiland, an den rechen Helfer wende, dies ist wieder ein Geschäft des Herrn Jesu. Was ist denn gewöhnlich der erste Gedanke, wenn ein Mensch anfängt, sich über sich selbst zu besinnen, und seinen elenden Zustand zu fühlen? Ist das der erste Gedanke: ich will mit meinem ganzen Jammer zum Heiland gehen, ich will ihm meine Not klagen, ich will meine Sache vor seinem Gnadenthron kund werden lassen, er kann, er wird helfen, denn er heißt Jesus; – ist das der erste Gedanke und Entschluß? Nein, das Erste ist gewöhnlich: wenn ein Mensch sieht, daß er nicht so gewesen ist bisher, wie er hätte sein sollen, so geht er hin und faßt einen Vorsatz. Ich will anders werden, ich will die und die Sünde ablegen, ich will ein anderes, ein frommes, ein christliches Leben anfangen, und so fängt er denn an auf eigene Faust, auf eigene Kraft, nach eigenem Willen, Vorsatz und Gutdünken.

Ein Anderer denkt: das wird das Beste sein, du hältst dich zu diesen oder jenen frommen Leuten, wo Gutes gesprochen wird, da sprichst du auch mit, da kommst du zum Guten und wirst ein anderer Mensch, du weißt nicht wie. Ein Dritter fällt auf die Erkenntnis und will damit den Schaden seiner Seele heilen und sein Herz stillen. Er setzt sich hinter die Bibel hinum, und nimmt einen Ausleger dazu, der auch die Hauptsache in die Erkenntnis gesetzt hat, da kommt er denn auf dunkle Worte und Stellen, darüber fängt er an zu grübeln, oder er macht sich an die Erklärung der prophetischen Bücher, an die Offenbarung Johannis, er fängt an zu prophezeien, und auf die Zukunft des Herrn zu warten und schreckliche Zeiten zu weissagen, und siehe, er hat sich doch noch nicht bekehrt, hat keine Vergebung der Sünden, keine Hoffnung des ewigen Lebens.

Das Erbärmlichste aber ist, wenn er ein Erbauungsbuch nach neuerm Stil und Geschmack in die Hand nimmt und daraus den Weg zum Leben, den Weg zur Beruhigung seines Herzens lernen will. Denn da liest er gerade das Gegenteil von dem, was ihm der Geist der Wahrheit in seinem Innern gesagt hatte. Er liest, daß Buße tun, und seine Sünden erkennen und beweinen lauter Schwärmerei sei; er liest, daß das Meiste, was das Wort Gottes als Sünde bezeichnet, keine Sünde sei, daß es z.B. hochnötig sei, sich der Welt, nämlich der ehrbaren und honetten gleich zu stellen; er liest prächtige Worte von einer
paradiesischen Welt, und von einem liebreichen Allvater, der seine Kinder in dieses Paradies hereingesetzt habe, damit sie desselbigen, so weit es nur immer die Ehrbarkeit erlaubt, genießen; er liest Worte von einem gewissen göttlichen Erlöser, der aber im Grunde nur ein Mensch sei, und die Welt durch seine Lehre erlöst habe; er liest Lügen über Lügen. Wenn er nun solches gelesen, so denkt er: ich habe melancholische Gedanken gehabt, ich könnte zuletzt gar ein Schwärmer werden, ich muß mich hüten und mir Zerstreuung machen.

Sehet, so verkehrt sind wir. Allenthalben suchen wir es, nur nicht beim Heiland. Wir dürften nicht hinauf gen Himmel fahren und Jesum herabholen; wir dürften nicht in die Tiefe fahren und Jesum von den Toten holen, sondern der Heiland ist uns nahe in unserem Mund und Herzen, wenn heute eine Seele sich an ihn wendete, in dieser Kirche, in ihrem Hause, auf dem Felde, einfältig, kindlich, so könnte sie ihn haben, denn er ist uns nahe und läßt sich gerne finden. Aber wir versuchen lieber alles Andere, ehe wir diesen leichten, diesen sichern, diesen heiligen Weg einschlagen. Ich bin die Türe zum Schafstall, sagt der Heiland, durch mich müßt ihr eingehen, ihr Seelen, wenn ihr wollet geborgen sein, zu mir müßt ihr kommen, gerade zu mir, höret es, ihr Mühseligen und Beladenen, zu mir her! Aber man macht lieber alle Umwege, man macht lieber die wunderlichsten Reisen, man steigt lieber über die Mauer hinein, zur Türe will man eben nicht hineingehen. Warum das? Dies kommt her von unserer natürlichen Feindschaft gegen den Heiland, man mag ihn nicht, man hat eine Abneigung gegen ihn, man traut ihm auch nicht recht. Oft sind es auch von Jugend an eingesogene Vorurheile gegen ihn und seine Sache, oft ist es die schlechte Erkenntnis von ihm, oft ist es auch der Stand, in welchem man lebt, was einen ferneren Schlagbaum vorzieht, daß man nicht zum Heiland kommen mag; einem Armen wird solches manchmal leichter, als einem Reichen, einem Geringen leichter, als einem Vornehmen und Angesehenen. Aber der Hauptgrund liegt in der verborgenen Feindschaft des Herzens gegen ihn, im Unglauben, man kann und mag nicht glauben, daß Jesus so stark und liebreich sei, den Menschen helfen zu können und zu wollen, daß er so nahe sei, wie er doch ist. Manche bereden sich auch, dieser Weg sei zu leicht, er sei nicht gründlich genug, man müsse seinen Bekehrungsanker, seinen
Hoffnungsanker tiefer legen, als nur so auf den Heiland.

Wie macht es denn nun der Heiland, wie greift er es an, die Seelen zu bewegen, daß sie ihm zu Füßen fallen und keine andere Hülfe mehr begehren, als die Seinige? Dies können wir am besten am Königischen sehen (Joh. 4.) Sein Sohn wird krank. Was ist das Erste, wenn ein Mensch krank wird, was tut man zuerst? Man wendet sich an den Arzt, man läßt eine Arznei bereiten, man nimmt den Kranken in sorgfältige Pflege, man hofft, man könne seine Gesundheit schon wieder erzwingen, man sieht die Arznei mit einer Art Respect an, man denkt, in diesem Mixturglase steckt also die Kraft, die meinem Kranken wieder zu seiner Gesundheit helfen kann, man setzt seine Hoffnung auf die sorgfältige Pflege, auf den Arzt, auf die Arznei. So ist es vielleicht dem Königischen auch gegangen. Aber wie kam es? Der Arzt weiß nichts mehr, die Arznei hilft nichts mehr; es wird trotz dem Arzte und der Arznei immer schlimmer mit dem Kranken, er wird totkrank, die Not wächst, die Verlegenheit des Vaters wächst, er siehet, sein Kind ist unrettbar verloren, sein Sohn muß sterben. In dieser Not hört er von Jesu, daß er sei nach Kana in Galiläa gekommen, es ist mehrere Stunden Wegs dort hin; aber er besinnt sich nicht lange, er macht nur, daß er fortkommt, zu Jesus muß er, der muß kommen, „ich will ihn so lange bitten, bis er kommt.“ Was hat dem Königischen zum Heiland getrieben? Antwort: die Not, und daß er in dieser Not hörte, daß Jesus in der Nähe sei. So ist es auch im Geistlichen. Wenn ein Mensch wirklich durch den Herrn Jesum zur Besinnung gebracht worden ist, wenn es nicht bloß eine oberflächliche, aus der Vernunft, oder aus dem Fleische, oder aus guter Meinung entsprungene Rührung war, sondern wenn wirklich die Kraft des Sohnes Gottes in einem Menschenherzen gewirkt und eine Verlegenheit hervorgebracht hat, sehet, so kann ein solcher Mensch allerdings auf manche Auswege fallen, um sich aus seiner Verlegenheit zu helfen, er kann auf eigene Frömmigkeit und Tugend, auf ein rechtschaffenes Leben, das er anfangen wolle, er kann auf Almosengeben und sonst auf allerlei Dinge verfallen, womit er sich will bei Gott wohl daran machen, ein Verdienst, eine Gerechtigkeit herauszwingen und seine Sünden bedecken. Aber dies Alles  hilft ihm dann doch nichts. Es ist kein Trost in diesen Dingen, die Unruhe dauert fort, die
Verlegenheit nimmt zu, die Noth wird immer größer; und zu solcher Zeit läßt ihn der Heiland auf irgend einem Wege daran mahnen, daß es einen Heiland gebe, da entschließt er sich endlich, und fällt auf seine Kniee vor seinem Erbarmer und spricht: o hilf Du mir! es kann mir sonst niemand helfen. – So wirkt Jesus das wollen und ist der Anfänger des Glaubens.

Aber er wirkt auch das Vollbringen, und vollendet den Glauben. Mit diesem Geschäfte würde der Heiland bald fertig sein bei uns, wenn wir kindlicher, gläubiger, ehrlicher, demühiger zu ihm kämen. Aber weil dies gewöhnlich nicht der Fall bei uns ist, so kostet es ihn in der Regel noch unaussprechlich viel Arbeit und Geduld, bis er eine Seele zum ganzen glauben, zum ganzen Genusse seines Verdienstes bringen kann. O! wie viel Schwachheit im Glauben, wie viel Mangel in der Erkenntnis, wie viel falsche Vorurteile, wie viel gute, aber aus dem Fleische kommende Meinungen, wie viel unkindliche, unehrliche, schiefe Richtungen des Gemüts hindern und würden ewig hindern den freien Zugang zu der Gnade Gottes, wenn uns Jesus nicht zu Hülfe käme! Wir sind
unaussprechlich blind in Absicht auf den Weg, den uns unser großer Hoherpriester zu ihm
selber gebahnt hat. Wir kennen die Rechte seines Hohenpriesterthums nicht, diese müssen wir erst lernen, und dabei geht es langsam her. Das eine Mal heißt es im Herzen: es ist aus mit dir, du hast es zu arg gemacht, du hast den Reichtum seiner Gnaden zu schändlich und zu lang verachtet, es ist schon so und so lang, daß du von ihm auf dein Seelenheil aufmerksam gemacht worden bist, und immer noch bist du der alte, untreue Mensch, der Heiland muß deiner müde sein. Das andere Mal fängt man an zu zweifeln, ob er auch noch zu helfen, und einen solchen toten Klotz in ein lebendiges Kind Gottes umzuschaffen im Stande sein werde.

Das eine Mal kommt man in Sorgen darüber, ob er es auch höre, wenn man zu ihm seufze und schreie, ob man nicht in den Wind hinein bete. Das andere Mal wieder will es dem Herzen nicht gefallen, an diese köstliche Perle des Reiches Gottes Alles zu setzen, es fürchtet sich davor, in eine ganze Verleugnung um Jesu willen einzugehen, und sich durch die Macht Jesu von allen, auch den subtileren Banden losmachen zu lassen, es bleibt deswegen gerne auf halbem Wege stehen, und tröstet sich mit einem eigenen Trost, und will sich ein Evangelium und einen Heiland machen, bei welchem der Fleischesruhe gepflegt werden könnte. – Es ist nicht leicht eine Art von Bosheit und Heuchelei, welche nicht vor dem Heiland zum Vorschein käme. Den größten Anlaß aber verursacht das bei allen Menschen, daß sie sich nicht in die freie Gnade schicken können. Sie wollen immer etwas bringen, das den Heiland bewegen soll, ihnen zu helfen, sich ihrer anzunehmen und zu erbarmen. Man baut einen Turm um den andern, man macht sich Vorsätze über Vorsätze, man will dem Herrn Jesu bringen Eifer im Gebet, Wachsamkeit, allerlei Verläugnungen, man will ihm bringen Ernst und Ueberwindung der Sünde, man will ihm bringen einen zerschlagenen Geist, einen Zöllnerssinn, wenn schon das Herz davon nichts weißt; so wie man ist, will man nicht vor ihm erscheinen, das fürchtet man; auf Gnade und Ungnade, auf sein freies Erbarmen hin sich zu ergeben, das fürchtet man, und doch ist dies der einzige Weg zur Gnade.

Aus der eigenen Gerechtigkeit heraus in das freie Erbarmen Gottes sich hineinschwingen, ist ein solches entsetzliches Wagestück, daß kein Mensch dasselbige unternehmen würde, wenn nicht der Heiland ihm dazu verhülfe. Es ist aber ein Wagestück aus zwei Gründen, weil wir die Allgenugsamkeit Gottes, daß er unser weder bedarf, noch uns etwas schuldig ist, und weil wir die Liebe Gottes von Natur nicht kennen.

Gott ist in sich selig, er bedarf unserer zu seiner Seligkeit nicht, es bestimmt weder seiner
Seligkeit noch seiner Macht etwas, wenn wir Alle zur Hölle fahren, und aus seiner
Gemeinschaft und aus seinem Reich ausgeschlossen bleiben. Auch ist er die höchste, die
unumschränkteste Freiheit, er ist ganz souverain, er ist uns nichts schuldig, er konnte sich der Menschheit erbarmen, wenn er wollte, er konnte sich ihrer auch nicht erbarmen. Wer hätte ihm hierin etwas vorschreiben mögen? Es war eine freie Tat seiner Liebe, daß er sich der Menschen annahm, und ist es noch, wenn er sich eines Menschen erbarmt. Sehet, dies müssen wir anerkennen, daß seine Gnade gegen uns eine freie Tat seiner Liebe in Christo Jesu ist; er ist uns seine Gnade nicht schuldig. Dies erkennen wir aber nicht von Natur, dies glauben wir nicht, ob wir schon eine Ahnung davon haben in unserem Herzen. Daher kommt es, daß wir mit dem Heiland immer in einen Rechtszustand treten wollen. Wir wollen uns nichts von ihm schenken lassen, wir wollen ihm alles abkaufen, wir hoffen ihm seine Gnade abzunötigen, wenn wir die Kaufsbedingungen erfüllen, wir meinen, es müsse uns Gott gnädig sein, wenn wir uns gut halten, wir wollen ihn zwingen, uns unsere schlechte Ware abzukaufen und seine Güter uns dafür zu geben. O wie blind sind wir! Wie arm sind wir, und wollen doch Gott mit unserer Armut reich machen! Daher kommt es, daß wir vor ihm heucheln und uns reicher stellen, als wir sind, reicher an Tugend und Wohlverhalten, oder, wenn wir mehr christliche Erkenntnis haben, reicher an Gefühl der Sünde – es läuft auf eines hinaus, daher kommt es, daß wir den Rock unserer Gerechtigkeit allezeit zu flicken und herauszuputzen suchen; daher kommt Murren und Empörung gegen Gott, und unverschämte Beurteilung der Wege des Allerhöchsten, wenn wir meinen, es geschehe uns oder Anderen von ihm Unrecht, daher kam es bei Hiob, daß er den Tag seiner Geburt verfluchte, weil er damals die Allgenugsamkeit und Majestätsrechte Gottes noch nicht anerkennte.

Fürchtet Gott und gebet ihm die Ehre! Denn wer hat des Herrn Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen! Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder vergolten? Denn von Ihm und zu Ihm sind alle Dinge.

In die freie Gnade Gottes können wir uns nur schwer schicken, weil wir die Allgenugsamkeit und Majestätsrechte Gottes nicht kennen, aber auch deswegen, weil wir das Herz, das erbarmende, verzeihende Herz Gottes nicht kennen, weil uns seine Liebe unbekannt ist, bevor er etwas davon uns offenbart durch seinen heiligen Geist. Wir hören zwar viel von der Liebe Gottes; das ganze Evangelium predigt sie, die ganze Schöpfung predigt sie, wir meinen, auch etwas davon zu wissen, aber von Natur weiß unser Herz doch nichts davon, ist trotz allem Wissen doch so verhärtet dagegen, wie ein Stein; wenn die Sünden aufwachen im Gewissen, wenn der König anfängt zu rechnen, da erprobt es sich, daß das Herz Gottes uns wirklich unbekannt ist, daß uns wohl vieles von seiner Strafgerechtigkeit, aber nichts von seiner Erbarmung in unser Inneres geschrieben ist, bevor Gott es hineinschreibt durch seinen h. Geist. Ehe dieses geschehen ist, kann sich der Mensch gar nicht unter den ganzen Fluch des Gesetzes demütigen, und wenn er es durch die Wahrheit überzeugt, doch tun müßte, so müßte er geradehin verzweifeln. Aber er wehrt sich dagegen, so lange er kann; er sucht immer neue Feigenblätter, um seine Blöße zu decken, als ein armer, nackter Sünder ohne Gerechtigkeit, ohne rechtmäßige Ansprache an Gott, vor der strafenden Heiligkeit zu erscheinen, davor scheut er sich, davor erbebt er in seinen innersten Tiefen. Gott hat zwar das Evangelium gegeben, er läßt sich dem Sünder anbieten als vergebende, erbarmende Liebe, die den Tod des Sünders nicht wolle, er hat es mit unauslöschlicher Flammenschrift auf das Kreuz des Sohnes Gottes eingegraben, da seine Gedanken dahin gehen, die Sünder selig zumachen; aber so lange der Geist der Wahrheit es nicht groß macht im Herzen, kann man doch daraus kein rechtes, kein ganzes Vertrauen fassen. Ja, man kann sich daran halten in der größten Dunkelheit, als ein festes, unwandelbares Wort, das da scheine in einem dunkeln Ort;
aber aus der eigenen Gerechtigkeit sich heraus- und hineinwagen in den freien Liebeswillen Gottes – diesen Sprung kann man nicht machen, es sei denn, daß der Morgenstern angefangen habe, bereits im Herzen aufzugehen, und ein heller Schein von dem Tage des neuen Testamentes in dasselbige zu dringen. Wo aber dies geschehen ist, wo die Liebe Gottes und das Hohepriesterthum Christi offenbar wird im Herzen, da legt man willig den Rock der eigenen Gerechtigkeit ab, und überläßt sich willig und ganz der ewigen Liebe.

Ich habe einmal eine Geschichte von einem berühmten englischen Prediger gelesen, die er selbst von sich erzählt; ich will euch auch erzählen. Er war um des Evangeliums willen im
Gefängniß, und machte hier folgende Erfahrung. Er befürchtete, man würde ihn endlich aus dem Gefängnis zum Galgen führen. Darüber kam er in große Not, denn er befand sich in innerer Dürre, die göttlichen Dinge waren vor seinen Augen verborgen, er hatte keinen
fühlbaren Glauben zu jener Zeit. Zwei Dinge plagten ihn vorzüglich dabei: erstlich die Furcht, er werde dem Evangelium Schande machen durch Todesangst, die er in diesem
Gemütszustande nicht werde verbergen können, „denn ich schämte mich, zu sterben,“ –
sagte er, – „mit einer Totenfarbe und mit zitternden Knieen in einer solchen Sache, als diese war.“ Das Zweite, was ihm Schrecken einjagte, war der Zustand seiner Seele nach dem Tode: „wo wirst du anlanden, wenn du stirbst, wie wird es mit dir werden? Was hast du für Vergewisserung des Himmels, der Herrlichkeit und des Erbes der Heiligen?“ Oft sah er sich im Geiste hinausführen, sah sich auf der Leiter stehen mit dem Stricke um den Hals, und sein Herz erbebte jedesmal davor, daß er also, ohne wahren Trost, ohne lebendige Hoffnung, mit einer Angst, die dem Evangelio zur Schande gereiche, in die Ewigkeit gehen sollte. Nachdem er aber mehrere Wochen lang in dieser Anfechtung und Finsternis gewesen war, so warf er sich endlich in die freie Gnade. Er erkannte nämlich, daß es in Gottes Willen stünde, ob er ihm Trost geben wolle, nun, oder in der Stunde des Todes; in seinem, des Menschen, Willen, ob er beim Evangelium bleiben wolle oder nicht, er sei verbunden, Gott aber sei frei. Darum faßte er nun ein Herz, und sprach bei sich selber: Weil denn die Sache also stehet, so will ich fortgehen, und es auf mein ewiges Heil in Christo wagen, ich mag Trost von ihm haben oder nicht. Will Gott nicht mit, so laufe ich blindlings von der Leiter in die Ewigkeit hinein, ich sinke oder schwimme, ich komme in den Himmel oder in die Hölle. Herr Jesu! willst du mich ergreifen, tue es, ich wage es in deinem Namen. Mit diesem Gedanken wich die Anfechtung, und Licht und der Trost des Evangeliums kehrte in seine Seele zurück.

Sehet doch den gewaltigen Sprung, den dieser Mann aus allen, in seinem Gemüte
kämpfenden Gedanken heraus in das freie Liebeserbarmen Jesu hineinmachte. Was hat denn der Heiland getan, um ihn zu diesem Sprunge zu bewegen? Antwort: Er hat ihm alle eigene Gerechtigkeit je mehr und mehr abgeschnitten, er hat ihm die Majestätsrechte Gottes geoffenbart, er hat ihn an die Tiefe hingeführt, in welche er springen sollte, er sahe etwas von den Friedensgedanken Gottes, vom Heil in Christo, vom Namen Jesu herausblicken, da wagte er es und sprang in den Abgrund des freien Willen Gottes; ich sinke oder schwimme, ich wag‘ es einmal im Namen Jesu; und er sprang seinem Erbarmer in die Arme. Und so geht es noch jetzt. Der Heiland ist so treu und reißt den Seelen, die in seiner Bearbeitung stehen, ein Gebäude der eigenen Gerechtigkeit um das andere nieder, sie säumen sich zwar nicht und bauen alsobald wieder ein neues, müssen aber mit Schmerzen erkennen, daß auch dieses ein Luftgebäude war. Da findet man immer mehr, daß man durchaus verderbt, ja totkrank ist, daß die besten Werke nicht gut und nicht tauglich sind vor den Augen Gottes, daß Alles befleckt, mit Ungerechtigkeit, Bosheit, Heuchelei des Herzens durchzogen und durchgiftet ist, daß wir – um die Worte Luthers zu gebrauchen – mit Haut und Haar, mit Leib und Seele in die Hölle gehören, und daß, wenn auch alles dieses nicht wäre, unser ganzes Heil dennoch auf lauter Gnade und Erbarmen, auf dem freiesten Liebeserbarmen bei Gott beruhe, und wir ihm nichts abzwingen können. Das macht kleinlaut und mürbe, das bringt herunter, das macht, daß man seiner eigenen Wege herzlich müde und überdrüssig wird. Da wagt man es denn endlich auf die freie Gnade und spricht:

Schau‘ her, hier steh‘ ich Armer,
Der Zorn verdienet hat;
Gib mir, o mein Erbarmer
Den Anblick deiner Gnad‘!

Ich hab‘ es nicht verdient, ich kann es nicht fordern, aber gieb es mir, du Erbarmer. Es geht dabei, wie mit einem Vogel, der, auf einem Baume sitzend, vom Jäger angeschossen wurde. Er sucht zu entfliehen, aber er kann nicht mehr, er fängt an zu fallen, aber er wehrt sich dagegen, er flattert von einem Zweige zum andern, kommt aber immer weiter herunter, endlich fällt er kraftlos zu Boden und der Jäger ergreift ihn. So sinkt zuletzt die Seele abgemattet nieder, weil sie von Jesus überwunden ist, und fällt, indem sie meint, in einen Abgrund zu sinken, in die Hände ihres Freundes und Erbarmers. Mit diesem Sprunge in die freie Gnade ist der Glaube nach seinem innersten Kerne vollendet.

Denn sobald ein Mensch keine eigene Gerechtigkeit mehr aufweist, sobald er nichts mehr
durch das Recht will, so ist er dem Gesetz gestorben, und die Gerechtigkeit Christi wird ihm zuteil. Kaum läßt man die eig’ne Gerechtigkeit fahren, So kann er der Seele sein Heil offenbaren. Dies erfährt man auch in der Wahrheit. Von nun an steht einem solchen armen Sünder das Meer der Erbarmungen Gottes offen, er kann sich hinein glauben in alle Verdienste Christi, er kommt von Glauben in Glauben, er ist ein Kind Gottes, geboren für den Tag der Ewigkeit, ein Mensch Gottes, dem seine Beilage nicht mehr genommen wird, wenn er sie nicht selbst wieder vergeudet und verschleudert. Nun kann er Christum bekennen, und schämt sich seiner nicht mehr, auch wenn er ein Königischer wäre; er spricht:

Es wisse, wer es wissen kann,
Ich bin des Heilands Untertan!

Er geht willig mit dem Freunde seiner Seele hinaus vor das Tor und trägt seine Schmach.
Nun kann er die Sünde überwinden durch die Kraft des Lammes Gottes, nun kann er die
Drangsale dieses Lebens überwinden; denn, der uns den Sohn gegeben hat, sollte der uns mit dem Sohne nicht Alles schenken?

Nicht daß ein Tag wäre, wie der andere, es kommen auch noch Anfechtungen, Uebungen,
Proben des Glaubens. Es gibt auch noch manches zu lernen, wenn man schon ein Kind
Gottes ist. Der Glaube muß unter der Uebung immer lauterer, und das Herz immer mehr dahin gebracht werden, daß es auf Barmherzigkeit hofft, und auf nichts als auf Barmherzigkeit, daß es im Leben und Sterben, in Zeit und in der Ewigkeit, von Tag zu Tag nichts mehr will, als Gnade, daß das Erbarmen, das freie Erbarmen Gottes sein einziges Element wird, darin es sich bewegt. O das ist eine große Sache, ein herrlicher, seliger Stand, wenn es mit einem Menschen dahin kommt. Aber wenn nur einmal der Grund gelegt ist, das Uebrige führt der Heiland auch aus. Lassen wir nur Ihn machen! „Ich bin,“ sagt der Apostel, „dessen in guter Zuversicht, daß der in euch angefangen das gute Werk, wird es auch vollenden bis auf den Tag Jesu Christi.“

Jener Tag wird es erst ganz offenbaren, daß er der Vollender des Glaubens ist. Er helfe uns dazu, daß er es dann auch an uns offenbare!

(Ludwig Hofacker)