Offenbarung 17, 1-11: Die Weltstadt und das Weltreich der Endzeit

Zwanzigste Bibelstunde

Die große Hure Babylon

1 Und es kam einer von den sieben Engeln, die die sieben Schalen hatten, redete mit mir und sprach zu mir: Komm, ich will dir zeigen das Urteil der großen Hure, die da an vielen Wassern sitzt; (Offenbarung 15.1) 2 mit welcher gehurt haben die Könige auf Erden; und die da wohnen auf Erden, sind trunken geworden von dem Wein ihrer Hurerei. 3 Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sah ein Weib sitzen auf einem scharlachfarbenen Tier, das war voll Namen der Lästerung und hatte sieben Häupter und zehn Hörner.
4 Und das Weib war bekleidet mit Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und edlen Steinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll Greuel und Unsauberkeit ihrer Hurerei, (Jeremia 51.7) 5 und an ihrer Stirn geschrieben einen Namen, ein Geheimnis: Die große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden. 6 Und ich sah das Weib trunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blute der Zeugen Jesu. Und ich verwunderte mich sehr, da ich sie sah. (Offenbarung 18.24) 7 Und der Engel spricht zu mir: Warum verwunderst du dich? Ich will dir sagen das Geheimnis von dem Weibe und von dem Tier, das sie trägt und hat sieben Häupter und zehn Hörner.
8 Das Tier, das du gesehen hast, ist gewesen und ist nicht und wird wiederkommen aus dem Abgrund und wird fahren in die Verdammnis, und es werden sich verwundern, die auf Erden wohnen, deren Namen nicht geschrieben stehen in dem Buch des Lebens von Anfang der Welt, wenn sie sehen das Tier, daß es gewesen ist und nicht ist und dasein wird.
9 Hier ist der Sinn, der zur Weisheit gehört! Die sieben Häupter sind sieben Berge, auf welchen das Weib sitzt, und sind sieben Könige. (Offenbarung 13.18) 10 Fünf sind gefallen, und einer ist, und der andere ist noch nicht gekommen; und wenn er kommt, muß er eine kleine Zeit bleiben. 11 Und das Tier, das gewesen und ist nicht, das ist der achte und ist von den sieben und fährt in die Verdammnis.

Die Pracht und Macht Babylons

Das Ende naht für die große Stadt Babylon, und ungeheuerliche Schrecken, Erdbeben, das die Stadt zerreißt und Hagel, der auf die Menschen niederfällt, bereiten es vor. So haben wir gelesen (16, 18-21). Nun wird dem Seher das „Urteil“, der Vollzug des Gerichts gezeigt, das die Stadt endgültig vernichtet. Und dabei wird er zugleich auf Wesen und Bedeutung der Stadt erst recht eingehend aufmerksam gemacht. Da Babylon aber ihre Bedeutung als Welthauptstadt und Mittelpunkt des Weltreichs hat, so werden wir zugleich auch über das Werden und Wesen dieses Reichs und über dessen Verhältnis zur Stadt aufgeklärt.

Von Babylon haben wir schon (14, 8) gehört als von der großen Stadt, welche die Völker mit dem Wein ihrer Hurerei trunken macht. Von ihr geht die tolle Gier nach Genuß und die zügellose Lust, alle Sitte zerbrechend und vergiftend, hinaus in die Welt.  Ein Hurengeist ist es, denn er treibt die Leute, daß sie sich blindlings und willenlos ausliefern und sich und alles hinopfern, wo Weltlust und Sinnengenuß locken. Der Weltmittelpunkt, die Hauptstadt und Großstadt mit ihrem Vorbild, mit ihren Mitteln, mit ihrem Verkehr und mit ihrem selbstsüchtigen und gewinnsüchtigen Werben um die tonangebende Führung draußen in den verbündeten Reichen und in den Provinzen ist „die Mutter der Hurerei und aller Greuel auf Erden“. Von ihr, der „Metropole“, d. h. der „Mutterstadt“ geht es hinaus zu den Höfen und Residenzen der Vasallenfürsten, zu den Großstädten, die wie Töchter ihre Metropole nachahmen, und von da zu allen, „die da wohnen auf Erden“.

Johannes soll nunmehr das Gottesgericht sehen, das über „die große Hure ergehen wird, „die an großen Wassern wohnt“. Jeremia 51, 13 steht das Wort: „Babel, die du an großen Wassern wohnst und große Schätze hast, dein Ende ist gekommen und dein Geiz ist aus!“ Dieses Wort ruft der Engel des Gerichts dem Seher in Erinnerung, jetzt, da er ihm das Gericht über des alten Babel künftiges Gegenbild zu zeigen sich anschickt. Das alte Babel lebte, kann man sagen, durch die großen Wasser des Euphrat und seiner Kanäle: sie waren der Stadt Bollwerk, und sie waren die Verkehrsstraßen für ihren Handel, der die Schätze Indiens ihr brachte. Wir dächten nun, auch das Babylon der Endzeit in der großartigen Umgebung der Wasserströme zu finden. Statt dessen aber wird Johannes im Geist in „eine Wüste“ versetzt. Wie kommt das? Jesaja 21 klärt es auf. Auch dort ist der Fall Babels verkündigt, und zwar gerade mit den Worten, mit denen Johannes (Kap. 18, 2) den Untergang des künftigen Babel verkündigen hört (Jes. 21, 9): „Babel ist gefallen, sie ist gefallen“. Und die Überschrift über diesem Prophetenspruch heißt: „Spruch über die Meereswüste“. Denn der Prophet, obwohl er erst das Gericht verkündigt, schaut die Stadt bereits zum voraus als die, welche „zur Behausung der Igel und zu Wassersümpfen“ geworden ist (Jes. 14, 23). „Meerland“ nannte man das Land am Unterlauf des Euphrat; Meereswüste soll es durchs Gericht werden. So sieht denn auch Johannes die stolze und prächtige Stadt „in einer Wüste“, und die Erinnerung an das jesajanische Gerichtswort sagt ihm, daß dieser Anblick bereits auf das Gericht hinausdeute.

Aber die Stadt, wie er sie vor sich sieht, träumt von allem, nur nicht von ihrem Ende. Sie thront auf einem Tier, dessen Farbe, Scharlach, der Schmuck der Könige ist, und das alle himmlische Majestät und den Allmächtigen selbst verachtet, und an dem, wohin man blickt, nur Gotteslästerung zu sehen ist, und das sich selbst in allen möglichen Namen als gottfeindliche und ihn verhöhnende Macht brüstet.  Siebenfach geteilt und doch geeinigt erscheint des Tieres Macht, als wäre es selbst der  G o t t  d i e s e r  W e l t, der mit seinem Geist und Willen sie ganz umspannt und regiert; und zehn Hörner, die Sinnbilder der Wehrkraft und Angriffskraft, bezeugen, daß alle menschliche Kraft und Gewalt ihm zu seinen Händen sei. Wir kennen dieses Tier. Es ist ganz deutlich dasselbe, das, in allen wesentlichen Zügen ihm gleichgestaltet, Kap. 13, 1ff. aus dem Meer der Völkerwelt aufgestiegen ist: das widerchristliche Weltreich. Dieses Reich trägt die Stadt. Auf seine Macht ist sie gegründet, vom Reich kommt ihr ihre Herrlichkeit. Wie eine Königin kann sie prachten in Purpur und Scharlach und was es an Glanz, Prunk und Verschwendung gibt; damit ist sie förmlich überhäuft und überdeckt: sie strahlt in lauter Gold, Edelstein und Perlen und schwelgt in Macht und Fülle des Besitzes der Güter dieser Welt. In ihrer Hand hält sie einen goldenen Becher, auswendig voll glänzender Pracht; daraus macht sie sich und andere trunken, und er ist bis oben gefüllt mit allem, was greulich und schändlich und unrein ist. Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Wesen, das ist’s, womit sie ihren Durst stillt und ihre Buhlen an sich lockt.

Das ist die Weltstadt der Zukunft, heiße sie dann, wie sie wolle; wer aber geistlich zu urteilen vermag und für die geheimnisvollen Mächte ein Empfinden hat, die sich auswirken in dem, was vor Augen gleißt und glänzt, der liest es ihr von der Stirne ab: Das ist die große Babylon, die Stadt, die sich die Völker ohne Gott und wider Gott als ihres Hochmuts und ihres Fleisches Tempel erbaut haben, um sich um sie zu sammeln (1. mose 11); das ist Babylon, größer und gottwidriger als einst das stolze Babel war, das ds Völkchen des alten Bundes zertreten ht; das ist die Mutterstadt, die Meisterin und Lehrerin alles dessen, was nach ihrem Vorbild Greuliches auf Erden geschehen wird.

„Trunken“ ist die Weltstadt von allem, was Sinnenlust der Erde heißt; aber wir wissen, Sinnenlust stillt den Durst nicht, sondern reizt, wenn man sich ihr hingibt, zu grausamen Begierden, sie weckt den Blutdurst, und so ist denn die große Hure, die sich mit Greueln berauscht, zugleich „trunken von Blut“. Ein widerliches Bild, das Johannes sehen muß: In aller Pracht der Welt strahlend sitzt das Weib betrunken da; Blut der Heiligen Gottes hat sie getrunken,, d. h. mit Lust vergossen in überreichem Maß und sie dürstet nach noch mehr. Wer zur Gemeinde Jesu gehört, fällt ihr zum Opfer, vor allem die, welche ihren Herrn laut vor der Welt zu bezeugen den Beruf und die Treue gehabt haben. Es ist also schon die Zeit der Drangsal, die über Jesu Gemeinde ergeht; ja sie neigt dem Ende zu; denn es sind bereits überreiche Ströme Blutes geflossen.

Das „Weib“ und das „Tier“

Ein ungeheures Erstaunen ist Johannes überkommen beim Anblick Babylons, da er in ihr den Geist, die Pracht, die Macht alles widergöttlichen Wesens der Erde wie in einem grauenvollen Brennpunkt vereinigt und alle Welt von hier aus entzündet sieht. Diese Entfaltung der Satansmacht so höhnisch gotteslästerlich, so grausam wütend und dabei so blendend verführerisch vor Augen zu sehen, erschüttert ihn; er hätte es auf Erden nicht für möglich gehalten. Der Engel aber fragt ihn, warum er in solches Erstaunen geraten sei.War ihm schon was er soeben gesehen hat rätselvoll, zum Staunen, so soll er doch erst jetzt vollends Geheimnisvolles von dem Weib und dem Tier, auf dem sie sitzt, aus des Engels Mund hören. Der Anblick des trunkenen Weibes hatte sein ganzes Staunen gefesselt; aber nunmehr stellt sie ihm der Engel in den Zusammenhang mit dem ganzen bevorstehenden Weltgeschehen.

Festhalten sollen wir dabei, was zum Schluß (V. 18) noch einmal ausdrücklich festgestellt wird: Das Weib ist Bild der Weltstadt, und diese Weltstadt ist, näher gesagt, die beherrschende Zentrale über die Reiche der Erde, also „Mittelpunkt des antichristlichen Bundesstaaats“. Sie „sitzt“ auf dem „Tier“ und dieses „trägt“ sie (Verse 3, 7). Ganz wie Kap. 13 und wie beim Propheten Daniel bedeutet die Tiergestalt auch hier zunächst ein Reich, aber so, daß der Reichsbeherrscher mit drin beschlossen ist oder auch je nach dem Zusammenhang als persönlicher Vertreter des Reichs in den Vordergrund treten kann. Das Tier bildet also das vom Antichrist beherrschte Reich ab, kann aber auch ein andermal den Reichsherrscher, den Antichrist selbst abbilden, in dessen Person Geist, Macht und Herrschaft des Reichs sich darstellen und auswirken. Es ergäbe eine unvollziehbare Vorstellung,  wenn wir hier in dem Tier eine Person abgebildet finden wollten; die Stadt kann doch unmöglich auf dem Weltherrscher „sitzen“, sondern nur ein Reich kann als das Fundament bezeichnet werden, das sie trägt und über dem sie thront. Also ist in unsrem Zusammenhang das „Tier“, welches das „Weib“ trägt, ein Reich. Und zwar ist es das künftige  W e l t r e i c h  d e r  E n d z e i t.

Mit diesem die Welt umspannenden Reich wird es eine geheimnisvolle Bewandtnis haben, und von diesem „Geheimnis“ redet nun der Engel, aber so, daß er das Geheimnis als Geheimnis stehen läßt. *) Dieses Reich werde aufkommen aus dem Abgrund. **)
Das hörten wir schon 11, 7 und sahen darin das Bild des von höllischen Kräften erfüllten widergöttlichen Weltreichs. Dieses Reich wird jedoch nicht ein erstmals neu entstehendes sein, sondern ein Reich, das schon einmal bestanden hat, aber untergegangen ist, und dem niemand zugetraut hätte, daß es wiedererstehen könne. Nun steht es doch da, und zwar durch Höllenhilfe erstanden und getragen, gleich erstaunlich durch sein Wiederaufkommen überhaupt wie durch die übermenschliche Macht, die ihm eignet. Darum staunen die „Erdbewohner“, d. h. die Leute dieser Welt, die Gott nicht selbst als seine Auserwählten vor der Versuchung so bewahrt, daß sie nicht dem Tier, dem berückenden Geist und der knechtenden Macht dieser widergöttlichen Staatsgewalt sich zu Füßen legen. Und doch, ehe die Leute sich’s versehen, wird das Reich schon wieder weggefegt sein, dem sie sich ergeben haben; denn „es geht hin in den Untergang“. ***)

*) Der Engel sagt V. 7 nicht: „ich will dir’s auslegen“, sondern ich will dir’s sagen, d.h. mitteilen (1. Kor. 15, 51).
**) Luther übersetzt: „wird wiederkommen“. Im Grundtext aber steht wörtlich dasselbe wie 11, 7, wo Luther richtig übersetzt hat: „das Tier, das aufsteigt aus dem Abgrund“.
***) Luthers Übersetzung „es wird fahren in die Verdammnis“ entspricht dem Wortlaut nicht genau genug.

Das wird eine Zeit ungeheurer Umwälzungen sein! Die Leute der Endzeit werden Augenzeugen davon sein, „daß das Tier war und nicht da ist und da sein wird“. Also alles das werden sie erleben und mit ansehen. Nicht als von einer Kunde aus vergangenen Zeiten werden sie von dem Tier hören, es sei ehedem da gewesen, sondern sie haben es selber erlebt, wie das Reich da war; sie erleben es auch, wie es vernichtet wird, und sie werden es erleben, wie es dennoch wieder ersteht. Und dann wird sich’s ausweisen, wessen Verstand von Weisheit erfüllt ist, daß es klar sieht, richtig urteilt und unbeirrt fest bleibt.

Das unheimliche Rätsel vom Auftauchen, Verschwinden, Wiedererstehen und Untergehen des „Tiers“, d.h. des von der Höllenmacht (vom „Drachen“, V. 13, 1) ins Leben gerufenen Weltreichs ist hiermit geschildert. Von Vers 9 an wird sodann das  W e s e n  dieses Tiers, das im Bild der 7 Häupter und der 10 Hörner verborgen ist, und sein Verhältnis zur Weltstadt deutlicher enthüllt. Die 7 Häupter bedeuten (vergl. V. 3) des Tieres gottähnliche (und doch widergöttliche) allumfassende Weltherrlichkeit. Auf ihr ruht auch des Weibes fürstliches Thronen, d.h. die Herrlichkeit der weltbeherrschenden und weltbezaubernden Babylon. Im Bild des Tiers erschien diese Macht, die auch dem Weibe das gesicherte Thronen ermöglicht, als siebenfches Haupt. Wenn nun aber an Stelle des Bildes vom Weib die Gestalt der Weltstadt Babylon tritt, so gleicht, was vorhin 7 Häuptern glich, nun sachentsprechend 7 Bergen, auf denen die Stadt gegründet ist als ihrem siebenfachen Fundament. Die Berge, welche die Stadt tragen, sind Machtsitze: eine Vorstellung, die dem Alten Testament wohl vertraut ist (Jer. 21; 25 und Psalmen), und so kehrt das Bild wieder dahin zurück: die Weltstadt ruht auf der siebenfach geteilten und doch organisch einheitlichen Weltmacht des antichristlichen Reichs. Es sind 7 Könige. „König“ und „Reich“ aber sind nicht etwa nur bei Daniel (2, 38), sondern im Grund auch in unsrem Sprachgebrauch oftmals Wechselbegriffe (wie etwa „Papst“ und „Papsttum“). So besteht denn die Vollgewalt des antichristlichen Reiches, von der Babylon getragen ist, aus 7 Häuptern = 7 Bergen = 7 Reichen. „Fünf Könige“, schreibt Johannes, „sind dahingefallen“. Dächte er an die Personen der Könige und nicht an Könige als Träger der Reichsgewalt und Vertreter ihres Reichs, so könnte er nicht wohl den Ausdruck „sind dahingefallen“ gebrauchen, der nur auf Reiche und Herrschersitze, nicht aber ebenso gut auf Menschen paßt.

Die Ausgestaltung des antichristlichen Reichs

So erfahren wir denn hier über das Verhältnis von Babel und Tier, von Stadt und Reich der Endzeit ein Neues, und hierbei ist das Erste, was wir zu beachten haben: Babel, die große Hure, ist nicht erst ein Erzeugnis des vollendeten antichristlichen Reichs, obwohl sie zuletzt an diesem ihr tragendes Fundament gewinnen wird und dabei einerseits seinen Geist (die blutige Verfolgung der Gemeinde) in sich aufnehmen wird, andererseits mit dem eigenen Geist (dem Geist „der Hurerei“) das Reich durchdringen wird.

Zweitens erfahren wir, daß das widerschristliche Weltreich nicht auf einmal als völlig ausgeboren dastehen wird, sondern nach verschiedenen Anläufen, die einander ablösen. „Fünf Könige“, d. h. fünf Reiche, in denen sich bereits der widerchristliche Geist wirksam betätigte, und welche bereits für die Weltstadt Babylon die Grundlage abgaben, sind dahin zu der Zeit, da dasjenige Gericht eingreift, welches Thema und Überschrift des ganzen Kapitels laut V. 1 bildet. Eine neue, sechste Gestaltung fällt eben mit der Zeit zusammen, da Gott sich zum Gericht aufmacht, V. 10.

Es ist uns zu Mut, als sähen und fühlten wir das unruhig ungeduldige Sehnen der letzten Zeiten schon mit, in denen es der Gemeinde Christi schwer werden wird, auszuhalten und durchzuharren, wenn eine weltliche Macht um die andere emporkommen wird, die vom antichristlichen Geist durchtränkt ist, und doch kommt das ersehnte rettende Gericht Gottes immer noch nicht, vielmehr fällt zwar ein Reich nach dem anderen hin, aber wird immer wieder durch ein anderes, ihm wesensgleiches und also ebenso gottwidriges abgelöst. Warum? Kurz gesagt: weil der Antichrist noch nicht  e r s c h i e n e n  ist, soondern noch unterirdisch verborgen seine Macht auf Erden übt. Endlich kommt die sechste Reichsgestalt. Und bei ihr geht es, wie wir es entsprechend bei dem sechsten Siegel, bei der sechsten Posaune und bei der sechsten Zornschale gesehen haben: jetzt, nach langer Geduld, die Gott mitten im Gericht übt und die darum auch die wartende Gemeinde üben lernen muß, setzt das Gericht so ein, daß es nicht mehr abzuwenden ist. Noch einmal wiederholt sich das alte Spiel, daß ein widergöttliches Reich an Stelle des versinkenden aufkommen wird, nämlich das siebte an Stelle des sechsten. Aber wie schon das sechste Reich in der Zeit des „Urteils“, des Gerichtes Gottes, stand, so wird das siebte nur eine kleine Zeit bestehen und dem achten Reiche Raum machen, d. h. dem Tiere selbst, nämlich dem von dem persönlich erscheinenden Antichrist selbst regierten und die ganze Welt umspannenden und durchherrschten letzten Weltreich. Nicht daß damit etwas völlig Neues, bisher der Welt Fremdes aufträte, nein, eines aus der Zahl der früheren Reiche, welches ganz vernichtet und verschwunden war, lebt wieder auf und wird nicht nur zur Großmacht, sondern zum Weltstaat, der den ganzen Erdkreis umspannt, angestaunt von den Erdbewohnern, aber schon bei seinem Aufkommen dazu bestimmt, daß er samt seinem Herrscher dahinfahre ins Verderben. –

Damit sind wir am Höhepunkt des Geheimnisses der Endzeit angekommen, das in der Schilderung des Weibes und des Tieres und des Verhältnisses der beiden zueinander uns mitgeteilt wird. Hier halten wir stille. Es ist für die Zukunft gesagt und redet ausschließlich von zukünftigen Dingen; aber auch die Gegenwart enthält Keime der Zukunft, das erleben wir mit Schrecken und Grauen; und was für die Endzeit gilt, gilt darum auch uns:

Wachet!

Ph. Fr. Hiller spricht uns zu:

Du meine Seele, wache!
Der Heiland sagt’s vorher;
Die Hure, Tier und Drache
Verfolgen immer mehr.
O, bei des Drachen Grimme
Und bei der Hure Wein
Und bei des Tieres Stimme
Will’s ja gewachet sein!

Sind Tausende im Schlafe,
Als wäre keine Not,
So denk’ du an die Strafe,
Die uns der Herr gedroht.
Hinweg mit Furcht und Scheue,
Wo nahe Not zu seh’n;
Hier ist Geduld und Treue
Bei denen Heiligen.

Herr, Du hast überwunden!
Wir haben hier noch Krieg,
Gib uns in bösen Stunden
Durch Deine Macht den Sieg.
Weck Du uns auf zum Beten,
Halt uns die Krone für;
Hilf uns durch Dein Vertreten,
So trennt uns nichts von Dir!

Quellenverzeichnis:

Auslegung: Christian Römer, weil. Prälat und Stiftsprediger zu Stuttgart: Die Offenbarung des Johannes, in Bibelstunden erläutert, S. 162-172 (Verlag von D. Gundert, Stuttgart 1916)

Liedtext: Philipp Fr. Hiller Du, meine Seele, wache
Bibeltext: Luther 1912, aus: bibel-online.net oder bibeltext.com
Bildnachweis: Babylon, Marc Wathieu, Liz. CC-BY-2.0 (Flickr)

Weblinks und Verweise

Aufbau und Gliederung der Offenbarung
PDF-Übersicht von Siegfried F. Weber (im Web Archive)

Einführung in das Prophetenbuch Daniel
PDF-Übersicht von Siegfried F. Weber (im Web Archive)

Symbolik in der Offenbarung des Johannes:
Microsoft-Powerpoint-Präsentation von Siegfried F. Weber
(ausschließlich zur nichtkommerziellen Nutzung)


Eingestellt am 28. März 2022 – Letzte Überarbeitung am 19. Dezember 2023