Das Buch der Offenbarung, das letzte Buch der Bibel, ist von dem großen Feinde der Wahrheit jahrhundertelang als ein dunkles, unbegreifliches Buch hingestellt und in Verruf gebracht worden.
Aber es ist das Buch, in dem uns Gott den ernsten und herrlichen Ausgang des großen Kampfes in der Welt zwischen Licht und Finsternis enthüllt. Es ist die „Offenbarung (nicht ,Evangelium‘, noch ‚Geschichte‘) Jesu Christi (nicht des ‚Johannes‘), welche Gott ihm gab, um seinen Knechten zu zeigen, „was bald geschehen muß!“ So lautet der Eingang des Buches. – Also den Knechten zeigt Er sie. Warum ihnen? Sie, die in dem größten Kampfe stehen, den die Welt kennt, sollen hören, daß er siegreich endet für das Lamm, auf dessen Seite sie stehen und streiten. Oft genug scheint es ihnen, als ob die F i n s t e r n i s siegen werde, aber nein, diese Offenbarung soll ihre Hände stärken, daß sie mutig seien, treu und unverzagt, denn das Lamm wird siegen und Seine Sache gar h e r r l i c h enden.
Das ganze Buch der „Offenbarung“ ist ein Buch der Gerichte. Jesus Christus zeigt darin Seinen Knechten, wie in einem Programme, die Reihenfolge der Ereignisse in dem großen Weltendrama der Gerichte bis zu Seiner Hochzeit und Regierung und bis zu dem ewigen Zustand der Dinge: dem neuen Himmel und der neuen Erde. Er zeigt Seinen „Knechten“, wie die Dinge auf dieser jetzigen Erde sich abwickeln werden, bis der letzte Feind hinweggetan ist und Er als der Letzte auf dem Plane steht, um dann Gott auf ewig alles zu übergeben, dann, wenn „a l l e s n e u“ geworden sein wird. – Wahrlich, für uns, die wir auf der Seite Gottes stehen, ist alle Ursache vorhanden, im Kampf festzustehen und den Mut nicht sinken zu lassen, wie es in einem Liede [von Samuel Preiswerk] heißt:
„Die Sach‘ ist Dein, Herr Jesu Christ,
die Sach, an der wir steh’n;
und weil es Deine Sache ist,
kann sie nicht untergeh’n.“
Jesus Christus, der Herr, hier zwar wohl im Himmel, aber noch nicht in der vollen Entfaltung Seiner Herrlichkeit, sondern als der verworfene Messias, als „der Sohn des Menschen“ gesehen, zeigt und deutet die Offenbarung, die Gott Ihm gab, „dem Johannes durch einen Engel“. In den Briefen der Apostel, welche von den geistlichen Segnungen der Kirche oder Gemeinde des Herrn handeln, ist kein Engel der Überbringer und Ausleger der Gedanken Gottes; aber hier, wo es sich um die Erde und um die Aufrichtung des Reiches Jesu Christi handelt, sehen wir, wie so oft im Alten Bunde, wieder einen Engel als Gottes Boten tätig.
Also die Knechte des Herrn sollen wissen und verstehen, was bald geschehen muß, wie geschrieben steht: „Denn der Herr, Jehova, tut nichts, es sei denn, daß Er Sein Geheimnis seinen Knechten geoffenbart habe“ (Amos 3, 7).
Bedeutungsvoll ist in Verbindung hiermit das folgende Wort: „Glückselig, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung dieses Buches und behalten, was in ihr geschrieben ist, denn die Zeit ist nahe.“ (Vers 3).
Möge diese Glückseligkeit denn auch das Teil des Schreibers und des Lesers dieser Betrachtungen sein!
Wie wir aus dieser Seligpreisung entnehmen können, ist also die Offenbarung für uns keineswegs, wie so viele Christen meinen, ohne große Bedeutung: Der Herr legt diesem Buch vielmehr großen Wert bei und preist die selig, welche die Worte dieser Weissagung lesen, hören und bewahren. Hiermit stimmt auch der ernste Ausspruch am Schlusse des ganzen Buches überein (Kap. 22, 6 und Offenbarung 22, 7, 18 u. 19). Hierzu vergleiche noch die ernste Aufforderung am Ende des 1. Thessalonicherbriefes (5, 27): „Ich beschwöre euch, daß der Brief allen heiligen Brüdern vorgelesen werde.“
Jener Brief redet nämlich mehr denn irgendein anderer Brief des Apostels vom Kommen des Herrn. – Dann fügt der Schreiber hinzu: „Die Zeit ist nahe!“ – Und diese Tatsache macht das Buch so ernst und wichtig: die Zeit ist nahe, da der Herr Jesus Christus, welcher einst als „das Lamm“, als der Erlöser schuldiger Sünder, auf der Erde litt und starb, nunmehr Seine Rechte geltend macht an die Erde, um hier Sein Reich zu errichten. Doch zuvor muß Er richten, und zwar sowohl die bekennende Christenheit als auch Israel und die ganze Erde. Das Buch der Offenbarung schildert also prophetisch die Ereignisse der Zeit zwischen der zu richtenden und moralisch bereits gerichteten Christenheit und dem großen Tage des Herrn, an welchem die Reiche der Welt Christ0 unterworfen sein werden.
Wie schön aber, daß auch in diesem Buch der G e r i c h t e den sieben christlichen Versammlungen oder Gemeinden zunächst Gnade und Friede gewünscht wird. (V. 4.) Diese beiden Stücke kennzeichnen die Stellung des wahren Christen: Auf dem Boden der Gnade ist er gerecht geworden, und hier steht er, solange er hienieden wallt, einerlei, was ihm im Wandel der Zeiten auch begegnen mag. Und Friede kennt sein Gewissen und sein Herz: „Friede mit Gott“ (Röm. 5, 1) und „der Friede Gottes“ (Phil. 4, 6 u. 7) sind sein glückseliges Teil. Teurer Leser, ist dies auch wahr von dir?
In diesem Wunsch „Gnade und Friede euch!“ von seiten des dreieinigen Gottes wird Jesus Christus zuletzt genannt (V. 5), und zwar mit drei Namen oder Titeln. Er ist erstlich „der getreue Zeuge“; das war Er auf Erden. Er ist weiter „der Erstgeborene der Toten“; dies ist Er jetzt, da Er als Sieger über Tod, Sünde, Gericht und Satan zur Rechten Gottes im Himmel thront. Er ist drittens auch „der Fürst der Könige der Erde“; dies bezieht sich auf die herrliche Zukunft (Vergl. Kap. 17, 14; 19, 11-16.)
Nun folgt eine wunderschöne Einschaltung, die ein Ausbruch der Freude des gläubigen Herzens ist (V. 5 zweite Hälfte u. 6). Das Herz hat soeben den Gruß vernommen von Jesu Christo. Wohl ist Er hier genannt worden mit Namen und Titeln Seiner Hoheit und königlichen Herrlichkeit.
Aber das gläubige Herz kennt seinen Erlöser und Herrn noch unter anderen, innigeren Beziehungen; „es wallt über von guten Dingen“, wenn es von Ihm hört und an Ihn denkt. Johannes, der Schreiber, legt gleichsam für einen Augenblick die Feder hin und ruft, seiner Gefühle kaum Herr, namens aller Gläubigen und mit allen Gläubigen aus: „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: ihm sei die Herrlichkeit und die Macht in die Zeitalter der Zeitalter! Amen.“
Wenn die Gattin eines aus der Schlacht siegreich zurückkehrenden Feldherrn diesen an der Spitze seiner Armee erblicken würde, so möchte die Menge dem Sieger noch so laut zujubeln, ihr Herz schlägt höher; sie kennt ihren Mann in einem innigeren Verhältnis als die Menge; er ist ihr treuer, trauter Gatte. So ähnlich frohlockt hier das gläubige Herz, wenn es vorn Herrn Jesus hört. Gewiß ist Er „der Fürst der Könige der Erde“, aber den Erlösten ist Er mehr; und es jubelt und singt Ihm mit allen Erlösten entgegen: „Dem, der uns liebt und uns gewaschen hat in seinem Blut.“
Beachte, daß es nicht heißt: „Dem, der mich“, sondern „der uns liebt und uns gewaschen hat in seinem Blut“. Es ist dies nämlich wahr von allen gläubigen Christen. Und wie wichtig, daß es nicht heißt: „Dem, der uns liebte und uns wäscht in seinem Blut“, sondern, „der uns liebt und uns gewaschen hat.“ Die Liebe, mit welcher wir geliebt sind, bleibt ewig dieselbe. Wie Er uns geliebt hat, als Er für uns ans Kreuz ging und das Gericht erduldete, so liebt Er uns noch immer (Joh. 13). Aber die Waschung oder Reinigung durch Jesu Blut ist geschehen bei allen, die von Herzen an Ihn glauben; und zwar ein für allemal (Röm. 5, ; Hebr. 10, 14). – Wohl gibt es für den Gläubigen auch noch eine fortgesetzte, tägliche Reinigung, aber diese geschieht nicht durch das Blut Christi, sondern (auf Grund des ein für allemal vergossenen Blutes) durch Gottes Wort (Joh. 13, 5-10; 17, 17; Eph. 5, 26).
Welch eine Gnade, welch ein Glück, in Christi vollendeter Erlösungstat zu ruhen und angesichts des kommenden gerechten Gerichtes Gottes in jenes Lied von Herzen einstimmen zu können: „Dem, der uns liebt und uns gewaschen hat in seinem Blut!“ Aber der Herr hat noch mehr getan: Er hat die Seinen in Seine Stellung eingeführt. Ist Er König und Hoherpriester, sind sie Könige und Priester. Mit Ihm werden sie einst herrschen; und durch Ihn bringen sie jetzt schon Gott die Opfer des Lobes dar und verherrlichen Seinen Namen (1. Petr. 2, 9; Hebr. 13, 15).
Nach dem Gruß: „Gnade euch und Friede“ usw. finden wir also eine Einschaltung (V. 5 und 6), die Stimme der Erlösten, der himmlischen Heiligen, die in dem Ausbruch der Freude und der Anbetung des Johannes ihren Ausdruck findet.
Hierauf haben wir (V. 7) die feierlichen und herrlichen Worte: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die ihn durchstochen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes. Ja, Amen!“ Diese Worte gehören nicht mehr zu dem voraufgehenden Lied, sind vielmehr ein Zeugnis an die Welt. So finden wir oft die zwei Dinge zusammen: Gemeinschaft und Zeugnis. Gemeinschaft mit dem Herrn und Zeugnis gegenüber der Welt. So wie einst die Wolke, die zwischen das Heer Israels und das der Ägypter trat, für Israel ein helles Licht zum Heil war, für die Ägypter aber Finsternis und Gericht bedeutete, wird auch das Kommen des Herrn für die Gläubigen Befreiung und Seligkeit, für die Weltkinder aber Gericht und Verderben bedeuten.
Wenn der Herr für die Erlösten wiederkommt, um sie nach Seiner Verheißung hinaufzunehmen ins Vaterhaus (Joh. 14, 3), wird nicht gesagt, daß Er „mit den Wolken“ kommt, obwohl sie Ihm „entgegengerückt werden in Wolken“ (1. Thess. 4, 17), wie auch Ihn bei Seiner Himmelfahrt eine Wolke aufnahm vor den Augen Seiner Jünger hinweg (Apostg. 1, 9). Aber hier (Offenb. 1, 7) ist vom Kommen des Herrn zum Gericht die Rede, zum Gericht für die Welt und insonderheit für die Juden. Darum die ernsten Worte: „Siehe, er kommt mit den Wolken!“ – Und die Erlösten, die einst bei diesem Kommen Jesu mit Ihm herniederkommen werden, die jetzt schon an die Herrlichkeit des Herrn denken, wie an Seine Rechte, die Er dann hier antreten wird, und ebenso an die Segnungen denken, die mit Seinem Reiche auf die Erde kommen werden, bekräftigen dieses Zeugnis und rufen: „J a, A m e n!“
Wie Johannes hier den Herrn in Begriff stehen sieht, Sein Reich in Macht auf Erden zu errichten, so sah Ihn schon viele Jahrhunderte früher der Prophet Daniel. Dort lesen wir: „Ich schaute im Gesichte der Nacht: Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor denselben gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm.“ (Dan. 7, 13). Auch hat der Herr Jesus selbst davon geredet: „Dann wird das Zeichen des Sohnes des Menschen in dem Himmel erscheinen; und es werden wehklagen alle Stämme des Landes, und sie werden den Sohn des Menschen kommen sehen auf den Wolken des Himmels mit Macht und großer Herrlichkeit.“ (Matth. 24, 30.)
Ach, wie wenig denkt die blinde Welt, was ihrer wartet, welchem Gericht sie entgegeneilt! Wie fern liegt ihr der Gedanke, daß der verachtete Jesus, den sie verlacht und verhöhnt, den sie verworfen und getötet hat, bald mit Macht und großer Herrlichkeit „inmitten Seiner heiligen Tausenden“ kommen wird, um „den Erdkreis zu richten in Gerechtigkeit“ (Apostg. 17, 31). Ja, Er, der jetzt die Menschen bitten läßt: „Laßt euch versöhnen mit Gott!“, dessen Blut noch jetzt um Gnade ruft und jeden reumütigen Sünder rein macht von aller Sünde, wird bald kommen „mit den Engeln seiner Macht in flammendem Feuer, um Vergeltung zu geben denen, die Gott nicht kennen und denen, die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorchen, welche Strafe leiden werden, ewiges Verderben vom Angesicht des Herrn“ (2. Thess. 1, 7-9).
Johannes nennt sich (V. 9) einfach den Bruder der Gläubigen, an die er schreibt. Sie sind Kinder Gottes geworden durch den Glauben an Jesum Christum. Es ist das Vorrecht der Gläubigen, dies stets festzuhalten, ob die Rede ist von dem Gericht über die Welt oder von ihrer eigenen Verantwortlichkeit. Zugleich nennt sich Johannes auch unseren „Mitgenossen in der Drangsal und dem Königtum und dem Ausharen in Jesus“. – Der Herr Jesus sagte uns bei Seinem Weggang aus der Welt: „In der Welt habt ihr Drangsal“ (Joh. 6, 33). Das haben all die Seinen erfahren, besonders Seine Knechte und Zeugen zu Anfang. Aber diese Welt wird nicht immer ein Ort der Drangsal, ein „Tal des Todesschattens“ bleiben. Jesus Christus, der Fürst des Lebens, wird hier König sein und herrschen (Ps. 2). Dann, wenn Er kommt zum Gericht der Welt und zu Seinem Reiche, wird allerdings die Welt zunächst noch eine Zeit der größten Drangsal haben (2. Thess 1, 6), die Seinen dagegen schon „Ruhe bei der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel“ (2. Thess. 1, 7). Sie werden dann „Mitgenossen sein im Königtum“ (1. Kor. 6, 2; Offenb. 20, 4.6). Mittlerweilen, bis dieses Reich kommt und bis Christus, der jetzt zur Rechten Gottes im Himmel thront, aber in der Welt verworfen ist, hier auf der Erde herrscht, gilt es, mit Ihm „das Ausharren“ zu teilen. Auch Christus harrt jetzt aus, bis die Zahl Seiner Erlösten, die Gott Ihm aus den Reihen Seiner Feinde gibt, als „Lohn Seiner Schmerzen“ vollendet ist, und bis Seine Feinde, die sich Ihm nicht unterwerfen am Tag des Heils, zum Schemel Seiner Füße gelegt werden (Vergl. z. B. 2. Thess. 3, 5).
Wir finden noch andere Stellen in Gottes Wort, wo beides, das Ausharren und das Mitherrschen, das Leiden mit Christus und die Herrlichkeit mit Ihm nebeneinander genannt werden (vergl. z. B. 2. Tim. 2, 12; 1. Pet. 5, 1).
Johannes war in der Verbannung auf der unwirtlichen Insel Patmos „um des Wortes Gottes und um des Zeugnisses Jesu willen“. Es war das Vorrecht des Johannes, „am Worte Gottes und am Zeugnis Jesu“ zu dienen. Und brachte ihn dieser Dienst in die Verbannung auf ein ödes Eiland, so konnte doch sein Herr und Meister auch dort mit ihm reden und ihn herrliche Dinge hören und sehen lassen. Sah er doch dort den Herrn nicht nur als den Richter und „Fürst der Könige der Erde“ in seiner Majestät, sondern Seine Hochzeit und Seine Braut, wie sie herniederkommt in der Herlichkeit Gottes. (Offenb. 19 und 20).
Kapitel 1, 19-21
Wie schön auch, daß wir von Johannes lesen, daß er am „Tage des Herrn im Geiste“ war.*) (V. 10.). Wie mancher wahre Christ steht allein und kann sich nicht am ersten Tag der Woche mit anderen Gläubigen erbauen und den Herrn loben und preisen, aber er kann im Geiste sein und wird so seines Erlösers und Herrn Nähe und Segen erfahren und immer tiefer hineinschauen in die Dinge, die uns von Gott geschenkt sind, sowie in die Ratschlüsse, Wege und herrlichen Endziele Gottes.
Johannes, der, obwohl allein, „an des Herrn Tag im Geiste“ war, hört plötzlich hinter sich eine starke Stimme wie die einer Posaune. Die Posaune deutet, wie bei der Gesetzgebung am Sinai und wie dereinst bei Seiner Wiederkunft, die Nähe oder Gegenwart des Herrn an. Daß aber die mächtige Stimme, wie die einer Posaune, hinter seinem Rücken vernommen wurde und der Seher sich nach ihr umdrehen mußte, stimmt zu dem Offenbarungscharakter des Buches. Etwas Neues, was nicht zuvor vor Augen stand oder gesehen worden war, sollte mitgeteilt werden. Und nachdem die Stimme Johannes den Auftrag gegeben, alles, was er sehen würde, in ein Buch zu schreiben und sieben bestimmten Gemeinden oder Versammlungen in Kleinasien zu senden, wendet der Seher sich um und sieht zunächst „sieben goldene Leuchter“ und dann inmitten derselben „Einen, gleich dem Sohn des Menschen“. Es ist Christus in dem Charakter als „der Sohn des Menschen“.
Besser heißt es: „an des Herrn Tag“. Es war „der erste Tag der Woche“, wie er sonst heißt in Joh. 20, 1 u. 19; Apg. 20, 7-11; 1. Kor. 16,2. Er ist keineswegs gleichbedeutend mit „dem Tag des Herrn“, wie die Zeit der kommenden Gerichte und des Reiches Christi oft genannt wird (z. B. 1. Thess. 5; 2. Petri 3). Daher ist die Bezeichnung im Griechischen auch verschieden. Hier ist das gleiche Eigenschaftswort gebraucht, wie in 1. Kor. 11, 20 bei „des Herrn Abendmahl“. Es ist der „dem Herrn gehörende Tag“ und „das dem Herrn gehörige Mahl“.
Dieser Titel oder Name „Sohn des Menschen“ wird schon wiederholt im Buch Daniel auf den Messias angewandt ), und findet sich auch etwa hundertmal bei Hesekiel. Der Herr Jesus selbst nennt sich mit Vorliebe so, mehr als sechzigmal in den Evangelien. Warum wohl? Sein Wohlgefallen und Seine Wonne war schon von Ewigkeit her, vor Seiner Menschwerdung, „bei den Menschenkindern“ (Spr. 8, 22-31). Dieser Freude des Herrn an den Menschensöhnen gaben auch die Engel Ausdruck bei Seiner Geburt, als sie jubelten: „Ehre (Herrlichkeit) sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und an den Menschen Wohlgefallen!“ – Als „der Sohn des Menschen“ ist Jesus „der zweite Mensch“, „der Mensch vom Himmel“, „der letzte Adam“, der für das arme, verlorene Menschengeschlecht Sein Leben gab als Lösegeld, der hier verworfen wurde, litt und starb, aber auch als „der Sohn des Menschen“ in großer Macht und Herrlichkeit wiederkommen wird, um die Welt zu richten und den Erdkreis als Erbe in Besitz zu nehmen.
*) Fußnote
So tritt also hier „der Sohn des Menschen“ auf in Seinem richterlichen Charakter, und demgemäß ist auch die ganze Schilderung in diesem Buch der Gerichte. Diese beginnen „am Hause Gottes“ (1. Petr. 4, 17). Die Kirche ist das Haus Gottes; und sie wird hier im Bilde von sieben goldenen Leuchtern gesehen; denn dazu ist sie gesetzt und verantwortlich gemacht in der Welt, für den Herrn zu leuchten. Einst war Israel das Haus Gottes; und das Sinnbild Israels als Gottes Zeugnis auf Erden war der goldene siebenarmige Leuchter im Tempel. Hier sind es sieben einzelne Leuchter. Es handelt sich nämlich um die Verantwortlichkeit der ganzen Kirche in den einzelnen Zeitabschnitten und Zuständen aller Jahrhunderte und um das Zeugnis der Örtlichen (Daniel 7, 13; 10, 5-6). Hier in Daniel wird „der Sohn des Menschen“ vor „den Alten an Tagen“ geführt, um die Herrschaft zu empfangen, aber aus der obigen Schilderung in dem Buch der „Offenbarung“ geht hervor, daß „der Sohn des Menschen“ selbst auch zugleich „der Alte der Tage“ ist; d. h. daß Er sowohl Mensch ist als auch „Gott, gepriesen in Ewigkeit“.
Gemeinden, deren Leuchter hinweggenommen werden kann und wird, wenn sie nicht treu sind. Ja, auch die ganze Kirche oder bekennende Christenheit wird einst als Leuchter weggestoßen werden; der Herr wird sich, nachdem Er zuvor all die Seinen zu sich genommen hat, öffentlich von ihr lossagen.
Wenn wir die Schilderung des Herrn hier weiter verfolgen, so finden wir, daß Er uns in Seiner Hoheit und Majestät als der Richter vor Augen geführt wird. Sein Gewand ist lang herabwallend, nicht aufgeschürzt wie bei der Fußwaschung der Jünger (Job. 13); auch ist Er nicht, wie damals, mit einem leinenen Tuch umgürtet, sondern „mit einem goldenen Gürtel“. Weiße Leinwand ist das Bild der praktischen Gerechtigkeit, d. h. der Reinheit im Wandel. Gold dagegen ist ein Bild der göttlichen Gerechtigkeit. Dem Unbekehrten ruft der Herr zu: „Ich rate dir, Gold von mir zu kaufen, geläutert im Feuer, auf daß du reich werdest!“ Im Feuer Seiner Leiden am Kreuz hat Er das Gold göttlicher Gerechtigkeit allen erworben, die an Ihn glauben. Und die Bekehrten, die in dieser unreinen Welt mit Ihm wandeln, sollen einst „in Weiß“ gekleidet werden; sie werden mit Ihm kommen von der Hochzeit des Lammes, „angetan mit weißer, reiner Leinwand“ (Offb. 19, 8.14).
Wie steht’s um dich, mein Leser? Sieht Gott dich noch nackt und bloß in deiner Sündenschuld oder begnadigt und bedeckt mit dem lauteren Gold Seiner Gerechtigkeit? Und wandelst du nunmehr in „weißer reiner Leinwand“, d. h. in Reinheit und Neuheit des Lebens, in praktischer Gerechtigkeit und Heiligkeit? O möchten wir den Ernst des Lebens begreifen und den Willen Gottes erkennen und tun. „Denn dies ist Gottes Wille: eure Heiligung“ (1. Thess. 4, 3).
Weiter lesen wir in der Schilderung des Sohnes des Menschen, der zugleich „der Alte an Tagen“ ist nach Daniel, daß Sein Haar weiß war, „wie weiße Wolle, wie Schnee, und Seine Augen glühten wie eine Feuerflamme“. Seine Einsicht und Weisheit ist vollkommen, und nichts entgeht Seinen alles durchforschenden Augen, denn Er ist der Allwissende. Er wandelt inmitten der Versammlungen; alles nimmt Er wahr und stellt es auf die Probe, und alles, was nicht vor Ihm bestehen kann, bringt Er ins Gericht. „Seine Füße sind gleich glänzendem Kupfer, als glühten sie im Ofen.“
Während Gold das Bild der absoluten göttlichen Gerechtigkeit ist, ist Kupfer oder Erz das Bild des göttlichen, gerechten Gerichts über die Sünde. So sehen wir, daß die Schlange, die in der Wüste erhöht wurde zur Rettung der um ihrer Sünde willen gestraften Juden, von Erz oder von Kupfer war; ebenso war der Altar im Vorhof, auf dem die Sündopfer dargebracht wurden, mit Erz überzogen. Auch das Waschbecken im Vorhof der Stiftshütte oder des Tempels zur täglichen Reinigung der Priester war von Erz. Dagegen war der Sühndeckel der Bundeslade von Gold. Das Feuer, in dem das Kupfer glühte, ist ein Sinnbild des göttlichen Zorns und Seiner strafenden Heiligkeit. Seine Stimme war mächtig, gleich dem Rauschen vieler Wasser.
In Seiner rechten Hand hielt der göttliche Richter, der inmitten der sieben goldenen Leuchter wandelte, sieben Sterne. Die Sterne waren also in Seinem Besitz und unter Seiner Autorität. Wer aber die sieben Sterne sind, hören wir in Vers 20: Sie sind Sinnbilder der sieben „Engel“, welche ihrerseits die geistigen Vertreter der sieben Versammlungen sind. Wie im Reich der Natur die Wandelsterne ihre Stellung zur Sonne einhalten und von ihr das Licht empfangen müssen, so sehen wir auch hier die sieben Sterne, die gesetzt sind, Licht auszustrahlen in die dunkle Welt, Ihm unterworfen, dessen Angesicht leuchtete „wie die Sonne in ihrer Kraft“, und der die volle Offenbarung Gottes ist (V. 16).
Aus Seinem Munde ging hervor „ein scharfes zweischneidiges Schwert“. Das scharfe Schwert ist ein bekanntes Bild vom Worte Gottes (Eph. 6, 17; Hebr. 4, 12). Hier sehen wir das Schwert im Munde Dessen, der selbst das Wort Gottes ist, der mit Seinem Wort alles beurteilt und richtet, sogar mit ihm einst das Gericht zum Tode ausüben wird auf Erden (Offenb. 19, 13-15).
Diese richterliche Erscheinung des Herrn in Seiner Majestät ist so gewaltig, daß Johannes, der doch so manches Jahr mit Ihm gewandelt und als der Lieblingsjünger an Seiner Brust gelegen hatte, bei dem Anblick hinfällt wie ein Toter.
Ja, was ist der Mensch, der Staubgeborene, der in sich selbst nur sündhaft ist, vor dem Ewigen und Heiligen? Wie ging es Hiob, als er sich im Lichte Gottes sah, gleichsam Gott selbst sah? Er, der seinesgleichen auf Erden nicht hatte, gerecht und untadelig war vor Menschen, rief aus: „Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört; nun aber hat mein Auge dich gesehen, darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche“ (Hiob 42, 5. 6). Ähnlich erging es dem Propheten Jesaja. Er rief aus, als er den Herrn erblickte: „Wehe mir! denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich, denn meine Augen haben den König, den Herrn der Heerscharen, gesehen“ (Jes. 6). Und Daniel, der treue Zeuge Gottes, der vielgeliebte Mann, fiel ganz so wie Johannes zu Boden beim Anblick des Herrn (Dan. 10).
Diese alle aber waren bereits zu Gott bekehrte Männer. Wie muß es erst sein, wenn der unbekehrte Mensch mit seiner Sündenschuld vor dem ewigen Richter erscheinen muß! Der Gedanke oder das Gebet, das man oft am Grabe hört: „Gott möge ihm ein milder Richter sein!“ hat keinen Wert, führt nur die Menschen irre. Der Mensch, der in seinen Sünden stirbt, findet stets einen gerechten Richter. Wehe jedem, der ins Gericht kommt! Von allen aber, die mit Gott versöhnt wurden, weil sie sich zu Ihm bekehrten am Tage der Annehmung, wissen wir, daß sie „nicht ins Gericht kommen“ (Joh. 5, 24). Und wieder lesen wir: „Da ist keine Verdammnis für die, welche in Christus Jesus sind“ (Röm. 8).
Johannes 5, 24: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“
Sage denn, mein Leser, bist du schon in Christus Jesus? „Siehe, jetzt ist die Zeit der Annehmung, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ (2. Kor. 6, 2).
Wie aber spricht der Herr und Richter zu Johannes? Er legt schirmend, tröstend Seine starke Rechte auf ihn und ruft ihm zu: „Fürchte dich nicht!“ Das war nur möglich, weil Johannes zuvor zu Ihm bekehrt und Sein Jünger geworden war. Wie schön! „Fürchte dich nicht!“ So lautet das erste Wort aus dem Munde des Richters an Johannes, Seinen Zeugen und Knecht. Dann fährt er fort und offenbart sich ihm als „der Erste und der Letzte“ d. h. als Jehova*, der Ewige.
Nachdem der Herr so dem Johannes Seine Macht und Stellung geoffenbart hat, sagt Er ihm, daß er alles Geschaute niederschreiben soll als das, was er gesehen hat. Aber er sollte auch ferner niederschreiben, was Er ihm noch zeigen würde: „Schreibe nun, was du gesehen hast – und was ist – und was geschehen wird nach diesem“ (V. 19).
In diesem Vers haben wir die Einteilung des ganzen Buches der Offenbarung. Der erste Teil (,‚was du gesehen hast“) zeigt uns den Herrn als Richter und umfaßt Kap. 1, Verse 9-16. Der zweite Teil (,‚was ist“) umfaßt die Schilderung der sieben Versammlungen in Kleinasien (Kap. 2 und 3), wobei zu beachten ist, daß diese sieben Versammlungen auch ein prophetisches Bild geben von der Geschichte der christlichen Kirche von ihrem Anfang bis zum Ende. Wir haben also in Kap. 2 und 3 einen prophetischen Abriß der Kirchengeschichte. – Der dritte Teil (,‚was geschehen wird nach diesem“) umfaßt dann den Schluß des Buches (von Kap. 4 ab), die Darstellung der Dinge, die geschehen werden nach Abschluß der Geschichte der Kirche auf Erden, nämlich die Wege und Handlungen Gottes mit Israel und der Welt zu Seiner eigenen endgültigen Verherrlichung auf Erden wie im Himmel.
*) oder JAHWE, oder HERR…
Quelle:
Dönges, Dr. Emil: „Was bald geschehen muß“: Betrachtung über die Offenbarung. Erschienen bei: Verlag Geschw. Dönges, Dillenburg (2. Auflage, 1921) [Download im pdf-Format bei Martin Arhelger], S. 11-25.