Der Ort, wo ich als Kind mit tausend stillen Geistesahnungen mich entwickelt habe, ist der Schwarzwald, ein schönes, gewaltiges Gebirge, wenn man die rechten Vertiefungen und Hochflächen kennt, die noch etwas vom Gepräge der Urnatur an sich tragen. Der geistige Grundcharakter jener stillen, majestätisch einsamen Waldhöhen ist eine feierliche Melancholie, eine schwermütige Erhabenheit. Jene bald wellenförmigen, bald mit schroff abstürzenden Waldgehängen besäumten Hochflächen des Schwarzwaldes mit ihren tiefen, kühn zwischendurch gesprengten Schluchten und Tälern zeigen bei klarer Witterung ein hehres, unbeschreiblich ergreifendes Stilleben der Natur; und was ihnen den edelsten Reiz verleiht, das ist der blaue, hoch über das Immergrün der riesigen Tannenwälder sich so weithin ausbreitende Himmel. Da liegt die Welt an einem stillen Frühlings- oder Sommertage so mild und herrlich vor dem Geist ausgebreitet da; der Mensch ist mit sich selbst und seinem Gott hier völlig allein…
In solchen stillen, großartigen Umgebungen bildet sich das erwachende Kindergemüt wohl am besten. Denn nicht sowohl der Mensch und der Umgang mit Menschen, sondern zunächst der Umgang mit der Natur und ihren Wundern, diesen stummen und doch so beredten, prophetisch bedeutsamen Zeugen der Herrlichkeit Gottes, bildet die Grundanschauungen und die mit dem Herzen so tief verwobene Phantasie des Kindes, und wo nicht die Natur zugrunde liegt, da wird auch aus den schönsten Anlagen der Einbildungskraft schwerlich etwas Rechtes.
Wiedersehen mit der Kinderheimat
Schau hin! Mein junges Herz erstund
aus diesen Tiefen hie; aus dieses Urgebirges Grund
wuchs meine Phantasie,
in Wehmut liebeglühend.
Dort, wo sich aus Granit und Gneiß
der Riesenwald erhebt,
ward’s frühe mir im Herzen heiß,
das noch im Feuer bebt.
Ach sieh! Hier taucht mir Baum und Stein
als trauter Freund empor,
hier flüstert jeder Strauch am Rain
holdselig an mein Ohr,
ins Herz des alten Kindes.
Jedwedes Blümlein hält mich reg‘
in wundersüßem Leid,
fast küß‘ ich jedes Kraut am Weg
mit tiefer Innigkeit.
Dich kenn ich noch, o Waldespracht!
Hab einst dich oft gesehn
gleich einer stillen Heeresmacht
im Frühlingssturme wehn,
und dann im Herbste trauern.
Ihr schlanken Tannen seid sehr hoch
gewachsen unterdes.
Wir altern; aber Kraft ist noch
in Gottes Goldgefäß.
(Albert Knapp)
Quelle:
zit. in: Arno Pagel: Ehret, liebet, lobet ihn! Aus dem Leben und Schaffen der Liederdichter Hiller, Knapp, Barth und Traub. Liebenzeller Mission, Bad Liebenzell 1986, ISBN 3-88002-309-3 (= Telos-Bücher; 2301; Telos erzählende Paperback). (Digitalisat, pdf)
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