Jesaja 1, 15

Und wenn ihr schon eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen vor euch; und ob ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht; denn eure Hände sind voll Blut. (Jes. 1, 15)

Mancher Mensch hat einen gar zu großen Gefallen an seinen eigenen Wortgebeten und gefällt sich selber, weil er so hübsch beten kann, und meint, er sei so fromm, er könne so andächtig beten. Das ist ihm auch keine Heuchelei, sondern ein solcher Mensch meint es manchmal recht gut bei seinem Beten. Aber weil zu viel Eigenliebe und zu viel Menschliches darin ist, darum läßt es Gott geschehen, daß einer solchen Seele das Vermögen benommen wird, daß sie es so nicht mehr hervorbringen kann, wie sie es vorher wohl konnte, da sie selbst betete, da sie selbst Betmeisterin war und noch selbst das Ruder führte beim Gebet.

Das aber tut Gott darum, damit die Seele dem heiligen Geiste besser Platz geben möge. So weit war auch Paulus gekommen, wenn er sagt: „Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt.“ Paulus war studiert, er hätte ja wohl Gebete machen können; ja, er hätte wohl Mundgebete tun können, aber das freute ihn nicht. Nein, sagt er, wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s geziemt. Aber der Geist kommt uns zuvor mit unaussprechlichen Seufzern. Wenn demnach der Mensch nach Erfahrung seines Unvermögens beim Gebet nur demütig vor Gott bekennen würde, er könne nicht beten und erwarte so des heiligen Geistes Wirkung in seinem Inwendigen – o so würden manchmal unvermutet unaussprechliche Seufzer in ihm aufsteigen, die vor Gott unendlich würdiger und seiner Seele heilsamer wären als alles selbstgemachte und aus eigener Anstrengung hervorgebrachte mündliche Beten. Und daher kommt es auch, daß wir nicht verharren können im Gebet und daß uns manchmal die Zeit darin zu lang fällt, weil wir dem heiligen Geist nicht genug Raum geben. Laßt uns nur bei all unserem Unvermögen im Gebet als arme, dürftige Bettler vor der Gnadentür unseres Gottes beständig liegen bleiben und nur warten, nur dann und wann in wahrer Herzensdemut und Wehmut ein sehnliches Blickchen nach unserem himmlischen Vater und Erbarmer tun, so wird er selbst, der heilige Geist, auf die erhörlichste Weise in uns beten.

(Gerhard Tersteegen)

Quelle: Glaubensstimme – Christliche Texte aus 2000 Jahren

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Opfern, Tempel- [Kirchen-] Laufen, Festefeiern, die Hände ausbreiten zum Gebet, kurz – die äußeren Übungen der Frömmigkeit, die keinen heiligenden Einfluß auf Herz und Leben haben, sind wertlos, dieses Nebeneinander (Frevel und Festfeier), dies Teilen des Herzens ist Gott ein Greuel.

Parallelstellen:

Wenn er [der Gottlose] gerichtet wird, müsse er verdammt ausgehen, und sein Gebet müsse Sünde sein. (Ps. 109, 7)

Wer sein Ohr abwendet, das Gesetz zu hören, des Gebet ist ein Greuel.
(Spr. 28, 9)

Darum, wenn ihr nun zum HERRN schreien werdet, wird er euch nicht erhören, sondern wird sein Angesicht vor euch verbergen zur selben Zeit, wie ihr mit eurem bösen Wesen verdient habt. (Micha 3, 4)

Wir wissen aber, daß Gott die Sünder nicht hört; sondern so jemand gottesfürchtig ist und tut seinen Willen, den hört er. (Joh. 9, 31)

Die Gottlosigkeit hat unter anderem zur Folge, daß dem Gottlosen ein Gebet als Gräuel und Sünde angerechnet wird, da er es gewagt hat, Gott zu nahen, obwohl ihm jede Empfindung für Gottes Heiligkeit und die eigene Verwerflichkeit fehlt.

Quelle: Karl Mebus – Die Psalmen, eine Auslegung für die PraxisPsalm 109
(bibelkommentare.de)

Bibeltext: Luther 1912 (bibeltext.com)

Eingestellt am 12. Juni 2022