1. Samuel 24, 1.2

Da nun Saul wiederkam von den Philistern, ward ihm gesagt: Siehe, David ist in der Wüste Engedi. Und Saul nahm dreitausend junger Mannschaft aus ganz Israel und zog hin, David samt seinen Männern zu suchen auf den Felsen der Gemsen. (1. Sam. 24, 1.2)

Als David sah, daß er auch unter den Siphitern nicht sicher war, zog er hinauf von dannen und verbarg sich auf den Höhen von Engedi. Hier erlebte er bald eine der schwersten Versuchungen in seinem Kampf wider Saul. Diese gibt uns tiefe Einblicke in das innere
Geistesleben Davids und zeigt uns, in welch einer Gesinnung und mit welchen Waffen er als Gesalbter den Kampf beantwortete, den Saul wider ihn führte. Nachdem Saul erfahren hatte, daß David sich in der Wüste Engedi aufhielt, nahm er dreitausend junge Männer
und zog hin, um David samt seinen Männern zu suchen. Da geschah es, daß Saul in eine Höhle trat, die am Wege lag, um darin auszuruhen und zu übernachten. Hinten in der Höhle war jedoch David mit seinen Mannschaften. Saul aber wußte es nicht.

Als die Männer Davids die Lage übersahen, sprachen sie zu ihm: „Siehe, das ist der Tag, davon Jahve dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hände geben, daß du mit ihm tust, was dir gefällt!“ Und David stand auf und schnitt leise einen Zipfel von
Sauls Rock. Danach aber schlug ihm sein Herz, daß er den Zipfel abgeschnitten hatte, und er sprach zu seinen Mannen: „Fern sei es mir vor Jahve, meine Hand gegen einen Gesalbten Jahves auszustrecken!“ Und David wies seine Männer von sich und ließ sie sich
nicht wider Saul auflehnen.

Das war für David eine schwere Versuchung. Es schien tatsächlich die Stunde gekommen zu sein, wo Gott ihm Raum für seinen Dienst verschaffen wollte. Und die Männer, von denen David umgeben war, sahen die Situation auch als eine von Gott gegebene Gelegenheit an. Und doch war es nicht der Weg Gottes. Wäre David der Versuchung unterlegen, dann hätte er den Weg der eigenen Kraft und der Selbsthilfe betreten. Auf diesem Wege hätte er wohl eine Revolution entfachen, aber nicht ein Volk als Geschenk aus der Hand Gottes empfangen können. Gesalbte Gottes werden nie versuchen, über die Leiche ihres Bruders hinweg zu den Aufgaben zu gelangen, die in der Mitte ihres Volkes für sie liegen.

(Aus: Jakob Kroeker: Das lebendige Wort)

Eingestellt am 13. Juli 2022