Psalm 68, 10 (Magnus Roos)

Daß deine Herde darin wohnen könne. Gott, du labtest die Elenden mit deinen Gütern. (Psalm 68, 10)

So groß und mannigfaltig das Elend der Menschen auf Erden immer sein mag, und so leichtsinnig diejenigen denken, die das irdische Leben, auch wo es am besten ist, für ein Wohlleben halten können: so ist’s doch auch nicht zu leugnen, sondern mit demütigstem Dank zu erkennen, daß Gott um unsers Mittlers und Versühners willen den Fluch, womit Er die Erde wegen der Sünde belegt hat, auf unzählige Art und Weise mildert und erleichtert; ja, daß noch ungleich viel weniger Plagen in der Welt sein würden, wenn die Menschen nicht durch vorsätzliche Bosheit sich selbst und Andern das Leben sauer machten.

Selbst die Empfindung so mancherlei Elends, das von unserm sündhaften Zustand unzertrennlich ist, macht uns die Güte Gottes desto fühlbarer. Wie wohl tut es z.B. einem Hungrigen, wenn ihm ein Stück Brot, oder sonst eine seinem Bedürfnis angemessene Speise zuteil wird! Wie innig erquickt es einen Durstigen, der entweder von der Sonnenhitze, oder von einer mühsamen Arbeit, oder von einem weiten und beschwerlichen Gang, oder von einem Krankheitszufall ausgedorrt ist, wenn er einen frischen Trunk erlangt! Wie erwünscht kommt einem von Ächzen und Seufzen umgetriebenen Patienten, der sich lange vergeblich nach Ruhe gesehnt hat, ein sanfter Schlaf! Wie angenehm ist die Linderung, die manchmal eine gute Arznei bei großer Entkräftung, oder ein kühlendes, reinigendes Pflaster u. dergl. in brennenden Schmerzen verschafft!

Noch mehr, als dieses Alles, labt das gütige Wort Gottes die Seele des Sünders, der im Gefühl seines geistlichen Elends nach der göttlichen Gnade schmachtet, und für sein verwundetes Gewissen bei seinem Versühner und Seligmacher Hilfe sucht. Rohe, freche, sichere, leichtsinnige, um ihr Heil unbekümmerte Gemüter können sich gar nicht vorstellen, was es um die Tröstungen des Wortes und Geistes Gottes für eine köstliche Sache ist. Aber wem der Greuel der Sünde aufgedeckt wird, wen das Gesetz seine verdammende Kraft empfinden läßt, wer es in gesunden oder kranken Tagen fühlt, was es heißt, durch unzählige Abweichungen von dem Willen des Allmächtigen sich einen Schatz des Zorns auf den Tag des Zorns und des gerechten Gerichts Gottes gesammelt haben: ach wie erquicklich muß es einem Solchen sein, wenn er’s hört, und wenn er’s unter demütigem Gebet und Flehen glauben lernt, daß Jesus die Versühnung für der ganzen Welt Sünde sei, daß Er den Mühseligen und Beladenen Ruhe für ihre Seelen versprochen habe; ja, daß er, der gedemütigte, sich selbst verurteilende Sünder durch den einigen Mittler Gnade und Vergebung, Leben und Seligkeit erlangen könne, oder wirklich schon erlangt habe!

Wohl denen, die aus eigener Erfahrung, besonders in diesem Sinn, sagen und rühmen können: Gott! Du labtest die Elenden mit Deinen Gütern! Nur ein Elender ist einer Labung bedürftig und fähig. Was uns oft kleinmütig machen will, flicht die heilige Schrift in die größten und allerteuersten Verheißungen ein, indem sie den Elenden, Traurigen, Verlassenen, Geschmäheten, Armen u. dergl. verspricht, daß Gott Seine Barmherzigkeit und Kraft an ihnen offenbaren und verherrlichen wolle.

(Magnus Friedrich Roos)


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Eingestellt am 1. Juni 2024