Wie man sich daran nicht ärgern soll, daß GOtt den Menschen viele Trübsale zuschickt.
Es geschieht oft, daß sich die Menschen daran ärgern, wenn GOtt ihnen und andern viele Trübsale zuschickt. Hiob, welchem GOtt auf einmal sein großes Vermögen, seine Kinder und seine Gesundheit wegnahm, konnte sich eine Zeitlang nicht darein schicken, und sagte unter anderem Kap. 31, 3.: „Sollte nicht billiger der Ungerechte solch Unglück haben und ein Uebelthäter so verstoßen werden?ˮ
Assaph sagte Ps. 73, 2. 3. 12-14.:
„Ich hätte schier gestrauchelt mit meinen Füßen, mein Tritt hätte beinahe geglitten, denn es verdroß mich auf die Ruhmräthigen, da ich sahe, daß es den Gottlosen so wohl gieng. Siehe, das sind die Gottlosen, die sind glückselig in der Welt und werden reich. Soll’s denn umsonst seyn, daß mein Herz unsträflich lebt, und ich meine Hände in Unschuld wasche? Und bin geplaget täglich, und meine Strafe ist alle Morgen da.ˮ
Auch sagte der Prophet Jeremias Kap. 12, 1-3.:
„Warum geht es doch den Gottlosen so wohl, und die Verächter haben alles die Fülle? Du pflanzest sie, daß sie wurzeln und wachsen, und bringen Frucht; du lässest sie viel von dir rühmen, und züchtigest sie nicht. Mich aber (der ich viel leiden muß) kennest du HErr, und siehest mich und prüfest mein Herz vor dir.ˮ
Heut zu Tag fragen viele Leute auf eine viel trotzigere Art: womit habe ich’s verdient, daß mir GOtt Armuth, Schmerzen und andere Unglücksfälle zuschickt? Sie beschuldigen GOtt der Ungerechtigkeit, weil er sie mehr als andere leiden lasse, da sie doch ihrer Meinung nach weniger als andere gesündiget haben. Man merke aber hierauf folgenden Bescheid:
1. Wer bist du, o Mensch, daß du mit GOtt rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: warum machest du mich also? Also darfst du zu GOtt, der dich geschaffen hat, auch nicht sprechen:; warum machest du einen armen, kranken und unglückseligen Menschen aus mir? „Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Faß (Gefäß) zu Ehren und das andere zu Unehren?“ Röm. 9, 20.21. Jeremias sagt selber Kap. 12. 1.: „HErr, wenn ich gleich mit dir rechten wollte, so behältest du doch recht„. Und als Hiob allerhand Einwendungen wider GOttes Regierung gemacht hatte, so mußte er zuletzt sagen: „Siehe, ich bin zu leichtfertig gewesen, was soll ich antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen. Ich habe einmal geredet; darum will ich nicht mehr antworten: zum andernmal will ich’s nicht mehr thun“. Hiob 39, 34.35. und Hiob 42, 3.: „Ich bekenne, daß ich habe unweislich geredet, das mir zu hoch ist, und nicht verstehe“.
2. Ferner, wer bist du, der du dich etwa auf den Hiob, Assaph und Jeremias berufst, die vor Christi Geburt gelebt haben, und in ihren großen Nöthen ihre Klagen vor GOtt gebracht und ihre Verwunderung über GOttes Regierung bezeugt haben? Bist du auch bisher schlecht und recht und gottesfürchtig gewesen, und hast du in deinem vorigen Leben das Böse gemieden, wie vom Hiob Kap. 1, 1. gesagt wird? Kannst du wie Asaph Ps. 73, 13 sagen, daß dein Herz unsträflich gelebt habe, und du deine Hände in Unschuld gewaschen habest? Denkest du nicht daran, daß du von Kindheit an ein Sünder gewesen seiest? Hast du deine Jugendsünden vergessen? Erkennest du nicht, daß du schon sehr viel Böses gethan und sehr viel Gutes unterlassen habest? Fühlest du nicht die große und tiefe Verderbniß deiner Natur, die noch jetzt vorhanden ist? Ach bitte GOtt, daß er dich erleuchte und dir deine Sünden unter Augen stelle; so wirst du alsdann nimmer fragen: womit habe ich mein Unglück verdient? Du wirst alsdann einsehen, daß du es wohl verdient habest, ja daß du noch etwas Aergeres, nämlich die höllische Pein, verdient habest.
[….]
Quelle: Roos, M. Magnus Friedrich: Kreuzschule; oder Anweisung zu einem christlichen Verhalten unter dem Leiden. Mit einem Anhang von Gebeten für besondere Fälle.
Fünfte Auflage. Stuttgart, Verlag der Evangelischen Bücherstiftung (Christophsstraße Nr. 6), 1857 (S. 20-23; Digitalisat in der Google Buchsuche)