1) Psalm 51, 4 (Immanuel Gottlieb Kolb)

Von der wahren Buße im Anfang und Fortgang der Bekehrung.

An dir allein habe ich gesündigt und übel vor dir getan, auf daß du recht behaltest in deinen Worten und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst.
(Psalm 51, 4)

Es geht zu unserer Zeit mit der Buße nicht mehr wie ehemals. Aeltere erfahrene Christen erzählen von einem schweren Bußkampfe, den sie über ihr verflossenes Leben und über ihre begangenen Sünden durchzukämpfen hatten. Dies ist freilich nicht gerade bei allen nothwendig.  Solche, die nach und nach erweckt werden und nicht in offenbare grobe Sünden und Laster gerathen sind, haben einen solchen Bußkampf nicht nöthig. Zu unserer Zeit aber nimmt man dies auch bei denen nicht wahr, die dreißig, vierzig und noch mehr Jahre in Sünden dahingelebt haben. Wenn sie gerührt werden, so kommen sie in die Versammlung, ohne daß eine ernstliche Buße wahrzunehmen wäre. Sie thun aber deßwegen nicht Buße, weil sie ihren Zustand nicht erkennen.  Sie erkennen ihn nicht, weil sie nicht ins Licht eingehen. Sie gehen nicht ins Licht ein, weil sie sich in ihrer Herzensewigkeit nicht unruhig machen lassen. Sie lassen sich nicht unruhig machen, weil sie nicht nachdenken.  Will einer ein wahrer Christ werden, so muß er nachdenkend werden, sonst gebe ich nichts um all sein Christenthum.  Weil nun Gott zu jetziger Zeit solche Oberflächlichkeit zuläßt, so muß ich sie auch zulassen; weil er zusieht, so muß ich auch zusehen.  Wie es aber am Ende in der Ewigkeit ausfallen wird, weiß ich nicht.  Wie der Anfang ist, so ist freilich auch der Fortgang und das Ende.

_ Der König David hatte schon in seiner Jugend einen solchen Glauben, daß er durch denselben Löwen und Bären bezwingen konnte. Man sollte meinen, er sollte keine Buße nöthig gehabt haben; aber er ist ein Beweis, daß man auch wieder aus der Gnade fallen kann.  Manche trösten sich mit David, er sei ja auch ein Mörder und Ehebrecher gewesen.  Sie denken wenn sie auch eine Sünde begehen, so können sie ja wieder Buße thun. Aber wer sich muthwillig den Sünden überläßt, dem möchte ich nicht dafür stehen, daß er auch die Bußgnade bekommt.  Diese kann man nicht nur so nehmen, sie ist ein großes Gnadengeschenk.

Wenn der Mensch Vergebung der Sünden erlangt hat, so hat er ein inneres Wohlsein, denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit. Aber das geht nicht so fort; die alten Sünden regen sich wieder, da muß man wachen bei seinem Herzen, aus welchem hervorkommen arge Gedanken.  Wenn man über diese nicht wacht, so werden Thaten daraus, nämlich Mord, Ehebruch etc. (Matth. 15.).

Wache also bei der Entstehungsquelle deiner Gedanken. „Wasche mich wohl von meiner Missethat und reinige mich von meiner Sünde“, das versteht man so, daß man auf einmal ganz gewaschen sein möchte. Aber es geht auch, wie bei einer natürlichen Wäsche.  Wenn Ein Hemd gewaschen ist, so ist die Wäsche noch nicht vorüber.  Bei einer Wasch nimmt man das Aergste entweder zuerst oder zuletzt. Hier weiß ich die Ordnung nicht.  Aber die Ordnung Gottes habe ich gemerkt.  Er hebt das Giftigste auf bis zuletzt, bis wir es aushalten können.  Denn wer gewaschen werden soll, muß auch einen Halt haben.  „Aber man möchte eben gerne auch einmal von dem los werden, was man schon so lange erkannt hat“. Antw.: Man erkennt nicht das Nämliche, sondern nur Aehnliches. Das Blut Jesu löst die Unreinigkeit auf wie Lauge und Seife, es zerstört aber nicht den Stoff, sondern nur die Unreinigkeit. So groß nun die ‚Unreinigkeitsmöglichkeit‘ beim Menschen ist, so groß ist die Kraft des Blutes Jesu,

„daß auch ein Tröpflein kleine
die ganze Welt kann reine,
ja aus des Teufels Rachen
frei, los und ledig machen.“

Die Unreinigkeitsmöglichkeit des Menschen aber ist ein Beweis seines Adels. So groß diese ist, so groß ist auch die Reinigkeitsmöglichkeit. Wer darum keinen reinen, keuschen Sinn hat, aus dem wird auch nichts.

Wer sich selbst seine Sünden verbirgt, ist gerade wie einer, der seinen eigenen Dieb in seinem Hause versteckt, damit er ihn ausstehlen und ausrauben kann. Füttere du nur deine Räuberbienen, so bringst du nichts als todte Vögel davon.  So geht es einem Menschen, der die Sünde in sich herrschen läßt; er bekommt am Ende ganz todte Kräfte.  Sagt man ihm von etwas Gutem, so wird er todt; redet man aber von Eitelkeit, so wird er lebendig, weil das sein Element ist.

Darum lasset uns im Lichte wandeln, wie er im Lichte ist!

(1845)

Immanuel Gottlieb Kolb

Nachgeschriebene Gedanken.
Aus: Kurzer Lebensabriss von Immanuel Gottlieb Kolb, Schulmeister in Dagersheim, nebst einer Sammlung von Betrachtungen, Briefen etc., S. 93-96. Von seinen Freunden herausgegeben. Vierte Auflage, Dagersheim, zu haben bei Gebrüder Ziegler, 1865.[Digitalisat]


Übersicht Psalm 51

Eingestellt am 17. November 2024