Markus 8, 1-9 (Krause)

Der Segen der schweren Zeit.

Predigt am siebenten Sonntage nach Trinitatis.

Inhaltsverzeichnis

    1. Eine allgemeine Mahnung zur Buße.
    2. Mahnung zu regerer Tätigkeit.
    3. Mahnung zu immer innigerer Vereinigung.

Gebet.

Aller Augen warten auf dich, o Herr, und du gibst ihnen Speise zu seiner Zeit; du tust deine Hand auf, und erfüllst Alles, was lebt, mit Wohlgefallen. Und ob du auch einmal mit Not deine Kinder heimsuchst, so bist du doch gerecht in allen deinen Wegen und heilig in allen deinen Werken, so bist du doch nahe Allen, die dich mit Ernst anrufen, und behütest die, so dich lieben. Darum soll mein Mund dem Herrn Lob sagen, und alles Fleisch lobe seinen heiligen Namen ewiglich. Amen.

Eine schwere Zeit ist es, geliebte Gemeinde, in welcher wir leben. Unser Vaterland, sonst strotzend vom reichen Erntesegen, den Fleiß des Landmannes ergiebig belohnend, und selbst eine selten versiegte Quelle der Aushilfe für andere, minder fruchtbare oder übermäßig bevölkerte Gegenden, hat seit zwei Jahren nicht in gleicher Ergiebigkeit, wie sonst wohl, seine Frucht gebracht; ja der Ertrag der Ernte des vergangenen Jahres hat selbst mit Zuhilfenahme der alten Bestände nicht einmal das Bedürfnis der eigenen Bevölkerung zu decken vermocht. Es ist ein Mangel und in Folge dessen eine Teuerung eingetreten, wie sie seit einem Menschenalter nicht erlebt war, und mancher Hausvater war in der traurigen Lage, im Hinblick auf seine Familie die Frage der Jünger im heutigen Evangelio zu wiederholen: Woher nehme ich Brot, daß ich sie sättige?

Niemand aber von uns Allen ist von dem Druck dieser schweren Zeit unberührt geblieben. – Und doch war das Ackerfeld mit gleicher Sorgsamkeit wie sonst und mit gleicher Einsicht bearbeitet, mit gleichem Fleiß war der Same gestreut und das Gedeihen der jungen Saat überwacht worden. Aber nicht zu gleich ersprießlicher Zeit war Regen und Sonnenschein erschienen; durch Gottes Hand sind wir heimgesucht worden! Der Herr wollte uns einmal seine Gnade in minder reichem Maße zu erkennen geben! Und warum das? Hat er etwa sein Wesen verleugnet und aufgehört die Liebe zu sein, wie das Evangelium von ihm rühmt? Hat er etwa seine Freude an der Hungernden Wehklage, an des Armen Seufzen? Ist er etwa im Zorn entbrannt über des Landes Sünden, ob welcher er sich zu rächen gedächte?

Blickt hin auf die von Fülle strotzenden, zum Teil schon reifen und geborgenen Fruchtfelder dieses Jahres und erkennt, daß des Herrn Güte nicht gar aus ist, daß seine Treue noch kein Ende hat und seine Barmherzigkeit groß ist, daß er wohl züchtigt, aber auch wieder sich erbarmt nach seiner großen Güte! Nicht aus einem Mangel an Liebe, sondern aus der nie endenden väterlichen Liebe müssen wir nach der Lehre des Evangeliums auch die schwere Zeit ableiten, mit welcher Gott uns wieder heimgesucht hat, da der einzige Zweck seiner Vorsehung nur der sein kann, seine Kinder zu erziehen, daß sie ihn suchen und zu seinem Reich kommen möchten. Dazu dienen dem Menschen nicht immer Tage des Glücks, der Freude und des Überflusses; sondern, wie die Pflanze besser gedeiht, wenn Regen, Sturm und Unwetter von Zeit zu Zeit über ihr brausen, wie das edle Metall durch das Feuer geläutert wird (Sacharja 13, 9), so bedarf auch der Mensch und das Menschengeschlecht der Stürme des Geschickes, des Feuers der Trübsal zu seiner Kräftigung und Läuterung, und die heilige Schrift versichert uns, daß auch die Züchtigung von Gott, ob sie auch nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein scheine, dennoch eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen bringen werde, die dadurch geübt sind, und daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen: eine Versicherung, die durch Erfahrungen, welche das eigene Leben und die Geschichte uns reichlich darbieten, die vollste Bestätigung erhält. –

Ist es denn nun die väterliche, erziehende Liebe Gottes, von der wir die Not nur ableiten können, die uns gemeinsam betroffen hat, so ziemt es uns auch nicht, ob derselben wider den Herrn zu klagen, sondern uns zu beugen in Demut unter seine gewaltige Hand, und gewissenhaft zu erwägen: welches wohl die Zwecke sein mögen, die Gott durch seine Heimsuchung bei uns erreichen will; was wir zu tun haben, um uns in dieser Prüfung zu bewähren, und welches der Segen ist, den uns Gott durch dieselbe zuführen, zu dessen Erstrebung er uns anregen will. – Dem sinnlichen und unverständigen Menschen fällt es freilich schwer, sich bei dem, was ihn schmerzlich trifft, die Möglichkeit eines Segens zu denken; er kennt dafür nur den Schmerz und die Klage.

Aber zu den Sinnlichen und Unverständigen sollen wir als Christen eben nicht gehören, und darum, meine ich, daß es unserer würdig sei, wenn wir diese Andachtsstunde dazu anwenden, um dem von Gott wohl beabsichtigten Segen der schweren Zeit nachzudenken, und uns dadurch ermuntern, der Weisheit Gottes vertrauend, auch in der schweren Zeit seine Gnade zu preisen, seiner Liebe zu vertrauen und nach eigener Weisheit zu ringen, damit wir bewährt hervorgehen aus der Prüfung.

Gott gebe dazu uns seinen Segen.

Amen.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Marci 8, 1-9:

Zu der Zeit, da viel Volks da war, und hatten nichts zu essen, rief Jesus seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert des Volks; denn sie haben nun drei Tage bei mir beharrt und haben nichts zu essen; und wenn ich sie ungegessen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Wege verschmachten; denn etliche sind von ferne gekommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, daß wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wieviel habt ihr Brote? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, daß sie sich auf der Erde lagerten. Und er nahm die sieben Brote und dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, daß sie dieselben vorlegten; und sie legten dem Volk vor. Und hatten ein wenig Fischlein; und er dankte und hieß die auch vortragen. Sie aßen aber und wurden satt; und hoben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. Und ihrer waren bei viertausend, die da gegessen hatten; und er ließ sie von sich.

Als Jesus die Menge des Volkes sah, welches ihm nachgefolgt war, und nichts zu essen hatte, sprach er: Mich jammert des Volkes! drückt er gegen seine Jünger den Wunsch aus, es zu sättigen. Aber die Jünger klagten: Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass wir sie sättigen? Geliebte, diese Rede und diese Empfindungen haben sich in der letzten Zeit gar vielfach wiederholt. Gar Viele waren in der Lage, daß sie betrübt auf die Ihrigen hinblickten, die sich nach Speise sehnten, und auf die Frage: Woher nehmen wir Brot für sie? keine ausreichende Antwort fanden. – Doch ich will nicht in dem Augenblick, in welchem die nahe Ernte ein Ende der Not schon erblicken läßt, an die Schmerzen und Leiden derselben erinnern. Wie bitter und schwer die vergangene Zeit gewesen, das ist sicherlich genug empfunden worden. Ich möchte ihr, gleichsam zu einiger Vergütigung, eine andere Seite abgewinnen, wo sie sich mit dem Segen in ihrem Gefolge darstelle; die den durch sie Geübten aus ihr erwachsende friedsame Frucht der Gerechtigkeit möchte ich zur Anschauung bringen. Und solche liegt ja wirklich sehr nahe: Den Segen der schweren Zeit muß ich zunächst darin finden, daß sie

1) eine allgemeine Mahnung zur Buße war.

Not lehrt beten, sagt schon ein altes und wahres Sprichwort, und wenn es auch feststeht, daß sie keineswegs die rechte Lehrmeisterin ist, die wir abzuwarten hätten; wenn vielmehr in dem wahrhaft christlichen Gemüt die stets lebendige Liebe zu Gott, unserem Herrn und Vater, auch den Antrieb und die Freudigkeit zum Gebet, geben soll, ja in ihm ihren natürlichen und ungezwungenen Ausdruck findet, so muss es dennoch als ein Segen anerkannt werden, wenn solche Herzen, die, von Gott abgewandt, dem Dienst der Sünde sich ergeben haben, und keine andere Stimme vernehmen wollen, auch nur durch die Not zur Erkenntnis der Sünde und zu dem Urquell aller Gnade zurückgeführt werden, bei welchem auch für sie allein das Heil ist. –

Was war es denn, das den verlorenen Sohn, von dem uns Jesus in dem bekannten Gleichnis erzählt, zu seinem Vater, zu seinem Heil zurückführte? Nicht das Wohlleben und die Sünde, sondern die Not. Er hatte seines Vaters, seiner weisen Lehren und gerechten Erwartungen vergessen; der einbrechenden Not selbst widerstand noch das eitle Herz. Es trieb ihn, lieber bei den falschen Freunden Hilfe zu suchen, und erst als dies vergeblich war, als die Not immer bitterer wurde, erst da schlug er in sich, erst da kam ihm die ganze Erkenntnis von der Größe seiner Schuld, erst da erwachte in ihm ein neuer Strahl der Hoffnung, dass es noch Hilfe für ihn geben möchte bei seinem Vater, erst da sprach er: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen; betrat er den Weg der Buße, der ihm endlich seines Vaters Liebe und seinen Frieden wiedergab.

Der erste Schritt wurde ihm gewiss sehr sauer; ohne die drängende Not hätte er ihn vielleicht nicht getan. Er musste ja daran denken, wie er in seinem frevelnden Übermut von dem Vater sein Erbteil verlangt, sich trotz aller Mahnung von ihm losgerissen, seine Güte verkannt hatte und in die Fremde geeilt war, wo er das Verderben finden musste. Der Gedanke, jetzt in seinem Elend vor den so schwer gekränkten Vater zu treten, dessen Voraussagungen sich alle an ihm erfüllt hatten, war gewiss ein tief beugender für ihn. Aber als er dies Gefühl falscher Scham erst überwunden hatte, da wurde ihm jeder folgende Schritt leichter; es kam ihm immer mehr die Überzeugung, der Weg, den er jetzt gehe, sei der rechte; seine Unzufriedenheit richtete sich immer mehr gegen sich selbst, seine Hoffnung immer mehr auf den Vater, und so sehen wir ihn denn in solcher Stimmung und Gemütsverfassung ankommen, dass sie den Vater bewog, alles Vergangene zu vergessen, dem verloren Gewesenen seine Arme zu öffnen, und mit der Wiedergewährung seiner ganzen Liebe auch seine Not zu enden.

Christen! Die Geschichte ist tief aus dem menschlichen Herzen herausgelesen, und uns zu ernster Mahnung hingestellt. Es ist nur zu wahr, dass der Mensch in dem Übermut der Kraft und in dem Vollgenuss des Glücks leicht zu dem Wahn kommt, als sei das Alles sein, als sei er sich selbst genug, dass er seine Abhängigkeit von Gott und die Wahrheit vergisst, dass Gott der Herr ist über Alles, und es Alles nur aus freier Gnade seinen Kindern verleiht, dass sie damit nach seinem Willen haushalten. Mit diesem Vergessen lockern sich dann auch die Bande, die das Gewissen an den Willen Gottes knüpfen sollen; der Mensch wird eigenwillig, fühlt sich durch die Schranken, die das göttliche Gebot ihm stellt, beengt, reißt sie in frevelndem Übermut nieder, nimmt seine Leidenschaft zum Führer, und stürzt fort, ein wahrer verlorener Sohn, in das unfehlbare Verderben. Aber es kommt nicht sogleich; eine Zeit lang dauern die Mittel, dauert die Kraft, bleiben die Freunde, bleibt der Geschmack am Genuss. Dann aber fällt Eins nach dem Anderen ab, und endlich sieht der Sünder sich vereinsamt, verlassen, verloren. Sein Glück ist dahin, bleibt ihm noch Hoffnung? Sie taucht erst wieder auf wie ein matter Schimmer, wenn er wieder beten gelernt hat, sie verstärkt sich, je mehr er sich zu Gott zurückwendet. Würde dies aber geschehen sein, wenn die Not ihn nicht zur Besinnung gebracht, wenn sie ihn nicht wieder beten gelehrt hätte? Würde die Sehnsucht zum Vater zurückzukehren so lebendig geworden sein, dass sie alle Schwierigkeiten besiegt hätte, wenn ihm nicht die Überzeugung gekommen wäre, es sei töricht und unwürdig gewesen, sich vom Vater zu entfernen? Seht, teure Mitchristen, das ist der Segen schwerer Zeit, dass sie den Menschen zur Buße mahnt, das ist der Segen, den auch wir aus den vergangenen trüben Tagen des Mangels gewinnen sollen. –

Oder sollte etwa Jemand meinen, dass wir dessen nicht bedürften, oder dass er durch so schwere Tage der Prüfung zu teuer erkauft sei? Dem stelle ich die Frage entgegen: Was ist es, das wir anklagen müssen, dass so viele Leiden und Mängel die bürgerlichen und häuslichen Verhältnisse der Menschen durchdringen? Zähle Alles, was du dahin rechnest, einzeln auf, und du wirst Alles unter den gemeinsamen Begriff „Sünde“ stellen können. Sie ist die Krankheit, die alle menschlichen Verhältnisse verderblich durchwuchert, und wider sie gibt es kein anderes Heilmittel als die Buße. Das schmerzliche Ringen der Seele nach erneuter Gottesgemeinschaft muss erst erwacht sein; ohne das erlangte Bewusstsein des Gottverlassenseins erwacht es nicht; dies letztere wird durch schwere Zeit erweckt, und so wird diese oft dadurch, dass sie zur Buße mahnt, eine Führerin zum Heil.

Wenn ich aber von der Buße als einer Führerin zum Heil rede, so wisst ihr schon von mir, Geliebte, dass ich darunter nicht ein träges, trübes, weichliches, tränenreiches und frömmlerisches Versenken in Schmerz und Trauer verstehe. Nein, unter Buße verstehe ich immer das tätige Ringen nach der Wiedergeburt im heiligen Geist, das ernste und tatkräftige Bestreben, die begangenen Fehler möglichst wieder gut zu machen, und für die Zukunft zu vermeiden. Schmerz und Trauer hat die Buße allerdings über die Verirrungen der Vergangenheit und über das fortwährende Widerstreben des sinnlichen Wesens wider des Geistes Regung; vorwärts schreitet sie aber mit heiligem Ernst und doch mit freudigem Mut, weil mit Vertrauen auf Gottes Gnade. Zu solcher Buße, meine ich, müsse die schwere Zeit auffordern zuerst die Sicheren und Hochmütigen, dass sie sich beugen vor dem allmächtigen Gott, der es in seiner Hand hat, sie zu demütigen und zu erniedrigen, dass sie erkennen: Er sei der Herr und Keiner mehr, und alle gute Gabe komme nur von ihm, dem Vater des Lichts, sei daher auch mit dankbarer Verehrung zu empfangen; die Leichtsinnigen, dass sie durch die Not sich zum rechten Lebensernst leiten lassen und gewissenhaft vorsorgen lernen für etwa wiederkehrende Not; nicht ferner vergeuden die kostbare Zeit, sondern schaffen mit den Händen etwas Gutes, nicht verschwenden den schweren Arbeitsverdienst in Genusssucht und Eitelkeit, sondern sparsam sein; die Gottvergessenen alle, dass sie des Herrn Nähe und Kraft erkennen und ihr Gewissen ein Zeugnis empfange von seinem Gericht, damit sie ferner nicht dienen den falschen Götzen dieser Welt, sondern von der Furcht des Herrn erfüllt werden, die aller Weisheit Anfang ist.

Ach, Gottes Güte reicht so weit, als die Himmel sich ausbreiten; er bezeugt sich so oft durch Sonnenschein und Fruchtbarkeit und allen erdenklichen Segen – und das Alles wird so selten erkannt, das nehmen so Viele hin wie etwas ihnen rechtlich Zukommendes, und vergessen der Dankbarkeit, ja des Gebers selbst. Darum sendet Gott schwere Zeit. Möge sie die Gemüter erschüttern, sie zur Buße, zu Gott hinleiten. Wenn sie die Menschen erkennen und tun lehrt den rechten heiligen Gotteswillen, dann wird sie einen reichen Segen bringen. Christen, die Not haben wir getragen, möge uns denn auch ihr Segen nicht verloren gehen; möge sie uns zur Buße und auch ferner

2) zu regerer Tätigkeit mahnen.

Die letzten Notjahre, welche mit dem vergangenen zu vergleichen waren, liegen fast ein Menschenalter hinter uns. Seit jener Zeit ist zwar die Bevölkerung unseres Landes bedeutend gewachsen, aber noch bedeutender sind die Fortschritte, welche der Landbau gemacht hat. Große, sonst wüstliegende Ländereien sind jetzt fruchtbar, die Erkenntnis der Naturgesetze und der Eigentümlichkeit der Feldfrüchte ist durch fleißige Beobachtungen und Versuche bedeutend gewachsen, so daß man sich teilweise schon der Meinung hingab, wir seien jetzt weit genug gediehen, um fernem Notstand nicht mehr befürchten zu dürfen; der Menschen Kunst sei schon im Stande, alle Ungunst der Witterung und selbst die zerstörende Kraft der Naturereignisse zu überwinden. –

Das ist ein neuer Beweis, wie so gern der Mensch sich überhebt, wie leicht er, obwohl noch am Anfange stehend, schon den Gipfel errungen zu haben glaubt. Denn wie sehr wir jenen Fleiß, jene Fortschritte auch rühmen mögen, und ihrer uns zu rühmen volle Ursache haben, so steht doch so viel fest, dass sie weder so weit gestiegen sind, noch jemals so weit steigen werden, um die göttliche Vorsehung überflüssig zu machen, oder ihren weisen Plänen zu widerstehen. Weit genug aber doch um den Mitteln nachzuspüren, deren die göttliche Vorsehung sich bedient, um in dem reichen Schatz der Naturkräfte nach den stets vorhandenen Gegenmitteln sich umzusehen, sich finden und anwenden zu lernen. Denn wie einfach und feststehend die Grundgesetze des Naturlebens auch sind, sie bringen immer neue Erscheinungen hervor, durch deren Betrachtung sie uns selbst erst bekannter werden, und dann wird es erst möglich, das Gegenmittel aufzufinden. Auf diese Weise hat jeder sich herausstellende Notstand stets die Wirkung eines Weckrufs für den menschlichen Geist und die menschliche Kraft gehabt, beide sonst zur Trägheit gar sehr geneigt, und die Erfahrung, dass die Not die Mutter der Weisheit sei, hat sich immer bewährt. – Möge auch dies Mal das Gleiche statt finden! Nicht zu jenem Missmut sollen die Erfahrungen der vergangenen Zeit uns verleiten, der immer spricht: Es hilft ja doch Alles nichts! sondern den Forschungstrieb und den Fleiß sollen sie anregen; diese sollen dann weiter streben, und in dem daraus sich ergebenden Gewinne wird auch die vergangene Not einen reichen Segen zur Folge haben. –

Dies gilt aber nicht bloß für die, deren Beruf es ist, das Land zu bauen und seine Frucht zu ernten, sondern für einen Jeden von uns, die wir ja Alle auf Arbeit hingewiesen sind. Diese Arbeit eines Jeden ist der Vervollkommnung, der Ausdehnung fähig, und haben wir jetzt die Erfahrung gemacht, dass es Zeiten geben kann, da der Ertrag unserer Arbeit uns nur dürftig zu ernähren vermag, so liegt doch wahrlich nichts näher, als dass wir, in deren Kraft es ja nicht gegeben ist, die Zeiten zu bessern, doch unsere Arbeit bessern und mehren, welches ja in unserer Macht steht. Aber auch dadurch wird der Ertrag der Arbeit genügender, wenn die davon zu bestreitenden Bedürfnisse vermindert werden. In Wahrheit: Sparsamkeit mehrt das Gut, und viele der Notleidenden würden sie nicht so schwer empfunden haben, wenn sie zur guten Zeit weise Sparsamkeit hätten walten lassen, wenn nicht eine Menge eingebildeter Bedürfnisse und eitler Vergnügungen sie verhindert hätten, für die Zeit der Not zu sorgen, wenn sie nicht den Spruch des weisen Sirach vergessen hätten: Wenn man satt ist, so soll man gleichwohl bedenken, dass man wieder hungern, und wenn man reich ist, dass man wieder arm werden kann!

Die Klage, dass der Luxus zunehme, dass alle Stände der menschlichen Gesellschaft, besonders aber die, welche auf den täglichen Erwerb durch ihrer Hände Arbeit angewiesen sind, in ihrer Lebensweise, in ihren täglichen Bedürfnissen, besonders auch in ihren Vergnügungen über ihr Vermögen hinausgehen, ist allgemein und gewiss nicht unbegründet. Zum Teil ist dies wohl eine üble Folge der guten Zeit, welche sie verwöhnt hat. In Folge des mehr als streng nötigen Erwerbes machten sie sich das Leben leichter und angenehmer, als es für die Dauer angeht, gewöhnten sich an eine Menge Genüsse, die bald zum eingebildeten Bedürfnis wurden, und wenn die Befriedigung derselben später schwer fiel, so versicherte man sich und Anderen: Es sei unmöglich, sich mehr einzuschränken, und Stand und Anstand erlaubten es auch nicht! –

Viele sonst wohlhabende Familien kamen dadurch aber mehr und mehr herunter, weil des Hausvaters Fleiß nicht mehr so viel erwerben konnte, als er und seine Familie im sinnlichen Genuss, eitler Kleiderpracht und rauschenden Vergnügungen vertaten. Da gelingt es denn oft der Not, was der eigenen Überlegung und den Vorstellungen Anderer nicht gelungen war, den Beteiligten den Beweis zu führen, was Alles der Mensch entbehren kann, und die Menschen der üblen Sitte zu entwöhnen, in welcher sie über ihren Stand und ihr Vermögen hinausstrebten, sie zu der früheren einfachen und sparsamen Lebensweise wieder zurückzuführen, die falsche Scham zu besiegen, welche dies bisher hinderte, und ihnen die Tugend des Häuslichkeit wieder lieb zu machen. – Gewiss wäre es aber ein reicher Segen, wenn die schwere Zeit uns zu solcher Erwägung, zu vermehrter geistiger und körperlicher Tätigkeit und zu weiser Sparsamkeit ermunterte. Den Druck der schweren Zeit haben wir getragen: unsere Sache ist es nun, dass wir auch ihren Segen gewinnen, und Gott gebe, dass er Keinem von uns verloren gehe.

Zur Buße also, zur Tätigkeit ergeht die Mahnung der schweren Zeit an uns; laßt mich auch hinzufügen

3) zu immer innigerer Vereinigung.

Es ist leider wahr, daß das Glück die Herzen der Menschen zu verhärten pflegt. Man sollte meinen, es müsse sie durch Dankbarkeit und Freude erweichen, zum Segnen und Wohltun geneigt machen. Das findet gewöhnlich aber nur in dem ersten Aufwallen der Freude statt. Bald sieht die Eitelkeit der Glücklichen in ihrem Glück nur etwas ihrem Verdienst Gebührendes; redet ihnen ein, dass sie dadurch etwas Besseres wären, als die andern Menschen, und lässt sie nur zu denen Hinneigung fühlen, welche gleich ihnen vom Glück begünstigt sind. Sie bedürfen ja der Anderen nicht, so meinen sie; darum fragen sie auch nicht, ob Andere nicht vielleicht ihrer bedürfen, – sie sind sich selbst genug! In der Not wird das anders. Je schwerer sie wird, desto mehr drängt sie die Überzeugung auf, dass des Einzelnen Kraft sie nicht mit Erfolg besiegen könne, dass es vielmehr dazu der gemeinsamen Kraft Vieler bedürfe. Die Not, welche Alle gemeinsam trifft, zeigt ihnen auch, dass Keiner vor dem Anderen etwas Wesentliches voraus habe. Das vom Schmerz und von der Sorge gebeugte Herz fühlt das Bedürfnis, sich Anderen mitzuteilen, sich an sie anzuschließen, sich sie zu verbinden, und findet in der Vereinigung mit ihnen einen Trost und eine Beruhigung; und hat der Mensch den Schmerz, die Not selbst kennen gelernt, so kann er sich auch dem Mitgefühl für fremden Schmerz und fremde Not nicht mehr ganz verschließen. Darum haben immer gute Zeiten die Selbstsucht der Menschen genährt, und sie unter einander zerspalten; Zeiten der Not erst haben sie wieder zusammengeführt, und sie den hohen Wert liebender Gemeinschaft und hilfreicher Teilnahme erkennen gelehrt.

Erinnert euch, ihr Älteren meiner Gemeinde, an die Zeit der Kriege und der Belagerungen, die ihr durchlebt habt; an die Zeit der verheerenden Seuche, die vor einem halben Menschenalter unser Land durchzog, erinnert euch daran, wie damals Freunde und Nachbarn zusammenhielten, gegenseitig zu Hilfe, Schutz und Trost bereit; wie Viele aber, die sich damals nahe standen, nach überstandener Gefahr und in der folgenden besseren Zeit sich nicht mehr kannten, und ihr werdet erkennen, wie wahr es ist, dass die Not die Menschen vereinigt. So ist es ja auch wieder gewesen. Der Staat, die Stadt und die Wohltätigkeit einzelner Menschen haben mit einander gewetteifert, um die Not zu mindern, den Leidenden zu helfen, dem völligen Mangel vorzubeugen, und wie viel schwerer würde die Not auf Allen gelastet haben, wenn solche liebende Vereinigung aller Kräfte nicht menschenfreundlich Vorsorge getroffen hätte? – Diese Vereinigung aber ist ein Segen, der uns ja nicht wieder verloren gehen möge, wenn Gottes Gnade die schwere Zeit endet. Denn nur in möglichst inniger Vereinigung kann das Menschengeschlecht, kann der einzelne Mensch die Lasten des Lebens überwinden und seiner zeitlichen Bestimmung sich nähern. Je inniger die Vereinigung der Menschen, desto mehr blühen die Tugenden, schänden und schwinden die Laster, desto mehr wird der Not gewehrt, den Menschen zu versuchen.

Und solche Vereinigung will Jesus unter den Seinigen stiften; er will, dass sie alle Eins sein mögen, wie er mit seinem Vater im Himmel Eins in der Liebe, eines Sinnes, eines Herzens. Da soll kein Unterschied der Person, des Standes, des Volkes mehr sein; sie sollen alle Eins werden in dem Herrn. In dieser Vereinigung liegt ein gut Teil der erlösenden und heiligenden Kraft des Evangeliums, und wer ihren Segen erkannt hat, der wird auch nicht wieder die selbstsüchtige Vereinzelung an ihre Stelle treten lassen wollen. Dann würden wir wieder nicht gerüstet sein gegen ähnliche Prüfungen des Herrn, dann wären wir noch nicht weise geworden, und der Beweis wäre geführt, dass die schwere Zeit für uns noch nicht schwer und nicht andauernd genug gewesen wäre. Nein, meine Geliebten, wir wollen vielmehr das Gegenteil dartun. Wir haben jetzt reiche Gelegenheit gehabt, den Segen liebreicher Vereinigung erkennen zu lernen; möge das nicht vergebens gewesen sein. Erhalten wir ihn als Segen schwerer Zeit, nützen wir sie so als Heimsuchung vom Herrn, und gewinnen wir aus ihr die verheißene Frucht der Gerechtigkeit. Und wie das Volk, das hungernd zu Jesu kam, durch seine Liebe aber die ihm nötige Speise empfing, gewiss mit um so größerer Verehrung, Liebe und Dankbarkeit an ihm hing, mit um so größerem Eifer sein Wort hörte, so möge auch uns die schwere Zeit, der uns Gottes Gnade jetzt entnimmt, zu ihm hinführen und uns erwecken sein Wort zu hören, Jesu Beispiel nachzufolgen. Aber dauernder möge der Eindruck auf uns sein, die wir des Heilandes ganze Herrlichkeit schon schauen, auf dass wir zu keiner Zeit ihn wieder verleugnen und dadurch von Neuem kreuzigen, sondern uns immer mehr heranbilden mögen zu einem Volk des Eigentums, das reich sei an guten Werken. Das wird die vergangene schwere Zeit in uns wirken, wenn sie uns zur Buße, zur Tätigkeit und zur Vereinigung mahnt und uns darin erhält, darin wird sie dann ihren reichen Segen haben.

Dir aber, du treuer Gott, danken wir für alle neuen Erweisungen deiner Gnade und bitten dich: Stärke uns, daß wir ihrer immer würdiger werden. Hilf den Schwachen, heile die Kranken, rette die Bedrängten, erwecke die Sicheren und vergib den bußfertigen Sündern. Laß deine Gnade leuchten über uns und hilf uns Allen zum ewigen Leben durch Jesum Christum unseren Herrn.

Amen.

Prediger: Krause, Cäsar Wilhelm Alexander

Cäsar Wilhelm Alexander Krause (* 29. Juli 1807 in Deutsch Krone; † 12. Juli 1862 in Bad Homburg vor der Höhe) war ein deutscher evangelisch-lutherischer Geistlicher. Er war ab 1856 Hauptpastor an St. Nikolai in Hamburg.

Quelle: Glaubensstimme – Christliche Texte aus 2000 Jahren


Eingestellt am 17. Oktober 2022 – Letzte Überarbeitung am 3. September 2024