Johannes Scheffler (Angelus Silesius, 1624-1677)

Angelus Silesius (lateinisch für Schlesischer Bote/Engel, eigentlich Johannes Scheffler; geboren und getauft am 25. Dezember 1624 in Breslau, Fürstentum Breslau; † 9. Juli 1677 ebenda) war ein schlesischer Lyriker, Theologe und Arzt. Seine tiefreligiösen, der Mystik nahestehenden Epigramme werden zu den bedeutendsten lyrischen Werken der Barockliteratur gezählt.

Leben

Jugend, Studium, Arztberuf

Johannes Scheffler wurde am 25. Dezember 1624 geboren und getauft. Sein Vater war Stanislaus Scheffler, ein polnischer Adliger [1], der von Krakau wegen seines evangelischen Glaubens nach Breslau übersiedeln mußte. Stanislaus Scheffler starb bereits 1639, seine um vieles jüngere Frau Maria Magdalena Hennemann zwei Jahre später.

Der Sohn besuchte von 1639 bis 1643 das Breslauer St. Elisabeth-Gymnasium. Von dessen Rektor Elias Major (1587–1669) und von seinem Freund Andreas Scultetus ermutigt [2], begann Scheffler erste lateinische Gelegenheitsgedichte zu verfassen und drucken zu lassen. Er widmete sie seinem Rhetorik- und Poetik-Lehrer Christoph Köler, Freund und Biograph von Martin Opitz.

In Straßburg begann Scheffler 1643 ein Studium der Medizin und des Staatsrechts, danach ging er nach Leiden (1644–1647) und schließlich an die Universität Padua (1647), wo er 1648 zum Doktor der Philosophie und der Medizin promoviert wurde. In Leiden kam er in Kontakt mit dem Mystiker und Theosophen Abraham von Franckenberg. Dieser machte Scheffler mit den Werken Jakob Böhmes bekannt, welchen Silesius später als Ursache, daß er zur Erkenntniß der Wahrheit gekommen und sich zur katholischen Kirche bekannt habe, bezeichnete [3].

1649 trat Scheffler in Oels als Leibarzt in die Dienste des streng lutherischen Herzogs Silvius Nimrod zu Württemberg-Oels. Als Franckenberg 1650 nach Schlesien zurückkehrte und in der Nähe von Oels lebte, kam es zwischen den alten Freunden zu vielen Begegnungen. Nach dem Tod Franckenbergs 1652 dichtete Scheffler ihm das Ehrengedächtniß, sein erstes Gedicht, das typisch für sein späteres Werk ist. Im selben Jahr gab er wegen Franckenbergs Tod und einem Streit mit dem Oelser Hofprediger Christoph Freytag, der ihm die Druckerlaubnis für eine kleine Anthologie mit Texten älterer Mystiker verweigerte [2], sein Amt als Leibarzt auf. Er ließ sich als Arzt in Breslau nieder.

Kampf für den Katholizismus

Johannes Scheffler bekannte sich am 12. Juni 1653 in der Kirche St. Matthias zu Breslau öffentlich zur Römisch-katholischen Kirche und nahm den Namen „Angelus“ an, eine Hommage an den spanischen Mystiker Juan de los Ángeles (1536–1609, latinisiert auch Johannes ab Angelis oder Johannes de Angelis) [4]. Später fügte er den Herkunftsnamen „Silesius“ (der Schlesier) an, um Verwechslungen auszuschließen [2]. Sein Konfessionswechsel hatte großes Aufsehen erregt und harte Kritik von protestantischer Seite hervorgerufen. So fühlte er sich veranlaßt, 1653 eine Art Rechtfertigungsschrift zu veröffentlichen, die „Gründtliche Vrsachen vnd Motiven, Warumb er Von dem Luthertumb abgetretten Vnd sich zu der Catholischen Kyrchen bekennet hat“ *) [5].

*)  Von Einfluß auf seine Konversion war der Jesuit Jodocus Kedd, der sogar als eigentlicher Verfasser der Gründtlichen Vrsachen gilt.

In dieser Schrift nennt er als ein Motiv seines Übertritts die ‚freventliche Verwerfung der Mystik (Theologiae mysticae), die ‚der Christen höchste Weisheit‘ sei. Im herrschenden dogmatischen Protestantismus sah er ‚Abgötterei der Vernunft‘.  Die katholische Kirche, ‚die nicht allein mit den Heiligen im Gebet kommuniziert, sondern auch der persönlichen Erscheinung und Besuchung genießt‘ **), sei ‚der Leib des heiligen Geistes‘. [3]

**)  als Folge eines mediales Offenseins für die Geisterwelt aufgrund der Hingabe an die mystische Frömmigkeit, siehe dazu auch die Fragen 16 – 20 zur (unbiblischen) Heiligenverehrung in Die neuen Lehren der römisch katholischen Kirche

Nach seiner Konversion stellte er sich mit großer Konsequenz in den Dienst der Gegenreformation Schlesiens, die er mit insgesamt 55 sehr scharf und polemisch formulierten Streitschriften gegen die Protestanten unterstützte. Schon seine erste große Streitschrift (Türkenschrift, 1663) brachte ihm eine Anklage als Friedensstörer ein. Martin Luther (1483-1546) nannte er einen Luzifer, der statt himmlischen Lichts nur höllische Finsternis gebracht habe; die Türkengefahr als Bedrohung des christlichen Abendlandes interpretierte er als göttliche Strafe für die lutherische Ketzerei. Die Drucklegung seiner Streitschriften wurde durch den Grüssauer Abt Bernhard Rosa finanziert. Einige seiner Lieder, so Mir nach, spricht Christus, unser Held oder Auf, Christenmensch, auf, auf zum Streit, wurden im 19. Jahrhundert zuweilen als Schlachtrufe missverstanden, die Katholiken und besonders die katholischen Fürsten zum Kampf gegen die Protestanten ermutigen sollten. Die Texte, die mit biblischen Metaphern zum Streit gegen Teufel, Fleisch und Sünde aufrufen, sowie ihre breite Rezeption in protestantischen Gesangbüchern widerlegen diese Deutung jedoch.

Ab 1654 bekleidete Angelus Silesius das Ehrenamt eines Hofarztes des Kaisers Ferdinand III. und wurde Mitglied der Rosenkranzbruderschaft. 1661 wurde Angelus Silesius für die Diözese Breslau in Neisse, dem Residenzort des Fürstentums Neisse, zum Priester geweiht. Er war bekannt dafür, ekstasetrunken an spektakulären Prozessionen teilzunehmen. Der Jesuit Daniel Schwartz schrieb in seiner Leichenrede auf Angelus Silesius, dieser sei bei seiner ersten Wallfahrt nicht als ein Privat Clericus, und minderer Priester aufgetreten, sondern als ein

Engel und Gottes-Both, unerschrocken und unüberwindlich, mit einer brennenden Fackel in der Lincken, mit einem Crucifix in der Rechten, mit einer dörnern Cron auff dem Haupt, mit einem Seraphischen Eyfer und Resolution im Hertzen.[6]

Letzte Jahre

Von 1664 bis 1666 war Angelus Silesius Hofmarschall des Breslauer Fürstbischofs Sebastian von Rostock. Danach lebte er bis zu seinem Tod zurückgezogen als Arzt für Arme und Kranke im Matthiasstift in Breslau. Er verschenkte sein gesamtes Vermögen nach und nach an Arme, sorgte für die Ausbildung von Waisenkindern und behandelte als Arzt unentgeltlich mittellose Patienten.

Ab 1666 machte sich Angelus Silesius, nachdem er sich in das Stift St. Matthias zurückgezogen hatte, an die Abfassung zahlreicher polemisch-theologischer Schriften, die 1677 unter seinem bürgerlichen Namen als Ecclesiologia gedruckt wurden. Angelus Silesius starb nach längerer Krankheit, die er durch ein streng asketisches Leben noch verschlimmert hatte, und wurde in der Breslauer Matthiaskirche beigesetzt.

Werk

1657 veröffentlichte Angelus Silesius seine berühmten Epigramme Geistreiche Sinn- und Schlussreime, die seit der zweiten, um ein sechstes Buch vermehrten Ausgabe den Titel Cherubinischer Wandersmann [7] tragen, meist zweizeilige Sprüche in gereimten Alexandrinern. Formale Vorbilder waren u. a. die Epigramme von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko. Als Vorbilder und Lehrmeister der geheimen Gottes Weißheit nennt Angelus Silesius u. a. Augustinus, Bernhard von Clairvaux, Meister Eckhart, Mechthild von Magdeburg, Johannes vom Kreuz und Johannes Tauler.

Der Hinweis auf die Cherubim im Titel der Gedichtsammlung bezieht sich auf die traditionelle Hierarchie der Engel und deutet an, dass der Versuch, den mystischen Weg zu Gott zu beschreiben, hier in einer intellektuellen, den Verstand ansprechenden Weise unternommen wird. Dem entspricht die pointierte Form des Alexandriner-Epigramms, die eine antithetische Darstellung und scheinbar paradoxe Feststellungen und Behauptungen unterstützt, mit denen das ‚Unsagbare‘ in Worte gefasst werden soll. [8]

In Breslau erschien auch die Heilige Seelen-Lust Oder Geistliche Hirten-Lieder (zweite um ein fünftes Buch vermehrte Ausgabe 1668). Den Großteil der Melodien zu den Liedern schrieb der Breslauer fürstbischöfliche Musiker Georg Joseph. Etwa 50 der Geistlichen Hirtenlieder gingen in das Hallesche Gesangbuch ein, darunter Ich will dich lieben, meine Stärke.

Die Texte dieser Sammlung tendieren im Gegensatz zu der ersten Sammlung zur Erlebnisdichtung. Die Intensität des religiösen Anliegens befähigt das Ich zur unmittelbaren Aussage. Die Textgestalt von paarreimenden Vierzeilern bis kunstvollsten Strophen variiert den Grundgedanken der Liebe der Seele zu ihrem Heiland. Angelus Silesius knüpft an das Hohelied an, in dem die allegorische Deutung der Liebe zwischen Seele, der Braut, und Christus, dem Bräutigam, bis zur mystischen Vereinigung beschrieben wird. Formen und Motive der Schäferdichtung werden imitiert und für den geistlichen Zweck genutzt. [8][9]

Einzelnachweise

  1. Stanislaus Scheffler
  2. Wilhelm Kühlmann: Scheffler, Johannes (Johannes Angelus Silesius) (1624–1677). In: TRE, Bd. 30, S. 83–87, hier S. 84.
  3. Ludwig LemckeAngelus Silesius. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 1, Duncker & Humblot, Leipzig 1875, S. 453–456.
  4. Lluís Duch Álvarez (Hrsg.): El peregrino querúbico. Angelus Silesius. Siruela, Madrid 2005, ISBN 84-7844-841-1, S. 269.
  5. Von Einfluss auf seine Konversion war der Jesuit Jodocus Kedd, der sogar als eigentlicher Verfasser der Gründtlichen Vrsachen gilt (Guillaume van Gemert: Der niederländische Bestand in der Sulzbacher Hofbibliothek. In: Morgen-Glantz 19/2009, S. 51, Anm. 63). Die lateinische Ausgabe (Digitalisat) enthält ein ausführliches Nachwort Kedds.
  6. Angelus Silesius (Johann Scheffler). In: Ostdeutsche Biografie (Kulturportal West-Ost)
  7. https://www.kirche-in-not.de/wp-content/uploads/2019/07/2007-rudolf-grulich-ueber-angelus-silesius-und-den-cherubinischen-wandersmann.pdf – Der Kirchenhistoriker Rudolf Grulich über Angelus Silesius und den „Cherubinischen Wandersmann“
  8. Biografie und Werkdarstellung
  9. Angelus Silesius (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im Juni 2023. Suche in Webarchiven)  auf kulturwerk-schlesien.de