7. Rede am Grabe eines geisteskranken Familienvaters (Johann Tobias Beck)

Es wird gesät verweslich, und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Unehre, und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit, und wird auferstehen in Kraft. Es wird gesät ein natürlicher Leib, und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Hat man einen natürlichen Leib, so hat man auch einen geistlichen Leib. (1. Kor. 15, 42-44)

In Gottes Reich geht Nichts verloren, g. A. – auch was verloren scheint für diese Welt, kann im himmlischen Vaterland wieder gefunden und erneuert werden, und das in herrlicherem, vollkommenerem Maß, als wir hier es besitzen. Darum, obgleich der Tod unsere ganze sichtbare Natur auflöst und in Trümmer legt: so warten wir dennoch, gelehrt von Christus, auf eine herrlichere Wiederherstellung des ganzen Menschen – damit erst vollendet unser HErr Jesus Christus sein Werk an uns, daß er an Leib und Seele uns einmal verklärt, gleichwie Er verklärt ist.

Diese christliche Aussicht ist besonders fruchtreich gerade an diesem Grabe, das uns heute versammelt. Der verstorbene Mitchrist, dessen Hülle dasselbe aufnehmen soll, litt nämlich schon längere Zeit an einer Zerrüttung der Seele, die schmerzlich war für seine Gattin und für seine Kinder! Schwer ist es schon, einen Vater und Ehegatten krank sehen zu müssen äußerlich am Leibe; aber Krankheit des inwendigen Menschen, sogenannte Geistes-Krankheit, die den Weg verschließt zu der Seele des Kranken, und den Umgang der Herzen miteinander auflöst – welch ein quälender Anblick ist das für ein fühlendes, liebendes Gemüt! Wenn man nun denken müßte, l. Freunde, diese traurige Lage eines Seelenkranken daure ewig fort, und nimmer werde der inwendige Mensch genesen von seiner Zerrüttung – wie zentnerschwer müßte der Gedanke einer Gattin, einem Kinde, jedem Menschenfreunde auf der Seele liegen! Da müßte der Tod für sich allein schon, wenn man auch noch Nichts weiß von einem nachfolgenden andern Leben, der Tod für sich allein schon müßte als ein Glück gepriesen werden, wo ihm Verwirrung des Seelenlebens vorausging.

Aber wenn das nun Alles wäre, wenn Nichts sonst erfolgte, als Sterben: was müßten wir denken von der Güte und Liebe unsers Vaters im Himmel, daß Er Einem seiner Kinder den gesunden Gebrauch des Köstlichsten nahm, mit dem Er uns ausstattete, den Gebrauch der eigenen Seele! Ist doch die Seele es, in welcher Gottes Ebenbild uns aufgedrückt ist! Mit ihr erfassen wir Gottes seligmachendes Wort; mit ihr beten wir zu einem Vater, der weiß, was wir bedürfen; mit ihr hungern und dürsten wir nach himmlischer Gerechtigkeit; mit ihr nehmen wir Gnade um Gnade aus Christi reichem Schatze; mit ihr suchen und rufen wir unter Leid und Freud der Erde: „Dort oben ist mein Vaterland!“ Und all‘ das kann der nicht, der nicht mehr Meister ist über seine Seele, dessen inwendiger Mensch in sich selbst verwirrt ist worden. Soll der nun ewig diese seine Schwachheit büßen? Soll er auf immer verlustig sein der Güter und Freuden des Geistes, und Gott nimmer anbeten können als seinen Vater, Christum nimmer erfassen als seinen Erlöser?

Nein, da eben reicht uns der Glaube die Hand, und leuchtet als ein Himmelslicht in die Erdenfinsternis. Wir tragen die Gaben Gottes hier im irdischen Gefäß, und dieses irdische Gefäß ist es, das bei Manchem den geistigen Schatz Gottes nicht rein aufkommen läßt, welchen Er, der treue Schöpfer, in alle Menschenseelen niedergelegt hat; dieser Leib ist es, der die Seele zerrüttet und oft so sehr gefangen nimmt, daß sie ihre Dienste nicht mehr leistet. Daß wir nun beim Tode dieses Leibes, bei der Ablegung dieses schwachen irdischen Gefäßes wissen, der ganze Mensch werde verwandelt in ein Herrlicheres, der Geist aus Gott werde nicht nur frei aus dem Gefängnis dieses Leibes, daß er nun das Seine kann suchen und finden in Gottes Reich; sondern dieser Geist werde auch wieder angetan mit einem Leibe, der selbst herrlich und himmlisch sei, nicht mehr den Geist darnieder drückt und zerrüttet, sondern ihn erhöht und bereichert – die Aussicht ist besonders tröstend am Grabe dieses unsers Mitchristen, und versöhnet das Menschenherz mit Gott, wenn wir auch die Gaben des inwendigen Menschen oft so ungleich auf dieser Erde verteilt sehen.

Heißt es hier an diesem Grabe besonders wahr: „gesät in Schwachheit, gesät in Unehre“: wahr wird auch werden die Auferstehung in Kraft und Herrlichkeit. Darin eben besteht einmal die Seligkeit des himmlischen Wiedersehens, daß wir die, die wir hier schwach, gealtert, krank und zerrüttet verloren, und als abgenützte Werkzeuge dieses Lebens in’s Grab legten, daß wir die wieder finden in frischer, voller Kraft, im Paradiese des HErrn blühend ohne Krankheit und Altersschwäche, unverwesliche Rüstzeuge Gottes, unsterbliche Bürger des himmlischen Reichs, in welchem ewiges Leben wohnt.

Schon hier unten, wenn man sich liebt, und man war getrennt voneinander und sieht sich wieder – wie freut sich da Eines des Andern, und das Herz wird so weit, so mild und weich! Und doch finden wir uns hier im irdischen Pilgertal, je länger wir einander nicht gesehen haben, und je älter wir geworden sind, in desto größerer Schwachheit finden wir uns wieder, und können nie rein von Herzen aneinander froh werden – einen Stachel hat jede Freude! Aber oben – wo man nicht mehr Atem holt unter Seufzen und keine Last mehr auf der Brust trägt, wo keine schwache, sterbliche Hülle mehr die Seele drückt, wo das, was einst Kummer und bittere Tränen gab, im Grabe der Erde zurückblieb und der Geist sich reinigt im Lichte Gottes – mit welcher Freude, Geliebte, wird man da sich wiedersehen, in den Wohnungen des Vaters um den Segens-Thron des großen Weltheilandes, der das Verlorne wiederbringt und das Verirrte sucht und heilt.

Ruhe denn und Friede auch über diesen Staub, in dem kein Schmerz mehr zuckt, keine Angst mehr bebt, kein Tod und Leben mehr ringt – er ruht in seiner Kammer! Ruhe und Friede mit euch, seinen Hinterlassenen; euch ängstigt keine Sorge mehr wegen eures Entschlafenen, ihr wisset ihn in der Hand des großen himmlischen Arztes, der, was Menschen nicht mehr heilen konnten, zu heilen versteht – Er wird das Bild Gottes in ihm wiederherstellen, und am großen Tag des Wiedersehens ihn euch wieder zuführen in himmlischer Kraft und Herrlichkeit. Ruhe und Friede über allen denen, die die Wege des HErrn wandeln – sie sterben einmal im HErrn, und gehen durch des Grabes Pforte ein in die ewige Ruhe des Volkes Gottes, zum Leben der Herrlichkeit.

Und der Geist wirkt leicht und frei
von der Sinne Täuscherei;
aus der Erde Nächten bricht
ihm hervor ein helles Licht.
Um und um ist Alles gut!
Tücke, Spott und Zwietracht ruht;
Alles liebt und freuet sich,
fühlt sich selig, Gott, durch dich.

Erdenpilger, welches Heil
wird einst drüben unser Teil!
Welche hohe Seligkeit
lohnt uns nach der Pilgerzeit!
Laßt uns unsrer Würde freu’n,
stark in Christen-Hoffnung sein;
Vater, Vater, Alle wir
sind unsterblich: Dank sei dir!

Amen.

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Eingestellt am 10. Juni 2022