Der Herr hebe Sein Angesicht über Dich. (4. Mos. 6, 26)
Moses, der treue Knecht des Herrn, hatte den großen Auftrag, das Volk Israel aus Egypten zu führen. Es war ein halsstarrig Volk, 2. Mos. 32, 9. In vierzig Jahren wurde kund, was in seinem Herzen war (5. Mos. 8, 2), und so viel Thorheit und Undank war in ihnen, daß allein die große Barmherzigkeit Gottes noch größer war. Mose war willig, das halsstarrige
Volk hinaufzuführen – doch unter der bestimmten Bitte an den Herrn: Wo nicht Dein Angesicht vorangehet, so führe uns nicht von dannen hinauf, 2. Mos. 33, 15.
Ewiger und großer Gott, eben das bittet meine Seele von Dir: Hebe Dein Angesicht über mich. Das müsse die Kraft meines Lebens sein, daß Du Dein Angesicht über mich erhebst.
David hatte an Jonathan einen großen Schatz, einen treuen Freund. Jonathans Angesicht war David ein Labsal in seinen vielfachen Kümmernissen. Wohl durfte David bei Jonathans Tode klagen: ich habe große Freude und Wonne an dir gehabt; deine Liebe ist mir sonderlicher gewesen, denn Frauenliebe ist, 2. Sam. 1, 26.
Wie werth ist auch mir ein Menschen-Angesicht, das ein Spiegel der Freundschaft und Barmherzigkeit, der Demuth und Liebe ist! Wie schön müßte ein Angesicht sein, in welchem aller heiligen Menschen Liebe und Leutseligkeit vereinigt wäre! Und wäre es noch schöner, bekleidet mit dem Licht der Sonne und der Traulichkeit des Mondes und mit der Zierde aller Blumen, so weiß ich, mein Gott, daß es gegen Dein Angesicht nur ein
matter Glanz wäre. Vor Deinem Angesichte ist Gnade und Wahrheit; in Deinem Angesichte ist der Ueberschwang alles Lebens. Wer Dich sieht, o Jesu, mein theuerster
Heiland, Liebe meiner Seele, sieht den Vater und sieht Gottes Angesicht, Joh. 14, 9.
Es ist nichts in Gott, was nicht in Dir wäre. Wenn Du Dein Angesicht erhebest, fließen Kräfte des Lebens und der Ewigkeit hernieder, Speise und Brod die Fülle, Joh. 6, 5 und
12. Vor dem Erheben Deines Angesichtes weichen alle Seuchen, Matth. 4, 24. Da Du Dein Angesicht erhobest, schloß sich für den armen Schächer der Höllen Abgrund und seine Seele ging ins Paradies. So hebe, Du werther Heiliger Geist, der Du Jesu Angesicht kennst und in diesem Angesichte alle göttliche Kraft und Wahrheit, erhebe meines Jesu Angesicht über mich, damit ich mein Angesicht zu Ihm erhebe und Leib und Seele sich freuen in dem lebendigen Gott.
Wo aber Dein Angesicht nicht mit mir geht, so kann ich nicht hinauf, wie Mose auch nicht konnte; ich liege am Boden, bin öde und kalt, finster und trübe, eine halsstarrige Creatur, ohne Erkenntniß meines großen Elendes und ohne Schmerz über die häßliche Sünde, ein elendes Spiel der Hölle und meiner bösen Lust, die aus dem Abgrunde ist. Wirst Du, o Geist der Herrlichkeit, Dein Angesicht nicht über mich erheben, so sehe ich nicht die unaussprechliche Liebe des Heilandes und bin verschlossen in den Kerker des Unglaubens und der Finsterniß. Erhebst Du aber Jesu Angesicht über mich, so berühren mich die Kräfte Gottes, und mein Herz liegt vor Dir geängstet und zerschlagen und Du findest Wohlgefallen an mir Elenden, weil Du Selbst die Züge des Angesichtes des eingebornen Sohnes in mich drücktest, Ps. 51, 19.
So erhebe denn, mein Gott, das Angesicht Jesu über mich – eben das Angesicht, das mit
Dornen gekrönt ist und welches mir Gottes ewige Gnade und Vergebung in meine Seele leuchten läßt. Ja, dies Angesicht hebe über mich, so ist meine Seele genesen durch den Glauben an das ewige und vollkommene Opfer Deines Sohnes, und ich fahre auf mit Flügeln, Jes. 40, 31.
Da Abraham dieses Angesicht über sich erhoben sah, ging er hin und war bereit Isaak zu opfern – Herr, das schafft Dein Angesicht; Moses erwählte viel lieber mit dem Volke Gottes Ungemach zu leiden als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben – so süß ist Dein Angesicht. Moses wollte das Volk hinaufführen, wenn dies Angesicht mit ihm ging – so stark ist Gottes Angesicht und ich, ob ich so schwach bin, will Dir, mein Gott, Alles opfern und mein Angesicht waschen und mein Haupt mit Freudenöl salben, wenn mich Dein Angesicht leitet. So erhebe, Herr, über mich Dein Angesicht und ich bin genesen (1. Mos. 32, 30) und werde in der Auferstehung der Todten vor Dir stehen und satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bilde, Ps. 17, 15.
Ich liebe Dich unsäglich,
Mein Leben und mein Licht.
Ich sehne mich tagtäglich
Nach Deinem Angesicht.
Quelle:
Stille halbe Stunden. Von Th. Schmalenbach. Gütersloh, Druck und Verlag von C. Bertelsmann. 1877.
Bayerische Staatsbibliothek, urn:nbn:debvb:12-bsb11354794-3
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