Psalm 126, 1

Ein Lied im Höhern Chor. Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. (Psalm 126, 1)

Es ist dieses der Anfang eines von den Liedern im höhern Chor, oder eines von den Liedern, welches die Israeliten unterwegs sangen, wenn sie auf die Feste nach Jerusalem hinauf gingen. Sie sind alle kurz, und von einem Inhalt, der dem gemeinen Volk faßlich war. Ps. 126. dachten die Israeliten daran, daß ihre Nachkommen einmal nach den Weissagungen Mosis und anderer Propheten als Gefangene werden weggeführt, aber auch wieder aus dieser Gefangenschaft erlöset werden, und beteten V. 4. schon voraus um diese Erlösung. Doch weissagte der Prophet, der diesen Psalm verfertigte, diese Erlösung werde so unvermutet und mit so vergnüglichen Umständen verbunden sein, daß die Israeliten wie die Träumenden sein werden: Sie werden nicht wissen, ob sie die Nachricht von dieser Erlösung glauben sollen, oder ob’s ihnen nur davon träume: wie es auch dem Jakob ging, da man ihm die unverhoffte Nachricht brachte, daß sein Sohn Joseph lebe, 1. Mos. 45, 26.

Alsdann, sagt der Prophet weiter, wird unser Mund voll Lachens sein, wie der Mund Abrahams und der Sara, als sie die unverhoffte und fast seltsame Verheißung bekamen, daß sie als alte Leute, welche die Hoffnung, ein Kind zu zeugen, aufgegeben hatten, einen Sohn bekommen werden, der zum Angedenken dieses fröhlichen und Gott wohlgefälligen Lachens Isaak genannt werden sollte, 1. Mos. 17, 17; 18, 12; 21, 3.6.7. Unsere Zunge, sagt der Prophet ferner, wird alsdann voll Rühmens von Gottes Treue und Barmherzigkeit sein. Da wird man sagen unter den Heiden: der HErr hat Großes an ihnen getan, und wir werden auch sagen: der HErr hat Großes an uns getan, deß sind wir fröhlich u.s.w.

Wenn wir nun die Geschichte mit dieser Weissagung vergleichen, so können wir leichtlich erkennen, daß diese genau erfüllt worden sei. Das Reich der Chaldäer war sehr mächtig, und Babel, die Hauptstadt desselben, war eine sehr große, reiche und feste Stadt. So lange jenes Reich stand, und diese Stadt mächtig war, war keine Hoffnung der Erlösung für Israel vorhanden. Gott erweckte und stärkte endlich den persischen König Cores, daß er mit dem medischen König Darius das chaldäische Reich überwältigte, und Babel einnahm. Wem die Weissagung Jesajä K. 44, 28 – 45, 13. bekannt war, der konnte wissen, daß dieser Cores der Gefangenschaft Israels ein Ende machen werde: allein diese Weissagung scheint wenigen Israeliten bekannt gewesen zu sein. Plötzlich erschien aber der sehr gnädige und großmütige Befehl des Cores, der Esr. 1 aufgezeichnet ist, und der mit der Uebergabe der kostbaren Tempelgefäße verbunden war. Alsdann geschah, was Ps. 126 geweissagt worden war.

Auch bei andern Völkern, ja bei einzelnen Christen schickt Gott zuweilen eine unvermutete Erlösung und Hülfe: die größte aber ist diejenige, durch welche Gott aus allem Uebel erlöset, und zu Seinem himmlischen Reich aushilft. Die Krankheit, die gemeiniglich vorhergeht, ist auch ein Gefängnis, Hiob 42, 10. Das Gefängnis macht die Erlösung, und die Not die Hülfe besonders wert und angenehm, und wenn die Erlösung und Hülfe unvermutet kommt, und herrlicher erscheint, als man gehofft hatte, so kommen alle die Bewegungen des Geistes vor, die Ps. 126. beschrieben sind. Lasset uns die Tränensaat nicht scheuen; denn es folgt eine fröhliche Ernte darauf!

Andacht: Magnus Friedrich Roos

Wenn der Herr einst die Gefang’nen
Ihrer Bande ledig macht,
O, dann schwinden die vergang’nen
Leiden wie ein Traum der Nacht;
Dann wird unser Herz sich freu’n,
Unser Mund voll Lachens sein;
Jauchzend werden wir erheben
Den, der Freiheit uns gegeben!

Liedvers: Samuel Bürde


Eingestellt am 16. November 2021 – Letzte Überarbeitung am 21. Oktober 2023