1. Korinther 7, 31 (Keller/Hofacker)

Und die diese Welt gebrauchen, daß sie dieselbe nicht mißbrauchen.
(1. Korinther 7, 31a)

Wann tritt denn der Mißbrauch dieser Welt ein? Wenn man entweder seiner Seele Leben an die Güter dieser Welt verkauft, so daß nicht wir diese Güter haben, sondern sie haben uns – oder in selbstsüchtiger Weise nur Genuß an ihnen sucht und keine Pflicht, in ihnen dem Nächsten zu dienen, anerkennt. Die äußere Stellung kann es ja mit sich bringen, daß der eine ganz anders sich mit dieser Welt beschäftigt als der andere. Ein Kaufmann, der aufs Verdienen angewiesen ist, ein Fabrikant, von dessen guter Führung seines Unternehmens Hunderte von Familien mit ihrem täglichen Brot abhängen, steht anders zum Geld als der Beamte, der sein Gehalt oder seine Pension hat, oder wie der Geistliche, der sich mit den Seelen seiner Gemeinde beschäftigen soll.

Da darf man nicht ungerecht aburteilen über den andern, der anders als wir sich mit dieser Welt Gütern abgeben muß. Nur wird die Grenze des rechten oder falschen Gebrauchs klar gezogen werden müssen, damit die Seele nicht notleidet. Hast du es leichter, dem Glanz des roten Goldes dich zu entziehen als der andere, dann wirf keinen Stein auf ihn, sondern biet‘ ihm die Hand zu der Erlangung eines Gegengewichts: daß die zukünftige Welt in sein Leben hineinkomme und etwas wirke, ehe es zu spät ist.

Herr, lehre uns gerecht und milde über andere urteilen, und scharf und deutlich für uns selbst die Grenze finden, wo für uns der Mißbrauch anfängt. Unser Herz soll dir gehören, und dann kann alles unser sein.

Amen.

Samuel Keller (1856-1924)


Denn das Wesen dieser Welt vergeht. (1. Korinther 7, 31b)

Wer kann sagen, daß die heilige Schrift lüge? Sie hat noch nie gelogen. Himmel und Erde werden vergehen, aber des HErrn Wort bleibt in Ewigkeit. Und ist es denn nicht natürlich, daß diese Dinge, die in der Zeit ihren Anfang genommen haben, mit der Zeit vergehen? Nicht rede ich hier von der unsichtbaren Geisterwelt, denn was unsichtbar ist, das ist ewig, das ist bleibend; auch der Apostel Petrus meint, wenn er von dem Ende aller Dinge redet, nicht die unsichtbaren sondern die sichtbaren Dinge.

Diese sind dem Untergange unterworfen und müssen aufhören. Siehe, lieber Mensch! Alles, was dich umgibt, bleibt nicht und besteht nicht; dieses Gebäude, diese Stadt, dein Haus, deine Geräte, dein Geld und Gut, deine Felder, deine Bücher, deine Titel, deine Würden und Aemter, deine Vorräte, die du vielleicht auf viele Jahre gesammelt hast, kurz alles, was deine Seele ergötzt, dein Leib, der dir am nächsten ist, diese Erde, die Sonne, die Wolken, die Luft das Wasser, Alles, Alles, was um dich her ist, wird vergehen und zerstäuben. Hast du das auch schon bedacht, daß das Alles, woran sich dein Auge weidet oder was deinen Sinnen schmeichelt, vergehen und durch die Glut des Feuers in Rauch aufgehen wird? Ach, wie Wenige werden hier sein, die das schon ernstlich erwogen und bedacht haben. Man läuft so in der Torheit dahin und nimmt es nicht zu Herzen. So groß ist unsre Blindheit und Verkehrtheit. Was würden wir von einem Missetäter denken, dem sein Todesurteil bekannt gemacht wird, und der sich nicht darum bekümmern, der es stumpf und gleichgültig anhören würde?

Wir aber sind die Missetäter; stumpf und gleichgültig hören wir es an, wenn das Todesurteil über die ganze sichtbare Welt und der Feuertod über Alles ausgesprochen wird, woran unsere Seele so gerne klebt und hängt. Und doch sind uns ewige Güter angeboten, die aus der Fülle Christi fließen, und wir laufen dahin im Traume und betrügen uns selbst, als ob das Sichtbare ewig währte und Bestand hätte, und wissen nicht, ob der HErr heute oder morgen dem Wesen dieser Welt ein Ende macht.

Die Welt muß untergehen;
So spricht der Wahrheit Mund;
Doch wann es wird geschehen,
Das ist noch Keinem kund.
Ganz leise wird die Zeit
Der Sichtung uns betreten;
Drum sollen wir mit Beten
Und Wachen sein bereit.

Wohl dem nun, der die Stimme
Der Wächter nimmt in Acht,
Daß seine Lampe glimme
In stiller Mitternacht!
Dem wird nach dieser Zeit
Das Beten und das Wachen
Viel Wonn und Freude machen
Im Licht der Ewigkeit.


Quellenangaben:

Andacht zum 8. November, aus: Ludwig Hofacker, Erbauungs- und Gebetsbuch für alle Tage, nebst einem Anhang von besondern Gebeten. Aus den hinterlassenen Handschriften und aus den Predigten des sel. Verfassers. Herausgegeben von G. Klett, Pfarrer in Barmen., Dritter Abdruck, S. 474f. Druck und Verlag von J.F. Steinkopf, Stuttgart, 1879.

Liedstrophen aus: Wacht auf, wacht auf, ihr Christen! von Joachim Neander, in:  Evangelischer Liederschatz für Kirche und Haus. Bearbeitet von M. Albert Knapp, Diakonus an der Hospitalkirche in Stuttgart. Zweiter Band, Seite 234f.. Stuttgart und Tübingen. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, 1837. [Digitalisat]


Eingestellt am 8. Dezember 2023