Markus 10, 36

Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, daß ich euch tue? (Mark. 10, 36)

Der Heiland, der da weiß, was im Menschen ist, kann den Leuten selten so zuvor kommen, als Er nach seiner Neigung gern wollte, sondern muß es gemeiniglich darauf ankommen lassen, daß sie sich aufs Bitten legen, und muß sie fragen: Was wollt ihr? wißt ihr auch was ihr wollt? Daher im Christentum sehr viel darauf ankommt, daß man anfängt zu wissen, was man will, und dem Heiland die Frage beantworten kann: Was willst du, daß ich dir tun soll?

Bei uns wird die Frage ziemlich auf einerlei Weise beantwortet werden. Denn wenn wir in einer Sache einerlei denken können, so ist’s in dem Artikel von seinem Verdienst für uns; „daß wir an Dich gläuben und uns Dir einleiben, in Deinem Verdienst uns weiden, darinnen verscheiden zur ewigen Freuden.“

Ich habe mich vielmals erklärt, daß ich nichts weiß, was höher und größer gedacht ist, als wenn wir an’s Heilands Kreuz und Wunden denken. Vor dreißig Jahren haben wir schon gesungen: „So hoch der Sinn der Jünger auch gestiegen, so wissen sie nichts höhers, als das Kreuz.“ Es bleibt unser Ein und All’s, was Er für uns getan. Es scheint wohl eine törichte Predigt zu sein; aber wer’s genau betrachtet, der findet die Weisheit der Vollkommenen drinnen.

Es kommt mir lächerlich vor, wenn die Leute Theodiceen machen, und GOtt das Wort reden wollen. Er hat uns ja den Verstand gemacht; wie wollten wir denn über Ihn wegdenken, und seine Handlungen und Bewegursachen wissen können? Wenn Er uns keine Ursachen gesagt hat, was geht’s uns an? Wir halten uns an das, was geschehen ist, daß Jesus gestorben ist für unsre Sünden, nach der Schrift, und daß er begraben und auferstanden ist am dritten Tage, nach der Schrift, 1. Cor. 15, 3.4. So steht’s im Buche geschrieben, so hat’s der Heilige Geist gepredigt seit siebenzehnhundert Jahren. Da das nun eine historische Wahrheit ist: GOtt ist offenbart im Fleisch, 1. Tim. 3, 16. und wohnte unter uns, Joh. 1, 14. Er hat unsre Sünde selbst geopfert, an Seinem Laibe auf dem Holze, 1. Petr. 2, 24. So hält man sich bei dem auf, das schreibt sich in’s Herz und vergißt sich nie.

Es bleibt uns Ewiglich im Sinn,
wie viel es Ihn gekostet,
daß wir erlöset sind.

Wenn wir uns also was ausbitten sollen, so ist’s das beständige Aufschauen auf Ihn und seine Wunden. Bei den Leuten, die über dem Punkt festhalten, darüber denken, davon singen und sagen, ist das ganze Leben voll seliger, dankbarer, zärtlicher Erinnerungen an das, was Er für uns getan hat. Das geleitet uns durch alle Umstände. Sein teurer Arbeitsschweiß macht uns alle Mühe leicht, seine Wunden machen uns von dem selbstgemachten Büßen frei, erstatten unsern Schaden, reinigen unsre Herzen, und heilen die vergifteten Wunden. Der tägliche Umgang mit dem Schmerzensmann, der Zusammenfluß mit seinem Herzen, der Umgang, den wir unter- und miteinander haben, da wir einander nichts bessers zu sagen wissen, und die unvergleichliche Methode, sich seiner Seele zu empfehlen auf die künftigen Stunden, und dem Immanuel alle seine Wunden zu grüßen – macht uns nach und nach Ihm ähnlich, daß uns sein Bild zu’n Augen heraussiehet.

Wenn Er uns dann heut oder morgen besucht, und mitnimmt, so hat Er uns, wie Er uns haben will, und legt Ehre mit uns ein vor seinem Vater und vor seinen Engeln. Da halten wir dann zusammen Haus in Ewigkeit. Das ist die wichtige Sache, die daraus entsteht, wenn Er uns das Verdienst seiner Wunden verklärt, zueignet, und zu genießen gibt.

O mein trauter Herre!
gib mir nur, was Du verdient;
mehr ich nicht begehre.

(Gerhard Tersteegen)

Quelle: Glaubensstimme – Die Archive der Väter

Eingestellt am 28. Februar 2022