Propst Alexander Bernewitz (1856-1919)

P r o p s t  A l e x a n d e r  B e r n e w i t z

Märtyrer der zweiten bolschwistischen Welle 1918/19
geboren im Pastorat Kandau 26. Mai 1856
ermordet in Kandau 16 Januar 1919

Am alten Kandauschen Pastorat, das durchflutet war von ewiger und irdischer Sonne, wuchs Bernewitz mit neun Geschwistern heran. Nach beendetem Studium der Theologie in Dorpat erkrankte sein Vater.

Er wurde selbstverständlich sein Adjunkt, hernach sein Nachfolger und blieb es 27 Jahre hindurch. In jungen Amtsjahren hat er mit Feuereifer den Kampf gegen die Propaganda der orthodoxen Kirche erfolgreich geführt, allzeit seine Gemeinde in Treue gebaut. Ihm war es gegeben, jede geistliche Handlung in geistlicher Weihe zu vollziehen. Er war durchdrungen von der Größe der Aufgabe pastoralen Wirkens.

Kandau (lett. Kandava), Ev.-lutherische Kirche
Bild: simka, Liz. CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Gesundheitlich war er nicht einer der Stärksten, namentlich haben ihm seine Nerven viel zu schaffen gemacht. Doch gab ihm Gott immer wieder aufs neue Kraft zur Arbeit, die sich noch mehrte, als er von seinen Amtsbrüdern einstimmig zum Propst der Kandauschen Diözese gewählt wurde. Sein Verhältnis zur kleinen deutschen Gemeinde blieb dauernd das beste. Anders zur großen lettischen Gemeinde, hier hatte sich besonders nach der Revolution eine Trübung eingestellt, die immer stärker wurde. Das war der größte Kummer seines Lebens. Er tat alles, um die Spannung, die zwischen Letten und Deutschen bestand, auszugleichen.

Trotzdem er in der Zeit der deutschen Okkupation als Glied des baltischen Landesrats kraftvoll für das Recht des lettischen Volkes in der Schulfrage eintrat, war es doch vergeblich. Die Spannung zwischen ihm und der lettischen Gemeinde blieb bestehen. Die geschichtliche Entwicklung nahm ihren Gang. Deutschland musste weichen — Lettland wurde proklamiert. Der Bolschewismus nahte.

Bernewitz erkannte den Ernst der Zeit. Im November 1918 machte er sein Testament. Da heißt es: „Mir ist der Gedanke ans Sterben nicht schwer. Sollte ich, worauf ich gefaßt sein will, bald abgerufen werden, so will ich gern folgen, nachdem mein Leben so reich durch Gottes Freundlichkeit gesegnet gewesen ist. Ich leugne nicht, der Gedanke an einen gewaltsamen Tod ist schwer, doch ich muß auch auf einen solchen gefaßt sein! Ich übergebe meine Seele Gottes Händen, als einer, der bekennt: Das Wollen des Guten habe ich wohl, wenn auch in großer Schwachheit, doch das Vollbringen ist mir nirgends gelungen, und mein Trost ist der des Paulus allein: Nicht daß ich es ergriffen habe — ich jage ihm aber nach — nachdem ich von Christo Jesu ergriffen bin (Phil. 2, 12). — Daß meines Lebens Arbeit zerbrochen ist, daß ich die dereinst freundliche, ja freundschaftliche Stellung in meiner lettischen Gemeinde und die Fühlung mit ihr verloren habe, bedrückt mich tief, was ich innerlich gelitten durch Verkennung auch meiner ehrlichsten Absichten, durch feindselige Verleumdung, soll vergeben und vergessen sein. Gott sei mir armem Sünder gnädig. Er lasse wieder Zeiten werden — da unsere Gemeinden sich besinnen auf die ewigen Ziele — Gott erhalte unser Heimatland und unsere Heimatkirche. Er lasse sie innerlich gesunden und stark erstehen nach all den Nöten und Erregungen dieser letzten furchtbaren und doch in ihrem Kern und ihren dereinstigen Folgeerscheinungen großen Zeit.“

Neujahr 1919 kam, mit ihm der Bolschewismus. Alles floh, was fliehen konnte. Bernewitz wurde gebeten, es auch zu tun. Er war 1905 bei seiner Gemeinde geblieben, er wollte auch jetzt bleiben. „Lieber mit Ehren untergehen, als fliehen“, sagte er zu einem seiner Amtsbrüder.

Er blieb. In Kandau hatten die Roten das Heft in die Hand bekommen, Stimmen wurden laut, die die Erschießung des Pastors verlangten, trotzdem feierte Bernewitz am Sonntag nach Epiphanias mit dem kleinen Häuflein seiner Getreuen den Gottesdienst. Heimgekehrt ins Pastorat, holten ihn die Roten zum Verhör nach dem Städtchen Kandau. Hier wurde ein Gericht inszeniert. „Wer klagt an?“ Einer hebt an: „Der Pastor hat mir in der schweren Kriegszeit keine Kartoffeln verkauft.“ Es melden sich sofort Gemeindeglieder, die bezeugen, er hat allen verkauft, soviel er konnte. Mit dieser Anklage war also nichts zu machen, andere Anklagen wurden nicht gefunden. So entließ man ihn. Nachdem man von ihm das Versprechen abgefordert, daß er nicht fliehen werde, „sicherte man ihm zum Schluß den Schutz des Gerichtes“ zu und erlaubte, daß er seine Gottesdienste ungestört halten könne.

Als er glücklich heimkehrte, sagte er zu den Seinen: „Ihr mögt es glauben oder nicht, als wir in Kandau einfuhren und all die vielen Menschen auf der Straße waren, die mir doch feindselig gegenüberstanden, da schlug mein Herz so ruhig, als ob ich eine Spazierfahrt machte.“ Am folgenden Sonntag predigte er über Römer 1, 16. Er sprach seine Freude aus, den Gottesdienst feiern zu dürfen, und er mahnte die Gemeinde, furchtlos zu bleiben. Es war sein letzter Gottesdienst.

Am Montag machten die Deutschen noch einmal einen Vorstoß nach Kandau, um ihren Rückzug zu decken, und überredeten Bernewitz, abzuziehen. Er aber blieb. Am Mittwoch, den 16. Januar, wurde er in der Nacht von den Roten abgeholt, seine Frau durfte ihn trotz all ihrer Bitten nicht zur Stadt begleiten. Er wurde ins Gefängnis gebracht und bald darauf erschossen. Wie solches vor sich gegangen, läßt sich nicht mehr ganz genau feststellen. Seine Leiche ist beraubt gefunden worden, seine Mörder, darunter ehemalige Konfirmanden, sind fast alle eines schnellen bösen Todes gestorben. Etliche von ihnen wurden sofort nach der bald erfolgten Wiedereinnahme Kandaus durch die Baltische Landeswehr erschossen. Es wird erzählt, Bernewitz soll zu seinen Mördern gesagt haben: „Kinder, was wollt ihr tun? Wollt ihr euren alten Pastor erschießen? Ich bitte nicht um mein Leben, aber bedenkt, was ihr tun wollt.“

Sie sollen gestutzt haben, sie haben beraten, ob sie ihn laufen lassen sollten. Da soll einer von ihnen zur Tat gedrängt haben mit den Worten: „Was geschehen muß, muß geschehen.“ Sein letztes Wort soll gewesen sein: „Laßt mir Zeit zum Beten, — Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“ Da hat ihn die Kugel ins Herz getroffen.

Wie auch die Worte im einzelnen gewesen sein mögen, sie haben bei den Burschen tiefen Eindruck hinterlassen. Einer von ihnen, ein M…, der nach Riga geflüchtet war und hier in sicherer Verborgenheit lebte, hat sich im Juni desselben Jahres in Kandau dem Feldgcricht der Baltischen Landeswehr gestellt, vom Tode Bernewitz‘ erzählt und zum Schluß gesagt: „Ich finde nirgends Ruhe, immer sehe ich den Pastor und höre seine Worte. Mein Leben ist zerstört, ich will sterben.“

So hat Gott Bernewitz das im Tode gewährt, wonach er sich im Leben so heiß gesehnt, daß seine Predigt gehört werde und wirke. Als Propst Jürgensohn Nurmhusen die von den Roten entweihte und besudelte Kandausche Kirche am 10. April 1919 wieder weihte, da wurde als erster der alte Pastor, Propst Alex. Bernewitz, nun als Toter, in dieselbe getragen.

Sein Sterben war die wirksamste Predigt seines Lebens gewesen, er hatte sie mit seinem Blute besiegelt.

Quelle: Oskar Schabert, Pastor zu St. Gertrud in Riga: Baltisches Märtyrerbuch, Furche-Verlag. Berlin 1926. S. 89-93 [Digitalisat, pdf]

Eingestellt am 29. November 2021