Der Apostel stellt den Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht dem Geist der
Furcht gegenüber. Kraft und Liebe sind unzertrennlich. Ohne Liebe ist uns alles
schwer, was wir zu tun haben. Fehlt es Kindern an der Liebe gegen die Eltern,
so haben sie keine Kraft zum Gehorsam. Haben Dienstboten keine Liebe zur
Herrschaft, so ist der Dienst eine Plage. Hat jemand keine Liebe zu seinem Beruf,
so ist er ihm eine tägliche Last. Ohne gegenseitige Liebe ist unser Auge ein Schalk
und wir entdecken Fehler, wo keine sind. Wir sehen überall schwarz, bekommen
Angst und verlieren den Mut. So ist der Geist der Lieblosigkeit ein Geist der
Ohnmacht und der Furcht. Die Liebe aber ist stärker als der Tod. „Lust und Lieb zu
einem Ding macht Müh und Arbeit gering“.
Die Liebe war die Kraft unseres Heilandes für unsere Erlösung. Die Liebe gab Paulus und allen Aposteln die Kraft durch alle Selbstverleugnung, Schmach und Trübsal zu gehen um Jesu willen. Die Liebe ist auch unsere Kraft für alle unsere Aufgaben. Was hält die Mutter Tag und Nacht aufrecht am Krankenbette ihres Kindes? Es ist die Liebe. Was gibt den Eltern Hoffnung bei Kindern, die verkehrte Wege gehen? Es ist die Liebe. Darum verstehen wir, wie der Apostel den Geist der Liebe dem Geist der Furcht und
Zaghaftigkeit gegenüber stellen kann. Die Liebe gibt Mut und Kraft. Neben den
Geist der Liebe stellt er noch den Geist der Zucht, oder vielmehr der Besonnenheit,
der Klarheit, der Gleichmäßigkeit, als das Gegenteil von Furcht hin. Der heilige Geist
schafft Licht und Klarheit im Menschen, er verleiht ihm Ruhe und Gleichmäßigkeit,
so daß er ein besonnenes Urteil, einen klaren Blick bekommt. Wie wichtig ist das
für jeden Schritt, den wir tun, für alle Aufgaben, die wir zu erfüllen haben. Wie oft
ist Mangel an Klarheit, Besonnenheit und Ruhe die Ursache vieler Furcht und Angst.
Beherzigen wir das alles, so lernen wir verstehen, warum die Apostel ihre Arbeit
nicht beginnen durften, ehe sie den heiligen Geist empfangen hatten. Er, der Geist
der Liebe, der Kraft und Besonnenheit ist es, der uns tüchtig macht, dem Herrn zu
dienen. Ihm wollen wir unsere Herzen öffnen und bitten, daß der Herr uns
bewahre vor dem Geist der Furcht.
Vater im Himmel! Gib Du mir Deinen Geist in reichem Maße. Ordne durch ihn alles in meinem Herzen und Gemüt. Gib mir einen klaren Blick, und lasse es mir an Kraft und Liebe nicht fehlen.
Amen.
Quelle:
Betrachtung zum 10. Mai. In: Suchet in der Schrift. Tägliche Betrachtungen für das ganze Jahr mit Anhang, S. 131. Von E. Schrenk. 2. Auflage, 32. bis 36. Tausend. Kassel. Druck und Verlag von Ernst Röttger, 1892.
Diese Schriftstelle ist der Tagesvers zum 2. Juni 2024