Wie ist zur Hure geworden die treue Stadt, die voll Rechts war; Gerechtigkeit wohnte darin, nun aber Mörder. (Jesaja 1, 21 LUT)
„Wie geht das zu, daß die fromme Stadt zur Hure [zanah – זָנָה] geworden ist? Sie war voll Rechts, Gerechtigkeit wohnte darin, nun aber Mörder.“
In diesen Worten findet der tiefe Schmerz des Propheten über den Fall Jerusalems aus seiner hohen Stellung und Aufgabe einen ergreifenden Ausdruck. Hatten die heidnischen Völker in ihrem Aberglauben und mit ihren Götzenaltären nirgends Raum für die Offenbarung Gottes und die Herrschaft der Gerechtigkeit — Zion sollte die Heimat göttlicher Gerechtigkeit sein, in ihr sollte das Recht jede Nacht innerhalb der Völkerwelt überdauern.
In dieser Bestimmung lag Zions hohe Berufung. Der Herr selbst wollte in ihr wohnen und durch die Gesinnung und im Leben des Volkes die Herrschaft seiner Gerechtigkeit offenbaren. Die Frucht dieser Gerechtigkeit würde alsdann ein gewaltiges Zeugnis für die Nachbarvölker sein, so daß auch diese kommen und bitten würden: „Lehrt uns den Herrn erkennen!“ – Aber Jerusalem verleugnete den Herrn und wurde zur Dirne. Es vermählte sich in seinem Trachten und Leben mit der herrschenden Ungerechtigkeit der Weltvölker und wurde unbrauchbar für seine sittliche Weltmission. Es vergaß, daß es auf Grund göttlicher Erwählung und Berufung immer nur so weit ein Recht hatte, eine Sonderstellung innerhalb der Völkerwelt einzunehmen, als es seine göttliche Aufgabe erfüllte. Sooft es diese verleugnete, mußte es den Weg der Nationen gehen und deren Gerichte teilen.
Quelle:
Das lebendige Wort. Eine Einführung in die göttlichen Gedankengänge und Lebensprinzipien des Alten Testaments in 15 Bänden.
Band 5: Jesaja – Teil 1 (Jesaja 1-39) Immanuel und die Völker. Von Jakob Kroeker (Überarb.: Hans Brandenburg)
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