Psalm 119, 62

Zur Mitternacht stehe ich auf, dir zu danken für die Rechte deiner Gerechtigkeit. (Psalm 119, 62)

In stillen und schlaflosen Nachtstunden kann Vieles zwischen Gott und der Seele vorgehen. Zur Tageszeit soll der Wandel vor Gott, die Anbetung Gottes, und das Anhangen an Ihn und die Ausrichtung Seines Willens beobachtet werden: doch ist der Mensch dabei auch mit irdischen Dingen beschäftigt, und dem Umgang mit Menschen ausgesetzt, welcher ihm oft zur Versuchung wird. Aber in den stillen Nachtstunden ist der Mensch in dem zugeschlossenen Kämmerlein, worin er zu seinem Vater verborgener Weise beten, und Seine Wirkungen in der Seele ungestört empfahen kann. Hier kann ihn der Heilige Geist bestrafen, trösten, lehren, tiefer und höher führen, und ihn entweder zu dem Dienst, den er Gott ferner leisten soll, auf’s Neue gürten, oder zu seinem nahen Ende zubereiten.

Hier kann aber auch der Mensch Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für Gott bringen, wenn er vom Geist Gottes dazu erweckt ist. Der HErr Jesus blieb auf einem Berg im Gebet zu Gott über Nacht. Zur Nachtzeit wurde Er verklärt. Zur Nachtzeit kämpfte Er am Oelberg. Diejenigen insonderheit sollen die Nachtstunden zum Heil ihrer Seele wohl benutzen, welche wegen ihres äußerlichen Standes unruhige Tage haben. David sagte zu Gott, Ps. 119, 62.: Zu Mitternacht stehe ich auf, Dir zu danken für die Rechte Deiner Gerechtigkeit. Es war ihm also nicht genug, auf seinem Lager zu wachen, sondern er stand auch auf. Und was tat er alsdann? Er dankte Gott für die Rechte Seiner Gerechtigkeit. Er dachte hiebei an die Rechtssprüche, die in der Bibel stehen, worin Gott nach Seiner wesentlichen Gerechtigkeit das Böse verbietet, und das Gute gebietet; und diese richterlichen Aussprüche waren ihm so gar nicht verhaßt, daß er vielmehr Gott dafür dankte; denn er konnte V. 102. sagen: Ich weiche nicht von Deinen Rechten, denn Du lehrest mich, und V. 106.: Ich schwöre, und will’s halten, daß ich die Rechte Deiner Gerechtigkeit halten will. Er dachte überdies daran, wie Gott selber die Rechte Seiner Gerechtigkeit oft in die Erfüllung gebracht, und sagte deswegen mit einer Danksagung gegen Gott: Wenn ich bedenke, wie Du von Anbeginn an gerichtet hast, so werde ich getröstet.

Wir, die wir zur Zeit des Neuen Testaments leben, sollen Gott insonderheit für die Rechte Seiner Gerechtigkeit danken, die Er in Christo geoffenbart und tätlich erwiesen hat; denn Er hat Ihn zur Erweisung Seiner Gerechtigkeit in Seinem Blut vorgestellt, daß Er durch den Glauben als ein Gnadenstuhl erkannt würde, auf daß Er allein gerecht sei, und gerecht mache den, der da ist des Glaubens an Jesum, Röm. 3, 25.26. Christus hat auch als Mittler alle Rechte der Gerechtigkeit für uns erfüllt, damit wir durch Ihn gerecht würden, und durch Ihn als Gerechte einen Zugang zu Gott haben möchten. Dafür hat man denn Gott insonderheit zu danken; und sich dessen im Glauben zu trösten, und dazu wolle der liebe Heiland um Seiner heiligen Nächte willen unsre Nachtstunden segnen. Wer aber freilich die Sonne mit einem unversöhnlichen Herzen hat untergehen lassen, oder mit einem Gemüt, das mit Sorgen oder bösen Lüsten angefüllt ist, zu Bett geht, oder wohl gar auf seinem Lager nach Schaden zu trachten pflegt, ist dazu nicht tüchtig. Der Geist der Gnaden und des Gebets wohne und wirke in uns bei Tag und bei Nacht, und mache uns tüchtig, in die Stadt zu kommen, wo keine Nacht mehr sein wird.

(Magnus Friedrich Roos)