Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Predigttext: Hebräer 13, 8
Liebe Zuhörer! Wir haben einen Gott, der da ist, und der da war, und der da kommt; einen Gott, hoch erhaben über alle Zeit und allen Wechsel derselben. O wie müßte einem sonst so bange sein, wenn es so daher flutet, wenn die Zeit so schnell dahinfließt, und alles so vergeht. Wir betreten heute ein neues Jahr. Unsere bisherigen Lebensjahre sind dahingeschwunden; ist uns nichts davon geblieben als Erinnerung, schmerzhafte Erinnerung? Die Gegenwart – was ist sie für uns, ist sie überhaupt etwas? Und die Zukunft, die vor uns liegt, das nächste Jahr – was wird es sein, und was wird es bringen? –
„Jesus Christus gestern, heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ Wir haben nicht nur einen Gott, der über die Zeit erhaben ist; wir haben einen Gott, der sich in dem Namen Jesu uns offenbart. Wir feiern heute das Fest dieses Namens, damit wir lernen, wie wir das Neujahresfest richtig und christlich feiern mögen und unser Leben in der Zeit mit rechten Augen ansehen. Daher betrachten wir
unser zeitliches Leben im Lichte des Namens Jesu Christi;
1) unser Gestern
2) unser Heute
3) unsere Zukunft
Zu dir blicken wir auf an diesem Festmorgen, zu dir, Herr Jesu, du unser großer König und Hoherpriester. Du wollest dich über uns erbarmen und uns über unser bisheriges armes, unfruchtbares und untreues Leben eine wahre Buße schenken! Du wollest austilgen und ungeschehen machen, was vor dir nichts taugt! Um dich und deinen großen Namen sammeln und scharen wir uns denn auch, um die Süßigkeit und Allgenugsamkeit deines Namens zu schmecken. Und unter deinem Panier, unter dem Schilde deines Namens wollen wir auch ruhig vorwärts sehen und gehen. Mit dir können wir Taten tun, ja selbst den Sprung in des Todes Rachen können wir mit dir ruhig machen. Dein herrlicher Name sei gelobet in Zeit und Ewigkeit! Amen.
1) Unser Gestern
Man kann nicht anders, wenn man am Neujahr sich freuen will als denkender Mensch und als Christ, als daß man zurücksehen muß auf das G e s t e r n , auf die Vergangenheit. Es wäre entsetzlich, wenn wir nicht auch rückwärts blicken, stille stehen und fragen würden, was wir bisher gewesen, was bis hieher aus uns geworden sei. Thun wir denn das heute, unterwerfen wir unser bisheriges Leben einer Prüfung!
Unser Leben zerfällt in zwei Teile: in das, was d u r c h uns geschehen ist, und in das, was a n uns geschehen ist; in das was wir getan, und in das, was wir erfahren haben. Durch beides sind wir etwas geworden: tüchtiger oder untüchtiger, besser oder schlimmer, glücklich oder unglücklich. Blicken wir nun zuerst auf unsere Thaten. Was haben wir im letzten Jahr gethan? Was haben wir thun wollen und angestrebt? O, daß sich jedes von uns hierüber genaue Rechenschaft geben möchte! War es unsere Absicht, Gottes Willen zu tun? Ach, wenn wir aus der Wahrheit sind, so müssen wir vielleicht bekennen, daß uns das nie in den Sinn gekommen ist. Und wenn es auch je und je in uns auftauchte, was ist das gegen die Masse der übrigen Thaten! Denn jeder Augenblick unseres Lebens ist eine That. Selbst dann, wenn es die herrschende Richtung unseres Herzens gewesen wäre, Gottes Willen zu tun, wie oft, wie weit sind wir hinter unseren Vorsätzen zurückgeblieben! Was nicht nach Gottes Willen gethan und gelebt ist, ist eine böse That, sei es eine Handlung oder ein Versäumnis, sei es groß oder klein. Wie viele böse Thaten und Versäumnisse umfaßt unser voriges Lebensjahr! Auch diese Rechenschaft sollen wir vollziehen in dem Lichte des Namens Jesu. Da wird alles noch viel schwerer, beschämender, drückender. Es hat uns ja doch das ganze vorige Jahr dieser Name geleuchtet. Nicht nur das Licht der zehn Gebote hat uns geleuchtet, sondern der große Jesusname, der Name, in dessen Licht es heißt: „Seine Gebote sind nicht schwer“, der Name, wodurch unser Herz beschnitten wird, in welchen wir getaucht werden sollen. Es hat uns der Name geleuchtet, an dem selbst gar kein Makel, keine Sünde zu finden ist, nur der reinste, völligste Gehorsam. Aber vielleicht gerade auch und unmittelbar an diesem Namen haben wir uns vergriffen.
Liebe Zuhörer! Warum hat uns denn Gott das vorige Lebensjahr durchleben lassen? – Nicht, um zu essen und zu trinken und zu schaffen, sondern, um uns besser mit dem Namen Jesu bekannt zu machen und aus seiner Fülle zu nehmen Gnade um Gnade. Wenn wir nun mit dieser göttlichen Absicht unser vergangenes Leben vergleichen, wenn wir nach dem Gewinn fragen, den uns jener Name gebracht, wie beschämend ist vielleicht der Blick in unser vergangenes Jahr! Glauben wir Christen ja nicht, daß uns ein billigeres, ein leichteres Gericht erwarte, weil wir diesen Namen tragen; im Gegenteil: wir werden gerade deshalb einem weit schwereren Gericht entgegengehen. Also richten wir uns selber scharf! Ist unsere Vergangenheit beschämend und drückend für uns, so ist sie im Lichte des Namens Jesu doch nicht erdrückend. Es beugt uns dieser Name, aber er erhebt uns auch. Die Gebeugten, Gedemütigten erhebt und beruhigt er. Er ist nicht nur ein scharfes Messer der Beschneidung, sondern er ist auch ein Name der Gnade. Hier wogt und wallt der Name der göttlichen Gnade. Bei dem Herrn, unsrem Gott ist viel Vergebung. Es will dieser Name unsren schlechten Namen bedecken und vernichten. Wer weise ist, der läßt das ganze vergangene Jahr seines Lebens zudecken durch diesen Namen. Ich meines Teils will mich keine Sekunde unbedeckt wissen; jeden Augenblick möchte ich mich durch den Namen Jesu bedecken lassen, daß kein Pünktlein von einer eigenen That übrig bleibe.
Aber unser Leben ist ja auch etwas Erfahrenes, Erlebtes. Wie haben wir das anzusehen? Dieser Teil des Lebens besteht aus L e i d e n und F r e u d e n. Das vorige Jahr hat uns Leiden und Freuden gebracht. Die Leiden sind vorbei; die dreihundert fünf und sechzig Tage mit ihren Plagen sind vorbei. Aber ist’s genug für einen Christen, von seinen Leiden zu wissen, daß sie vorbei sind? Sollen wir nicht auch an den denken, der uns durch sie hindurchgebracht hat? Und haben unsere Leiden nicht auch ihren Zweck gehabt? Haben sie eine Frucht zurückgelassen? Hat sie uns der Name des Herrn gesegnet? Sollen wir dafür nicht auch danken, selbst für die Demütigung danken? –
Sehen wir nun auf die Freuden! Gott hat uns leiblich gesegnet mit Speise und Kleidung, und das im vorigen Jahr reichlich. Was sagt uns der Name Jesu? – Nichts anderes, als daß wir deren keines wert sind, und daß Gott, was er uns giebt, nur um seines lieben Sohnes willen giebt; er sagt uns, daß wir deswegen umso größeren Dank schuldig sind. Der Name Jesu sagt uns, daß uns Gott aus Liebe gibt, was wir bedürfen, damit wir umso begieriger nach seinem Reiche und dessen Gerechtigkeit trachten möchten; daß diese äußeren Gaben nicht die einzigen seien, die Gott hat und uns anbietet, sondern daß er noch viel bessere, wichtigere und nötigere habe. Er mahnt uns also daran, ob wir auch nach diesen unsere Hände ausgestreckt haben. Warum war das verflossene Jahr arm an Wohlthaten und Freuden für unseren Geist? – Gewiß nicht, weil sie uns Gottes Güte vorenthalten hätte, sondern nur, weil wir es versäumt haben, den Schatz zu suchen, der in dem Namen des Herrn verborgen liegt. Hätten wir diesen großen Namen recht erkannt und benützt, so könnten wir auf das letzte Jahr zurückblicken als auf ein Jahr des Segens und reicher Freude, nicht einer vergangenen Freude, sondern einer Freude, deren Frucht fortdauert in Ewigkeit.
2) Unser Heute
„Jesus Christus gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.“ Unser Heute, unsere Gegenwart wollen wir nun auch betrachten in seinem heiligen Lichte. Giebt es denn ein Heute, eine Gegenwart? Ist nicht die Gegenwart ein unendlich kleiner Punkt, der nie festgehalten werden kann, so daß wir eben der Vergangenheit und Zukunft angehören? – So ist es nicht nur, wenn man tiefer über die Sache nachdenkt, sondern so ist es wahrhaftig auch nach der Empfindung. Der natürliche Mensch lebt eben in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Entweder denkt er an Dinge, die geschehen sind, an Freuden oder Leiden, oder macht er Pläne über die Zukunft. Er lebt eben in der Zeit und in der Welt; da giebt es keine genußreiche Gegenwart; es befriedigt ihn nichts. Wer aber den Namen Christi kennen lernt, der kommt in die Stille, aus dem Geräusche der Vergangenheit und Zukunft heraus in die Stille der Gegenwart. Da findet man die Ewigkeit, ein ewiges Heute, eine befriedigende, genußreiche Gegenwart; da entschwindet einem der Genuß nicht unter der Hand, denn man hat das wahre Gut, nämlich Gott in Christo. Da läßt man die Vergangenheit – Vergangenheit sein; da macht man keine Pläne für die Zukunft; da freut man sich der stillen, seligen Gegenwart, des hohen Gutes, das man in dem Namen Jesu findet. Versuchet es einmal, ob es nicht so ist, und ob es nicht eine selige Sache ist um das Heute, das uns Jesus Christus bereitet.
3) Unsere Zukunft
Aber die Z u k u n f t spielt dennoch auch in unserer Seele eine bedeutende Rolle. Ganz können und sollen wir sie uns nicht aus dem Sinn schlagen. Denken wir denn auch an sie an dem heutigen Feste, und zwar im Lichte des großen Namens Jesu! Da liegt sie vor uns, die dunkle Zukunft. Was wird sie für uns in sich fassen? Wenn wir vom bisherigen Leben den Schluß machen – wohl vielen Schmerz und Kummer. Das menschliche Leben sei, sagt ein alter Weiser, Mühe und Arbeit, wenn es noch köstlich sei. Also Mühe und Arbeit wartet auf uns. Bei den meisten von uns ist die Blüte des Lebens vorüber; da sind wohl immer mehr Tage zu erwarten, die uns nicht gefallen. Es wartet vielleicht das Krankenbett auf uns oder gar der Tod und die Ewigkeit mit ihrem strengen Gericht. Wer weise ist, macht sich heute solche Gedanken, aber im Licht Christi. „Der Name des Herrn ist ein festes Schloß; der Gerechte läuft dahin und wird beschirmet.“
Ob uns das neue Jahr allerlei Ernstes bringe, wenn es uns nur gewappnet findet mit der Klugheit der Gerechten. Gehen wir hinein in das neue Jahr ohne Christum, so ist uns allen nichts Gutes zu prophezeien, aber viel Schlimmes. Wir werden ohne ihn eine Torheit nach der anderen begehen, eine Sünde um die andere; es wird sich auch Verdruß an Verdruß, vielleicht Unglück an Unglück reihen; vielleicht nimmt uns ein böser, schneller Tod in die Ewigkeit dahin, oder gehen wir langsam in die Finsternisse jener Welt hinüber. Wer dagegen in das sichere Schloß des Namens des Herrn sich hat verschließen lassen, hat von dem allen nichts zu fürchten. Leid mag kommen, Schmerzen mögen kommen, Züchtigungen und Strafen mögen uns treffen; aber sie sind ein vorausgehendes Gut, sie haben einen herrlichen und seligen Zweck; sie kommen von geliebten Händen, aus den Händen eines versöhnten, gnädigen Vaters im Himmel. Von ihm heißt es: „Der Herr plaget die Leute nicht von Herzen.“ Und das Christenkreuz hat seine Maßen und muß endlich stille stehen. Das Kreuz der Christen ist dem Gewürze, dem Salz an den Speisen ähnlich; es macht das Leben erst schmackhaft; es bewahrt vor Fäulnis, vor Trägheit und Sicherheit. Sind wir mit dem Namen des Herrn angethan, so hat’s keine Not.
Eine Hauptsache ist dann auch, ob die Zukunft etwas Gutes bringe. Wer ohne Christum hingeht, erlebt vielleicht manche Freude; aber viel wird’s nicht sein, und das gewiß nicht, was er hofft. Was er aber von Freude findet, das wird ihm meist schädlich und verderblich sein. Er weiß nicht Maß zu halten; er heiligt seine Freude nicht durch Danksagung. Eine wahren Gewinn von seinem zukünftigen Leben kann ohnehin niemand hoffen, der Christum nicht hat. Wer dagegen Christum kennt und liebt, darf sich ein Freudenjahr, ein Segensjahr versprechen, einen großen Gewinn, wenn er nur seinerseits es nicht an der nötigen Treue und Betriebsamkeit fehlen läßt. Denn „so lange Jesus bleibt der Herr, geht’s alle Tage herrlicher.“ In dem Namen Jesu Christi liegt ein Schatz über alle Schätze, ein Freudenquell, der über alle Begriffe ist. Wer d e n Namen hat, wenn er sonst nichts hat, kann sein Glück nicht übersehen, darf gar nichts erwarten als lauter Glück, das reinste, süßeste, seligste Glück. Nichts ist da vorübergehend, sondern alles bleibend, ein wahrer, ewiger Gewinn.
Sehet, liebe Zuhörer, so stellt sich unsere Zukunft, unser neues Jahr, im Licht des Namens Jesu dar: nicht trüb und finster, auch nicht ungewiß, sondern hell und lieblich. „Das Los“, heißt es da, „ist mir gefallen aufs lieblichste.“ Oh machet doch, daß auch euch dieses Los zufalle! Es liegt in eurer Hand. Jesus Christus, derselbe in Ewigkeit, ist der einzige Führer, der uns sicher durchs Leben bringt, unser allmächtiger Schutz, die Quelle alles Segens. Man soll an dem heutigen Feste den Leuten etwas Gutes wünschen. Aber was hilft es? Man mag ihnen wünschen, was man will, kennen und lieben sie Jesum nicht, so geschieht’s nicht: es kommt nichts Gutes, nur Böses. Kennen und lieben sie aber Jesum, so ist es nicht nötig, ihnen etwas zu wünschen: es kommt ohnehin nur Gutes, nichts Böses. Darum sage ich weiter nichts an diesem Fest; ich sage nur das zu euch allen: Kommet zu Jesu und bleibet bei ihm! Amen.
(gehalten 1844.)
M. Gottlob Baumann, Pfarrer in Kemnat bei Stuttgart: Neunundsiebenzig Predigten über die Evangelien des zweiten württ. Jahrgangs auf alle Sonn-, Fest- und Feiertage. Dritte Auflage, Unveränderter Abdruck. Quell-Verlag der Ev. Gesellschaft, Stuttgart.